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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.11.1993
Aktenzeichen: C-317/91
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 30
EWGV Art. 36
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Es stellt keine unzulässige Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels im Sinne der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag dar, wenn einem im Mitgliedstaat A tätigen Tochterunternehmen eines im Mitgliedstaat B ansässigen Automobilherstellers die zeichenmässige Verwendung der Bezeichnung "Quadra", die der Hersteller in seinem Heimatstaat und anderwärts bislang ungehindert für ein allradgetriebenes Kraftfahrzeug verwendet, im Mitgliedstaat A verboten wird, weil ein anderer Automobilhersteller im Mitgliedstaat A unter Berufung auf eine angebliche Verwechslungsgefahr mit der Bezeichnung "Quadra" ein Warenzeichen- und/oder ein Ausstattungsrecht an dem Wort "quattro" - nach dem innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats A zu Recht - geltend macht, obwohl dieses Wort in einem anderen Mitgliedstaat die Bedeutung eines Zahlworts hat und in weiteren anderen Mitgliedstaaten diese Bedeutung jedenfalls deutlich erkennen lässt und obwohl die damit bezeichnete Zahl 4 im Automobilbau und -vertrieb eine vielfältige, bedeutende Rolle spielt.

Mangels einer Rechtsvereinheitlichung oder -angleichung innerhalb der Gemeinschaft ist nämlich die Festlegung der Voraussetzungen für den Schutz einer Bezeichnung wie "quattro" und der Kriterien dafür, ob zwischen zwei Bezeichnungen eine Verwechslungsgefahr vorliegt - wobei das Gemeinschaftsrecht keine enge Auslegung dieses Begriffs gebietet -, vorbehaltlich der in Artikel 36 Satz 2 EWG-Vertrag festgelegten Grenzen Sache des nationalen Rechts.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 30. NOVEMBER 1993. - DEUTSCHE RENAULT AG GEGEN AUDI AG. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESGERICHTSHOF - DEUTSCHLAND. - FREIER WARENVERKEHR - WARENZEICHENRECHT. - RECHTSSACHE C-317/91.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesgerichtshof (I. Zivilsenat) hat mit Beschluß vom 21. November 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Dezember 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um beurteilen zu können, ob der Schutz einer Bezeichnung, die aus einem Zahlwort einer anderen Sprache der Gemeinschaft als der Sprache des Einfuhrmitgliedstaats besteht, mit diesen Vorschriften vereinbar ist.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Deutschen Renault AG (Beklagte und Revisionsklägerin, im folgenden: Beklagte), der deutschen Tochtergesellschaft eines französischen Kraftfahrzeugherstellers, und der Audi AG (Klägerin und Revisionsbeklagte, im folgenden: Klägerin), einer deutschen Kraftfahrzeugherstellerin, über die Verwendung der Bezeichnung "Quadra" durch die Beklagte.

3 Ausweislich der Akten stellt sich die Frage in folgendem rechtlichen und tatsächlichen Rahmen.

4 Nach dem Warenzeichengesetz (im folgenden: WZG) können Zahlen nicht als Warenzeichen eingetragen werden (§ 4 Absatz 2 Nr. 1 WZG), es sei denn, das fragliche Zeichen hat sich im Verkehr als Kennzeichen der Waren, auf denen es angebracht ist, durchgesetzt (§ 4 Absatz 3 WZG). Ferner kann ein Inhaber eines Warenzeichens einen Mitbewerber nicht daran hindern, auf seinen Waren Angaben über deren besondere Eigenschaften anzubringen, sofern der Gebrauch dieser Angaben nicht warenzeichenmässig erfolgt (§ 16 WZG). Schließlich wird auch eine Ausstattung, die innerhalb beteiligter Verkehrskreise als hinreichend kennzeichnend gilt, im wesentlichen in gleicher Weise wie ein eingetragenes Warenzeichen geschützt (§ 25 WZG).

