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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.05.1993
Aktenzeichen: C-304/91
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 74/561/EWG vom 12.12.1974


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Richtlinie 74/561/EWG vom 12.12.1974 Art. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Eine natürliche Person, die vor dem 1. Januar 1978 den Verkehrsbetrieb eines Unternehmens ständig und tatsächlich geleitet hat und die dazu aufgrund einer innerstaatlichen Regelung berechtigt war, kann verlangen, daß Artikel 5 der Richtlinie 74/561 über den Zugang zum Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzueberschreitenden Verkehr auf sie angewandt wird, wonach insbesondere jeder, der vor dem 31. Dezember 1974 benannt worden ist, um den Verkehrsbetrieb eines Unternehmens ständig und tatsächlich zu leiten, endgültig davon befreit ist, den Nachweis der fachlichen Eignung zu erbringen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 11. MAI 1993. - H.J.J. VAN DOESSELAAR GEGEN MINISTER VAN VERKEER EN WATERSTAAT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COLLEGE VAN BEROEP VOOR HET BEDRIJFSLEVEN - NIEDERLANDE. - GUETERKRAFTVERKEHR - FACHLICHE EIGNUNG. - RECHTSSACHE C-304/91.

Entscheidungsgründe:

1 Das College van Beroep voor het Bedrijfsleven hat mit Beschluß vom 8. November 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 28. November 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 74/561/EWG des Rates vom 12. November 1974 über den Zugang zum Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzueberschreitenden Verkehr (ABl. L 308, S. 18) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn H. J. J. van Dösselaar, dem Kläger des Ausgangsverfahrens, und dem Minister van Verkeer en Waterstaat (Minister für Verkehr und Wasserwirtschaft, im folgenden: Minister). In diesem Rechtsstreit geht es darum, daß der vom Kläger gestellte Antrag auf Befreiung von dem in Artikel 56 der Wet Autovervör Göderen (Gesetz über den Güterkraftverkehr, WAG) festgelegten Erfordernis der fachlichen Eignung vom Minister abgelehnt wurde.

3 Der Akte ist zu entnehmen, daß der Kläger zusammen mit dem Gesellschafter E. F. van Esbrök im Jahr 1960 eine offene Handelsgesellschaft zu dem Zweck gründete, gemeinsam ein Kraftverkehrsunternehmen zu betreiben. Das Unternehmen erhielt dafür eine Genehmigung, denn der Gesellschafter van Esbrök wies die damals nach niederländischem Recht erforderliche fachliche Eignung nach. Anfangs, während eines Zeitraums von höchstens zwei Jahren, nahm der Gesellschafter van Esbrök einige Verwaltungsaufgaben wahr; von 1962 bis 1987 leitete aber tatsächlich der Kläger allein das von der Gesellschaft betriebene Verkehrsunternehmen.

4 Am 23. April 1987 starb der Gesellschafter van Esbrök, und damit wurde die offene Handelsgesellschaft beendet. Der Kläger, der das Verkehrsunternehmen allein weiterbetreiben wollte, beantragte beim Minister, ihn von dem Erfordernis der fachlichen Eignung nach der WAG zu befreien. Es steht fest, daß der Kläger zu keiner Zeit einen Nachweis der fachlichen Eignung besaß.

5 Mit Entscheidung vom 24. Dezember 1987 lehnte der Minister den Antrag des Klägers ab. Dies wurde damit begründet, daß der Kläger seit 1960 den Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers nicht selbständig habe ausüben können, weil er die Voraussetzung der fachlichen Eignung nicht erfuellt habe. Ausserdem könne die vom Kläger beantragte Befreiung nicht auf Artikel 5 der Richtlinie 74/561 gestützt werden.

6 Gegen diese Entscheidung rief der Kläger das College van Beroep voor het Bedrijfsleven an. Dieses Gericht ist der Auffassung, für den Rechtsstreit sei die Auslegung des Gemeinschaftsrechts wichtig; es setzte daher das Verfahren aus, bis der Gerichtshof zu folgender Frage eine Vorabentscheidung erlassen hat:

Hat eine natürliche Person nach Beendigung der offenen Handelsgesellschaft, in der sie den Verkehrsbetrieb ständig und tatsächlich geleitet hat, und die bei richtiger Durchführung der Richtlinie 74/561/EWG unter die Übergangsregelung gefallen wäre, Anspruch auf Anwendung des Artikels 5 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 der Richtlinie, wenn sie das Unternehmen als Einzelfirma fortführt, selbst wenn der innerstaatliche Gesetzgeber die Bestimmung nicht durchgeführt hat?

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Zunächst ist auf die mit der Richtlinie 74/561 eingeführte Regelung über den Zugang zum Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzueberschreitenden Verkehr einzugehen. Dazu bestimmt Artikel 3 der Richtlinie u. a., daß Unternehmen, die den Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers ausüben wollen, insbesondere zuverlässig sein, die entsprechende finanzielle Leistungsfähigkeit besitzen und über die fachliche Eignung verfügen müssen. Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 2 sieht vor, daß die zuständigen Behörden einen Antragsteller, der eine natürliche Person ist, die die Voraussetzungen der fachlichen Eignung nicht erfuellt, dennoch zur Ausübung des Berufes des Kraftverkehrsunternehmers zulassen können, sofern er diesen Behörden eine andere Person benennt, die zuverlässig ist, die Voraussetzungen der fachlichen Eignung erfuellt und den Verkehrsbetrieb ständig und tatsächlich leitet. Nach Absatz 1 Unterabsatz 3 muß eine der natürlichen Personen, die das Verkehrsunternehmen ständig und tatsächlich leiten, zuverlässig sein und die Voraussetzungen der fachlichen Eignung erfuellen, wenn der Antragsteller keine natürliche Person ist.

