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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.01.1991
Aktenzeichen: C-341/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31.03.1984


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31.03.1984 Art. 12 c
Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31.03.1984 Art. 12 d
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Erzeugereigenschaft im Sinne von Artikel 12 Buchstabe c der Verordnung Nr. 857/84 über Grundregeln für die Anwendung der zusätzlichen Abgabe für Milch kommt jeder Person zu, die einen landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet und die Milch oder Milcherzeugnisse verkauft oder liefert, ohne daß diese Person Eigentümer der Anlagen zu sein braucht, die sie für ihre Produktion nutzt. Der Begriff "Erzeuger" kann demnach nicht dahin ausgelegt werden, daß er die Gruppe der Pächter landwirtschaftlicher Betriebe ausschließt. Artikel 12 Buchstaben c und d ist deshalb dahin auszulegen, daß einem Landwirt die Milchproduktion, die er in gepachteten Anlagen erzielt, auf seine eigene Referenzmenge anzurechnen ist, wenn er die Produktionseinheiten, zu deren Bewirtschaftung er bestimmte Anlagen gepachtet hat, selbständig betreibt und eine klare Trennung der vom Pächter und vom Verpächter - falls dieser gleichfalls Erzeuger ist - jeweils ermolkenen Milchmengen gewährleistet ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 15. JANUAR 1991. - HEINRICH BALLMANN GEGEN HAUPTZOLLAMT OSNABRUECK UND BERTHOLD MENKHAUS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESFINANZHOF - DEUTSCHLAND. - ZUSAETZLICHE ABGABE FUER MILCH. - RECHTSSACHE C-341/89.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 26. September 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 3. November 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 12 Buchstaben c und d der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 90, S. 13) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Milcherzeuger Heinrich Ballmann und dem Hauptzollamt Osnabrück. Der Kläger bewirtschaftet einen Bauernhof mit 60 Kuhstellplätzen, von denen sich 20 in einem neuerrichteten Stall befinden. Aufgrund der einschlägigen Gemeinschaftsregelung über die zusätzliche Abgabe für Milch wurde ihm eine von der Abgabe befreite Referenzmenge zugewiesen, die etwa der Milchproduktion von 40 Kühen entspricht.

3 Mit einem am 15. Juni 1987 geschlossenen Vertrag verpachtete der Kläger die 20 Stellplätze in dem neuen Stall an den beigeladenen Berthold Menkhaus, der ebenfalls Milcherzeuger ist. Der Beigeladene verfügt seinerseits über eine Referenzmenge, die etwa der Milchproduktion von 20 Kühen entspricht; diese Menge war ihm auf der Grundlage der in seinem eigenen Betrieb ermolkenen Milch zugewiesen worden.

4 Es ist darauf hinzuweisen, daß der Pachtvertrag unter anderem vorsieht, daß der Kläger und der Beigeladene jeweils ihre Kühe getrennt versorgen, melken, besamen und tierärztlich behandeln lassen. Die erzeugte Milch wird in zwei getrennten Tanks gelagert. Neben der allgemeinen Stalltechnik wird lediglich noch der Melkstand gemeinsam genutzt. Die von den beiden Landwirten jeweils ermolkene Milchmenge wird durch elektronische Messung festgestellt.

5 Im Hinblick auf diesen Pachtvertrag teilte die zuständige Verwaltungsbehörde mit, der Beigeladene könne nicht als Milcherzeuger im Sinne der fraglichen Gemeinschaftsregelung angesehen werden; die von ihm in dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers ermolkene Milch müsse daher auf dessen Referenzmenge angerechnet werden. Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger Klage beim Finanzgericht.

6 Nachdem diese Klage mit der Begründung abgewiesen worden war, der Pächter könne seine Referenzmenge nicht im Rahmen des Betriebs des Verpächters in Anspruch nehmen, legte der Kläger beim Bundesfinanzhof Revision ein. Der Bundesfinanzhof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Artikel 12 Buchstaben c und d der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 oder eine andere Vorschrift der gemeinschaftlichen Milchgarantiemengenregelung dahin auszulegen, daß eine Milchmenge einem Landwirt auf die ihm in der Bundesrepublik zugeteilte Referenzmenge anzurechnen ist, die unter seiner Leitung von seinen auf gepachteten Stellplätzen eingestellten Kühen ermolken worden ist? Oder ist die auf solche Weise gewonnene Milchmenge der Referenzmenge des verpachtenden und selbst milcherzeugenden Landwirts zuzurechnen?

Kommt es für die Beantwortung dieser Fragen auf die Einzelheiten des Pachtvertrags und/oder der tatsächlichen Verhältnisse an und gegebenenfalls auf welche?

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der fraglichen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Die gemeinsam zu prüfenden Vorlagefragen gehen dahin, ob Artikel 12 Buchstaben c und d der Verordnung Nr. 857/84 in dem Sinn auszulegen ist, daß einem Landwirt die Milchproduktion, die er in gepachteten Produktionseinheiten erzielt, auf seine eigene Referenzmenge anzurechnen ist, oder ob er im Gegenteil bestimmt, daß diese Produktion auf die Referenzmenge des Verpächters angerechnet werden muß.

