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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 29.01.1998
Aktenzeichen: C-315/96
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1715/90


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1715/90 Art. 13 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die verbindliche Zolltarifauskunft hat den Zweck, dem Wirtschaftsteilnehmer Sicherheit zu geben, wenn Zweifel hinsichtlich der Einreihung einer Ware in die geltende Kombinierte Nomenklatur bestehen, und ihn dadurch davor zu schützen, daß die Zollbehörden ihre Auffassung über die Einreihung einer Ware nachträglich ändern. Wie der Wortlaut des Artikels 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1715/90 über die von den Zollbehörden der Mitgliedstaaten erteilten Auskünfte über die Einreihung von Waren in der Zollnomenklatur klar und deutlich bestätigt, bezweckt dagegen eine solche Auskunft nicht und kann dies auch nicht bewirken, daß die Tarifposition, auf die sich der Wirtschaftsteilnehmer stützt, nicht später durch Erlaß einer Handlung des Gemeinschaftsgesetzgebers geändert wird.

Daher entspricht dieser Artikel, soweit er vorsieht, daß eine verbindliche Zolltarifauskunft unwirksam wird, sobald sie infolge des Inkrafttretens einer Verordnung zur Änderung der Zollnomenklatur mit dem dadurch gesetzten Gemeinschaftsrecht nicht mehr übereinstimmt, nicht nur dem Grundsatz der Rechtssicherheit, sondern schließt es auch aus, daß ein Wirtschaftsteilnehmer allein auf eine verbindliche Zolltarifauskunft ein berechtigtes Vertrauen darauf gründen kann, daß die fragliche Tarifposition nicht durch eine Handlung des Gemeinschaftsgesetzgebers geändert wird.

Im übrigen ist es durch diesen Artikel nicht ausgeschlossen, daß sich für den Gemeinschaftsgesetzgeber bei einer Änderung der Zollnomenklatur aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit die Verpflichtung ergibt, die Wirtschaftsteilnehmer, denen sonst ein unvorhersehbarer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstuende, durch geeignete Maßnahmen zu schützen, gleich ob sie eine verbindliche Zolltarifauskunft erhalten haben oder nicht.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 29. Januar 1998. - Lopex Export GmbH gegen Hauptzollamt Hamburg-Jonas. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Hamburg - Deutschland. - Zollrecht - Tarifierung der Waren - Verordnung, mit der die Tarifierung geändert wird - Zuvor erteilte verbindliche Zolltarifauskunft - Gültigkeit. - Rechtssache C-315/96.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht Hamburg hat mit Beschluß vom 12. August 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 26. September 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Gültigkeit von Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 1715/90 des Rates vom 20. Juni 1990 über die von den Zollbehörden der Mitgliedstaaten erteilten Auskünfte über die Einreihung von Waren in der Zollnomenklatur (ABl. L 160, S. 1) und über die Folgen seiner eventuellen Ungültigkeit zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Lopex Export GmbH (im folgenden: Lopex) und dem Hauptzollamt Hamburg-Jonas über die Gewährung von Ausfuhrerstattung für Exporte von teilentzuckertem Molkepulver mit der handelsüblichen Bezeichnung "Anilac".

3 Durch eine verbindliche Zolltarifauskunft vom 5. Dezember 1988 an die Lieferanten von Lopex hatte die Zollverwaltung diese unterrichtet, daß das teilentzuckerte Molkepulver in die Unterposition 0404 90 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen sei. Wegen Zweifeln darüber, ob in die Unterposition 0404 90 oder 0404 10 einzureihen ist, hob die Zollverwaltung diese Zolltarifauskunft am 30. Oktober 1990 auf.

4 Am 14. Dezember 1990 beantragte Lopex selbst eine verbindliche Zolltarifauskunft für das fragliche Erzeugnis. Durch diese am 5. Juni 1991 erteilte Zolltarifauskunft wurde Anilac in die Unterposition 0404 9013 0000 der Kombinierten Nomenklatur eingereiht.

