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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.03.1991
Aktenzeichen: C-330/88
Rechtsgebiete: EAGV, Verdingungsordnung, HaushO


Vorschriften:

EAGV Art. 153
EAGV Art. 188
Verdingungsordnung Art. 18
Verdingungsordnung Art. 3
HaushO Art. 50
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Mündliche Aufträge können keine wirksame Rechtsgrundlage für die Bezahlung von Arbeiten sein, die in dem zwischen einem Organ der Gemeinschaften und einem Lieferer geschlossenen schriftlichen Vertrag nicht aufgeführt sind, da sie durch Artikel 50 Absatz 1 der Haushaltsordnung und die auf den fraglichen Vertrag anwendbare Verdingungsordnung - die ausdrücklich bestimmt, daß alle Vertragsänderungen einer zusätzlichen schriftlichen Vereinbarung bedürfen, die in der gleichen Form wie der Vertrag geschlossen werden muß, und daß eine mündliche Einigung die Parteien nicht bindet - sowie durch den Vertrag selbst ausgeschlossen sind.

2. Die Klageschrift muß eine kurze Darstellung der Klagegründe, auf die die Klage gestützt wird, enthalten und im einzelnen darlegen, worin diese bestehen. Eine blosse abstrakte Aufzählung der Klagegründe entspricht nicht den Erfordernissen der Satzung und der Verfahrensordnung des Gerichtshofes.

3. Beruht die Zuständigkeit des Gerichtshofes auf einer in einem öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Vertrag enthaltenen Schiedsklausel, so kann der Gerichtshof einen Klagegrund wie den der ungerechtfertigten Bereicherung, der jedenfalls eine ausservertragliche Grundlage hätte, nicht prüfen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 5. MAERZ 1991. - ALFREDO GRIFONI GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - VERTRAGLICHE HAFTUNG - SCHIEDSKLAUSEL. - RECHTSSACHE C-330/88.

Entscheidungsgründe:

1 Der Kläger, Inhaber eines auf Klempner- und Schlosserarbeiten spezialisierten Unternehmens, hat mit Klageschrift, die am 14. November 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß den Artikeln 153 und 188 Absatz 1 EAG-Vertrag eine auf vertragliche Haftung gestützte Klage gegen die Europäische Atomgemeinschaft, vertreten durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, erhoben. Er beantragt, die Kommission zu verurteilen, ihm einen Geldbetrag für auf der Grundlage eines Rahmenvertrags ausgeführte Arbeiten zu zahlen.

2 Der Kläger macht geltend, er habe einen Auftrag für verschiedene Arbeiten auf seinem Spezialgebiet erhalten. Mit seinem Angebot vom 21. November 1979 und einem weiteren Angebot vom 10. März 1984, das die Kommission mit eingeschriebenem Brief vom 21. Mai 1984 angenommen habe, habe er einen Rahmenvertrag geschlossen. Auf der Grundlage dieses Vertrags habe er von März 1980 bis zur Beendigung der Geschäftsbeziehungen mit der Kommission im Mai 1987 mehrfach im Auftrag der Kommission verschiedene Arbeiten für Rechnung der Forschungsanstalt Ispra der Gemeinsamen Forschungsstelle ausgeführt.

3 Wegen weiterer Einzelheiten des Rahmenvertrags, des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

4 Der Kläger führt aus, nach dem Rahmenvertrag hätte er für die ausgeführten Arbeiten "zu Einheitspreisen" bezahlt werden müssen; die Kommission habe ihm trotz seiner wiederholten Zahlungsaufforderungen nicht den ihm zustehenden Gesamtbetrag gezahlt. Er verlangt deshalb die Zahlung eines ursprünglich mit 450 597 910 LIT bezifferten und später in der Erwiderung auf 933 494 064 LIT erhöhten Betrags nebst Zinsen und Ersatz des Geldentwertungsschadens.

5 Der Gerichtshof ist für die Klage nach Artikel 153 EAG-Vertrag und nach einer Bestimmung des Rahmenvertrags zuständig, die dem Gerichtshof die ausschließliche Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über die Ausführung oder die Auslegung des Vertrags überträgt.

