Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 30.07.2003
Aktenzeichen: C-320/03 R (2)
Rechtsgebiete: EGV, Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26. März 1992 über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten, Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 des Rates vom 25. Oktober 1993 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind


Vorschriften:

EGV Art. 28
EGV Art. 30
EGV Art. 242
Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26. März 1992 über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten Art. 1
Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26. März 1992 über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten Art. 3
Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 des Rates vom 25. Oktober 1993 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind Art. 1
Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 des Rates vom 25. Oktober 1993 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind Art. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 30. Juli 2003. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Österreich. - Verkehr - Sektorales Fahrverbot. - Rechtssache C-320/03 R.

Parteien:

In der Rechtssache C-320/03 R

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Schmidt als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Antragstellerin,

gegen

Republik Österreich

Antragsgegnerin,

wegen Aussetzung des sektoralen Fahrverbots gemäß der Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol vom 27. Mai 2003, mit der auf der A 12 Inntalautobahn verkehrsbeschränkende Maßnahmen erlassen werden,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 24. Juli 2003 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, nach Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung, dass die Republik Österreich durch das Fahrverbot für Lastkraftwagen, die bestimmte Güter befördern, gemäß der Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol vom 27. Mai 2003, mit der auf der A 12 Inntalautobahn verkehrsbeschränkende Maßnahmen erlassen werden (BGBl. II 2003/279, im Folgenden: streitige Verordnung), gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26. März 1992 über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten (ABl. L 95, S. 1), den Artikeln 1 und 6 der Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 des Rates vom 25. Oktober 1993 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind (ABl. L 279, S. 1), und den Artikeln 28 bis 30 EG verstoßen hat.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am 25. Juli 2003 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Kommission gemäß den Artikeln 242 EG und 243 EG beantragt, die Republik Österreich im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Vollzug der streitigen Verordnung auszusetzen, bis der Gerichtshof in der Hauptsache entschieden hat.

3 Die Kommission hat ausdrücklich gemäß Artikel 84 § 2 der Verfahrensordnung beantragt, noch vor Eingang der Stellungnahme der Gegenpartei einen Beschluss zu erlassen, mit dem dem Antrag auf einstweilige Anordnung vorsorglich bis zum Erlass des Beschlusses stattgegeben wird, der das vorliegende Verfahren der einstweiligen Anordnung abschließt.

4 In ihrem Antrag auf einstweilige Anordnung fasst die Kommission den Sachverhalt wie folgt zusammen. Aufgrund des österreichischen Immissionsschutzgesetzes-Luft habe der Landeshauptmann von Tirol am 27. Mai 2003 mit der streitigen Verordnung auf einem etwa 46 km langen Teilstück der A 12 Inntalautobahn ein Verbot für Schwerfahrzeuge erlassen, die bestimmte Güter beförderten. Dieses absolute Fahrverbot trete für die betroffenen Fahrzeuge ab 1. August 2003 auf unbestimmte Zeit unmittelbar in Kraft.

5 Gestützt auf das österreichische Immissionsschutzgesetz-Luft ziele die streitige Verordnung darauf ab, die durch den Menschen beeinflussten Emissionen zu verringern und somit die Luftqualität zu verbessern, um dadurch dem dauerhaften Schutz der Gesundheit des Menschen sowie des Tier- und Pflanzenbestands zu dienen (§ 1 der streitigen Verordnung).

6 In § 2 der streitigen Verordnung werde ein Sanierungsgebiet" festgelegt, und zwar ein etwa 46 km langer Abschnitt der A 12 Inntalautobahn zwischen den Gemeindegebieten von Kundl und Ampass. In diesem Sanierungsgebiet sei nach § 3 der streitigen Verordnung das Fahren mit Lastkraftwagen oder Sattelkraftfahrzeugen mit einer höchsten zulässigen Gesamtmasse von mehr als 7,5 t und Lastkraftwagen mit Anhängern, bei denen die Summe der höchsten zulässigen Gesamtmassen beider Fahrzeuge mehr als 7,5 t betrage, zum Transport folgender Güter verboten: alle Abfälle, die im Europäischen Abfallverzeichnis aufgenommen seien (entsprechend der Entscheidung 2000/532/EG der Kommission vom 3. Mai 2000 zur Ersetzung der Entscheidung 94/3/EG über ein Abfallverzeichnis gemäß Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 75/442/EWG des Rates über Abfälle und der Entscheidung 94/904/EG des Rates über ein Verzeichnis gefährlicher Abfälle im Sinne von Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689/EWG über gefährliche Abfälle [ABl. L 226, S. 3] in der Fassung der Entscheidung 2001/573/EG des Rates vom 23. Juli 2001 zur Änderung der Entscheidung 2000/532 [ABl. L 203, S. 18]), Getreide, Rundholz und Kork, Nichteisen- und Eisenerze, Steine, Erden, Aushub, Kraftfahrzeuge und Anhänger sowie Baustahl. Einer bescheidmäßigen Anordnung einer Behörde bedürfe es nicht; das Verbot wirke direkt.

