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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.12.1997
Aktenzeichen: C-325/96
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1999/85, Verordnung (EWG) Nr. 3677/86


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 Art. 14 Abs. 2
Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 Art. 27
Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 Art. 28
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Fristen des Artikels 28 der Verordnung Nr. 3677/86 des Rates mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 1999/85 über den aktiven Veredelungsverkehr in der durch die Verordnung Nr. 2281/88 der Kommission geänderten Fassung können nicht verlängert werden. Denn sowohl die in Artikel 28 verwendete Formulierung, die klar zeigt, daß es sich bei den Fristen für landwirtschaftliche Erzeugnisse um besondere Fristen handelt, die nicht verlängerbar sind, als auch der mit den Verordnungen Nrn. 3677/86 und 1999/85 verfolgte Zweck, die Anwendung der Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs auf landwirtschaftliche Erzeugnisse wegen der besonderen Schwierigkeiten, die das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes für diese Erzeugnisse aufwirft, zu erschweren, schließen eine Verlängerung der Fristen durch die nationalen Zollbehörden aus.


Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 16. Dezember 1997. - Fábrica de Queijo Eru Portuguesa Ldª gegen Subdirector-Geral das Alfândegas, Beteiligte: Ministério Público. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Supremo Tribunal Administrativo - Portugal. - Aktiver Veredelungsverkehr - Sonderregelung für Erzeugnisse des Milchsektors - Verlängerung der Ausfuhrfrist. - Rechtssache C-325/96.

Entscheidungsgründe:

1 Das Supremo Tribunal Administrativo hat mit Beschluß vom 10. Juli 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Oktober 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 des Rates vom 16. Juli 1985 über den aktiven Veredelungsverkehr (ABl. L 188, S. 1; im folgenden: Grundverordnung), sowie der Artikel 27 und 28 der Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 des Rates vom 24. November 1986 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 1999/85 (ABl. L 351, S. 1) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2281/88 der Komission vom 25. Juli 1988 (ABl. L 200, S. 20) geänderten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der Fábrica de Queijo Eru Portugüsa Ld.a (Klägerin) gegen die Alfândega de Lisboa (Zollverwaltung Lissabon; im folgenden: Zollverwaltung), bei der es um einen Antrag auf Verlängerung der Frist für die Wiederausfuhr von Waren geht, die in den aktiven Veredelungsverkehr überführt worden waren.

3 Aus den ersten drei Begründungserwägungen der Grundverordnung geht hervor, daß diese Regelung im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung die Ausfuhren der Unternehmen in der Gemeinschaft dadurch fördern soll, daß sie es ihnen erlaubt, Waren aus Drittländern zu erwerben, ohne Eingangsabgaben zu entrichten, sofern diese nach ihrer Verarbeitung aus der Gemeinschaft wieder ausgeführt werden; wesentliche Interessen von Herstellern in der Gemeinschaft würden dadurch nicht beeinträchtigt.

4 Artikel 14 der Grundverordnung lautet:

"(1) Die Zollbehörde setzt die Frist fest, innerhalb der die Veredelungserzeugnisse einer der in Artikel 18 genannten Bestimmungen zugeführt werden müssen. Diese Frist wird unter Berücksichtigung des erforderlichen Zeitaufwandes für die Durchführung der Veredelungsvorgänge und für den Absatz der Veredelungserzeugnisse bestimmt.

(2) Die Fristen beginnen mit dem Zeitpunkt der Überführung der Nichtgemeinschaftswaren in den aktiven Veredelungsverkehr. Die Zollbehörde kann sie auf ausreichend begründeten Antrag des Inhabers der Bewilligung verlängern....

(3)...

(4) Im Verfahren nach Artikel 31 Absätze 2 und 3 können für bestimmte Veredelungsvorgänge oder für bestimmte Einfuhrwaren besondere Fristen festgesetzt werden."

5 Artikel 27 der Verordnung Nr. 3677/86 lautet:

"Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann die Verlängerung der Frist für die Überführung in eine der zollrechtlichen Bestimmungen nach Artikel 18 oder 27 der Grundverordnung auch nach Ablauf der ursprünglich festgesetzten Frist gewährt werden."

6 Artikel 28 der Verordnung Nr. 3677/86 lautet:

"Für landwirtschaftliche Erzeugnisse der gleichen Art wie die in Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 bezeichneten Erzeugnisse wird die Frist, innerhalb welcher die Einfuhrwaren eine der Bestimmungen nach Artikel 18 der Grundverordnung erhalten müssen, auf höchstens sechs Monate festgesetzt, wenn diese Erzeugnisse in Form von Verarbeitungserzeugnissen oder Waren im Sinne des Artikels 2 Buchstabe b) oder c) der genannten Verordnung ausgeführt werden sollen."

