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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.04.1999
Aktenzeichen: C-31/98
Rechtsgebiete: Verordnung (EG) Nr. 1395/94


Vorschriften:

Verordnung (EG) Nr. 1395/94
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 1 der Verordnung Nr. 1395/94 zur Festsetzung des bei der Einführung von Sauerkirschen anzuwendenden Mindestpreises ist dahin auszulegen, daß die Ausgleichsabgabe, die er vorsieht, falls der Mindestpreis bei der Einfuhr nicht eingehalten wird, in einem Fall, in dem Sauerkirschen in der Gemeinschaft zu einem niedrigen Preis in den freien Verkehr überführt wurden, nicht erhoben werden darf, wenn dieser niedrige Preis auf Umständen beruht, die vom Willen des Einführers und von der Herkunft der Waren unabhängig sind, wie etwa einem fortgeschrittenen, unvorhergesehenen Verderb der Früchte. Die Erhebung einer Ausgleichsabgabe ist nämlich rechtswidrig, wenn das Ziel der Verordnung Nr. 1395/94, den Gemeinschaftsmarkt für Sauerkirschen vor Niedrigpreiseinfuhren zu schützen, bereits erreicht ist.


Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 28. April 1999. - Peter Luksch gegen Hauptzollamt Weiden. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht München - Deutschland. - Landwirtschaft - Gemeinsame Marktorganisation - Obst und Gemüse - Einfuhr von Sauerkirschen aus Drittstaaten - Erhebung einer Ausgleichsabgabe in Höhe der Differenz zwischen dem Mindestpreis und dem Einfuhrpreis - Anwendbarkeit auf beschädigte Waren. - Rechtssache C-31/98.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht München hat mit Beschluß vom 22. Januar 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Februar 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 1 der Verordnung (EG) Nr. 1395/94 der Kommission vom 17. Juni 1994 zur Festsetzung des bei der Einfuhr von Sauerkirschen anzuwendenden Mindestpreises (ABl. L 152, S. 31) sowie des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2551/93 der Kommission vom 10. August 1993 (ABl. L 241, S. 1) geänderten Fassung und insbesondere der Anmerkung 1 zu Kapitel 8 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Peter Luksch (im folgenden: Kläger) und dem Hauptzollamt Weiden über die Zahlung einer Ausgleichsabgabe, die beim Kläger mit der Begründung angefordert worden war, er habe für mehrere Partien Sauerkirschen den Mindesteinfuhrpreis nicht eingehalten.

Die anwendbaren Rechtsvorschriften

3 Artikel 1 der Verordnung Nr. 1395/94 bestimmt:

"(1) Der bei der Einfuhr von Sauerkirschen der KN-Codes 0809 20 20 und 0809 20 60 einzuhaltende Mindestpreis beträgt 40 bzw. 36 ECU/100 kg netto.

(2) Liegt der Einfuhrpreis unter dem in Absatz 1 genannten Mindestpreis, wird eine dem Unterschied zwischen diesen Preisen entsprechende Ausgleichsabgabe erhoben."

In der ersten und der zweiten Begründungserwägung finden sich hierzu folgende Hinweise:

"Ohne Schutz an der Grenze könnte... der Absatz der Gemeinschaftserzeugung durch die Konkurrenz beeinträchtigt werden, die von Drittländern ausgeht, die wesentlich niedrigere Preise verlangen als die, zu denen die Gemeinschaftserzeugnisse vermarktet werden könnten.

...

Da die betreffenden Erzeugnisse in verhältnismässig kurzer Zeit vermarktet werden, sollten Maßnahmen erlassen werden, mit denen Niedrigpreiseinfuhren unterbunden werden können. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, empfiehlt es sich, eine Mindesteinfuhrpreisregelung und Ausgleichsabgaben auf Erzeugnisse anzuwenden, bei denen diese Preise nicht eingehalten werden."