5 Die Klägerin hat das Warenzeichen "quattro" zweimal in die deutsche Warenzeichenrolle eintragen lassen. Seit 1980 vertreibt sie unter dieser Bezeichnung Personenkraftwagen mit Allradantrieb. Die Beklagte führte Mitte März 1988 einen in Frankreich hergestellten und vorher schon in anderen europäischen Ländern vertriebenen Personenkraftwagen mit Allradantrieb unter der Bezeichnung "Espace Quadra" auf dem deutschen Markt ein.

6 Im März 1988 beantragte die Beklagte beim Deutschen Patentamt die Löschung der beiden für die Klägerin eingetragenen Warenzeichen. Mit Beschlüssen vom 9. August und vom 11. Oktober 1990 löschte die Warenzeichenabteilung des Deutschen Patentamts die beiden Warenzeichen "quattro" mit der Begründung, eine Zahl könne auch als fremdsprachiges Zahlwort nicht eingetragen werden; ferner habe für die fragliche Bezeichnung im Zeitpunkt der Eintragung nicht die erforderliche Verkehrsdurchsetzung vorgelegen. Das Bundespatentgericht wies die von der Klägerin gegen diese Entscheidungen eingelegte Beschwerde zurück, ließ aber die Rechtsbeschwerde zu. Es führte u. a. aus, das Wort "quattro" sei als das italienische Wort für die Zahl "4" auch für den inländischen Verkehr, vor allem aber für Zwecke des Im- und Exports im Kraftfahrzeugsektor freihaltebedürftig. Im übrigen habe die Zahl 4 in diesem Sektor in der Werbung oder bei der Typenbezeichnung eine mit keiner anderen Zahl vergleichbare Bedeutung.

7 In dem Rechtsstreit, der diesem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegt, nimmt die Klägerin die Beklagte auf Unterlassung der Bezeichnung "Quadra" und auf Schadensersatz in Anspruch. Sie macht hierfür geltend, zwischen den Bezeichnungen "quattro" und "Quadra" bestehe Verwechslungsgefahr, und stützt ihr Begehren auf Rechte, die sie aus der Eintragung des Warenzeichens und dem Ausstattungsrecht des § 25 WZG herleitet. § 25 WZG wird im Ausgangsverfahren herangezogen, weil er unter bestimmten Voraussetzungen den Schutz eines nicht eingetragenen Zeichens ermöglicht.

8 Die Klägerin obsiegte in erster Instanz. Das Landgericht München I (7. Kammer für Handelssachen) wies in seiner Entscheidung vom 30. November 1988 u. a. auf die Gefahr einer phonetischen wie auch begrifflichen Verwechslung zwischen "quattro" und "Quadra" hin; mit beiden Begriffen werde nämlich für die gleichen Waren, und zwar Kraftfahrzeuge mit Allradantrieb, auf die Zahl "4" Bezug genommen.

9 Das Oberlandesgericht München (6. Zivilsenat) wies die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 21. September 1989 (also vor dem Erlaß der oben in Randnr. 6 angesprochenen Beschlüsse des Deutschen Patentamts) zurück. Es stützte sich im wesentlichen auf den Ausstattungsschutz und entschied insbesondere, daß die hierauf gestützten Ansprüche der Klägerin begründet seien und ein Freihaltebedürfnis der Mitbewerber nicht vorliege. Die von der Klägerin vorgelegten Meinungsumfragen belegten die für den Schutz der Bezeichnung erforderliche Verkehrsdurchsetzung, da sich aus ihnen ergebe, daß 61,1 % der Befragten (und 79,8 % bis 87,9 % der befragten Führerscheininhaber, Autobesitzer, Autofahrer, am Automarkt Interessierten und Personen mit Kraftfahrzeuganschaffungsabsicht) die Bezeichnung "quattro" im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugen kennten und 51,2 % des Publikums die Bezeichnung einem bestimmten Hersteller zuordneten.