5 Gleich nach Erhalt dieser Auskunft beantragte Lopex Ergänzung um die letzten Unterpositionen. Die Zollverwaltung erteilte darauf am 26. August 1991 eine ergänzende verbindliche Zolltarifauskunft, durch die das fragliche Erzeugnis in die Unterposition 0404 9013 1200 eingereiht wurde.

6 In diesen beiden Zolltarifauskünften lehnte die Zollverwaltung ausdrücklich eine Einreihung in die Unterposition 0404 10 mit der Begründung ab, die Zusammensetzung des Erzeugnisses Anilac weiche wesentlich von der einer Molke ab.

7 In einer weiteren verbindlichen Zolltarifauskunft vom 28. Oktober 1991, die unter Bezugnahme auf den ursprünglichen Antrag von Lopex vom 14. Dezember 1990 erteilt wurde, reihte die Verwaltung die Ware jedoch "entsprechend ihrer Zusammensetzung" in die Unterposition 0404 10 ein.

8 Nach Erhalt dieser Zolltarifauskunft beantragte Lopex, die frühere Einreihung in die Unterposition 0404 9013 1200 bis zum 30. April 1992 fortgelten zu lassen.

9 Nach einem Schriftwechsel mit Lopex entschieden die Zollbehörden am 9. Dezember 1991, die frühere Zolltarifauskunft befristet bis sechs Monate nach Widerruf, d. h. bis zum 28. April 1992, fortgelten zu lassen.

10 Mit Wirkung vom 1. Januar 1992 wurde die im Anhang der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 (ABl. L 256, S. 1) enthaltene Kombinierte Nomenklatur durch die Verordnung (EWG) Nr. 3798/91 des Rates vom 19. Dezember 1991 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif und der Verordnung (EWG) Nr. 2915/79 zur Festlegung der Erzeugnisgruppen und der besonderen Vorschriften für die Berechnung der Abschöpfungen für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 357, S. 3) jedoch dahin geändert, daß der Wortlaut des KN-Code 0404 10 auch modifizierte Molke umfasst. Für diese Änderung war keine Übergangsregelung vorgesehen.

11 Die im Ausgangsverfahren streitigen Exporte wurden von Lopex am 29. und 30. Juni 1992 durchgeführt, und zwar auf der Grundlage einer bis zum 30. Juni 1992 gültigen Ausfuhrlizenz vom 31. Dezember 1991 mit Vorausfestsetzungsbescheinigung vom 20. Dezember 1991.

12 Am 6. Juli 1992 stellte Lopex für diese Exporte Antrag auf Gewährung von Ausfuhrerstattung.

13 Am 11. August 1992 lehnte das Hauptzollamt Hamburg-Jonas diesen Antrag mit der Begründung ab, daß die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt das streitige Erzeugnis in die - anders als die Unterposition 0404 90 nicht zur Ausfuhrerstattung führende - Unterposition 0404 10 eingereiht habe und die Gültigkeit der alten, eine andere Ansicht zum Ausdruck bringenden verbindlichen Zolltarifauskunft am 28. April 1992 abgelaufen sei.

14 Am 1. September 1992 legte Lopex gegen diesen Bescheid Einspruch ein, wobei sie sich sowohl auf die ihr erteilte, noch bis zum 30. Juni 1992 geltende Ausfuhrlizenz mit Vorausfestsetzungsbescheinigung als auch auf die Ungültigkeit von Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1715/90 berief, soweit dieser vorsehe, daß eine verbindliche Zolltarifauskunft übergangslos unwirksam werde, sobald sie infolge des Inkrafttretens einer Verordnung zur Änderung der Zollnomenklatur mit dem dadurch gesetzten Gemeinschaftsrecht nicht mehr übereinstimme.

15 Das Hauptzollamt Hamburg-Jonas wies den Einspruch unter Berufung auf die Änderung der Zollnomenklatur, die sich aus der Verordnung Nr. 3798/91 ergebe, und auf Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1715/90 zurück.