4 Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2707/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 zur Festlegung der Voraussetzungen für die Anwendung der Schutzmaßnahmen auf dem Sektor Obst und Gemüse (ABl. L 291, S. 3) sieht im übrigen vor, daß diese Maßnahmen nur in dem Umfang und für die Zeit getroffen werden dürfen, die unbedingt notwendig sind. In der fünften Begründungserwägung dieser Verordnung wird hierzu festgestellt, daß "die Maßnahmen... der Lage angemessen sein [müssen], um zu verhindern, daß sie andere als die gewünschten Wirkungen haben".

5 Die KN sieht vor, daß Sauerkirschen, die in der Zeit vom 1. Mai bis 15. Juli in die Gemeinschaft eingeführt werden, unter die Code-Nr. 0809 20 20 fallen und solche, die vom 16. Juli bis 30. April eingeführt werden, unter die Code-Nr. 0809 20 60.

6 Anmerkung 1 zu Kapitel 8 KN, welcher mit "Genießbare Früchte und Nüsse; Schalen von Zitrusfrüchten oder von Melonen" überschrieben ist, stellt klar, daß unter dieses Kapitel "nicht ungenießbare Früchte und Nüsse" gehören.

Der Ausgangsrechtsstreit und die Vorlagefragen

7 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß Peter Luksch am 4. Juli 1994 beim Hauptzollamt Weiden die Abfertigung zum freien Verkehr von drei Sendungen von insgesamt 42 286 kg Sauerkirschen aus Rumänen unter dem KN-Code 0809 20 20 beantragte. Der Einfuhrpreis war mit 65 DM/100 kg angegeben. Da hierdurch der in Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1395/94 angegebene Mindestpreis von 40 ECU/100 kg etwas unterschritten war, forderte das Hauptzollamt eine Ausgleichsabgabe von 2 414,80 DM an.

8 Bei Eintreffen der Lieferung am 5. Juli 1994 stellte sich heraus, daß die Früchte bereits einen fortgeschrittenen Verderb aufwiesen. Der Empfänger verweigerte daher die Annahme, und der Kläger ließ die Ware von einem Sachverständigen begutachten. Dieser bestätigte die starke Beschädigung der Früchte durch Schimmelbildung und Fäulnis, die offensichtlich aus einer zu warmen Verladung resultierten, und empfahl den Verkauf an eine Brennerei mit einem Mindererlös von schätzungsweise 75 %. Der Kläger kam dieser Empfehlung nach und veräusserte die Ware zu einem Preis von 10 DM/100 kg an eine Brennerei.

9 Aufgrund der Herabsetzung des Einfuhrpreises setzte das Hauptzollamt mit Änderungsbescheid vom 8. Februar 1995 die Ausgleichsabgabe auf 34 726,86 DM herauf. Auf den dagegen eingelegten Einspruch wurde mit Entscheidung vom 22. Mai die Ausgleichsabgabe nochmals erhöht, und zwar auf 40 124,02 DM, um der Verringerung der Kosten für die Beförderung der Waren innerhalb der Gemeinschaft Rechnung zu tragen.

10 Der Kläger erhob gegen diese Entscheidung Klage beim vorlegenden Gericht, mit der er im wesentlichen geltend macht, die im Ausgangsverfahren streitige Regelung könne auf verdorbene Waren nicht anwendbar sein.

11 Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Anwendbarkeit der Mindestpreisregelung auf die vom Kläger eingeführten Waren, da der Zweck dieser Regelung, Störungen zu verhindern, die von Angeboten zu anomal niedrigen Preisen aus Drittländern auf dem Gemeinsamen Markt bewirkt würden, durch verdorbene Waren nicht unterlaufen werde; es hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 1 der Verordnung Nr. 1395/94 der Kommission vom 17. Juni 1994 dahin auszulegen, daß von der Ausgleichsabgabe auch Sauerkirschen erfasst werden, die durch Schimmelbildung und Übergang in Gärung soweit verdorben sind, daß sie wirtschaftlich sinnvoll nur noch in Brennereien verwertet werden können?

