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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.06.1999
Aktenzeichen: C-337/97
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Verordnung Nr. 1612/68


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 48
EG-Vertrag Art. 52
Verordnung Nr. 1612/68 Art. 7
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des Artikels 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) und der Verordnung Nr. 1612/68 ist ein Begriff des Gemeinschaftsrechts, der nicht eng auszulegen ist. Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten ausser Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, daß sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, daß jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.

Der Anerkennung als Arbeitnehmer im Sinne der genannten Bestimmungen steht nicht entgegen, daß jemand mit dem Geschäftsführer und einzigen Anteilseigner einer Gesellschaft verheiratet ist, sofern er seine Tätigkeit im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses ausübt. Denn die personenrechtlichen und vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Ehegatten, die sich aus der Ehe ergeben, schließen im Rahmen der Unternehmensorganisation das Bestehen eines solchen Unterordnungsverhältnisses, wie es für ein Arbeitsverhältnis typisch ist, nicht aus.

2 Wenn ein Mitgliedstaat die Gewährung einer sozialen Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht davon abhängig machen kann, daß der begünstigte Arbeitnehmer seinen Wohnsitz in diesem Staat hat, so bezweckt der in diesem Artikel verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz ebenfalls, die Diskriminierung von Kindern, denen der Arbeitnehmer Unterhalt gewährt, zu verhindern. Insofern ist ein im nationalen Recht vorgesehenes Wohnorterfordernis diskriminierend, wenn dadurch die Studienfinanzierung bei Kindern von Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten, nicht aber bei Kindern inländischer Arbeitnehmer vom Wohnort abhängig gemacht wird.

Daher kann sich das Kind, für das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats unterhaltspflichtig ist, der - unter Beibehaltung seines Wohnsitzes in dem Staat, dessen Staatsangehöriger er ist - in einem anderen Mitgliedstaat eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt, auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen, um eine Studienfinanzierung unter denselben Voraussetzungen wie die Kinder von Staatsangehörigen des Staates der Beschäftigung zu erhalten, ohne daß für dieses Kind ein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden dürfte.

3 Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) soll gewährleisten, daß Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Tätigkeit ausüben wollen, wie Inländer behandelt werden; er verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, die den Zugang zu einer solchen Tätigkeit oder ihre Ausübung behindert. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz bezweckt ebenfalls, die Diskriminierung von Kindern, denen der Selbständige Unterhalt gewährt, zu verhindern. Er steht damit einem im nationalen Recht vorgesehenen Wohnorterfordernis entgegen, wenn dadurch die Studienfinanzierung bei Kindern von Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten, nicht aber bei Kindern inländischer Arbeitnehmer vom Wohnort abhängig gemacht wird, weil ein solches Erfordernis diskriminierend ist.

Daher hat das Kind, für das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats unterhaltspflichtig ist, der - unter Beibehaltung seines Wohnsitzes in dem Staat, dessen Staatsangehöriger er ist - in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unter denselben Voraussetzungen wie die Kinder von Staatsangehörigen des Niederlassungsstaats Anspruch auf eine Studienfinanzierung, ohne daß für dieses Kind ein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden dürfte.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 8. Juni 1999. - C.P.M. Meeusen gegen Hoofddirectie van de Informatie Beheer Groep. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Commissie van Beroep Studiefinanciering - Niederlande. - Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 - Freizügigkeit - Begriff des "Arbeitnehmers" - Niederlassungsfreiheit - Studienfinanzierung - Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit - Wohnorterfordernis. - Rechtssache C-337/97.

Entscheidungsgründe:

1 Die Commissie van Beroep Studiefinanciering hat mit Beschluß vom 26. September 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) mehrere Fragen nach der Auslegung der Artikel 48 und 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 43 EG) und des Artikels 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Meeusen, Klägerin des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Klägerin), und der Hoofddirectie van de Informatie Beheer Gröp, Beklagte des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Beklagte), über einen Antrag auf Studienbeihilfe, den die Klägerin gemäß der Wet op de Studiefinanciering (Gesetz über die Studienfinanzierung; im folgenden: WSF) bei ihrer Einschreibung in dem Provincaal Hoger Technisch Instituut voor Scheikunde in Antwerpen, einer höheren Bildungseinrichtung, gestellt hat.