10 Die Beklagte legte Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) ein. Dieser gelangte im Gegensatz zum Berufungsgericht zu der Auffassung, daß in den Fachkreisen im Automobilbau ein erhebliches Interesse bestehe, die für diese Branche in vielfacher Hinsicht bedeutsame Zahl "4" auch in ihrer italienischen Zahlwortversion, die in Deutschland weithin in ihrer Bedeutung verstanden werde, für den allgemeinen Gebrauch freizuhalten. Der vom Berufungsgericht festgestellte Bekanntheitsgrad reiche nicht aus, um ein Ausstattungsrecht oder die Rechtsbeständigkeit des Warenzeichens zu bejahen. Folglich könne die Bezeichnung "quattro" nach dem WZG nur geschützt werden, wenn eine erneute Würdigung des Sachverhalts durch den Tatrichter ergebe, daß diese Bezeichnung im Verkehr den erforderlichen hohen Bekanntheitsgrad erlangt habe. Ein neues Meinungsforschungsgutachten könne gegebenenfalls diesen hohen Bekanntheitsgrad belegen.

11 Werde dieser Bekanntheitsgrad nachgewiesen, so müsse von einer starken Kennzeichnungskraft und entsprechend erweitertem Schutzumfang der Bezeichnung "quattro" ausgegangen werden. In diesem Fall wäre also eine Verwechslungsgefahr mit der Bezeichnung "Quadra" zu bejahen und demgemäß Renault deren kennzeichenmässige Verwendung in Deutschland zu verbieten.

12 Da die Beklagte in einem solchen Verbot eine unzulässige Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels sieht, hat das vorlegende Gericht - um die Erforderlichkeit einer Zurückverweisung zur weiteren Sachaufklärung beurteilen zu können, die überfluessig wäre, wenn das Verbot der Bezeichnung "Quadra" nach Gemeinschaftsrecht rechtswidrig wäre - beschlossen, dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stellt es eine unzulässige Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels im Sinne der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag dar, wenn einem im Mitgliedstaat A tätigen Tochterunternehmen eines im Mitgliedstaat B ansässigen Automobilherstellers die zeichenmässige Verwendung der Bezeichnung "Quadra", die der Hersteller in seinem Heimatstaat und anderwärts bislang ungehindert für ein allradgetriebenes Kraftfahrzeug verwendet, im Mitgliedstaat A verboten werden muß, weil ein anderer Automobilhersteller in diesem Mitgliedstaat (A) ein Warenzeichen- und/oder ein Ausstattungsrecht an dem Wort "quattro" - nach dem innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats A zu Recht - geltend macht, obwohl dieses Wort in einem anderen Mitgliedstaat die Bedeutung eines Zahlworts hat und in weiteren anderen Mitgliedstaaten diese Bedeutung jedenfalls deutlich erkennen lässt und obwohl die damit bezeichnete Zahl 4 im Automobilbau und -vertrieb eine vielfältige, bedeutende Rolle spielt?

13 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, der einschlägigen nationalen und gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

14 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Frist für die Umsetzung der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1) gemäß Artikel 1 der Entscheidung des Rates vom 19. Dezember 1991 (ABl. 1992, L 6, S. 35) bis zum 31. Dezember 1992 verlängert wurde. Diese Richtlinie, die im übrigen nur eingetragene Marken und nicht das Ausstattungsrecht betrifft, ist daher aus Gründen ihrer zeitlichen Geltung auf die vorliegende Rechtssache jedenfalls nicht anwendbar, die ausschließlich nach den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag zu beurteilen ist.

15 Die Vorlagefrage wirft das Problem, ob nationale Rechtsvorschriften der hier fraglichen Art mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, in zweierlei Hinsicht auf: erstens im Hinblick auf die Begründung des Rechts an der Bezeichnung, da nach solchen Rechtsvorschriften die Bezeichnung "quattro" im Rahmen des Warenzeichenrechts schutzfähig wäre; zweitens im Hinblick auf die Ausübung des Rechts, da nach diesen Rechtsvorschriften eine Verwechslungsgefahr zwischen den Bezeichnungen "quattro" und "Quadra" angenommen werden könnte.