7 Vom Verbot des § 3 der streitigen Verordnung seien nach § 4 Kraftfahrzeuge dann ausgenommen, wenn bei Fahrten zum Zweck einer Ladetätigkeit in Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit der Ausgangs- oder der Zielpunkt der Fahrt im Gebiet der Stadtgemeinde Innsbruck oder der Bezirke Kufstein, Schwaz oder Innsbruck-Land liege. Weitere Ausnahmen enthalte das Immissionsschutzgesetz-Luft. Es nehme mehrere Fahrzeugkategorien von Fahrverboten aus, darunter Fahrzeuge zur Straßeninstandhaltung, der Müllabfuhr sowie der Land- und Forstwirtschaft. Diese Fahrzeuge seien direkt ausgenommen. Für andere Fahrzeuge könne im Einzelfall eine Genehmigung beantragt werden, sofern ein öffentliches oder ein erhebliches persönliches Interesse bestehe.

8 Nach Ansicht der Kommission behindert das Fahrverbot ganz offensichtlich die im EG-Vertrag garantierte und sekundärrechtlich in den Verordnungen Nrn. 881/92 und 3118/93 konkretisierte Dienstleistungsfreiheit im Gütertransport und den freien Warenverkehr im Sinne von Artikel 28 EG.

9 Die Maßnahme treffe de facto, wenn nicht fast ausschließlich, so doch schwerpunktmäßig den internationalen Transitverkehr der betroffenen Güter. Sie sei damit zumindest indirekt diskriminierend. Dies sei sowohl mit den genannten Verordnungen über den Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft und die Kabotage als auch mit den Artikeln 28 ff. EG unvereinbar, sofern keine Rechtfertigung möglich sei. Eine solche Maßnahme könne nicht durch den Schutz der Umwelt gerechtfertigt werden und sei jedenfalls unverhältnismäßig.

10 Zur Dringlichkeit trägt die Kommission u. a. vor, die streitige Verordnung habe unmittelbare und erhebliche Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit der auf dem betroffenen Markt tätigen Transportunternehmen und allgemeiner gesehen auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes.

11 Die Rechtssache sei im Hinblick auf den ordre public von exemplarischer Bedeutung, da bereits andere österreichische Bundesländer mit hohem Transitverkehr angedeutet hätten, dem Tiroler Beispiel folgen zu wollen und den Erlass von Fahrverboten zu erwägen. Darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass auch andere Mitgliedstaaten derartige Maßnahmen in Erwägung ziehen könnten.

12 Weiterhin greife das sektorale Fahrverbot unmittelbar in die nach Markterfordernissen genau abgestimmte Logistikkette der mit den betroffenen Gütern handelnden Wirtschaftsteilnehmer ein. Die ohne Aufschub einseitig verfügte nationale Maßnahme rufe plötzliche und wesentliche Veränderungen der gegenwärtig auf dem Güterkraftverkehrsmarkt der Gemeinschaft herrschenden Bedingungen hervor, die später nicht voll wiederhergestellt werden könnten. Zu Schaden kämen dabei zuerst die schwächsten Glieder der Kette, im konkreten Fall die Straßengüterverkehrsunternehmen und vor allem Kleinbetriebe, die sich aufgrund ihrer Fuhrparkgröße auf den Transport einer Güterart spezialisiert hätten. Mehr als die Hälfte der betroffenen Fuhrunternehmen verfüge nur über ein bis drei Lastkraftwagen, und weitere 31 % über vier bis zehn Lastkraftwagen. Nur etwa 15 % der Unternehmen hätten mehr als zehn Fahrzeuge.

13 Für Unternehmen, die sich auf den Transport bestimmter Güter spezialisiert hätten und dafür spezielle Fahrzeuge verwendeten (z. B. Transport von Neuwagen oder Abfallstoffen), komme das sektorale Fahrverbot einem generellen Fahrverbot gleich, da sie nicht ohne weiteres auf den Transport anderer Güter umstellen könnten.

14 Das Straßentransportgewerbe weise in den meisten Mitgliedstaaten, vor allem in Deutschland, Überkapazitäten auf, die für harte Konkurrenz unter den Betrieben und geringe Gewinnspannen sorgten. Nur wer seine Fahrzeuge ständig auslasten könne, sei in diesem Markt konkurrenzfähig. Daher sei es für Fuhrunternehmer lebensnotwendig, bestehende Aufträge und Kundenbeziehungen nicht zu verlieren. Für Betriebe mit einigen wenigen Fahrzeugen könnten Standzeiten von ein paar Tagen bereits den wirtschaftlichen Ruin bedeuten.

