Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.02.1995
Aktenzeichen: C-334/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Abkommen EWG-Österreich


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Abkommen EWG-Österreich Art. 13 Abs. 1
Abkommen EWG-Österreich Art 23 Abs.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Das Protokoll Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen, das dem Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich beigefügt ist, mit dem eine Präferenzregelung für die Erzeugnisse mit Ursprung in Österreich oder der Gemeinschaft eingeführt worden ist, in der Fassung der Verordnung Nr. 1598/88, ist dahin auszulegen, daß von der Vorlage der in seinem Titel II vorgesehenen Nachweise für den Ursprung der Waren in Österreich oder in der Gemeinschaft abgesehen werden kann, wenn dieser Ursprung aufgrund objektiver Beweise, die von den Betroffenen nicht manipuliert oder gefälscht worden sein können, mit Sicherheit feststeht, wenn ferner feststeht, daß sowohl der Importeur als auch der Exporteur die gebotene Sorgfalt angewandt haben, um die im Protokoll vorgesehenen Nachweise zu erhalten, und wenn es diesen Personen aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß haben, insbesondere wegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens anderer Beteiligter, das sowohl gegen den Zweck als auch gegen den Wortlaut des Abkommens verstösst, unmöglich ist, diese Nachweise vorzulegen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 23. FEBRUAR 1995. - BONAPHARMA ARZNEIMITTEL GMBH GEGEN HAUPTZOLLAMT KREFELD. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FINANZGERICHT DUESSELDORF - DEUTSCHLAND. - FREIHANDELSABKOMMEN EWG-OESTERREICH - BEGRIFF DES URSPRUNGSERZEUGNISSES - PROTOKOLL NR. 3 - METHODEN DER ZUSAMMENARBEIT DER VERWALTUNGEN - BESCHEINIGUNG EUR.1. - RECHTSSACHE C-334/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit Beschluß vom 12. Mai 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Juni 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des am 22. Juli 1972 in Brüssel unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2836/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 über den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich sowie zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zu diesem Abkommen (ABl. L 300, S. 1, im folgenden: Abkommen EWG-Österreich) gebilligten Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich, insbesondere des diesem beigefügten Protokoll Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen (im folgenden: Protokoll), zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Dieses Protokoll wurde insbesondere durch die Verordnung (EWG) Nr. 1598/88 des Rates vom 24. Mai 1988 zur Anwendung des Beschlusses Nr. 1/88 des Gemischten Ausschusses EWG-Österreich zur Änderung des Protokolls Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen (ABl. L 149, S. 1) geändert.

3 Nach Artikel 8 Absatz 1 des Protokolls ist das Abkommen, also die darin enthaltene Präferenzregelung, auf Ursprungserzeugnisse der Gemeinschaft oder Österreichs bei der Einfuhr in die Gemeinschaft oder nach Österreich anzuwenden bei Vorlage einer "Bescheinigung EUR.1" genannten Warenverkehrsbescheinigung (Buchstabe a) oder in bestimmten Fällen von Rechnungen, die bestimmten Kriterien entsprechen (Buchstaben b und c). Die Bescheinigung EUR.1 wird nach Artikel 9 Absatz 1 des Protokolls "bei der Ausfuhr der Waren, auf die sie sich bezieht, von den Zollbehörden des Ausfuhrstaats erteilt".

4 Artikel 10 Absatz 3 des Protokolls bestimmt, daß die Bescheinigung EUR.1 die Beweisurkunde für die Gewährung der im Abkommen vorgesehenen Vorzugsbehandlung hinsichtlich der Zölle und Kontingente darstellt und daß die Zollbehörden des Ausfuhrstaats den Ursprung der Waren sowie die übrigen Angaben in der Bescheinigung EUR.1 nachprüfen müssen.

5 Artikel 13 Absatz 1 des Abkommens EWG-Österreich lautet:

"Im Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und Österreich werden keine neuen mengenmässigen Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung eingeführt."

6 Schließlich bestimmt Artikel 23 Absatz 1 dieses Abkommens:

"Mit dem guten Funktionieren dieses Abkommens sind unvereinbar, soweit sie geeignet sind, den Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und Österreich zu beeinträchtigen,

i) alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezueglich der Produktion und des Warenverkehrs bezwecken oder bewirken;

ii) die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem gesamten Gebiet der Vertragsparteien oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen".