16 Diese beiden Punkte sind nacheinander zu prüfen.

Zur Begründung des Rechts an der Bezeichnung "quattro"

17 Nach den Bestimmungen des EWG-Vertrags über den freien Warenverkehr, zu denen Artikel 30 gehört, sind zwischen den Mitgliedstaaten mengenmässige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung verboten. Diese Bestimmungen stehen jedoch gemäß Artikel 36 Satz 1 Einfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind.

18 Nach Artikel 36 Satz 2 dürfen die in Satz 1 genannten Verbote und Beschränkungen "weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen".

19 Nach dem Urteil vom 14. Dezember 1979 in der Rechtssache 34/79 (Henn und Darby, Slg. 1979, 3795, Randnr. 21) soll Artikel 36 Satz 2 verhindern, daß auf Gründe des Satzes 1 gestützte Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels mißbraucht und zur Diskriminierung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten oder zum mittelbaren Schutz bestimmter nationaler Produktionen verwandt werden.

20 Wie der Gerichtshof namentlich in den Urteilen vom 14. September 1982 in der Rechtssache 144/81 (Keurkoop, Slg. 1982, 2853) und vom 5. Oktober 1988 in der Rechtssache 238/87 (Volvo, Slg. 1988, 6211) im Hinblick auf Muster und Modelle und im Urteil vom 30. Juni 1988 in der Rechtssache 35/87 (Thetford, Slg. 1988, 3585) für Patente entschieden hat, bestimmen sich die Voraussetzungen und die Modalitäten des Schutzes eines Immaterialgüterrechts beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts mangels einer Rechtsvereinheitlichung oder -angleichung innerhalb der Gemeinschaft nach nationalem Recht.

21 Demnach bestimmen sich die Voraussetzungen des Schutzes einer Bezeichnung wie "quattro" vorbehaltlich der in Artikel 36 Satz 2 festgelegten Grenzen nach nationalem Recht.

22 Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, daß die streitigen nationalen Rechtsvorschriften in der vom vorlegenden Gericht gegebenen Auslegung sehr strenge Voraussetzungen für den warenzeichenrechtlichen Schutz einer Bezeichnung wie "quattro" aufstellen.

23 Neben den gesetzlichen Beschränkungen für die Eintragung einer Zahl als Warenzeichen (vgl. oben Randnr. 4) ist ein nicht eingetragenes Zeichen allgemein nur geschützt, wenn es sich in den beteiligten Kreisen im Verkehr durchgesetzt hat, wenn das Zeichen also vom deutschen Publikum als Angabe aufgefasst wird, daß die Ware, auf der es angebracht ist, von einem bestimmten Unternehmen stammt. Dies ist nur gegeben, wenn die grosse Mehrheit der Verbraucher diesen Eindruck hat.

24 Dieser vom vorlegenden Gericht verlangte Bekanntheitsgrad muß noch höher sein, wenn es sich, wie bei der Zahl 4 im Automobilsektor, um ein Zeichen handelt, für das ein Freihaltebedürfnis besteht. Wegen des starken Freihaltebedürfnisses hält der BGH den bislang nachgewiesenen Bekanntheitsgrad nicht für ausreichend.

25 Diese Regeln gelten im übrigen auch für die Wiedergabe der Zahl durch ein fremdsprachiges Zahlwort, sofern die betreffende Sprache in Deutschland bekannt genug ist.

26 Schließlich ergibt sich aus dem - analog auch auf das Ausstattungsrecht anwendbaren - § 16 WZG, daß ein Mitbewerber durch den Schutz des Zeichens nicht daran gehindert wird, auf seinen Waren Angaben über deren Eigenschaften anzubringen, sofern diese Angaben nicht warenzeichenmässig gebraucht werden. Für beschreibende Bezeichnungen in fremden Sprachen gelten die gleichen Regeln. Die Gerichte, die im Ausgangsrechtsstreit zu entscheiden hatten, haben jedoch die Verwendung der Bezeichnung "Quadra" nicht als beschreibend angesehen.

