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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.10.1990
Aktenzeichen: C-34/89
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 1562/78/EWG, VO Nr. 2753/78/EWG, VO Nr. 729/70/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 173
VO Nr. 1562/78/EWG Art. 5
VO Nr. 2753/78/EWG Art. 12
VO Nr. 729/70/EWG Art. 8
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Frage, ob finanzielle Belastungen, die dadurch entstehen, daß im Rahmen der Verwaltung des EAGFL aufgrund von Unregelmässigkeiten ausgezahlte Beträge nicht vollständig wiedereingezogen worden sind, von dem betroffenen Mitgliedstaat getragen werden müssen, weil Versäumnisse vorliegen, die ihm in Sinne von Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 729/70 anzulasten sind, ist im Lichte des Gemeinschaftsrechts und der Anforderungen zu beurteilen, die dieses sowohl den Mitgliedstaaten als auch der Kommission auferlegt.

Zu diesen Anforderungen gehört die den Mitgliedstaaten durch Artikel 5 EWG-Vertrag auferlegte allgemeine Sorgfaltspflicht, wie sie in Artikel 8 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 729/70 über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik konkretisiert wird. Diese Verpflichtung bedeutet, daß die Mitgliedstaaten die zur raschen Behebung von Unregelmässigkeiten bestimmten Maßnahmen ergreifen müssen. Nach einiger Zeit besteht nämlich die Gefahr, daß die Wiedereinziehung zuviel gezahlter Beträge aufgrund bestimmter Umstände wie etwa der Einstellung der Tätigkeit oder des Verlustes von Buchungsunterlagen schwierig oder unmöglich wird.

Hierzu gehört ferner die Eindeutigkeit und Vorhersehbarkeit der finanziellen Beziehungen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten. Demnach muß die Kommission, wenn sie finanzielle Folgen an die Säumnis oder Untätigkeiten nationaler Behörden bei der Ausführung ihrer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen wie derjenigen aus Artikel 8 der Verordnung Nr. 729/70 knüpfen will, diesen eindeutig angeben, was sie ihnen zur Last legt, und darf aus ihrem Fehlverhalten erst nach Ablauf einer angemessenen Frist finanzielle Konsequenzen ziehen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 11. OKTOBER 1990. - ITALIENISCHE REPUBLIK GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - LANDWIRTSCHAFT - EAGFL-RECHNUNGSABSCHLUSS - HAUSHALTSJAHR 1986 - WIEDEREINZIEHUNG ZU UNRECHT GEZAHLTER BEIHILFEN. - RECHTSSACHE C-34/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Italienische Republik hat mit Klageschrift, die am 9. Februar 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag Klage erhoben auf teilweise Aufhebung der Entscheidung 88/630/EWG der Kommission vom 29. November 1988 über den Rechnungsabschluß der Mitgliedstaaten für die vom Europäischen Ausrichtungs - und Garantiefonds für die Landwirtschaft ( EAGFL ), Abteilung Garantie, im Haushaltsjahr 1986 finanzierten Ausgaben ( ABl. L 353, S. 30 ), soweit durch diese Entscheidung die Übernahme eines Betrags von 10 410 055 894 LIT zu Lasten des EAGFL ausgeschlossen wird, den die italienischen Behörden von 1978 bis 1984 an eine Anzahl Olivenölerzeuger in Form von Vorschüssen auf die Erzeugungsbeihilfe gezahlt haben.

2 Mit der Klage wurde zunächst die Aufhebung dieser Entscheidung insoweit begehrt, als mit ihr auch die Übernahme verschiedener Ausgleichszahlungen in Höhe von 54 186 548 420 LIT an Erzeugerorganisationen auf dem Obst - und Gemüsesektor durch den EAGFL ausgeschlossen wurde. Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 1989 hat die italienische Regierung die Rücknahme dieses die Ausgleichszahlungen betreffenden Klageantrags mitgeteilt.

3 Die Verordnung Nr. 136/66/EWG des Rates vom 22. September 1966 über die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Fette ( ABl. Nr. 172, S. 3025 ) in der durch die Verordnung ( EWG ) Nr. 1562/78 des Rates vom 29. Juni 1978 ( ABl. L 185, S. 1 ) geänderten Fassung enthält eine Regelung der Erzeugungs - und Verbrauchsbeihilfen für Olivenöl in der Gemeinschaft. Nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 1562/78 wird die Erzeugungsbeihilfe jährlich vor dem 1. August für das im folgenden Jahr beginnende Wirtschaftsjahr festgesetzt. Artikel 12 der Verordnung ( EWG ) Nr. 2753/78 des Rates vom 23. November 1978 über die allgemeinen Durchführungsvorschriften für die Erzeugungsbeihilfe für Olivenöl für das Wirtschaftsjahr 1978/79 ( ABl. L 331, S. 10 ) ermächtigt die Mitgliedstaaten, den Erzeugerorganisationen einen Vorschuß von höchstens 70 % des beantragten Beihilfebetrags zu zahlen. Vergleichbare Bestimmungen sind in den Verordnungen für die Wirtschaftsjahre 1979/80, 1980/81, 1981/82, 1982/83 und 1983/84 vorgesehen.

