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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.11.2005
Aktenzeichen: C-331/04
Rechtsgebiete: Richtlinie 92/50/EWG, Richtlinie 93/38 /EWG


Vorschriften:

Richtlinie 92/50/EWG Art. 36
Richtlinie 93/38 /EWG Art. 34
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Parteien:

In der Rechtssache C-331/04

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, vorgelegt vom italienischen Consiglio di Stato mit Entscheidung vom 6. April 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Juli 2004, in dem Verfahren

ATI EAC Srl e Viaggi di Maio Snc,

EAC Srl,

Viaggi di Maio Snc

gegen

ACTV Venezia SpA,

Provinz Venedig,

Stadt Venedig,

Beteiligte:

ATI La Linea SpA-CSSA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter C. Gulmann (Berichterstatter), R. Schintgen, G. Arestis und J. Klucka,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der ATI EAC Srl e Viaggi di Maio Snc, EAC Srl und Viaggi di Maio Snc, vertreten durch L. Visone, avvocato,

- der ACTV Venezia SpA, vertreten durch A. Bianchini und E. Romanelli, avvocati,

- der ATI La Linea SpA-CSSA, vertreten durch P. Zanardi und G. Fiore, avvocati,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster, C. M. Wissels und D. J. M. de Grave als Bevollmächtigte,

- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Recchia und X. Lewis als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. September 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 36 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) und von Artikel 34 der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 199, S. 84).

2. Es wird im Rahmen eines Rechtsstreits der ATI EAC Srl e Viaggi di Maio Snc sowie dieser beiden Firmen (Klägerinnen) gegen die ACTV Venezia SpA (im Folgenden: ACTV), die Provinz Venedig und die Stadt Venedig über die Vergabe eines öffentlichen Personenbeförderungsdienstleistungsauftrags vorgelegt.

Rechtlicher Rahmen

3. Artikel 36 - Zuschlagskriterien - der Richtlinie 92/50 lautet wie folgt:

"(1) Der Auftraggeber wendet ... bei der Erteilung des Zuschlags folgende Kriterien an:

a) entweder - wenn der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt - verschiedene auf den jeweiligen Auftrag bezogene Kriterien, z. B. Qualität, technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit der Leistung, Kundendienst und technische Hilfe, Lieferzeitpunkt, Ausführungszeitraum oder -frist, Preis,

b) ...

(2) Bei Aufträgen, die auf das wirtschaftlich günstigste Angebot vergeben werden sollen, geben die Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen oder in der Vergabebekanntmachung alle Zuschlagskriterien an, deren Verwendung sie vorsehen, möglichst in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung."

4. Artikel 34 der Richtlinie 93/38 lautet:

"(1) [D]as für die Auftragsvergabe maßgebende Kriterium [ist]

a) entweder das wirtschaftlich günstigste Angebot unter Berücksichtigung mehrerer von Auftrag zu Auftrag unterschiedlicher Kriterien wie etwa: Lieferfrist, Ausführungsdauer, Betriebskosten, Rentabilität, Qualität, Ästhetik und Zweckmäßigkeit, technischer Wert, Kundendienst und technische Hilfe, Verpflichtungen hinsichtlich der Ersatzteile, Versorgungssicherheit, Preis

b) ...

(2) Im Fall von Absatz 1 Buchstabe a) gibt der Auftraggeber in den Auftragsunterlagen oder in der Bekanntmachung alle Zuschlagskriterien, deren Verwendung er vorsieht, soweit wie möglich in der Reihenfolge ihrer Bedeutung an."

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen

5. Am 6. April 2002 veröffentlichte ACTV im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften eine Bekanntmachung über einen Personenbeförderungsdienstleistungsauftrag, der aus drei Losen bestand. Das Ausgangsverfahren betrifft das Los Nr. 1 über den Ortsverkehr Mestre für den Zeitraum vom 16. Juni 2002 bis zum 31. Dezember 2003.

6. In dieser Vergabebekanntmachung hieß es unter der Überschrift "Zuschlagskriterien", dass ACTV den Auftrag an den Bewerber vergeben werde, der das wirtschaftlich günstigste Angebot vorlege.