3 Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmt:

"(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen... nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer."

4 Gemäß Artikel 7 WSF findet diese Anwendung auf:

"a. Studenten, die die niederländische Staatsangehörigkeit besitzen;

b. Studenten, die nicht die niederländische Staatsangehörigkeit besitzen, aber in den Niederlanden wohnen, und die aufgrund von Bestimmungen in Übereinkommen mit anderen Staaten oder in einem für die Niederlande verbindlichen Beschluß einer internationalen Organisation Niederländern im Bereich der Studienfinanzierung gleichgestellt sind;

c...."

5 Die in der WSF vorgesehene Finanzierung wird Studenten mit einem Alter von mindestens 18 Jahren direkt gewährt. Sie besteht in einer Studienbeihilfe für den Grundbedarf, deren Höhe unabhängig vom Einkommen der Eltern ist, und in einer Studienbeihilfe für Zusatzbedarf, deren Höhe sich nach dem elterlichen Einkommen richtet.

6 Nach Artikel 9 Absatz 1 WSF wird Studienfinanzierung nur für eine Ausbildung an einer niederländischen Einrichtung gewährt. Absatz 3 sieht aber eine Ausnahme zugunsten bestimmter ausländischer Einrichtungen vor, die für die Anwendung der WSF niederländischen Einrichtungen gleichgestellt sind. Das Provinciaal Hoger Technisch Instituut voor Scheikunde in Antwerpen ist niederländischen Einrichtungen gleichgestellt.

7 Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß die Klägerin, die die belgische Staatsangehörigkeit besitzt und zum maßgeblichen Zeitpunkt in Belgien wohnte, im August 1993 ein Studium am Provinciaal Hoger Technisch Instituut voor Scheikunde in Antwerpen begonnen hat. Ihr Vater und ihre Mutter sind beide belgische Staatsangehörige und wohnen in Belgien. Ihr Vater ist Geschäftsführer einer Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, deren einziger Anteilseigner er ist. Ihre Mutter ist bei dieser Gesellschaft zwei Tage in der Woche beschäftigt. Das vorlegende Gericht geht von einer tatsächlichen und echten Tätigkeit aus.

8 Am 14. Oktober 1993 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Finanzierung ihres Studiums nach der WSF.

9 Die Beklagte entsprach zunächst dem Antrag der Klägerin; diese erhielt für die Zeit von November 1993 bis Dezember 1994 eine Studienbeihilfe für den Grundbedarf. Mit Bescheid vom 2. Oktober 1994 wurde der Antrag der Klägerin nachträglich zurückgewiesen; zudem sollte sie die erhaltenen Beträge zurückzahlen. Ein hiergegen eingelegter Einspruch wurde mit Beschluß der Beklagten vom 12. Januar 1995 zurückgewiesen.

10 Hierauf hat die Klägerin vor der Commissie van Beroep Studiefinanciering Klage erhoben. Vor diesem Gericht hat sie geltend gemacht, daß das Recht auf Studienfinanzierung nicht davon abhängen dürfe, daß das Kind in dem Mitgliedstaat wohne oder sich aufhalte, in dem seine Eltern einer Beschäftigung nachgingen, und ebensowenig an die Staatsangehörigkeit geknüpft werden dürfe. Zur Verteidigung hat die Beklagte vorgetragen, daß die Eltern der Klägerin nicht als Wanderarbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 EG-Vertrag betrachtet werden dürften, da sie nicht in den Niederlanden wohnten. Als Wanderarbeitnehmer könne nur ein Arbeitnehmer bezeichnet werden, der seinen Wohnsitz im Aufnahmeland genommen habe. Bei Grenzarbeitnehmern, auf die die Präambel der Verordnung Nr. 1612/68 Bezug nehme, handele es sich um Personen, die in unmittelbarer Nähe einer Grenze beschäftigt seien.