4 Die italienische Interventionsstelle AIMA zahlte nach diesen Bestimmungen Vorschüsse auf die Erzeugungsbeihilfe für Olivenöl für die Wirtschaftsjahre 1978/79 bis 1983/84. Es stellte sich heraus, daß die Vorschüsse für diese Wirtschaftsjahre wegen der Herabsetzung der beihilfefähigen Ölmengen höher als die tatsächlich geschuldeten Beihilfen waren. Artikel 8 der Verordnung ( EWG ) Nr. 729/70 des Rates vom 21. April 1970 über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik ( ABl. L 94, S. 13 ) verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Wiedereinziehung des Unterschiedsbetrags zwischen dem Vorschuß und der tatsächlich geschuldeten Beihilfe. Die ersten beiden Absätze dieses Artikels lauten wie folgt :

"1.Die Mitgliedstaaten treffen gemäß den einzelstaatlichen Rechts - und Verwaltungsvorschriften die erforderlichen Maßnahmen, um

- sich zu vergewissern, daß die durch den Fonds finanzierten Maßnahmen tatsächlich und ordnungsgemäß durchgeführt worden sind,

- Unregelmässigkeiten zu verhindern und zu verfolgen,

- die infolge von Unregelmässigkeiten oder Versäumnissen abgeflossenen Beträge wiedereinzuziehen.

Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen, insbesondere den Stand der Verwaltungs - und Gerichtsverfahren, mit.

2.Erfolgt keine vollständige Wiedereinziehung, so trägt die Gemeinschaft die finanziellen Folgen der Unregelmässigkeiten oder Versäumnisse; dies gilt nicht für Unregelmässigkeiten oder Versäumnisse, die den Verwaltungen oder Einrichtungen der Mitgliedstaaten anzulasten sind."

5 Anläßlich von Kontrollen bei der AIMA im Jahr 1985 stellten die Dienststellen der Kommission fest, daß die Buchführung in bezug auf die zuviel gezahlten Beihilfebeträge und deren Wiedereinziehung unzulänglich waren. Die Kommission unterrichtete die italienischen Behörden hiervon mit Fernschreiben vom 29. Juli 1986 und forderte sie auf, ihr dringend Auskünfte darüber zu erteilen. Die italienischen Behörden teilten der Kommission daraufhin am 28. Juni 1988 mit, daß Schreiben zur Wiedereinziehung der zuviel gezahlten Vorschüsse an die Beihilfeempfänger bereits versandt worden seien oder gerade versandt würden. Inzwischen hatte die Kommission jedoch ihren Zusammenfassenden Bericht vom 15. Juni 1988 für das Haushaltsjahr 1986 vorgelegt und darin vorgeschlagen, die wiedereinzuziehenden Beträge von der Übernahme durch den EAGFL mit der Begründung auszuschließen, daß die Verzögerungen bei den Wiedereinziehungsverfahren nicht hinnehmbar seien. Die Haltung der Kommission führte schließlich zum Erlaß der streitigen Entscheidung vom 29. November 1988.

6 Wegen weiterer Einzelheiten des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Die italienische Regierung macht geltend, die nationalen Behörden seien gemeinschaftsrechtlich nicht verpflichtet, Verfahren zur Wiedereinziehung zuviel gezahlter Beträge in einer kürzeren als der nach den geltenden nationalen Vorschriften üblichen Verjährungsfrist einzuleiten, die im vorliegenden Fall zehn Jahre betrage. Diese Frist sei nicht abgelaufen gewesen, als die Schreiben zur Wiedereinziehung Ende Juni 1988 versandt worden seien.

8 Die Kommission vertritt hingegen die Ansicht, daß Verzögerungen von vier bis zehn Jahren bei der Einleitung der Verfahren zur Wiedereinziehung der für die Wirtschaftsjahre 1978/79 bis 1983/84 zuviel gezahlten Beträge ein Versäumnis im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 729/70 darstellten, dessen finanzielle Folgen der Staat tragen müsse.

9 Hierzu ist festzustellen, daß Artikel 8 der Verordnung Nr. 729/70 in seinen ersten beiden Absätzen zwischen zwei Arten von Beziehungen unterscheidet. Die erste, die das Verhältnis zwischen den Interventionsstellen und den Wirtschaftsteilnehmern betrifft, wird nach Absatz 1 Satz 1 dieses Artikels durch das nationale Recht in den Grenzen geregelt, die die Beachtung des Gemeinschaftsrechts zieht ( siehe insbesondere Urteil vom 21. September 1983 in den verbundenen Rechtssachen 205/82 bis 215/82, Deutsche Milchkontor/Deutschland, Slg. 1983, 2633 ).