Bei Bejahung der Frage 1:

2. Ist die Verordnung Nr. 2658/87 in der Fassung ihres Anhangs I gemäß der Verordnung Nr. 2551/93 vom 10. August 1993, insbesondere Anmerkung 1 zu Kapitel 8 der Kombinierten Nomenklatur, dahin auszulegen, daß die in Frage 1 beschriebenen Waren in die Unterposition 0809 20 20 bzw. 0809 20 60 einzureihen sind?

Zur ersten Frage

12 Der Kläger und die Kommission machen geltend, die Ausgleichsabgabe dürfe auf die Waren, um die es hier gehe, nicht erhoben werden. Die Begründungserwägungen der Verordnungen (EWG) Nr. 1035/72 des Rates vom 18. Mai 1972 über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse (ABl. L 118, S. 1) und Nr. 1395/94 rechtfertigten die Erhebung von Ausgleichsabgaben allein mit dem Erfordernis, Störungen des Gemeinsamen Marktes zu verhindern, die durch Angebote zu anomalen Preisen aus Drittländern entstuenden. Im Fall des Ausgangsverfahrens hätten die Waren nicht im Wettbewerb mit der Gemeinschaftserzeugung gestanden, da der letztlich für sie gezahlte niedrige Preis ausschließlich auf die Ungenießbarkeit der Früchte zurückzuführen gewesen sei.

13 Der Gerichtshof habe im übrigen in seinem Urteil vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-81/92 (Dinter, Slg. 1993, I-4601, Randnr. 19) bereits entschieden, daß Schutzmaßnahmen nur in dem Umfang und für die Zeit getroffen werden dürften, die unbedingt notwendig seien, und daß die Erhebung einer Ausgleichsabgabe daher rechtswidrig sei, wenn das mit den Schutzmaßnahmen verfolgte Ziel bereits erreicht sei. Diese Erwägungen seien auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen, in dem es durch die Abgabe der verdorbenen Sauerkirschen an eine Brennerei zu keinerlei Beeinträchtigung des Frischobstmarktes in der Gemeinschaft gekommen sei. Unter diesen Umständen würde die Erhebung der Ausgleichsabgabe dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit widersprechen.

14 Die Kommission weist ausserdem darauf hin, daß der Verderb der Waren und damit die erhebliche Herabsetzung ihres Handelswertes bereits zu dem für die Erhebung der Ausgleichsabgabe entscheidenden Zeitpunkt ihrer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr eingetreten sei. Damit fehle ein wesentliches Element für die Anwendung des Artikels 1 der Verordnung Nr. 1395/94, da der vom Einführer gezahlte Niedrigpreis nicht auf der Preispolitik eines Drittlands beruhe, sondern ausschließlich auf einem Umstand, der von der Herkunft dieser Waren völlig unabhängig sei.

15 Einleitend ist festzustellen, daß mit der Verordnung Nr. 1395/94 gemäß ihrer ersten Begründungserwägung Maßnahmen zum Schutz des Gemeinschaftsmarktes für Sauerkirschen erlassen werden sollen, der aufgrund der Einfuhren aus Drittländern, die wesentlich niedrigere Preise verlangen als die, zu denen die Gemeinschaftserzeugnisse vermarktet werden können, durch schwerwiegende, die Zielsetzungen von Artikel 39 EG-Vertrag in Frage stellende Störungen gefährdet ist.

16 Wie in der zweiten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1395/94 festgestellt wird, sollen mit den Schutzmaßnahmen Niedrigpreiseinfuhren unterbunden werden. Dieses Ziel kann durch die Einführung eines Mindestpreises für die Einfuhr in die Gemeinschaft erreicht werden und, bei Nichteinhaltung dieses Preises, durch Erhebung einer Ausgleichsabgabe. Aus der Verordnung ergibt sich, daß letztere grundsätzlich anhand des ursprünglich zwischen den Parteien vereinbarten Preises festgesetzt wird.