27 Zweitens ist festzustellen, daß sich aus den Akten nicht ergibt, daß ein Hersteller eines anderen Mitgliedstaats den Schutz, der einem eingetragenen oder nicht eingetragenen Warenzeichen nach deutschem Recht gewährt wird, nicht unter den gleichen Voraussetzungen in Anspruch nehmen kann oder daß dieser Schutz unterschiedlich ist, je nachdem ob die Waren, auf denen das fragliche Zeichen angebracht ist, inländischen oder ausländischen Ursprungs sind.

28 Nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren streitigen, die unter den oben genannten Voraussetzungen die Begründung eines ausschließlichen Rechts zur Verwendung einer Bezeichnung wie "quattro" ermöglichen, stellen demnach weder eine willkürliche Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels dar.

Zur Gefahr einer Verwechslung zwischen den Bezeichnungen "quattro" und "Quadra"

29 Hinsichtlich der Ausübung des Rechts führt die Kommission aus, der Begriff der tatsächlichen Verwechslungsgefahr sei eng auszulegen, um den freien Warenverkehr nicht stärker als zum Schutz der Warenzeichen erforderlich zu behindern. Als Ausnahme von einem tragenden Grundsatz des Gemeinsamen Marktes erlaube Artikel 36 Beschränkungen des freien Warenverkehrs nur, soweit sie zur Wahrung der Rechte gerechtfertigt seien, die den spezifischen Gegenstand des in Frage stehenden gewerblichen oder kommerziellen Eigentums ausmachten.

30 Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der spezifische Gegenstand des Warenzeichenrechts darin besteht, daß der Warenzeicheninhaber gegen die Gefahr von Verwechslungen geschützt wird, mittels deren Dritte widerrechtlich aus dem Ruf der Waren des Zeicheninhabers Vorteile ziehen könnten (Urteile vom 31. Oktober 1974 in der Rechtssache 16/74, Centrafarm/Winthrop, Slg. 1974, 1183, Randnr. 8, und vom 17. Oktober 1990 in der Rechtssache C-10/89, HAG GF, "HAG II", Slg. 1990, I-3711, Randnr. 14).

31 Ferner gehört die Festlegung der Kriterien dafür, ob eine Verwechslungsgefahr vorliegt, zu den Modalitäten des Schutzes des Warenzeichenrechts, die sich, wie ausgeführt (Randnr. 20 dieses Urteils), nach nationalem Recht bestimmen. Das Warenzeichenrecht als ausschließliches Recht und der Schutz gegenüber verwechslungsfähigen Zeichen sind nämlich, wie der Generalanwalt zu Recht in Nummer 21 seiner Schlussanträge betont, eigentlich die zwei Seiten einer Medaille: eine Einschränkung oder Ausdehnung des Umfangs des Schutzes vor Verwechslungsgefahr bedeutet nichts anderes als eine Einschränkung oder Ausdehnung der Bedeutung des Warenzeichenrechts. Beide Gesichtspunkte müssen folglich durch eine einzige und einheitliche Rechtsquelle - gegenwärtig also durch das nationale Recht - geregelt werden.

32 Das Gemeinschaftsrecht gebietet eine enge Auslegung des Begriffs der Verwechslungsgefahr demnach nicht.

33 Das nationale Recht unterliegt allerdings den durch Artikel 36 Satz 2 EWG-Vertrag gezogenen Grenzen. Für eine Überschreitung dieser Grenzen ergibt sich jedoch aus den Akten kein Anhaltspunkt. Insbesondere deutet nichts darauf hin, daß die deutschen Gerichte den Begriff der Verwechslung weit auslegten, wenn es sich um den Schutz des Warenzeichens eines deutschen Herstellers handelt, ihm dagegen eine enge Auslegung gäben, wenn es um den Schutz des Warenzeichens eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Herstellers geht.

34 Unter diesen Umständen stellen nationale Rechtsvorschriften der hier fraglichen Art, nach denen ein ausschließliches Recht an der Verwendung einer Bezeichnung wie "quattro" ausgeuebt werden kann, um die Verwendung einer Bezeichnung wie "Quadra" zu verhindern, von der angenommen wird, daß sie die Gefahr einer Verwechslung mit der erstgenannten Bezeichnung begründet, weder eine willkürliche Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels dar.