7 Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß die Bonapharma Arzneimittel GmbH (im folgenden: Bonapharma) zwischen dem 14. April 1989 und dem 15. Januar 1991 achtzehn Sendungen Arzneimittel aus Österreich einführte. Die Rechnungen umfassten Ursprungserklärungen, und für sechs Sendungen lagen Bescheinigungen EUR.1 vor. Nachdem der österreichische Finanzminister den deutschen Zollbehörden mitgeteilt hatte, daß die Ursprungsnachweise zu Unrecht ausgestellt worden seien, verlangte das Hauptzollamt Krefeld von Bonapharma die Zahlung von Zoll in Höhe von 20 743,36 DM; die Anerkennung von anderen Belegen als Bescheinigungen EUR.1 als Nachweis für den Ursprung der Arzneimittel lehnte es ab.

8 Demgemäß erhob Bonapharma Klage gegen den Steueränderungsbescheid, mit dem der Zoll auf die Arzneimittel nacherhoben worden war.

9 Bonapharma ist ausserstande, diese Bescheinigungen EUR.1 vorzulegen, da es ihrem Lieferanten, einer österreichischen Apotheke, nicht gelungen ist, von seinen eigenen Lieferanten - österreichischen Depositeuren und Großhändlern - Angaben über den Ursprung der Arzneimittel zu erhalten. Von den von dieser Apotheke angeschriebenen 39 Depositeuren antworteten nur wenige und teilten ihr mit, sie seien angewiesen, keine Ursprungsangaben zu machen.

10 Die österreichische Zollverwaltung ist der Auffassung, daß es nicht ihre Sache sei, Ermittlungen über den Ursprung der Waren anzustellen.

11 Zwar wurden in Österreich gegen die Lieferanten (Depositeure und Großhändler) und die Zollverwaltung wegen ihres Verhaltens gerichtliche Verfahren eingeleitet, doch blieben diese ohne Erfolg.

12 In ihrem Einspruch gegen den Steueränderungsbescheid machte Bonapharma geltend, die österreichischen Depositeure seien von den in der Gemeinschaft ansässigen Herstellern angewiesen worden, der exportierenden Wiener Apotheke keine Nachweise für den Ursprung der Erzeugnisse auszustellen. Das Hauptzollamt Krefeld wies diesen Einspruch jedoch mit der Begründung zurück, nach dem Protokoll könne eine Präferenzbehandlung nur aufgrund der Vorlage der Bescheinigung EUR.1 gewährt werden; es lehnte daher die Anerkennung von anderen Belegen als Nachweis für den Ursprung der Arzneimittel ab.

13 Unter Hinweis auf die vom Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Düsseldorf nach den §§ 72a und 73 Absatz 6 des Arzneimittelgesetzes ausgestellten Bescheinigungen über den deutschen Ursprung der aus Österreich wiedereingeführten Arzneimittel geht das vorlegende Gericht davon aus, daß die von Bonapharma eingeführten Arzneimittel in Deutschland hergestellt worden sind. Ausserdem hat es den "Austria-Codex" berücksichtigt, eine Fachinformation aufgrund der Bestimmungen des österreichischen Bundesgesetzes über die Herstellung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln und der Verordnung über Fachinformation und Gebrauchsinformation für Arzneimittelspezialitäten, durch den der Gemeinschaftsursprung der Arzneimittel bestätigt werde.

14 Das vorlegende Gericht ist weiter der Ansicht, das Verhalten der österreichischen Großhändler (zu dem sie von den in der Gemeinschaft niedergelassenen Herstellern angestiftet würden) sei eine abgestimmte Verhaltensweise, durch die unter Verstoß gegen Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe i des Abkommens EWG-Österreich der Wettbewerb in den Handelsbeziehungen zwischen der Gemeinschaft und Österreich beschränkt werde, und/oder eine mit Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe ii des Abkommens unvereinbare mißbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung. Die Weigerung, die Ursprungszeugnisse auszustellen oder bei dieser Ausstellung mitzuwirken, verstosse überdies gegen Artikel 13 des Abkommens, da damit mengenmässige Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen mit gleicher Wirkung eingeführt würden.

15 Das Finanzgericht Düsseldorf fragt sich, ob unter derart aussergewöhnlichen Umständen der Ursprungsnachweis nicht in einer anderen als der im Abkommen vorgesehenen Form erbracht werden kann, und hat demgemäß dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Kann bei Einfuhren aus Österreich, die tatsächlich Reimporte aus der Gemeinschaft sind, von der Vorlage der in Titel II des Protokolls Nr. 3 zum Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Österreich vorgesehenen Präferenznachweise zum Nachweis des begünstigten Ursprungs abgesehen werden, wenn die Ausstellung der Präferenznachweise durch ein abkommenswidriges Kartell gemäß Artikel 23 Absatz 1 des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Österreich verhindert wird und die österreichische Zollverwaltung den Nachweis der Präferenzberechtigung ohne eigene Ermittlungen ausschließlich dem Ausführer überlässt?

