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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 17.05.1991
Aktenzeichen: C-313/90 R
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Entscheidung 85/18/EWG vom 10. Oktober 1984, Verfahrensordnung


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 93 Abs. 3
Entscheidung 85/18/EWG vom 10. Oktober 1984
Verfahrensordnung Art. 83 § 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Antrag auf einstweilige Anordnung, der darauf gerichtet ist, einem Mitgliedstaat zu verbieten, eine Beihilfe an ein mit den Antragstellern in Wettbewerb stehendes Unternehmen zu zahlen, und letzterem aufzugeben, insoweit erhaltene Beträge zurückzuzahlen, ist zurückzuweisen, sofern die Klage, auf die er sich stützt, auf die Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission gerichtet ist, wonach die erwähnte Beihilfe nicht der Pflicht zur vorherigen Meldung unterlag und nicht über den von der Kommission zugelassenen Regelungsrahmen für Beihilfen mit regionaler Zweckbestimmung hinausging.

Zum einen geht ein solcher Antrag nämlich über den Rahmen des Verfahrens zur Hauptsache hinaus, das nicht die Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt im Sinne von Artikel 92 EWG-Vertrag zum Gegenstand hat, und ist auf den Erlaß von Maßnahmen gerichtet, die nicht in der Notwendigkeit begründet sind, zu vermeiden, daß dem Urteil im Zeitpunkt des Erlasses die praktische Wirksamkeit fehlt. Zum anderen ist der Antrag verfrüht, da der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung im Hinblick auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung nicht über die Grundlagen verfügt, die es ihm gestatten würden, die Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt summarisch zu prüfen, um die erforderliche Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der Anordnung festzustellen.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 17. MAI 1991. - COMITE INTERNATIONAL DE LA RAYONNE ET DES FIBRES SYNTHETIQUES, AKZO NV, HOECHST AG, IMPERIAL CHEMICAL INDUSTRIES PLC UND SNIA FIBRE SPA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - STAATLICHE BEIHILFEN - BEIHILFEN FUER DIE KUNSTFASERINDUSTRIE. - RECHTSSACHE C-313/90 R.

Entscheidungsgründe:

1 Das Comité international de la rayonne et des fibres synthétiques (nachstehend: CIRFS), die Akzo NV, die Hoechst AG, die Imperial Chemical Industries plc und die Snia Fibre SpA haben mit Klageschrift, die am 12. Oktober 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission beantragt, die in dem Schreiben vom 1. August 1990 enthalten ist, das der Direktor in der Generaldirektion Wettbewerb, R. Sunnen, an das CIRFS richtete und wonach zum einen die von den französischen Behörden zugunsten einer Investition der Firma Allied Signal in der Region Longwy gewährte Beihilfe nicht der Pflicht zur vorherigen Meldung nach Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag unterlag und zum anderen Inhalt und Intensität der Beihilfe als Anwendungsfall des Regionalplans "Raumordnungsprämie" den Anforderungen genügten.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am 12. März 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, haben die Antragstellerinnen unter Hinweis darauf, daß ein Teil der Beihilfe bereits ausgezahlt worden sei, gemäß Artikel 186 EWG-Vertrag einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, der darauf gerichtet ist, der Allied Signal Inc. und der Allied Signal Fibers Europe SA aufzugeben, den Teil der Beihilfe an die französischen Behörden zurückzuzahlen, den sie schon erhalten haben, und der Französischen Republik aufzugeben, jede weitere Auszahlung zu unterlassen, hilfsweise, der Kommission aufzugeben, eine Entscheidung zu erlassen, mit der die Französische Republik verpflichtet wird, die bereits ausgezahlte Beihilfe zurückzufordern, und mit der jede weitere Auszahlung der Beihilfe untersagt wird.

3 Die Kommission hat am 4. April 1991 zu dem Antrag auf einstweilige Anordnung schriftlich Stellung genommen, und die Parteien haben am 6. Mai 1991 mündliche Ausführungen gemacht.