7. Die Klägerinnen beantragten die Teilnahme am Ausschreibungsverfahren. Mit Schreiben vom 7. Mai 2002 forderte ACTV sie auf, sich für das Los Nr. 1 zu bewerben. Die Teilnahmevoraussetzungen (disciplinare di gara [Ausschreibungsspezifikationen], im Folgenden: Verdingungsunterlagen), die dieser Aufforderung beigefügt waren, sahen die folgenden vier Bewertungskriterien vor, nach denen das wirtschaftlich günstigste Angebot bestimmt werden sollte:

"1. Preis je Kilometer für die in den Anhängen A, B und C der Verdingungsunterlagen aufgeführten Dienstleistungen:

- Bis zu 60 Punkte nach der Formel ...

2. Preis je Kilometer für Dienstleistungen zusätzlich zu den in den Anhängen A, B und C aufgeführten:

- Bis zu 10 Punkte nach der Formel ...

3. Zur Durchführung der Dienstleistungen verwendete Organisationsmodalitäten und Supportstrukturen, die aus den Unterlagen im Sinne von Punkt 3.10 Nummer 6 der Verdingungsunterlagen hervorgehen:

- Bis zu 25 Punkte, von der ACTV nach freiem Ermessen zu vergeben.

4. Besitz einer Qualitätsbescheinigung ...: 5 Punkte".

8. Zum dritten dieser vier Zuschlagskriterien für den Auftrag sahen die Verdingungsunterlagen in Punkt 3.10 Nummer 6 vor, dass das Angebot einen Bericht enthalten musste, in dem die Organisation sowie die logistischen und Supportstrukturen beschrieben würden, die bei der Durchführung der im Fall des Zuschlags nach dem Vertrag zu erbringenden Dienstleistungen verwendet würden; dieser Bericht musste zumindest folgende Angaben enthalten:

- "Abstellhallen und/oder Parkflächen für die Busse im Gebiet der Provinz Venedig, die dem Unternehmen gehören oder ihm zur Verfügung stehen ...;

- Art der Kontrolle der erbrachten Dienstleistungen und Zahl der mit der Kontrolle dieser Dienstleistungen beschäftigten Mitarbeiter;

- Zahl der Busfahrer und Art der Führerscheine, die diese besitzen;

- Zahl der Geschäftsstellen (abgesehen von den Abstellhallen) im Gebiet der Provinz Venedig, die dem Unternehmen gehören oder ihm zur Verfügung stehen ...;

- Zahl der mit der Organisation der Schichten der Fahrer beschäftigten Mitarbeiter".

9. Die Vergabekommission gewichtete am 29. Mai 2002, d. h. nach Ablauf der Frist für die Vorlage der Angebote und vor der Öffnung der Umschläge, als sie schon über eine Liste mit den Namen der drei Unternehmen verfügte, die ein Angebot für das im Ausgangsverfahren betroffene Los eingereicht hatten, in ihrem Protokoll Nr. 1 die 25 Punkte, die für dieses dritte Kriterium zugeteilt werden können, indem sie sie auf die fünf Unterkriterien aufteilte, die den Pflichtangaben in dem Bericht entsprachen, der Teil des von den Bietern vorgelegten Angebots ist. Die Punkte, die für jedes Unterkriterium zugeteilt werden können, wurden wie folgt verteilt: 8, 7 und 6 Punkte für das erste, das zweite bzw. das dritte Unterkriterium und jeweils 2 Punkte für das vierte und das fünfte Unterkriterium.

10. Am 30. Mai 2002 nahm die Vergabekommission, nachdem sie eines der drei eingereichten Angebote ausgeschlossen hatte, die Bewertung der Angebote der Klägerinnen und der ATI La Linea SpA (im Folgenden: La Linea) vor. Letztere erhielt mit 86,53 Punkten den Zuschlag, die Klägerinnen erzielten 83,50 Punkte.

11. Die Klägerinnen waren der Ansicht, dass La Linea nur durch die nachträgliche Gewichtung der Punkte, die für das dritte Kriterium zugeteilt werden konnten, Auftragnehmer habe werden können. Sie fochten daher die von der Vergabekommission getroffenen Maßnahmen und erlassenen Entscheidungen vor dem Tribunale amministrativo regionale u. a. wegen Verstoßes gegen Artikel 36 Absatz 2 der Richtlinie 92/50 an.

12. Das Tribunale amministrativo regionale wies die Klage ab. Es stellte u. a. fest, dass die Zuschlagskriterien und die für die Vergabe des dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Auftrags zu berücksichtigenden Umstände in den Verdingungsunterlagen angegeben gewesen seien.