11 Das vorlegende Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a) Steht es der Anerkennung als Wanderarbeitnehmerin im Sinne des Artikels 48 EG-Vertrag und der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 entgegen, daß die Mutter der Klägerin im vorliegenden Fall bei der Gesellschaft beschäftigt ist, deren Geschäftsführer und einziger Anteilseigner ihr Ehemann ist?

Falls die Frage 1 a) verneint wird:

b) In seinem Urteil vom 26. Februar 1992 in der Rechtssache C-3/90 (Bernini, Slg. 1992, I-1071) hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß eine Studienfinanzierung, die ein Mitgliedstaat den Kindern von Arbeitnehmern gewährt, für einen Wanderarbeitnehmer eine soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 darstellt, wenn der Arbeitnehmer weiter für den Unterhalt des Kindes aufkommt. In einem solchen Fall kann sich das Kind auf Artikel 7 Absatz 2 berufen, um eine Studienfinanzierung unter denselben Voraussetzungen wie die Kinder inländischer Arbeitnehmer zu erhalten, ohne daß für dieses Kind ein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden dürfte.

Gilt diese Regel unverändert auch dann, wenn der Wanderarbeitnehmer als Grenzarbeitnehmer anzusehen ist?

c) Gilt der Rechtsgrundsatz aus dem Urteil Bernini, wie er in der vorstehend angeführten Frage wiedergegeben ist, auch dann, wenn das Kind eines Wanderarbeitnehmers wie im vorliegenden Fall nie in den Niederlanden gewohnt hat?

2. Ist Artikel 52 EG-Vertrag dahin auszulegen, daß die Garantie, wie sie sich aus dem in Frage 1 b) wiedergegebenen Rechtsgrundsatz aus dem Urteil Bernini ergibt, auch für das Kind eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats gilt, der in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt?

Inwieweit ist dabei zugleich von Bedeutung, daß das Kind nie in den Niederlanden gewohnt hat und daß der Elternteil nicht in dem Land wohnt, in dem die selbständige Erwerbstätigkeit ausgeuebt wird?

Zu Frage 1 Buchstabe a

12 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es der Anerkennung als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 EG-Vertrag und der Verordnung Nr. 1612/68 entgegensteht, daß jemand mit dem Geschäftsführer und einzigen Anteilseigner der Gesellschaft verheiratet ist, für die er tätig ist.

13 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist der Begriff des Arbeitnehmers ein Begriff des Gemeinschaftsrechts, der nicht eng auszulegen ist. Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten ausser Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, daß sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach dieser Rechtsprechung darin, daß jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. insbesondere Urteile vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache 66/85, Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Randnrn. 16 und 17, und vom 12. Mai 1998 in der Rechtssache C-85/96, Martínez Sala, Slg. 1998, I-2691, Randnr. 32).

14 Daß jemand mit dem Geschäftsführer und einzigen Anteilseigner der Gesellschaft verheiratet ist, ändert daran zunächst nichts.

15 Der Gerichtshof hat zwar in seinem Urteil vom 27. Juni 1996 in der Rechtssache C-107/94 (Asscher, Slg. 1996, I-3089, Randnr. 26) entschieden, daß der Geschäftsführer einer Gesellschaft, deren einziger Gesellschafter er ist, seine Tätigkeit nicht im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses ausübt, so daß er nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 EG-Vertrag anzusehen ist. Doch lässt sich dieses Ergebnis nicht ohne weiteres auf den Ehegatten übertragen. Denn die personenrechtlichen und vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Ehegatten, die sich aus der Ehe ergeben, schließen im Rahmen der Unternehmensorganisation das Bestehen eines Unterordnungsverhältnisses, wie es für ein Arbeitsverhältnis typisch ist, nicht aus.

16 Ob ein solches Unterordnungsverhältnis besteht, muß das nationale Gericht feststellen.

17 Auf die Frage 1 Buchstabe a ist daher zu antworten, daß der Anerkennung als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 EG-Vertrag und der Verordnung Nr. 1612/68 nicht entgegensteht, daß jemand mit dem Geschäftsführer und einzigen Anteilseigner einer Gesellschaft verheiratet ist, für die er eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, sofern dies im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses erfolgt.