16 Lopex erhob daraufhin beim Finanzgericht Hamburg Klage auf Ausfuhrerstattung in Höhe von 889 880,04 DM entsprechend ihrem Antrag vom 6. Juli 1992. Im Rahmen dieser Klage vertrat sie die Ansicht, soweit gemäß Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1715/90 der Erlaß einer Verordnung zur Änderung der Zollnomenklatur zur Ungültigkeit einer verbindlichen Zolltarifauskunft führe und keine Übergangsregelung entsprechend Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung vorgesehen sei, verstosse dies gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und gegen das Gebot der Rechtssicherheit. Sie habe im Vertrauen auf die Zolltarifauskunft vom 26. August 1991 Verträge geschlossen, die nicht mehr rückgängig zu machen seien; eine sofortige Änderung der Erstattungsfähigkeit würde zu einem erheblichen wirtschaftlichen Schaden führen.

17 Da das Finanzgericht Hamburg zu der Feststellung gelangte, daß das von Lopex ausgeführte Erzeugnis Anilac seit dem 1. Januar 1992 in die Unterposition 0404 10 einzureihen sei, die keinen Anspruch auf Ausfuhrerstattung eröffne, und daß Lopex ab diesem Zeitpunkt nur dann eine Erstattung zustehe, wenn eine früher erteilte verbindliche Zolltarifauskunft noch Bindungswirkung gehabt habe, hat es das Verfahren bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofes über folgende Fragen ausgesetzt:

1. Ist Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 1715/90, soweit er eine sofortige Ungültigkeit einer verbindlichen Zolltarifauskunft infolge des Erlasses einer Verordnung zur Änderung der Zollnomenklatur ohne befristete Übergangsregelung bestimmt, unter den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar?

2. Wenn nein, welche Folgen ergeben sich insbesondere für den Fall, daß eine von der geänderten Nomenklatur abweichende verbindliche Zolltarifauskunft erteilt worden ist und/oder eine Ausfuhrlizenz mit Vorausfestsetzungsbescheinigung mit einer noch sechsmonatigen Gültigkeitsdauer vorliegt?

Ist die Entscheidung über eine befristete Weitergeltung einer verbindlichen Zolltarifauskunft an den allgemein zum Vertrauensschutz entwickelten Voraussetzungen zu messen, setzt sie insbesondere ein dahin gehendes gegenüber dem Gemeinschaftsinteresse schutzwürdiges Vertrauen des Ausführers voraus? Gilt das auch bezueglich Artikel 14 Absatz 4 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1715/90, nach der die Vorausfestsetzungsbescheinigung "auf der Grundlage der genannten Auskunft erteilt worden" sein muß?

18 Zur Beantwortung der ersten Vorabentscheidungsfrage nach der Gültigkeit von Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1715/90 sind deren Zweck und ihr für die vorliegende Rechtssache erheblicher Inhalt in Erinnerung zu rufen.

19 Nach der dritten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1715/90 erschien es, um den Wirtschaftsteilnehmern bei der Ausübung ihrer Tätigkeit eine gewisse Rechtssicherheit zu gewährleisten, um die Arbeit der Zollstellen zu erleichtern und um eine grössere Einheitlichkeit in der Anwendung des gemeinschaftlichen Zollrechts zu erreichen, notwendig, eine Regelung einzuführen, welche die Zollbehörden verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, die die Verwaltung unter bestimmten, genau festgelegten Voraussetzungen binden.

20 Nach der achten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1715/90 "sind die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die erteilte Auskunft infolge des Wirksamwerdens von Gemeinschaftsmaßnahmen zur Änderung oder Auslegung des geltenden Rechts... ungültig wird".

21 Entsprechend ihrem Artikel 1 Absatz 1 regelt die Verordnung Nr. 1715/90

"a) die Voraussetzungen, unter denen Auskünfte über die Einreihung von Waren in der Zollnomenklatur, im folgenden "Zolltarifauskünfte" genannt, bei den zuständigen Zollbehörden der Mitgliedstaaten eingeholt werden können;

b) die rechtliche Tragweite dieser Auskünfte".

22 Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung bestimmt: "Wenn die Voraussetzungen nach den Artikeln 4 bis 8 erfuellt sind, stellt die von den Zollbehörden erteilte Zolltarifauskunft für die Zwecke dieser Verordnung eine verbindliche Zolltarifauskunft in dem Mitgliedstaat dar, in dem sie erteilt worden ist."