13. Die Klägerinnen legten gegen dieses Urteil Rechtsmittel beim Consiglio di Stato ein, der beschlossen hat, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist es rechtmäßig, diese Vorschriften [Artikel 36 der Richtlinie 92/50 und Artikel 34 der Richtlinie 93/38] so auszulegen, dass sie eine flexible Regelung enthalten, die es der Vergabestelle ermöglicht, bei der Vergabe nach der Methode des wirtschaftlich günstigsten Angebots die Kriterien in allgemeiner Form in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen festzulegen und es dann der Vergabekommission zu überlassen, erforderlichenfalls eine Spezifizierung und/oder Ergänzung dieser Kriterien vorzunehmen, die allerdings vor der Öffnung der Umschläge mit den Angeboten erfolgen muss/müssen und keine neuen Kriterien den in der Bekanntmachung festgelegten hinzufügen darf/dürfen, oder ist diese Vorschrift als strikte Norm anzusehen, nach der die Vergabestelle die Zuschlagskriterien vor der Vorprüfung oder der Aufforderung in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen in aufgeschlüsselter Form festlegen muss und jede nachfolgende Spezifizierung und/oder Ergänzung oder Einführung von Unterposten oder Untergliederungen bei der Punktevergabe unzulässig ist, weil jede Angabe der Zuschlagskriterien aus Transparenzgründen in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen enthalten sein muss?

Ist somit im Licht des Gemeinschaftsrechts die in der Rechtsprechung des Consiglio di Stato entwickelte traditionelle Auslegung rechtmäßig, wonach eine Ergänzung der Kriterien durch die Vergabekommission vor der Öffnung der Umschläge mit den Angeboten zulässig ist?

2. Ist es nach dieser Vorschrift, im Licht des Adverbs "möglichst" flexibel ausgelegt, rechtmäßig, dass die Vergabestelle eine Spezifikation aufstellt, die für ein Zuschlagskriterium (im vorliegenden Fall: Organisations- und Supportmodalitäten) unter Verweisung auf eine Reihe von Kriterien, für die die Bekanntmachung keine Abstufung vorsieht und sie so teilweise unbestimmt lässt, die Zuteilung von Punkten nach dem freien Ermessen der Vergabestelle vorsieht, oder verlangt die Vorschrift äußerste Bestimmtheit bei der Formulierung der Kriterien, was sich mit deren fehlender Abstufung in der Bekanntmachung nicht vereinbaren lässt? Kann im Fall der Rechtmäßigkeit der Vorschrift aufgrund der angenommenen Flexibilität und des fehlenden Erfordernisses einer Abstufung der Posten auf der Grundlage dieser Vorschrift davon ausgegangen werden, dass, wenn es an einer ausdrücklichen Übertragung von Befugnissen auf die Vergabekommission fehlt, ein ergänzendes spezifizierendes Tätigwerden dieser Kommission zulässig ist (was einfach dazu führt, dass jedem einzelnen nach der Bekanntmachung zu bewertenden Posten eigenständige Bedeutung und relatives Gewicht beigemessen wird und insgesamt bis zu 25 Punkte vergeben werden), oder ist die Spezifikation vielmehr wortgetreu zu befolgen, indem die Punkte nach einer einheitlichen Bewertung der in der lex specialis angeführten verschiedenen, komplexen Posten vergeben werden?

3. Ist es nach dieser Vorschrift rechtmäßig, dass der mit der Bewertung der Angebote betrauten Vergabekommission unabhängig von der Formulierung in der Bekanntmachung in einem Verfahren zur Vergabe nach der Methode des wirtschaftlich günstigsten Angebots allgemein, jedoch nur im Hinblick auf die Komplexität der zu bewertenden Posten, die Befugnis zur generellen Begrenzung des eigenen Handelns durch die Spezifizierung der Parameter für die Anwendung der in der Bekanntmachung festgelegten Kriterien übertragen wird, und kann diese Befugnis der Vergabekommission so ausgeübt werden, dass, selbstverständlich immer vor der Öffnung der Umschläge, Unterposten oder eine untergliederte Punktevergabe eingeführt oder einfach spezifischere Kriterien für die Anwendung der in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen allgemein angegebenen Kriterien bestimmt werden?

Zum Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

14. Mit Schriftsatz, der am 19. September 2005 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat ACTV die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß Artikel 61 der Verfahrensordnung beantragt.