9 Vorab ist daran zu erinnern, daß sich aus dem allgemeinen Sinn und Zweck der Regelung über die zusätzliche Abgabe für Milch ergibt, daß einem Landwirt eine Referenzmenge nur eingeräumt werden kann, wenn er Erzeugereigenschaft hat. Um eine sachdienliche Antwort auf die gestellten Fragen geben zu können, ist demnach vom Begriff des Erzeugers im Sinne der fraglichen Regelung auszugehen.

10 Dieser Begriff ist in Artikel 12 Buchstabe c der Verordnung Nr. 857/84 definiert. Nach dieser Vorschrift ist Erzeuger

"der landwirtschaftliche Betriebsleiter als natürliche oder juristische Person oder als Vereinigung natürlicher oder juristischer Personen, dessen Unternehmen im geographischen Gebiet der Gemeinschaft liegt und der

- Milch oder andere Milcherzeugnisse unmittelbar an den Verbraucher verkauft und/oder

- an den Käufer liefert".

11 Die Definition des "Erzeugers" muß im Zusammenhang mit derjenigen des "Betriebs" gesehen werden; diesen bildet gemäß Artikel 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84

"die im geographischen Gebiet der Gemeinschaft gelegene Gesamtheit der vom Erzeuger bewirtschafteten Produktionseinheiten".

12 Aus diesen Definitionen ergibt sich, daß die Erzeugereigenschaft jeder Person zukommt, die einen Betrieb, also eine im geographischen Gebiet der Gemeinschaft gelegene Gesamtheit von Produktionseinheiten, bewirtschaftet und die Milch oder Milcherzeugnisse verkauft oder liefert, ohne daß diese Person Eigentümer der Anlagen zu sein braucht, die sie für ihre Produktion nutzt. Der Begriff "Erzeuger" kann demnach nicht dahin ausgelegt werden, daß er die Gruppe der Pächter landwirtschaftlicher Betriebe ausschließt.

13 Für diese Auslegung spricht auch Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84, der unter anderem bestimmt, daß im Falle der Verpachtung eines Betriebs die entsprechende Referenzmenge auf den Pächter übertragen wird. Dies bedeutet, daß der Inhaber eines Nutzungsrechts an dem Betrieb ebenso wie der Eigentümer eines solchen Betriebs Inhaber einer Referenzmenge im Sinne der Regelung über die Zusatzabgabe sein kann.

14 Folglich ist die Menge an Milch oder Milcherzeugnissen, die von einem Pächter verkauft oder geliefert worden ist und die der von ihm in den gepachteten Anlagen ermolkenen Milchmenge entspricht, grundsätzlich auf die Referenzmenge des Pächters anzurechnen, unabhängig davon, ob der Verpächter ebenfalls Milcherzeuger ist und in dieser Eigenschaft über eine Referenzmenge verfügt.

15 Mit Rücksicht auf eine wirksame administrative Kontrolle der Anwendung der Regelung setzt die Anrechnung auf die Referenzmenge des Pächters jedoch voraus, daß dieser die Einheiten, für deren Bewirtschaftung er bestimmte Anlagen gepachtet hat, selbständig betreibt. In einer Lage, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben ist, wo der Pächter und der Verpächter bestimmte Anlagen gemeinsam nutzen, muß die Anrechnung auf die Referenzmenge des Pächters davon abhängig gemacht werden, daß die von ihm erzeugten Milchmengen eindeutig von den vom Verpächter erzeugten Milchmengen zu unterscheiden sind und daß sie insbesondere getrennt gelagert und abgeliefert werden.

16 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die Sachverhaltswürdigung vorzunehmen, die für die Entscheidung darüber erforderlich ist, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfuellt sind.

17 Aus diesen Gründen ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, daß Artikel 12 Buchstaben c und d der Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 dahin auszulegen ist, daß einem Landwirt die Milchproduktion, die er in gepachteten Anlagen erzielt, auf seine eigene Referenzmenge anzurechnen ist, wenn er die Produktionseinheiten, zu deren Bewirtschaftung er bestimmte Anlagen gepachtet hat, selbständig betreibt und eine klare Trennung der vom Pächter und vom Verpächter jeweils ermolkenen Milchmengen gewährleistet ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 26. September 1989 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 12 Buchstaben c und d der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse ist dahin auszulegen, daß einem Landwirt die Milchproduktion, die er in gepachteten Anlagen erzielt, auf seine eigene Referenzmenge anzurechnen ist, wenn er die Produktionseinheiten, zu deren Bewirtschaftung er bestimmte Anlagen gepachtet hat, selbständig betreibt und eine klare Trennung der vom Pächter und vom Verpächter jeweils ermolkenen Milchmengen gewährleistet ist.

Ende der Entscheidung

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