15 In dieser kritischen Situation gäbe es theoretisch für die betroffenen Gütertransportunternehmen nur zwei Möglichkeiten, das Fahrverbot zu umgehen: Sie könnten eine Ausweichroute wählen oder ihren Transport auf die Bahn verlagern.

16 Nach einer Prüfung dieser Möglichkeiten vertritt die Kommission die Ansicht, dass sich für die betroffenen Unternehmen, wie sie sich auch verhielten, um ihre Tätigkeit nicht völlig einstellen zu müssen, Mehrkosten und Zeitverluste ergäben. Im Umfeld des scharfen Wettbewerbs im Güterkraftverkehrsgewerbe könnten diese Mehrkosten aber nicht unmittelbar an die Auftraggeber oder Kunden weitergegeben werden, sondern müssten, zumindest kurzfristig, von den Transporteuren getragen werden. Jedoch seien nur große Betriebe in der Lage, Mehrkosten auf einer Strecke (im konkreten Fall der Brennerroute durch Österreich) zu kompensieren. Kleine Unternehmen, die sich auf Transporte der vom Fahrverbot betroffenen Güter spezialisiert hätten, könnten nicht einmal kurzfristig diese Mehrkosten tragen, und verlören ihre Aufträge und Auftraggeber. Aufgrund der bereits erwähnten Spezialisierung der meisten Kleinbetriebe sei zu befürchten, dass viele von ihnen kurzfristig keine Ersatzaufträge erhalten könnten und ihren Fuhrpark stilllegen müssten.

17 Die Kommission gelangt zu dem Ergebnis, dass angesichts der geringen Gewinnspannen der Straßenverkehrsunternehmen zu befürchten sei, dass die betroffenen kleinen und mittleren Unternehmen zur Einstellung ihres Betriebes gezwungen würden. Dieser Schaden wiege schwer für die europäische Wirtschaft und sei nicht wieder gutzumachen.

18 Aus den Erklärungen der Republik Österreich im Vorverfahren und insbesondere aus ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission geht hervor, dass sie die streitige Verordnung für vereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht hält. Das fragliche Fahrverbot sei in Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und den Richtlinien der Gemeinschaft über den Schutz der Luftqualität erlassen worden. Es handele sich um eine erforderliche, verhältnismäßige und nicht diskriminierende Maßnahme. Auch die Bedenken der Kommission hinsichtlich der verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Maßnahme seien unbegründet, denn die Bahn sei eine - sowohl technisch als auch wirtschaftlich - gangbare Alternative für die Beförderung der vom sektoralen Fahrverbot erfassten Güter.

19 Nach Artikel 84 § 2 der Verfahrensordnung kann der Präsident einem Antrag auf einstweilige Anordnung stattgeben, bevor die Stellungnahme der Gegenpartei eingeht. Diese Entscheidung kann später, auch von Amts wegen, abgeändert oder aufgehoben werden.

20 Beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens konnte die Republik Österreich zu dem Antrag der Kommission auf einstweilige Anordnung noch nicht Stellung nehmen, so dass sich noch nicht entscheiden lässt, ob die Kommission die Notwendigkeit der von ihr beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausreichend dargetan hat.

21 Das Vorbringen der Kommission erscheint jedoch auf den ersten Blick nicht völlig unbegründet, und es ist nicht auszuschließen, dass sich aus den von der Kommission angeführten Umständen die für den Erlass der beantragten sofortigen einstweiligen Anordnung erforderliche Dringlichkeit ergibt.

22 Demgegenüber ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, dass der Aufschub der Durchführung der streitigen Verordnung um einige Wochen das in § 1 dieser Verordnung genannte Ziel ernstlich beeinträchtigen würde.

23 Unter diesen Umständen erscheint es insbesondere unter Berücksichtigung des unmittelbar bevorstehenden Inkrafttretens der streitigen Verordnung im Interesse einer geordneten Rechtspflege erforderlich, dass der Status quo bis zur Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung aufrechterhalten wird (in diesem Sinne auch Beschluss vom 28. Juni 1990 in der Rechtssache C-195/90 R, Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-2715).

24 Folglich ist vorsorglich anzuordnen, dass die Republik Österreich das sektorale Fahrverbot gemäß der streitigen Verordnung bis zum Erlass des Beschlusses aussetzt, der das vorliegende Verfahren der einstweiligen Anordnung abschließt.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

beschlossen:

1. Die Republik Österreich setzt das sektorale Fahrverbot gemäß der Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol vom 27. Mai 2003, mit der auf der A 12 Inntalautobahn verkehrsbeschränkende Maßnahmen erlassen werden, bis zum Erlass des Beschlusses aus, der das vorliegende Verfahren der einstweiligen Anordnung abschließt.

2. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Ende der Entscheidung

Zurück