15. Zur Begründung ihres Antrags trägt ACTV im Wesentlichen vor, der Generalanwalt habe in den Schlussanträgen die vom Vorlagegericht vorgelegten Hauptfragen nicht beantwortet. Aus diesem Grund und zum besseren Verständnis der Vorlagefragen in Anbetracht der Besonderheiten des Ausgangsverfahrens wünsche sie neue Erklärungen einzureichen.

16. Der Gerichtshof kann gemäß Artikel 61 seiner Verfahrensordnung die mündliche Verhandlung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auch auf Antrag der Parteien wieder eröffnen, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen für entscheidungserheblich erachtet (vgl. Beschluss vom 4. Februar 2000 in der Rechtssache C-17/98, Emesa Sugar, Slg. 2000, I-665, Randnr. 18, und Urteil vom 30. März 2004 in der Rechtssache C-147/02, Alabaster, Slg. 2004, I-3101, Randnr. 35).

17. Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er über sämtliche Informationen verfügt, die er für die Beantwortung der vorgelegten Fragen benötigt, und dass diese Informationen im Laufe der Verhandlung erörtert worden sind. Daher ist der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zurückzuweisen.

Zu den Vorlagefragen

18. Einleitend ist - wie es das vorlegende Gericht getan hat - festzustellen, dass die Vergabekommission in der im Ausgangsverfahren streitigen Entscheidung nur bestimmte, wie die für das dritte Zuschlagskriterium vorgesehenen 25 Punkte auf die fünf in den Verdingungsunterlagen definierten Unterkriterien aufzuteilen sind.

19. Daher sind die Vorlagefragen im Wesentlichen als Frage danach zu verstehen, ob Artikel 36 der Richtlinie 92/50 und Artikel 34 der Richtlinie 93/38 dahin auszulegen sind, dass das Gemeinschaftsrecht es einer Vergabekommission verwehrt, Unterkriterien eines zuvor festgelegten Zuschlagskriteriums dadurch besonders zu gewichten, dass sie die vom öffentlichen Auftraggeber bei der Erstellung der Verdingungsunterlagen oder der Bekanntmachung des Auftrags für dieses Kriterium vorgesehenen Punkte auf die Unterkriterien verteilt.

20. Zunächst ist festzustellen - wie die österreichische Regierung zu Recht ausgeführt hat -, dass Artikel 36 der Richtlinie 92/50 und Artikel 34 der Richtlinie 93/38 nicht gleichzeitig auf denselben Sachverhalt angewendet werden können. Die in den Vorlagefragen genannten Vorschriften stimmen jedoch im Wesentlichen überein und sind gleich auszulegen (vgl. Urteil vom 17. September 2002 in der Rechtssache C-513/99, Concordia Bus Finland, Slg. 2002, I-7213, Randnr. 91). Folglich kann der Gerichtshof eine zweckdienliche Antwort auf die umformulierte Frage geben, ohne dass er sich zu der Frage äußern müsste, welche dieser beiden Richtlinien im Ausgangsverfahren anwendbar ist.

21. Weiter ist daran zu erinnern, dass die von einem öffentlichen Auftraggeber festgelegten Zuschlagskriterien mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen müssen und dem öffentlichen Auftraggeber keine unbeschränkte Wahlfreiheit übertragen dürfen, im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auftrags ausdrücklich genannt sein müssen und namentlich die wesentlichen Grundsätze Gleichbehandlung, Diskriminierungsverbot und Transparenz beachten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil Concordia Bus Finland, Randnr. 64).

22. Unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache ist des Näheren festzustellen, dass die Pflicht zur Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung zum Wesensgehalt der Richtlinien im Bereich der öffentlichen Aufträge gehört (vgl. Urteil Concordia Bus Finland, Randnr. 81) und die Bieter sowohl zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre Angebote vorbereiten, als auch zu dem Zeitpunkt, zu dem diese beurteilt werden, gleichbehandelt werden müssen (vgl. Urteil vom 18. Oktober 2001 in der Rechtssache C-19/00, SIAC Construction, Slg. 2001, I-7725, Randnr. 34).