10 Die zweite Art von Beziehungen, um die es im vorliegenden Fall geht, steht im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission. Dieses Verhältnis betrifft nicht die Gewährung von Beihilfen oder die Wiedereinziehung zuviel gezahlter Vorschüsse als solche, sondern die Frage, ob der betreffende Mitgliedstaat oder die Gemeinschaft die damit verbundene finanzielle Belastung tragen muß. Die Antwort auf diese Frage, die unmittelbare Folgen für den Gemeinschaftshaushalt hat, kann nicht von dem je nach Mitgliedstaat unterschiedlichen nationalen Recht abhängen, sondern muß sich nach dem Gemeinschaftsrecht bestimmen. Es liefe nämlich dem einheitlichen Charakter der gemeinsamen Agrarpolitik und dem Gemeinschaftshaushalt zuwider, wenn die Mitgliedstaaten die finanziellen Folgen dieser Politik je nach ihren nationalen Vorschriften einschließlich derjenigen über die Fristen unterschiedlich gestalten könnten.

11 Somit ist die Haftung für Unregelmässigkeiten im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 729/70 im Rahmen der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission nach dem Gemeinschaftsrecht festzulegen. Das Gemeinschaftsrecht stellt in bezug auf Regelungen, die finanzielle Folgen nach sich ziehen können, mehrere Anforderungen an die Mitgliedstaaten und an die Kommission.

12 Die Mitgliedstaaten müssen erstens die allgemeine Sorgfaltspflicht gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag beachten, wie sie in Artikel 8 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 729/70 in bezug auf die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik konkretisiert wird. Diese Verpflichtung bedeutet, daß die Mitgliedstaaten die zur raschen Behebung von Unregelmässigkeiten bestimmten Maßnahmen ergreifen müssen. Nach einiger Zeit besteht nämlich die Gefahr, daß die Wiedereinziehung zuviel gezahlter Beträge aufgrund bestimmter Umstände wie etwa der Einstellung der Tätigkeit oder des Verlustes von Buchungsunterlagen schwierig oder unmöglich wird. Der Gerichtshof hat sich bereits in anderem Zusammenhang in diesem Sinne geäussert ( siehe Urteil vom 25. November 1987 in der Rechtssache 343/85, Italien/Kommission, Slg. 1987, 4711 ).

13 Diese Umstände liegen insbesondere dann vor, wenn ein Mitgliedstaat, wie im vorliegenden Fall, vier bis zehn Jahre abwartet, bevor er die Verfahren zur Wiedereinziehung zuviel gezahlter Beträge einleitet. Es erweist sich somit, daß die italienischen Behörden nicht mit der notwendigen Sorgfalt gehandelt haben.

14 Die Eindeutigkeit und Vorhersehbarkeit der finanziellen Beziehungen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten stellt nach ständiger Rechtsprechung ( siehe zuletzt Urteil vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-10/88, Italien/Kommission, Slg. 1990, I-1229 ) ein zweites Erfordernis dar. Will die Kommission finanzielle Folgen an die Säumnis oder Untätigkeit nationaler Behörden bei der Ausführung ihrer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen wie derjenigen aus Artikel 8 der Verordnung Nr. 729/70 knüpfen, so muß sie ihnen aus Gründen der Eindeutigkeit und Vorhersehbarkeit der finanziellen Beziehungen eindeutig angeben, was sie ihnen zur Last legt, und darf aus ihrem Fehlverhalten erst nach Ablauf einer angemessenen Frist finanzielle Konsequenzen ziehen.

15 Im vorliegenden Fall kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, sie habe gegen diese Grundsätze einer ordnungsgemässen Verwaltung verstossen. Aus den Akten geht nämlich hervor, daß die Dienststellen der Kommission bereits anläßlich der Kontrollen bei der AIMA 1985 Verzögerungen der Verfahren zur Wiedereinziehung festgestellt haben und daß die Kommission schon vor Abfassung des Zusammenfassenden Berichts die italienischen Behörden mit Schreiben vom 15. April 1988 von ihrer Absicht in Kenntnis gesetzt hat, den streitigen Betrag von 10 410 055 894 LIT von der Übernahme durch den EAGFL auszuschließen.

16 Schließlich ist zu bemerken, daß die italienischen Behörden wissen mussten, daß ihre Säumnis finanzielle Auswirkungen haben konnte.

17 Nach alledem ist das Vorbringen der Italienischen Republik nicht begründet, so daß die Klage abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik mit ihrem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme derjenigen aufzuerlegen, die auf den im Laufe des Verfahrens zurückgenommenen Klageantrag entfallen, hinsichtlich dessen die Parteien übereingekommen sind, jeweils ihre eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen.

2 ) Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme derjenigen Kosten, die auf den im Laufe des Verfahrens zurückgenommenen Klageantrag entfallen.

Ende der Entscheidung

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