23 Artikel 13 der Verordnung, der sich im Titel III "Rechtliche Tragweite der verbindlichen Zolltarifauskünfte" befindet, bestimmt:

"Wenn infolge des Erlasses

- einer Verordnung zur Änderung der Zollnomenklatur oder

- einer Verordnung über oder mit Auswirkung auf die Einreihung einer Ware in der Zollnomenklatur

eine zuvor erteilte verbindliche Zolltarifauskunft mit dem dadurch gesetzten Gemeinschaftsrecht nicht mehr übereinstimmt, wird diese Auskunft mit Beginn der Geltungsdauer der betreffenden Verordnung ungültig.

Falls eine in Absatz 1 zweiter Gedankenstrich genannte Verordnung dies ausdrücklich vorsieht, kann der Berechtigte jedoch eine verbindliche Zolltarifauskunft während eines in einer solchen Verordnung festgelegten Zeitraums weiter verwenden, wenn er einen Vertrag im Sinne des Artikels 14 Absatz 3 Buchstabe a) oder b) geschlossen hat."

24 Nach Artikel 14 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1715/90 wird eine verbindliche Zolltarifauskunft ferner ungültig, wenn sie mit der Auslegung der Zollnomenklatur, wie sie sich aus verschiedenen Maßnahmen wie der Änderung der Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur oder der Annahme eines Tarifentscheids ergibt, nicht mehr vereinbar ist. Artikel 14 Absatz 3 sieht vor:

"Handelt es sich um Erzeugnisse, für die eine Einfuhr-, Ausfuhr- oder Vorausfestsetzungsbescheinigung bei der Erfuellung der Zollförmlichkeiten vorgelegt wird, so kann der Berechtigte diese verbindliche Zolltarifauskunft, die nach Absatz 1 ungültig wird, verwenden, solange die betreffende Bescheinigung noch gilt.

In den anderen Fällen kann eine verbindliche Zolltarifauskunft, die nach Absatz 1 ungültig wird, vom Berechtigten noch sechs Monate lang, vom Zeitpunkt der in Absatz 2 genannten Veröffentlichung an gerechnet, verwendet werden, wenn der Zollstelle nachgewiesen wird, daß der Berechtigte aufgrund der ihm erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft vor dem Zeitpunkt der Annahme der betreffenden Tarifmaßnahme einen der folgenden Verträge geschlossen hat:

...

b) bei Verwendung der Auskunft bei der Ausfuhr:

- einen rechtsverbindlichen und endgültigen Vertrag über den Verkauf der betreffenden Ware an einen in einem Drittland ansässigen Abnehmer;

- einen rechtsverbindlichen und endgültigen Vertrag über den Kauf der betreffenden Ware von einem in der Gemeinschaft ansässigen Lieferanten."

25 Im übrigen bestimmt Artikel 16 der Verordnung:

"Ändert die Zollbehörde eine verbindliche Zolltarifauskunft aus anderen als den in Artikel 13 und Artikel 14 Absatz 1 genannten Gründen, so ist die ursprünglich erteilte Auskunft von dem Zeitpunkt an, zu dem die Änderung dem Berechtigten mitgeteilt worden ist, ungültig.

Artikel 14 Absätze 3 bis 5 findet jedoch ebenfalls Anwendung."

26 Nach Auffassung von Lopex ist Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1715/90 ungültig, soweit er entgegen den Vorschriften für die durch die Artikel 13 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich, 14 und 16 der Verordnung Nr. 1715/90 - sowie durch Artikel 12 Absätze 5 und 6 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1), der ab 1. Januar 1994 die Artikel 13 und 14 der Verordnung Nr. 1715/90 ersetze, - geregelten Fälle keine Übergangsmaßnahmen vorsehe, die das Gebot berücksichtigten, entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts Vertrauensschutz und Rechtssicherheit zu gewähren.