9 Aus dem Wortlaut und dem Aufbau des Artikels 3 ergibt sich, daß dieser gewährleisten soll, daß die Person, die ständig und tatsächlich den Verkehrsbetrieb leitet, die Voraussetzung der fachlichen Eignung erfuellt.

10 Unter diesem Blickwinkel ist Artikel 5 der Richtlinie zu untersuchen. Wie der Gerichtshof schon im Urteil vom 22. März 1979 in der Rechtssache 146/78 (Wattenberg, Slg. 1979, 1041) hervorgehoben hat, stellt dieser Artikel eine Übergangsbestimmung für die Fälle dar, in denen Personen nachweisen, daß sie den Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers vor dem 1. Januar 1978 in einem Mitgliedstaat aufgrund einer innerstaatlichen Regelung ausüben durften.

11 Artikel 5 umfasst zwei Absätze. Absatz 1 sieht insbesondere vor, daß Unternehmen, die nachweisen, daß sie den Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und/oder im grenzueberschreitenden Verkehr vor dem 1. Januar 1978 in einem Mitgliedstaat aufgrund einer innerstaatlichen Regelung ausüben durften, davon befreit sind, nachzuweisen, daß sie den jeweils entsprechenden Bestimmungen des Artikels 3 genügen.

12 Artikel 5 Absatz 2 enthält eine Ausnahme von Absatz 1. Sie gilt für "natürliche Personen, die nach dem 31. Dezember 1974 und vor dem 1. Januar 1978 die Genehmigung erhalten haben, den Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers auszuüben, ihre fachliche Eignung aber aufgrund einer einzelstaatlichen Regelung nicht nachweisen mussten, oder die benannt worden sind, um den Verkehrsbetrieb ständig und tatsächlich zu leiten". Gemäß Artikel 5 Absatz 2 müssen diese zwei Gruppen von Personen aber vor dem 1. Januar 1980 die Voraussetzung der fachlichen Eignung erfuellen.

13 Demnach ist Artikel 5 Absatz 1 dahin auszulegen, daß jeder, der vor dem 31. Dezember 1974 benannt worden ist, um den Verkehrsbetrieb eines Unternehmens ständig und tatsächlich zu leiten, endgültig davon befreit ist, den Nachweis der fachlichen Eignung zu erbringen.

14 Diese Auslegung steht auch mit dem mit der Richtlinie verfolgten Zweck in Einklang. Da es Sinn des Artikels 3 ist, sicherzustellen, daß die Person(en), die den Verkehrsbetrieb ständig und tatsächlich leitet (leiten), die Voraussetzung der fachlichen Eignung erfuellt (erfuellen), ist die in Artikel 5 Absatz 1 enthaltene Wendung "Unternehmen, die nachweisen, daß sie den Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers... vor dem 1. Januar 1978 in einem Mitgliedstaat aufgrund einer innerstaatlichen Regelung ausüben durften", so zu verstehen, daß sie Personen erfasst, die vor dem genannten Zeitpunkt aufgrund einer innerstaatlichen Regelung den Verkehrsbetrieb eines Unternehmens ständig und tatsächlich leiten durften.

15 Es ist Sache des innerstaatlichen Richters, festzustellen, ob der Betroffene vor dem 1. Januar 1978 den Verkehrsbetrieb eines Unternehmens ständig und tatsächlich geleitet hat, sowie ° gegebenenfalls ° zu ermitteln, ob dies aufgrund einer innerstaatlichen Regelung zulässig war. Der Grund für die Zulassung gemäß innerstaatlichem Recht spielt dabei keine Rolle.

16 Wie im Urteil in der Rechtssache Wattenberg festgestellt worden ist, wird von einer Person, die Artikel 5 Absatz 1 erfasst, angenommen, daß sie die Voraussetzung der fachlichen Eignung erfuellt, und sie ist von dem entsprechenden Nachweis befreit. Eine solche Person kann sich also seit Ablauf der für die Umsetzung der Richtlinie geltenden Frist unmittelbar auf Artikel 5 Absatz 1 berufen.

17 Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, daß eine natürliche Person, die vor dem 1. Januar 1978 den Verkehrsbetrieb eines Unternehmens ständig und tatsächlich geleitet hat und die dazu aufgrund einer innerstaatlichen Regelung berechtigt war, verlangen kann, daß Artikel 5 der Richtlinie 74/561 auf sie angewandt wird.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom College van Beroep voor het Bedrijfsleven mit Beschluß vom 8. November 1991 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Eine natürliche Person, die vor dem 1. Januar 1978 den Verkehrsbetrieb eines Unternehmens ständig und tatsächlich geleitet hat und die dazu aufgrund einer innerstaatlichen Regelung berechtigt war, kann verlangen, daß Artikel 5 der Richtlinie 74/561/EWG des Rates vom 12. November 1974 über den Zugang zum Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzueberschreitenden Verkehr auf sie angewandt wird.

Ende der Entscheidung

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