7 Die dritte und vierte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 2281/88 lauten: "In Anbetracht der Marktlage bei den betreffenden Milcherzeugnissen ist die Geltungsdauer der Bewilligung des aktiven Veredelungsverkehrs zu begrenzen. Es ist zweckmässig, eine Hoechstfrist ohne Verlängerungsmöglichkeit festzusetzen, vor deren Ablauf die Veredelungserzeugnisse einer der zugelassenen Bestimmungen zugeführt worden sein müssen."

8 Daher wurde durch die Verordnung Nr. 2281/88 dem Artikel 28 der Verordnung Nr. 3677/86 folgender Unterabsatz angefügt:

"Für die in Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates genannten Erzeugnisse, die zur Herstellung der in diesem Artikel genannten Erzeugnisse oder von im Anhang der genannten Verordnung aufgeführten Waren bestimmt sind, darf die Wiederausfuhrfrist jedoch vier Monate nicht überschreiten."

9 Die Verordnung (EWG) Nr. 565/80 des Rates vom 4. März 1980 über die Vorauszahlung von Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. L 62, S. 5) gilt gemäß ihrem Artikel 1 für Erzeugnisse, die unter die Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 148, S. 13) fallen. Von diesen Erzeugnissen sind in Artikel 1 Buchstaben c und d der Verordnung Nr. 804/68 "Butter" sowie "Käse und Quark" erwähnt.

10 Nach dem Vorlagebeschluß führte die Klägerin im März 1988 aufgrund einer Genehmigung der Zollverwaltung vom 11. März 1988 aus Neuseeland 108 t Butter im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs ein. Ausweislich dieser Genehmigung bestand das auszuführende Veredelungserzeugnis aus Schmelzkäse, bei dessen Herstellung als Grundstoff u. a. die eingeführte Butter verwendet werden sollte.

11 Die Frist für die Wiederausfuhr, die in der Genehmigung auf sechs Monate festgesetzt worden war, wurde auf Antrag der Klägerin, die Gründe höherer Gewalt geltend machte, von der Zollverwaltung zweimal verlängert. Eine erste Verlängerung wurde bis März 1989 und sodann eine zweite bis 23. Mai 1989 gewährt.

12 Am 21. Juni 1989 beantragte die Klägerin beim Generaldirektor des Zollwesens gemäß Artikel 27 der Verordnung Nr. 3677/86 eine erneute Verlängerung der Frist für die Verarbeitung der restlichen Ware, die sie auf ungefähr 30 t veranschlagte, zu Enderzeugnissen für die Ausfuhr, oder, hilfsweise, gemäß Artikel 18 Absatz 4 der Grundverordnung die Genehmigung der Wiederausfuhr der Ware als unveredelte Ware.

13 Der stellvertretende Direktor des Zollwesens lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Juli 1989 u. a. mit der Begründung ab, daß Artikel 28 der Verordnung Nr. 3677/86 in der durch die Verordnung Nr. 2281/88 geänderten Fassung für die in Artikel 1 der Verordnung Nr. 804/68 genannten Erzeugnisse eine Wiederausfuhrfrist vorschreibe, die vier Monate nicht überschreiten dürfe. Aus der Feststellung, daß diese Bestimmung am 26. Juli 1988 in Kraft trat, folgerte der stellvertretende Direktor des Zollwesens, daß die beiden der Klägerin zuvor gewährten Fristverlängerungen bereits unter Verstoß gegen Artikel 28 der Verordnung Nr. 3677/86 erteilt worden seien.

14 Das Tribunal Tributário de Segunda Instância wies mit Urteil vom 5. Februar 1991 die Anfechtungsklage der Klägerin gegen diesen Bescheid ab. Das Urteil wurde durch Urteil einer Kammer des Supremo Tribunal Administrativo vom 1. Juli 1992 bestätigt. Die Klägerin legte daraufhin Rechtsmittel gegen das Urteil zur Kammer für Finanzstreitsachen in Vollsitzung des Supremo Tribunal Administrativo ein; diese hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 28 der Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 des Rates vom 24. November 1986 so auszulegen, daß die dort festgelegte Frist von sechs Monaten nicht verlängert werden kann?

2. Oder ist diese Bestimmung vielmehr so auszulegen, daß auf diese Frist die allgemeine Verlängerungsregelung des Artikels 27 der Verordnung Nr. 3677/86 und des Artikels 14 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 des Rates vom 16. Juli 1985 anwendbar ist?

15 Das vorlegende Gericht begehrt mit seinen Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, Auskunft darüber, ob die in Artikel 28 der Verordnung Nr. 3677/86 festgesetzten Fristen gemäß Artikel 27 der Verordnung Nr. 3677/86 und Artikel 14 Absatz 2 der Grundverordnung verlängert werden können.