27 Im Ausgangsrechtsstreit gehe es um eine Änderung der Kombinierten Nomenklatur in einer Situation, in der sich der Wirtschaftsteilnehmer aufgrund einer verbindlichen Zolltarifauskunft bereits vor Inkrafttreten der Änderungsverordnung durch rechtsverbindliche und endgültige Verträge zum Export der betreffenden Ware verpflichtet habe. In solchen Fällen sei die Rechtsprechung des Gerichtshofes anzuwenden, wonach begünstigende Verwaltungsakte zu den möglichen Vertrauenspositionen gehörten und es aus Gründen der Rechtssicherheit geboten sein könne, daß auf Sachverhalte, die im Zeitpunkt des Eintritts einer Rechtsänderung bereits im wesentlichen abgeschlossen seien, weiterhin das zuvor geltende Recht Anwendung finde (Urteile vom 12. Juli 1957 in den Rechtssachen 7/56 und 3/57 bis 7/57, Algera u. a./Gemeinsame Versammlung der EGKS, Slg. 1957, 85, vom 18. März 1975 in der Rechtssache 78/74, Deuka I, Slg. 1975, 421, und vom 25. Juni 1975 in der Rechtssache 5/75, Deuka II, Slg. 1975, 759). Im vorliegenden Fall gründe sich ihr Vertrauen insbesondere darauf, daß sie sich gegenüber der Gemeinschaft verpflichtet habe, die betreffenden Geschäfte durchzuführen, nachdem sie für diese gegen eine Kaution eine Ausfuhrlizenz erhalten habe (Urteil vom 14. Mai 1975 in der Rechtssache 74/74, CNTA/Kommission, Slg. 1975, 533).

28 Wie der Rat und die Kommission zu Recht hervorgehoben haben, hat die verbindliche Zolltarifauskunft den Zweck, dem Wirtschaftsteilnehmer Sicherheit zu geben, wenn Zweifel hinsichtlich der Einreihung einer Ware in die geltende Kombinierte Nomenklatur bestehen, und ihn dadurch davor zu schützen, daß die Zollbehörden ihre Auffassung über die Einreihung einer Ware nachträglich ändern. Dagegen bezweckt eine solche Auskunft nicht und kann dies auch nicht bewirken, daß die Tarifposition, auf die sich der Wirtschaftsteilnehmer stützt, nicht später durch Erlaß einer Handlung des Gemeinschaftsgesetzgebers geändert wird. Diese Auslegung wird durch den Wortlaut des Artikels 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1715/90 klar und deutlich bestätigt.

29 Die fragliche Bestimmung entspricht daher nicht nur dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wie er in dem Urteil vom 9. Juli 1981 in der Rechtssache 169/80 (Gondrand Frères und Garancini, Slg. 1981, 1931, Randnr. 17) formuliert ist, sondern schließt es auch aus, daß ein Wirtschaftsteilnehmer wie Lopex allein auf eine verbindliche Zolltarifauskunft ein berechtigtes Vertrauen darauf gründen kann, daß die fragliche Tarifposition nicht durch eine Handlung des Gemeinschaftsgesetzgebers geändert wird.

30 Im übrigen ist es durch diesen Artikel nicht ausgeschlossen, daß sich für den Gemeinschaftsgesetzgeber bei einer Änderung der Zollnomenklatur aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit die Verpflichtung ergibt, die Wirtschaftsteilnehmer, denen sonst ein unvorhersehbarer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstuende, durch geeignete Maßnahmen zu schützen, gleich ob sie eine verbindliche Zolltarifauskunft erhalten haben oder nicht.

31 Daher ist auf die erste Vorabentscheidungsfrage zu antworten, daß die Prüfung von Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1715/90 im Hinblick auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nichts ergeben hat, was seine Gültigkeit beeinträchtigen könnte.

32 Da die erste Vorabentscheidungsfrage verneint worden ist, braucht die zweite nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 Die Auslagen des Rates der Europäischen Union und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht Hamburg mit Beschluß vom 12. August 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Prüfung von Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 1715/90 des Rates vom 20. Juni 1990 über die von den Zollbehörden der Mitgliedstaaten erteilten Auskünfte über die Einreihung von Waren in der Zollnomenklatur hat im Hinblick auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nichts ergeben, was seine Gültigkeit beeinträchtigen könnte.

Ende der Entscheidung

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