16 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß schon nach dem Wortlaut des Abkommens EWG-Österreich nur Waren mit Ursprung in der Gemeinschaft oder in Österreich unter die Präferenzregelung fallen können und daß die Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 die Beweisurkunde für diesen Ursprung darstellt. Wie der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zu Recht ausgeführt hat, wären die Einheitlichkeit und die Sicherheit der Anwendung des Abkommens EWG-Österreich beeinträchtigt, wenn man gestatten würde, daß neben diesen Ursprungsnachweisen auch andere Beweismittel herangezogen werden könnten.

17 Der Gerichtshof hat jedoch in seinem Urteil vom 7. Dezember 1993 in der Rechtssache C-12/92 (Huygen u. a., Slg. 1993, I-6381) Ausnahmen von der im Protokoll vorgesehenen Regelung für den Fall zugelassen, daß sich der betreffende Wirtschaftsteilnehmer ganz aussergewöhnlichen Umständen gegenübersieht, auf die er keinen Einfluß hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können.

18 Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts im Vorlagebeschluß lassen sich drei den vorliegenden Fall kennzeichnende Umstände festhalten.

19 Erstens steht der Ursprung der streitigen Waren aufgrund objektiver Beweise, die von den Betroffenen nicht manipuliert oder gefälscht worden sein können, mit Sicherheit fest.

20 Zweitens haben sowohl der betroffene Importeur als auch der betroffene Exporteur die gebotene Sorgfalt angewandt, um die Bescheinigungen EUR.1 zu erhalten.

21 Drittens ist es ihnen aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß haben, unmöglich, diese Bescheinigungen zu erhalten.

22 In diesem Zusammenhang geht aus den vom vorlegenden Gericht beschriebenen Umständen hervor, daß sich die Unmöglichkeit, die Bescheinigungen EUR.1 zu erhalten, aus einem wettbewerbswidrigen Verhalten anderer Beteiligter ergibt, das sowohl gegen den Zweck als auch gegen den Wortlaut des Abkommens verstösst.

23 Solche Umstände sind geeignet, eine Ausnahme von dem Erfordernis zu rechtfertigen, die Bescheinigungen EUR.1 vorzulegen, um in den Genuß der im Abkommen EWG-Österreich vorgesehenen Regelung zu kommen.

24 Somit ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß von der Vorlage der in Titel II des Protokolls zum Abkommen EWG-Österreich vorgesehenen Nachweise abgesehen werden kann, wenn der Ursprung der Waren aufgrund objektiver Beweise, die von den Betroffenen nicht manipuliert oder gefälscht worden sein können, mit Sicherheit feststeht, wenn ferner feststeht, daß sowohl der Importeur als auch der Exporteur die gebotene Sorgfalt angewandt haben, um die im Protokoll vorgesehenen Nachweise zu erhalten, und wenn es diesen Personen aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß haben, insbesondere wegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens anderer Beteiligter, das sowohl gegen den Zweck als auch gegen den Wortlaut des Abkommens verstösst, unmöglich ist, diese Nachweise vorzulegen.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Die Auslagen der belgischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht Düsseldorf mit Beschluß vom 12. Mai 1993 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Von der Vorlage der Nachweise, die in Titel II des Protokolls Nr. 3 zum Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1598/88 des Rates vom 24. Mai 1988 zur Anwendung des Beschlusses Nr. 1/88 des Gemischten Ausschusses EWG-Österreich zur Änderung des Protokolls Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen vorgesehen sind, kann abgesehen werden, wenn der Ursprung der Waren aufgrund objektiver Beweise, die von den Betroffenen nicht manipuliert oder gefälscht worden sein können, mit Sicherheit feststeht, wenn ferner feststeht, daß sowohl der Importeur als auch der Exporteur die gebotene Sorgfalt angewandt haben, um die im Protokoll vorgesehenen Nachweise zu erhalten, und wenn es diesen Personen aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß haben, insbesondere wegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens anderer Beteiligter, das sowohl gegen den Zweck als auch gegen den Wortlaut des Abkommens verstösst, unmöglich ist, diese Nachweise vorzulegen.

Ende der Entscheidung

Zurück