Zu Frage 1 Buchstaben b und c

18 Mit diesen Fragen, die zusammen untersucht werden sollen, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Kind, für das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats unterhaltspflichtig ist, der - unter Beibehaltung seines Wohnsitzes in dem Staat, dessen Staatsangehöriger er ist, - in einem anderen Mitgliedstaat eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt, sich auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen kann, um eine Studienfinanzierung unter denselben Voraussetzungen wie die Kinder von Staatsangehörigen des Staates der Beschäftigung zu erhalten, ohne daß für dieses Kind ein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden dürfte.

19 Aus dem Urteil Bernini (Randnr. 25) ergibt sich, daß eine Studienfinanzierung, die ein Mitgliedstaat den Kindern von Arbeitnehmern gewährt, für einen Wanderarbeitnehmer eine soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 darstellt, wenn letzterer weiter für den Unterhalt des Kindes aufkommt.

20 Die niederländische Regierung und die Bundesregierung tragen vor, daß dieser Grundsatz nicht auf den Grenzarbeitnehmer erstreckt werden könne. Die in Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 vorgesehene Gleichbehandlung sei der fünften Begründungserwägung zufolge nur darauf gerichtet, die Mobilität der Arbeitnehmer und die Integration des Wanderarbeitnehmers und seiner Familie im Aufnahmeland zu erleichtern. Müsste das Aufnahmeland dem Kind eines Arbeitnehmers, der mit seiner Familie in einem anderen Mitgliedstaat wohne, ein Studium im Ausland finanzieren, so ginge das über den Zweck der Regelung hinaus. Ein Wohnorterfordernis, wie es in den hier einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften aufgestellt werde, sei deshalb objektiv gerechtfertigt und stehe in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der Verordnung Nr. 1612/68 verfolgten Ziel.

21 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 27. November 1997 in der Rechtssache C-57/96 (Meints, Slg. 1997, I-6689, Randnr. 50) entschieden hat, steht diese Auffassung im Widerspruch zum Wortlaut der Verordnung Nr. 1612/68. In deren vierter Begründungserwägung wird nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Recht auf Freizuegigkeit "gleichermassen Dauerarbeitnehmern, Saisonarbeitern, Grenzarbeitnehmern oder Arbeitnehmern zu[steht], die ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Dienstleistung ausüben". Ferner wird in Artikel 7 ohne Einschränkung auf den "Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist", Bezug genommen. Der Gerichtshof hat im Urteil Meints daraus gefolgert und für Recht erkannt, daß ein Mitgliedstaat die Gewährung einer sozialen Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 nicht davon abhängig machen kann, daß der Begünstigte seinen Wohnsitz in diesem Staat hat.

22 Ausserdem bezweckt der in Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz nach ständiger Rechtsprechung ebenfalls, die Diskriminierung von Kindern, denen der Arbeitnehmer Unterhalt gewährt, zu verhindern (vgl. Urteil vom 20. Juni 1985 in der Rechtssache 94/84, Deak, Slg. 1985, 1873, Randnr. 22). Diese können sich daher auf Artikel 7 Absatz 2 berufen, um eine Studienfinanzierung unter den Voraussetzungen zu erhalten, die für die Kinder von inländischen Arbeitnehmern gelten (Urteil Bernini, Randnr. 28).

23 Wenn also nationales Recht wie im vorliegenden Fall die Studienfinanzierung bei Kindern von Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten, nicht aber bei Kindern inländischer Arbeitnehmer vom Wohnort abhängig macht, werden die ersteren diskriminiert.

24 Insbesondere würden durch ein solches Wohnorterfordernis die Grenzarbeitnehmer benachteiligt, die ihren Wohnsitz definitionsgemäß in einem anderen Mitgliedstaat haben, wo im allgemeinen auch ihre Familienmitglieder wohnen.