6 Der Kläger stellt, wie sich aus der Klageerwiderung und aus seinen Erklärungen in der mündlichen Verhandlung ergibt, vier

Behauptungen auf. Er trägt vor,

a) Leistungen aufgrund mündlicher Aufträge, die teilweise nachträglich durch formgemässe schriftliche Aufträge bestätigt worden seien, erbracht zu haben, wobei er nur für Leistungen bezahlt worden sei, für die schriftliche Aufträge vorgelegen hätten;

b) Leistungen erbracht zu haben, für die ausschließlich mündliche Aufträge bestanden hätten;

c) Leistungen aufgrund schriftlicher Aufträge, die in der Folge durch mündliche Aufträge ergänzt worden seien, erbracht zu haben, wobei er nur für die durch schriftliche Aufträge gedeckten Leistungen bezahlt worden sei;

d) Leistungen erbracht zu haben, die durch schriftliche Aufträge gedeckt, aber fehlerhaft abgerechnet worden seien.

7 Zunächst sind die Fälle unter a) und b) zu untersuchen. Der Kläger macht geltend, er habe Anspruch auf zusätzliche Zahlungen, weil er auf der Grundlage des Rahmenvertrags verschiedene Arbeiten ausgeführt habe, mit denen ihn die Kommission mündlich beauftragt habe. In der Folge seien mehrere dieser mündlichen Aufträge durch schriftliche Aufträge bestätigt worden, von denen nur einige den gesamten mündlichen Auftrag umfasst hätten. In mehreren anderen Fällen seien die Aufträge ausschließlich mündlich und ohne spätere schriftliche Bestätigung erteilt worden.

8 Gemäß Artikel 50 Absatz 1 Satz 1 der Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 356, S. 1) werden die Aufträge über die

Lieferung oder die Vermietung von Bürobedarf, Mobiliar und Material sowie Bau- und sonstige Leistungen in Form schriftlicher Verträge vergeben. Auch nach Artikel 3 Absatz 1 der Verdingungsordnung, die gemäß Artikel 15 des bereits erwähnten Rahmenvertrags integrierender Bestandteil dieses Vertrags ist, ist für Verträge zwischen der Kommission und Dritten Schriftform erforderlich.

9 Nach Artikel 18 der Verdingungsordnung bedürfen "alle Vertragsänderungen (einschließlich Ergänzungen oder Streichungen) einer zusätzlichen schriftlichen Vereinbarung, die in der gleichen Form wie der Vertrag geschlossen werden muß; eine mündliche Einigung bindet die Parteien nicht".

10 Daraus ergibt sich, daß für die Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien - für den Vertragsabschluß wie für Vertragsänderungen - ausschließlich die Schriftform gilt. Hieraus folgt weiter, daß die ursprünglichen Aufträge und ihre späteren Änderungen auf der Grundlage des genannten Rahmenvertrags ebenfalls Schriftform haben müssen. Folglich können mündliche Aufträge keine wirksame Rechtsgrundlage für die Bezahlung erbrachter Arbeiten sein.

11 Demnach ist die Argumentation des Klägers, abgesehen davon, daß die Kommission eine mündliche Auftragsvergabe bestreitet, rechtlich unbegründet und somit zurückzuweisen.

12 Der Kläger beruft sich auch auf Arbeiten, für die schriftliche Aufträge erteilt worden seien, die später mündlich ergänzt bzw.

geändert worden seien. Er sei nur für die durch die schriftlichen Aufträge gedeckten Arbeiten bezahlt worden.

13 Hierzu ist zu sagen, daß aufgrund von Artikel 50 Absatz 1 der Haushaltsordnung und der vorerwähnten Bestimmungen eine mündliche Änderung schriftlicher Aufträge nicht wirksam sein kann. Für diese Auslegung spricht auch Artikel 6 des zwischen dem Kläger und der Kommission geschlossenen Rahmenvertrags, der folgendes bestimmt: "Zeigt sich bei Ausführung der Arbeiten, daß im Auftrag nicht aufgeführte Arbeiten erforderlich sind, so müssen diese von der Bauleitung aufgrund einer vom Unternehmen vorgelegten ausführlichen und endgültigen Abrechnung im voraus schriftlich genehmigt werden. Arbeiten, bei deren Ausführung dieses Verfahren nicht beachtet wurde, werden nicht anerkannt und folglich nicht bezahlt." Aus den Akten ergibt sich, daß diese Klausel unter Buchstabe G in die dem Kläger von der Kommission erteilten schriftlichen Aufträge aufgenommen wurde.