4 Vor Prüfung der Begründetheit des Antrags auf einstweilige Anordnung ist kurz auf die Vorgeschichte des Rechtsstreits einzugehen.

5 Nach ihren der Kommission mitgeteilten Angaben beschlossen die französischen Behörden am 21. Juni 1989, für das Investitionsvorhaben von 840 Millionen FF, das die Firma Allied Signal in Longwy zu verwirklichen beabsichtigt, eine direkte regionale Beihilfe von 160 Millionen FF zu gewähren.

6 Diese Investition betrifft die Errichtung einer Betriebseinheit für die Herstellung von Polyesterfasern, die zur industriellen Verwendung bei der Verstärkung von Reifen bestimmt sind. Die Produktion dieser Betriebseinheit soll die von der Firma Allied Signal gegenwärtig aus einer ihrer Fabriken in den Vereinigten Staaten in die Gemeinschaft eingeführten Polyesterfasern ersetzen; nach Angabe der Kommission betragen diese Einfuhren jährlich 10 000 t. Die Kapazität der Betriebseinheit könnte jedoch mit der Zeit am Ende auf jährlich 28 000 t erhöht werden.

7 Die für diese Investition bewilligte Beihilfe wurde im Rahmen der als "Raumordnungsprämie" bezeichneten französischen Beihilferegelung gewährt, die gemäß Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag der Kommission gemeldet worden war. Für das Departement Meurthe-et-Moselle, in dem diese Investition verwirklicht werden soll, befand die Kommission in ihrer Entscheidung 85/18/EWG vom 10. Oktober 1984 über die Abgrenzung der Gebiete in Frankreich, die Raumordnungsprämien erhalten können (ABl. 1985 L 11, S. 28), daß Beihilfen für Industrievorhaben in diesem Departement, wie sie in dieser Beihilferegelung mit einem Hoechstsatz von 25 % der Investition vorgesehen sind, mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind. Nach Errichtung eines "europäischen Entwicklungsschwerpunkts" durch die Regierungen Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs, zu dem die Region von Longwy gehört, erhöhte die Kommission mit Schreiben vom 1. Dezember 1986 an die betreffenden Regierungen den Hoechstsatz der Beihilfe für Investitionsvorhaben in dieser Zone auf 30 %.

8 Es steht fest, daß die fragliche Beihilfe die Grenzen, innerhalb deren die Kommission so die Beihilfegewährung im Rahmen der Regelung Raumordnungsprämie zugelassen hat, nicht überschreitet.

9 Nach Auffassung der Antragstellerinnen verstösst die gewährte Beihilfe jedoch gegen die von der Kommission im Juli 1977 eingeführte Verhaltensregelung für Beihilfen zugunsten der Kunstfaserindustrie in der Gemeinschaft.

10 Aus den Akten geht hervor, daß die Kommission in einem Schreiben vom 19. Juli 1977 an die Regierungen der Mitgliedstaaten unter Hinweis auf die grossen Überkapazitäten der Kunstfaserindustrie in der Gemeinschaft die Auffassung vertreten hatte, daß die Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von zwei Jahren ab dem erwähnten Schreiben davon absehen sollten, auf dem Gebiet der Beihilfengewährung Maßnahmen zu beschließen, die zu einer Erhöhung der bestehenden Kapazitäten dieser Industrie führen würden. Nach dem Wortlaut des Schreibens sollte sich dieser Verzicht auf alle Arten von Beihilfen, insbesondere auf Beihilfen mit regionaler Zweckbestimmung erstrecken, und zwar auch dann, wenn sie ohne weiteres und ohne vorherige Anmeldung gewährt werden. Auf der Grundlage von Artikel 93 Absatz 1 EWG-Vertrag bat die Kommission die Mitgliedstaaten, ihre Zustimmung zu diesen Grundsätzen zu erklären. Schließlich mussten der Kommission nach dem Wortlaut dieses Schreibens alle Unterlagen vorher unterbreitet werden, die Beihilfen betrafen, die die Mitgliedstaaten aus sozialen Gründen gewähren wollten und die auf eine Erhöhung oder Schaffung von Kapazitäten abzielten.