25 Nach alledem ist auf die gestellten Fragen zu antworten, daß das Kind, für das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats unterhaltspflichtig ist, der - unter Beibehaltung seines Wohnsitzes in dem Staat, dessen Staatsangehöriger er ist - in einem anderen Mitgliedstaat eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt, sich auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen kann, um eine Studienfinanzierung unter denselben Voraussetzungen wie die Kinder von Staatsangehörigen des Staates der Beschäftigung zu erhalten, ohne daß für dieses Kind ein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden dürfte.

Zu Frage 2

26 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Kind, für das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats unterhaltspflichtig ist, der - unter Beibehaltung seines Wohnsitzes in dem Staat, dessen Staatsangehöriger er ist, - in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, Anspruch auf eine Studienfinanzierung unter denselben Voraussetzungen wie die Kinder von Staatsangehörigen des Niederlassungsstaats hat, ohne daß für dieses Kind ein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden dürfte.

27 Artikel 52 EG-Vertrag soll gewährleisten, daß Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Tätigkeit ausüben wollen, wie Inländer behandelt werden; er verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, die den Zugang zu einer solchen Tätigkeit oder ihre Ausübung behindert. Wie der Gerichtshof im Urteil vom 10. März 1993 in der Rechtssache C-111/91 (Kommission/Luxemburg, Slg. 1993, I-817, Randnr. 17) entschieden hat, bezieht sich dieses Verbot nicht nur auf besondere Vorschriften über die Ausübung beruflicher Tätigkeiten, sondern gilt auch - wie sich dem Allgemeinen Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit (ABl. 1962, Nr. 2, S. 36) entnehmen lässt - für jede Beeinträchtigung der Ausübung selbständiger Tätigkeiten durch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die in einer unterschiedlichen Behandlung der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gegenüber Inländern besteht, wenn dies in einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift eines Mitgliedstaats vorgesehen ist oder sich aus der Anwendung einer solchen Vorschrift oder aus Verwaltungspraktiken ergibt.

28 Dieses Verbot steht daher einem Wohnorterfordernis für die Gewährung einer sozialen Vergünstigung entgegen, das eine Diskriminierung bewirkt (Urteil Kommission/Luxemburg, Randnr. 18).

29 Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz bezweckt ebenfalls, die Diskriminierung von Kindern, denen der Selbständige Unterhalt gewährt, zu verhindern. Er steht damit einem Wohnorterfordernis, wie es im einschlägigen nationalen Recht vorgesehen ist, entgegen, das - wie unter Randnummer 23 festgestellt - diskriminierend ist.

30 Nach alledem ist auf die Frage 2 zu antworten, daß das Kind, für das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats unterhaltspflichtig ist, der - unter Beibehaltung seines Wohnsitzes in dem Staat, dessen Staatsangehöriger er ist - in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, Anspruch auf eine Studienfinanzierung unter denselben Voraussetzungen wie die Kinder von Staatsangehörigen des Niederlassungsstaats hat, ohne daß für dieses Kind ein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden dürfte.

Kostenentscheidung:

Kosten

31 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Bundesregierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm von der Commissie van Beroep Studiefinanciering mit Beschluß vom 26. September 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Es steht der Anerkennung als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) und der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nicht entgegen, daß jemand mit dem Geschäftsführer und einzigen Anteilseigner einer Gesellschaft verheiratet ist, für die er eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, sofern dies im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses erfolgt.

2. Das Kind, für das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats unterhaltspflichtig ist, der - unter Beibehaltung seines Wohnsitzes in dem Staat, dessen Staatsangehöriger er ist - in einem anderen Mitgliedstaat eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt, kann sich auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen, um eine Studienfinanzierung unter denselben Voraussetzungen wie die Kinder von Staatsangehörigen des Staates der Beschäftigung zu erhalten, ohne daß für dieses Kind ein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden dürfte.

3. Das Kind, für das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats unterhaltspflichtig ist, der - unter Beibehaltung seines Wohnsitzes in dem Staat, dessen Staatsangehöriger er ist - in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, hat unter denselben Voraussetzungen wie die Kinder von Staatsangehörigen des Niederlassungsstaats Anspruch auf eine Studienfinanzierung, ohne daß für dieses Kind ein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden dürfte.

Ende der Entscheidung

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