35 Die Kommission macht ferner geltend, zusammengesetzte Warenzeichen müssten für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr in ihrer Gesamtheit gesehen werden, so daß im vorliegenden Fall berücksichtigt werden müsse, daß die fraglichen Kraftfahrzeuge unter der Bezeichnung Espace Quadra und Audi quattro vertrieben würden.

36 Nach deutschem Recht besteht eine Verwechslungsgefahr zwischen zwei Zeichen nicht nur dann, wenn die beteiligten Verkehrskreise irrtümlich annehmen können, daß die betreffenden Waren von ein und demselben Unternehmen stammen (unmittelbare Verwechslungsgefahr), sondern auch dann, wenn sich die irrige Annahme auf das Bestehen einer organisatorischen oder wirtschaftlichen Verbindung zwischen den beteiligten Unternehmen bezieht, wie etwa eines Lizenzabkommens, aufgrund dessen das eine Unternehmen eine Ware mit den gleichen Eigenschaften wie die Ware des anderen herstellen darf (Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne).

37 Der durch ein nationales Recht gewährte Schutz gegen diese letztgenannte Verwechslungsgefahr kann nach Gemeinschaftsrecht nicht beanstandet werden, da er dem spezifischen Gegenstand des Warenzeichenrechts entspricht, der, wie oben ausgeführt, im Schutz des Inhabers gegen die Verwechslungsgefahr besteht.

38 Die Beantwortung der Frage, ob die Verwendung der Wörter "quattro" und "Quadra" in zusammengesetzten Bezeichnungen wie "Audi quattro" und "Espace Quadra" ausreicht, um trotz eines etwa festgestellten hohen Bekanntheitsgrades der Bezeichnung "quattro" eine Verwechslungsgefahr auszuschließen, ist Sache des nationalen Gerichts.

39 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß es keine unzulässige Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels im Sinne der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag darstellt, wenn einem im Mitgliedstaat A tätigen Tochterunternehmen eines im Mitgliedstaat B ansässigen Automobilherstellers die zeichenmässige Verwendung der Bezeichnung "Quadra", die der Hersteller in seinem Heimatstaat und anderwärts bislang ungehindert für ein allradgetriebenes Kraftfahrzeug verwendet, im Mitgliedstaat A verboten werden muß, weil ein anderer Automobilhersteller im Mitgliedstaat A ein Warenzeichen- und/oder ein Ausstattungsrecht an dem Wort "quattro" - nach dem innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats A zu Recht - geltend macht, obwohl dieses Wort in einem anderen Mitgliedstaat die Bedeutung eines Zahlworts hat und in weiteren anderen Mitgliedstaaten diese Bedeutung jedenfalls deutlich erkennen lässt und obwohl die damit bezeichnete Zahl "4" im Automobilbau und -vertrieb eine vielfältige, bedeutende Rolle spielt.

Kostenentscheidung:

Kosten

40 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 21. November 1991 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Es stellt keine unzulässige Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels im Sinne der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag dar, wenn einem im Mitgliedstaat A tätigen Tochterunternehmen eines im Mitgliedstaat B ansässigen Automobilherstellers die zeichenmässige Verwendung der Bezeichnung "Quadra", die der Hersteller in seinem Heimatstaat und anderwärts bislang ungehindert für ein allradgetriebenes Kraftfahrzeug verwendet, im Mitgliedstaat A verboten werden muß, weil ein anderer Automobilhersteller im Mitgliedstaat A ein Warenzeichen- und/oder ein Ausstattungsrecht an dem Wort "quattro" - nach dem innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats A zu Recht - geltend macht, obwohl dieses Wort in einem anderen Mitgliedstaat die Bedeutung eines Zahlworts hat und in weiteren anderen Mitgliedstaaten diese Bedeutung jedenfalls deutlich erkennen lässt und obwohl die damit bezeichnete Zahl "4" im Automobilbau und -vertrieb eine vielfältige, bedeutende Rolle spielt.

Ende der Entscheidung

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