23. Es ist auch daran zu erinnern, dass gemäß Artikel 36 der Richtlinie 92/50 und Artikel 34 der Richtlinie 93/38 alle derartigen Kriterien im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auftrags ausdrücklich angegeben werden müssen, möglichst in absteigender Reihenfolge der ihnen zugemessenen Bedeutung, damit die Unternehmer in der Lage sind, von diesen Kriterien und von ihrer Bedeutung Kenntnis zu nehmen (vgl. Urteil Concordia Bus Finland, Randnr. 62).

24. Die Beachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz erfordert weiter, dass den potenziellen Bietern zum Zeitpunkt der Vorbereitung ihrer Angebote alle Kriterien, die vom öffentlichen Auftraggeber bei der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots berücksichtigt werden, und, wenn möglich, deren relative Bedeutung bekannt ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. April 1996 in der Rechtssache C-87/94, Kommission/Belgien, Slg. 1996, I-2043, Randnr. 88, und vom 12. Dezember 2002 in der Rechtssache C-470/99, Universale-Bau u. a., Slg. 2002, I-11617, Randnr. 98).

25. Schließlich obliegt es dem nationalen Gericht, im Ausgangsverfahren anhand dieser Regeln und Grundsätze zu beurteilen, ob die Vergabekommission das Gemeinschaftsrecht dadurch verletzt hat, dass sie eine Gewichtung der verschiedenen Unterkriterien des dritten Zuschlagskriteriums für den Auftrag vorgesehen hat.

26. Hierbei ist, erstens, zu prüfen, ob - unter Berücksichtigung aller einschlägigen Umstände des Ausgangsverfahrens - die Entscheidung, die diese Gewichtung vorsieht, die in den Verdingungsunterlagen oder in der Bekanntmachung des Auftrags bestimmten Zuschlagskriterien für den Auftrag ändert.

27. Wenn das der Fall sein sollte, widerspräche diese Entscheidung dem Gemeinschaftsrecht.

28. Zweitens ist zu beurteilen, ob die genannte Entscheidung Gesichtspunkte enthält, die, wenn sie zum Zeitpunkt der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen wären, diese Vorbereitung hätten beeinflussen können.

29. Wenn das der Fall sein sollte, widerspräche diese Entscheidung ebenfalls dem Gemeinschaftsrecht.

30. Drittens ist zu prüfen, ob die Vergabekommission die Entscheidung, die eine Gewichtung vorsieht, unter Berücksichtigung von Umständen erlassen hat, die einen der Bieter diskriminieren können.

31. Wenn das der Fall sein sollte, widerspräche diese Entscheidung dem Gemeinschaftsrecht.

32. Daher ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Artikel 36 der Richtlinie 92/50 und Artikel 34 der Richtlinie 93/38 dahin auszulegen sind, dass das Gemeinschaftsrecht es einer Vergabekommission nicht verwehrt, Unterkriterien eines zuvor festgelegten Zuschlagskriteriums dadurch besonders zu gewichten, dass sie die vom öffentlichen Auftraggeber bei der Erstellung der Verdingungsunterlagen oder der Bekanntmachung des Auftrags für dieses Kriterium vorgesehenen Punkte auf die Unterkriterien verteilt, sofern eine solche Entscheidung

- die in den Verdingungsunterlagen oder in der Bekanntmachung des Auftrags bestimmten Zuschlagskriterien für den Auftrag nicht ändert,

- nichts enthält, was, wenn es bei der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen wäre, diese Vorbereitung hätte beeinflussen können, und

- nicht unter Berücksichtigung von Umständen erlassen wurde, die einen der Bieter diskriminieren konnten.

Kostenentscheidung:

Kosten

33. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Artikel 36 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge und Artikel 34 der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor sind dahin auszulegen, dass das Gemeinschaftsrecht es einer Vergabekommission nicht verwehrt, Unterkriterien eines zuvor festgelegten Zuschlagskriteriums dadurch besonders zu gewichten, dass sie die vom öffentlichen Auftraggeber bei der Erstellung der Verdingungsunterlagen oder der Bekanntmachung des Auftrags für dieses Kriterium vorgesehenen Punkte auf die Unterkriterien verteilt, sofern eine solche Entscheidung

- die in den Verdingungsunterlagen oder in der Bekanntmachung des Auftrags bestimmten Zuschlagskriterien für den Auftrag nicht ändert,

- nichts enthält, was, wenn es bei der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen wäre, diese Vorbereitung hätte beeinflussen können, und

- nicht unter Berücksichtigung von Umständen erlassen wurde, die einen der Bieter diskriminieren konnten.

Ende der Entscheidung

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