11 Diese Kontrollregelung für Beihilfen zugunsten der Kunstfaserindustrie wurde durch die Kommission 1979, 1981, 1983, 1987 und 1989 verlängert. Diese Verlängerungen wurden in Form von Mitteilungen der Kommission im Amtsblatt C der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht.

12 Aus der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, daß diese Kontrollregelung auf die fragliche Beihilfe, die die Schaffung von Kapazitäten zur Produktion von zur industriellen Verwendung bestimmten Kunstfasern betreffe, nicht anwendbar sein soll, da die Beihilfe bewilligt worden sei, bevor diese Regelung bei ihrer letzten Verlängerung erweitert worden sei.

13 Nach Ansicht der Kommission wurde die Kontrollregelung für Beihilfen in der Form, wie sie für einen Zeitraum von zwei Jahren ab 19. Juli 1989 verlängert wurde, auf zur industriellen Verwendung bestimmte Kunstfasern ausgedehnt, während sie zuvor nur für Kunstfasern gegolten habe, die zur Verwendung im Textilsektor bestimmt gewesen seien. Die Kommission verweist hierzu auf den Wortlaut der Mitteilung über die Verlängerung aus dem Jahre 1989 (ABl. 1989 C 173, S. 5), in der sie in einem Klammerzusatz hervorgehoben habe, daß der fragliche Kunstfasersektor "Acryl-, Polyester-, Polypropylen- und Polyamidfasern und -garne sowie die Texturierung dieser Garne, unabhängig vom Typ des Erzeugnisses oder der Art der Verwendung" umfasse. Nach ihrer Mitteilung über die Verlängerung aus dem Jahre 1987 (ABl. 1987 C 183, S. 4) habe der fragliche Sektor "Acryl-, Polyester-, Polypropylen- und Polyamidfasern und -garne sowie die Texturierung dieser Garne" umfasst.

14 Die Antragstellerinnen machen geltend, die Kontrollregelung habe schon von ihrer Einführung im Jahre 1977 an die Erhöhung oder Schaffung von Kapazitäten für die Produktion von Kunstfasern unabhängig von ihrer endgültigen Verwendung zum Gegenstand gehabt. Die Antragstellerinnen verweisen in diesem Zusammenhang insbesondere auf eine Mitteilung über die Kontrollregelung für Beihilfen zugunsten der Kunstfaserindustrie, die die Kommission 1977 an die Behörden der Bundesrepublik Deutschland gerichtet habe und in der der Anwendungsbereich der Kontrollregelung so beschrieben gewesen sei.

15 Die Antragstellerinnen machen ferner geltend, daß die fragliche Beihilfe nicht als ab dem Monat Juni 1989 gewährt betrachtet werden könne, da die Firma Allied Signal noch im März 1990 mit einer österreichischen Firma in Verhandlungen über die Errichtung der geplanten Betriebseinheit in Österreich gestanden habe.

16 Es ist darauf hinzuweisen, daß eine einstweilige Anordnung nach Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung voraussetzt, daß Umstände vorliegen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, und daß die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht wird.

17 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung danach zu beurteilen, ob die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Die Partei, die die einstweilige Anordnung beantragt, hat den Nachweis dafür zu erbringen, daß sie den Ausgang des Hauptverfahrens nicht abwarten kann, ohne selbst einen Schaden zu erleiden, der schwere und nicht wiedergutzumachende Folgen für sie hätte.