17 Demnach ist zu untersuchen, ob die Erhebung der Ausgleichsabgabe im vorliegenden Fall gerechtfertigt war, obwohl eine Störung des Gemeinschaftsmarktes ausgeschlossen erschien, da der niedrige Preis, zu dem die Ware verkauft wurde, im wesentlichen auf einem Umstand beruhte, der von der Herkunft der Ware völlig unabhängig war, nämlich ihrem so weit fortgeschrittenen Verderb, daß sie wirtschaftlich sinnvoll nur noch in Brennereien verwertet werden konnte.

18 Gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2707/72 dürfen die Schutzmaßnahmen auf dem Sektor Obst und Gemüse "nur in dem Umfang und für die Zeit getroffen werden, die unbedingt notwendig sind". Hieraus folgt, wie der Gerichtshof schon in Randnummer 19 des Urteils Dinter, das die Zahlung einer Ausgleichsabgabe wegen Nichteinhaltung des Mindesteinfuhrpreises für Sauerkirschen betraf, entschieden hat, daß die Erhebung einer Ausgleichsabgabe rechtswidrig ist, wenn das mit den Schutzmaßnahmen verfolgte Ziel bereits erreicht ist. Die Erhebung einer solchen Abgabe ist erst recht dann als ungerechtfertigt anzusehen, wenn das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes durch einen Niedrigpreis, der auf einem Umstand beruht, der von der Herkunft der Ware unabhängig ist, nicht beeinträchtigt werden kann.

19 Aufgrund des Vorstehenden ist festzustellen, daß unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Ausgleichsabgabe nur insoweit erhoben werden darf, als sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des mit der Verordnung Nr. 1395/94 verfolgten Zieles unbedingt notwendig ist.

20 Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand aller vorstehenden Auslegungshinweise die Gründe zu untersuchen, aus denen der Preis der Sauerkirschen zu dem Zeitpunkt, als der Einführer den Antrag auf Abfertigung der Sauerkirschen zum freien Verkehr stellte, niedriger als der Mindestpreis war, und insbesondere, ob dieser niedrige Preis auf Umständen beruhte, die vom Willen des Einführers und von der Herkunft der Ware völlig unabhängig waren.

21 Die erste Frage ist demgemäß dahin zu beantworten, daß Artikel 1 der Verordnung Nr. 1395/94 dahin auszulegen ist, daß eine Ausgleichsabgabe in einem Fall, in dem Sauerkirschen in der Gemeinschaft zu einem niedrigen Preis in den freien Verkehr überführt wurden, nicht erhoben werden darf, wenn dieser niedrige Preis auf Umständen beruht, die vom Willen des Einführers und von der Herkunft der Waren unabhängig sind, wie etwa einem fortgeschrittenen, unvorhergesehenen Verderb der Früchte.

Zur zweiten Frage

22 Da die zweite Frage nur für den Fall der Bejahung der ersten Frage gestellt worden ist, erübrigt sich ihre Beantwortung.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Erste Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht München mit Beschluß vom 22. Januar 1998 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 1395/94 der Kommission vom 17. Juni 1994 zur Festsetzung des bei der Einführung von Sauerkirschen anzuwendenden Mindestpreises ist dahin auszulegen, daß eine Ausgleichsabgabe in einem Fall, in dem Sauerkirschen in der Gemeinschaft zu einem niedrigen Preis in den freien Verkehr überführt wurden, nicht erhoben werden darf, wenn dieser niedrige Preis

auf Umständen beruht, die vom Willen des Einführers und von der Herkunft der Waren unabhängig sind, wie etwa einem fortgeschrittenen, unvorhergesehenen Verderb der Früchte.

Ende der Entscheidung

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