14 Folglich fehlt dem Vorbringen des Klägers, soweit er sich auf mündliche Ergänzungen oder Änderungen schriftlicher Aufträge beruft, die rechtliche Grundlage.

15 Zudem hatte die Kommission ausweislich der Akten dem Kläger mit eingeschriebenem Brief vom 4. Mai 1981 mitgeteilt, daß für alle aufgrund der geltenden Verträge gewünschten Änderungen oder Ergänzungen der Arbeiten, wenn sie zusätzliche Ausgaben verursachen könnten, vom Kläger ein schriftlicher Voranschlag in doppelter Ausfertigung zu erstellen sei und diese zusätzlichen Arbeiten erst nach Erhalt des vom Leiter der Abteilung "Infrastruktur" genehmigten Voranschlags ausgeführt würden.

16 Schließlich hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich geltend gemacht, die Kommission habe bestimmte schriftliche Aufträge unrichtig gebucht und ihn deshalb nicht vollständig bezahlt.

17 Der Kläger hat seine Behauptungen jedoch weder in der Klageschrift noch in der Erwiderung dadurch substantiiert, daß er in den von ihm eingereichten Unterlagen angegeben hätte, welche Fehler der buchmässigen Erfassung er rügt. Im übrigen hat er weder das Vorliegen konkreter Fehler bewiesen noch vorgetragen, in die von ihm bei jeder Zahlung unterzeichneten Schriftstücke Vorbehalte aufgenommen zu haben. Eine Substantiierung des klägerischen Vorbringens war erforderlich, da die Kommission, wie der Generalanwalt ausführt, als Anlage zur Klagebeantwortung für jeden Auftrag Unterlagen zur Bestätigung des "Abschlusses der ausgeführten Arbeiten" mit den entsprechenden vom Kläger selbst angegebenen Beträgen vorgelegt hat, die den Satz "Die Arbeiten entsprechen technisch den Aufträgen" sowie die Unterschrift des Klägers und des Vertreters der Forschungsstelle enthalten.

18 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Dezember 1961 in den verbundenen Rechtssachen 19/60, 21/60, 2/61 und 3/61 (Fives Lille Cail, Slg. 1961, 613, 644) entschieden hat, entspricht eine blosse abstrakte Aufzählung der Klagegründe in der Klageschrift nicht den Erfordernissen der Satzung und der Verfahrensordnung; es muß in der Klageschrift im einzelnen dargelegt werden, worin der Rechtsfehler besteht, auf den die Klage gestützt wird. Der Antrag des Klägers ist folglich insoweit zu allgemein und zu ungenau, um Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein zu können.

19 Neben den vorstehend geprüften Klagegründen scheint der Kläger allgemein geltend zu machen, der Wert der von ihm ausgeführten Arbeiten liege - unabhängig davon, ob die Aufträge mündlich oder schriftlich vergeben worden seien - eindeutig über dem von ihm erhaltenen Betrag. Er beantragt deshalb, ein Verzeichnis der von ihm ausgeführten Arbeiten aufzustellen und ihren Gesamtwert zu schätzen, um ihm den ihm zustehenden Restbetrag zuzusprechen.

20 Wie bereits ausgeführt, kann ein derartiger Klagegrund nicht auf die vorstehend erläuterten Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien gestützt werden. Wäre im übrigen dieser Klagegrund im Sinne einer ungerechtfertigten Bereicherung der Gemeinschaft auf Kosten des Klägers aufzufassen, so würde es sich dabei um ein neues Angriffsmittel handeln, das jedenfalls eine ausservertragliche Grundlage hätte, so daß es nicht unter die Schiedsklausel fiele und der Gerichtshof für seine Prüfung nicht zuständig wäre.

21 Nach alledem ist die Klage als unbegründet abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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