18 Die Antragstellerinnen machen hierzu geltend, daß die von den französischen Behörden gewährte Beihilfe den Konkurrenten im Bereich der Kunstfasern einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen würde. Die Firma Allied Signal erhielte durch diese Beihilfe einen wesentlichen Vorteil in Form einer Kostensenkung, der es ihr gestatten würde, die hergestellten Fasern zu einem niedrigeren Preis als ihre Konkurrenten zu verkaufen, zu denen insbesondere sie selbst gehörten. Der verursachte Schaden würde durch die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung nicht zwangsläufig behoben. Es sei zweifelhaft, ob die Beihilfe tatsächlich zurückgezahlt würde. Jedoch

ergäbe sich selbst im Fall der Rückzahlung aus der Ausweitung der schon vorhandenen Überkapazitäten der Gemeinschaftsindustrie ein Schaden. Dies liefe den Kapazitätsabbau- und Umstrukturierungsanstrengungen zuwider, die die betroffenen Unternehmen seit 1971 mit Unterstützung der Kommission gemacht hätten. Da die Herstellungsverfahren weitgehend identisch seien, komme es insoweit nicht darauf an, ob es sich um eine Produktion von Kunstfasern handele, die zur Verwendung in der Industrie oder aber im Textilsektor bestimmt seien. Selbst im Fall einer Rückzahlung würde die Firma Allied Signal jahrelang zinsfrei über einen erheblichen Kapitalbetrag verfügen.

19 Es ist festzustellen, daß die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung allein, wie die Antragstellerinnen übrigens selbst ausführen, den geltend gemachten Schaden nicht verhindern kann.

20 Die angefochtene Entscheidung beschränkt sich nämlich darauf, festzustellen, daß die fragliche Beihilfe nicht der Pflicht zur vorherigen Meldung unterlag und daß sie nicht über den von der Kommission zugelassenen Regelungsrahmen für Beihilfen mit regionaler Zweckbestimmung hinausging.

21 Die Aufhebung dieser Entscheidung würde folglich bedeuten, daß die Kommission verpflichtet wäre, die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu prüfen und das dazu in Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag vorgesehene Verfahren einzuleiten.

22 Die Aufhebung der Entscheidung wäre nicht gleichbedeutend mit einer Feststellung der Rechtswidrigkeit der fraglichen Beihilfe,

auf deren Grundlage die Rückzahlung der bereits ausgezahlten Beträge verlangt werden könnte.

23 Die beantragten einstweiligen Anordnungen sind zwar dazu geeignet, den behaupteten Schaden zu verhindern; jedoch gehen sie über den Rahmen der von den Antragstellerinnen erhobenen Nichtigkeitsklage hinaus.

24 Die Maßnahmen, die das Gericht im Verfahren der einstweiligen Anordnung erlassen kann, sind nämlich nur vorläufiger Natur und treten nach Artikel 86 § 3 der Verfahrensordnung mit Verkündung des Endurteils grundsätzlich ausser Kraft. Daher dürfen einstweilige Anordnungen nur zum Gegenstand haben, die Interessen einer der Parteien des Verfahrens zu schützen, damit dem Endurteil nicht die praktische Wirksamkeit genommen und es dadurch sinnlos gemacht wird.

25 Zudem ist es im Verfahren der einstweiligen Anordnung im Hinblick auf den Inhalt der mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Entscheidung nicht möglich, die Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt zu beurteilen und so festzustellen, ob Gründe glaubhaft gemacht sind, die die beantragte einstweilige Anordnung rechtfertigen.

26 Der Antrag der Antragstellerinnen ist daher jedenfalls verfrüht.

27 Unter diesen Umständen erübrigt es sich, auf das Vorbringen der Kommission einzugehen, der geltend gemachte Schaden stehe nicht unmittelbar bevor, da er erst in dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Betriebseinheit eintrete, und er sei auch nicht irreparabel, da sie die Rückzahlung der Beihilfe verlangen könne, sofern sie nach einem Verfahren gemäß Artikel 93 Absatz 2 deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt feststelle.

28 Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist daher zurückzuweisen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT

beschlossen:

1) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 17. Mai 1991.

Ende der Entscheidung

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