16 Die Klägerin macht erstens geltend, daß diese Fristen, unabhängig davon, ob es sich um allgemeine oder besondere Fristen handele, verlängert werden könnten, wenn dies in Anbetracht der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls gerechtfertigt sei. Zweitens habe die Zollverwaltung unabhängig davon, welche Auslegung vorgenommen werde, ihren Verlängerungsantrag wegen der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nicht ablehnen können. Drittens habe die Zollverwaltung ihr Ermessen mißbraucht, und schließlich hätte ihr die Fristverlängerung aus Gründen höherer Gewalt wegen der Unmöglichkeit, das Veredelungserzeugnis oder die unveredelte Ware wieder auszuführen, gewährt werden müssen.

17 Die portugiesische und die französische Regierung sowie die Kommission erwidern, daß Artikel 28 der Verordnung Nr. 3677/86 in der Fassung der Verordnung Nr. 2281/88 besondere Fristen für die Wiederausfuhr bestimmter Waren gemäß Artikel 14 Absatz 4 der Grundverordnung enthalte, die die nationalen Zollverwaltungen nicht verlängern könnten.

18 Die in Artikel 28 der Verordnung Nr. 3677/86 in der Fassung der Verordnung Nr. 2281/88 verwendete Formulierung - "wird die Frist... auf höchstens sechs Monate festgesetzt" und "darf die Wiederausfuhrfrist... vier Monate nicht überschreiten" - zeigt klar, daß es sich bei den Fristen für landwirtschaftliche Erzeugnisse um besondere Fristen handelt, die nicht verlängerbar sind. Diese Fristen wurden nämlich gemäß Artikel 14 Absatz 4 der Grundverordnung eingeführt; auf sie ist Artikel 27 der Verordnung Nr. 3677/86 nicht anwendbar.

19 Diese Auslegung des Artikels 28 der Verordnung Nr. 3677/86 entspricht im übrigen dem mit dieser Verordnung und der Grundverordnung verfolgten Zweck, die Anwendung der Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs auf landwirtschaftliche Erzeugnisse wegen der besonderen Schwierigkeiten, die das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes für diese Erzeugnisse aufwirft, zu erschweren. Aus diesem Grund wurden die Fristen, innerhalb deren der aktive Veredelungsverkehr bei eingeführten Waren abgeschlossen sein muß, auf dem Gebiet der Landwirtschaft auf Gemeinschaftsebene streng begrenzt.

20 Das genannte Ziel würde gefährdet, wenn die besonderen Fristen des Artikels 28 der Verordnung Nr. 3677/86 von den nationalen Zollverwaltungen verlängert werden könnten.

21 Zu den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit ist zu erläutern, daß die allgemein für landwirtschaftliche Erzeugnisse geltende Frist von sechs Monaten seit dem 1. Januar 1987, dem Tag des Anwendbarwerdens der Grundverordnung und des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 3677/86, und die für Milcherzeugnisse geltende Frist von vier Monaten seit dem 26. Juli 1988, dem Tag des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 2281/88, nicht mehr verlängert werden können. Somit wurden die beiden Verlängerungen der Frist für die Wiederausfuhr, die der Klägerin 1988 und 1989 erteilt wurden, bereits zu Unrecht gewährt.

22 Sind aber zugunsten eines Wirtschaftsteilnehmers Entscheidungen einer nationalen Behörde ergangen, die nicht im Einklang mit einer klaren und eindeutigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts stehen, so darf dieser nicht darauf vertrauen, daß diese Behörde eine weitere Entscheidung unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erlässt.

23 Auch ein Ermessensmißbrauch liegt nicht vor, da die Zollverwaltung durch ihre Weigerung, eine erneute Verlängerung der Wiederausfuhrfrist zu gewähren, lediglich Artikel 28 der Verordnung Nr. 3677/86 angewandt hat, ohne ihre Befugnisse ausschließlich oder zumindest maßgeblich dazu zu verwenden, andere als die gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Ziele zu erreichen.

24 Schließlich beruft sich die Klägerin zu Unrecht auf höhere Gewalt, um die Unmöglichkeit der Wiederausfuhr des Veredelungserzeugnisses oder der unveredelten Ware zu rechtfertigen. Es sind nämlich keine von ihrem Willen unabhängigen ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Umstände erwähnt worden, deren Folgen trotz aller aufgewandten Sorgfalt nur um den Preis unverhältnismässiger Opfer vermeidbar gewesen wären.

25 Somit ist auf die Fragen zu antworten, daß die Fristen des Artikels 28 der Verordnung Nr. 3677/86 in der durch die Verordnung Nr. 2281/88 geänderten Fassung nicht verlängert werden können.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Die Auslagen der portugiesischen und der französischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Vierte Kammer)

auf die ihm vom Supremo Tribunal Administrativo mit Beschluß vom 10. Juli 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Fristen des Artikels 28 der Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 des Rates vom 24. November 1986 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 über den aktiven Veredelungsverkehr in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2281/88 der Kommission vom 25. Juli 1988 geänderten Fassung können nicht verlängert werden.

Ende der Entscheidung

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