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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.02.1997
Aktenzeichen: C-344/95
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 68/360/EWG vom 15.10.1968


Vorschriften:

EGV Art. 48 Abs. 1
EGV Art. 48 Abs. 2
EGV Art. 48 Abs. 3
Richtlinie 68/360/EWG vom 15.10.1968 Art. 4
Richtlinie 68/360/EWG vom 15.10.1968 Art. 8 Abs. 1
Richtlinie 68/360/EWG vom 15.10.1968 Art. 8 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

4 Zu dem in Artikel 48 Absätze 1 bis 3 des Vertrages verankerten Grundsatz der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer, der weit auszulegen ist, gehört auch das Recht der Angehörigen der Mitgliedstaaten, sich in den anderen Mitgliedstaaten frei zu bewegen und sich dort aufzuhalten, um eine Stelle zu suchen.

Die praktische Wirksamkeit des Artikels 48 ist gewahrt, wenn der Zeitraum angemessen ist, den das Gemeinschaftsrecht oder in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung das Recht eines Mitgliedstaats dem Betroffenen einräumt, um im jeweiligen Mitgliedstaat von Stellenangeboten, die seinen beruflichen Qualifikationen entsprechen, Kenntnis nehmen und sich gegebenenfalls bewerben zu können.

Da das Gemeinschaftsrecht nicht regelt, wie lange sich Gemeinschaftsangehörige zur Stellensuche in einem Mitgliedstaat aufhalten dürfen, sind die Mitgliedstaaten berechtigt, hierfür einen angemessenen Zeitraum festzulegen. Erbringt der Betroffene jedoch nach Ablauf dieses Zeitraums den Nachweis, daß er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, so darf er vom Aufnahmemitgliedstaat nicht ausgewiesen werden.

Ein Mitgliedstaat verstösst daher gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 des Vertrages, wenn er Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die in seinem Hoheitsgebiet Arbeit suchen, verpflichtet, dieses automatisch nach Ablauf von drei Monaten zu verlassen.

5 Ein Mitgliedstaat verstösst gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 des Vertrages und aus der Richtlinie 68/360 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft, wenn er Arbeitnehmern, die für mindestens ein Jahr eingestellt worden sind, während der ersten sechs Monate ihres Aufenthalts nacheinander zwei Registrierungsbescheinigungen anstelle der in der Richtlinie vorgesehenen Aufenthaltserlaubnis erteilt und hierfür jeweils eine Gebühr erhebt, die der Ausstellungsgebühr von Personalausweisen für Inländer entspricht.

Die Mitgliedstaaten sind nämlich nach Artikel 4 der Richtlinie verpflichtet, die Aufenthaltserlaubnis jedem Arbeitnehmer zu erteilen, der durch geeignete Unterlagen - das Dokument, mit dem er in ihr Hoheitsgebiet eingereist ist, und eine Einstellungserklärung des Arbeitgebers oder eine Arbeitsbescheinigung - nachweist, daß er zu einer der in Artikel 1 dieser Richtlinie genannten Gruppen gehört. Eine solche Regelung betreffend die Registrierungsbescheinigung berücksichtigt nicht, ob der Arbeitnehmer eines anderen Mitgliedstaats bereits bei der Stellung des ersten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis alle nach der Richtlinie erforderlichen Unterlagen vorlegt. Da ferner sechs Monate bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vergehen können, sind diese Verfahrensgestaltungen und die Dauer des Verfahrens als zu aufwendig und daher als - im Widerspruch zu Artikel 48 des Vertrages stehendes - tatsächliches Hindernis für die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zu betrachten.

Im übrigen ergibt sich eindeutig aus Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie, daß die Erteilung und die Verlängerung der Aufenthaltsdokumente für die Gemeinschaftsangehörigen unentgeltlich oder gegen Entrichtung eines Betrages erfolgen müssen, der die Ausstellungsgebühr von Personalausweisen für Inländer nicht übersteigen darf. Das Verfahren der Registrierungsbescheinigungen ist so gestaltet, daß ein Gemeinschaftsangehöriger vor der Erteilung eines endgültigen Dokuments ein mehrstufiges Verwaltungsverfahren durchlaufen muß und auf jeder Stufe eine Gebühr von ihm erhoben wird. Zwar übersteigt jede Gebühr für sich betrachtet die Ausstellungsgebühr von Personalausweisen für Inländer nicht, doch ist der Gesamtbetrag höher als diese Gebühr, so daß ein Verstoß gegen Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie gegeben ist.

6 Ein Mitgliedstaat verstösst gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 des Vertrages und aus der Richtlinie 68/360 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft, wenn er Arbeitnehmern und Saisonarbeitnehmern, deren Tätigkeit voraussichtlich drei Monate nicht überschreiten wird, ein Aufenthaltsdokument erteilt und hierfür eine Gebühr erhebt.

Gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a dieser Richtlinie gewähren nämlich die Mitgliedstaaten Arbeitnehmern, die bis zur Dauer von voraussichtlich höchstens drei Monaten eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausüben, das Aufenthaltsrecht ohne Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis, da sich das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers insoweit aus dem Ausweis, mit dem er in das Hoheitsgebiet eingereist ist, und aus einer Erklärung des Arbeitgebers mit Angabe der vorgesehenen Beschäftigungszeit ergibt, und gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe c besteht für Saisonarbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht, wenn sie einen Arbeitsvertrag mit dem Vermerk der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats besitzen, in dessen Hoheitsgebiet sie sich begeben, um ihre Beschäftigung auszuüben. Aus Artikel 8 Absatz 1 ergibt sich daher, daß alles was über die Erklärung nach Artikel 8 Absatz 2 dieser Richtlinie hinausgeht, die die zuständigen Behörden des Aufnahmestaats von dem Arbeitnehmer zur Anzeige seiner Anwesenheit verlangen können, und den Charakter einer Aufenthaltserlaubnis oder -genehmigung hat, nicht mit der Richtlinie vereinbar ist. Zudem stellt die Erhebung einer Gebühr bei der Abgabe einer solchen Erklärung ein finanzielles Hindernis für die Freizuegigkeit dieser Arbeitnehmer dar und steht im Widerspruch zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 20. Februar 1997. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich Belgien. - Vertragsverletzung - Artikel 48 EG-Vertrag - Richtlinie 68/360/EWG. - Rechtssache C-344/95.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 30. Oktober 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 EG-Vertrag und aus der Richtlinie 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 13, im folgenden: Richtlinie) verstossen hat, daß es

- Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die in Belgien Arbeit suchen, verpflichtet, das Hoheitsgebiet nach Ablauf von drei Monaten zu verlassen,

- Arbeitnehmern, die für mindestens ein Jahr eingestellt worden sind, während der ersten sechs Monate ihres Aufenthalts anstelle der Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats nacheinander zwei Registrierungsbescheinigungen erteilt und für diese eine Gebühr erhebt,

- Arbeitnehmern und Saisonarbeitnehmern, deren Tätigkeit voraussichtlich drei Monate nicht überschreiten wird, ein Aufenthaltsdokument erteilt und hierfür eine Gebühr erhebt.

2 Der Aufenthalt von Gemeinschaftsangehörigen und ihren Familienangehörigen, die sich nach Belgien begeben, um dort eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben, wird durch das Gesetz vom 15. Dezember 1980 (in der Fassung des Gesetzes vom 6. Mai 1993, Moniteur belge vom 21. Mai 1993) geregelt, zu dessen Durchführung die Königliche Verordnung vom 8. Oktober 1981 über Einreise, Aufenthalt, Niederlassung und Ausweisung von Ausländern (Moniteur belge vom 27. Oktober 1981; im folgenden: Königliche Verordnung) erlassen wurde.

3 Artikel 45 dieser Königlichen Verordnung regelt das Verfahren für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für Angehörige der anderen Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, in Belgien mindestens ein Jahr lang eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit auszuüben. In Artikel 45 Absatz 1 heisst es:

"Ein EG-Ausländer, der nach Belgien einreist, um dort voraussichtlich mindestens ein Jahr lang eine Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit auszuüben, wird auf Vorlage der für seine Einreise erforderlichen Dokumente in das Fremdenregister eingetragen und erhält eine Registrierungsbescheinigung..., die für drei Monate ab dem Zeitpunkt ihrer Erteilung gilt.

Zum Zeitpunkt seiner Eintragung hat er einen Niederlassungsantrag zu stellen...

Innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Antrags hat der EG-Ausländer eine Arbeitgeberbescheinigung einzureichen..., sofern er eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübt oder auszuüben beabsichtigt, oder die für die Berufsausübung erforderlichen Dokumente, sofern er eine selbständige Tätigkeit ausübt oder auszuüben beabsichtigt. Gegebenenfalls überprüft die Kommunalverwaltung, ob der EG-Ausländer tatsächlich erwerbstätig ist. Sie fertigt einen Kontrollbericht und übermittelt dem für die Einreise, den Aufenthalt, die Niederlassung und die Ausweisung von Ausländern zuständigen Ministerium ein Exemplar dieses Berichts.

Werden die in Artikel 3 genannten Dokumente vor Ablauf der vorgesehenen Frist eingereicht, so verlängert die Kommunalverwaltung die Registrierungsbescheinigung um weitere drei Monate. Andernfalls händigt sie dem Ausländer ein Dokument aus... "

4 In Artikel 45 Absatz 2 der Königlichen Verordnung heisst es:

"Der Minister... oder sein Bevollmächtigter entscheidet innerhalb kürzester Frist, spätestens sechs Monate nach Stellung des Niederlassungsantrags, über die Erteilung oder Versagung der Niederlassungserlaubnis und erteilt der Kommunalverwaltung die erforderlichen Weisungen.

Erteilt der Minister... oder sein Bevollmächtigter die Niederlassungserlaubnis oder erhält die Kommunalverwaltung innerhalb von sechs Monaten keine Weisung, so trägt sie den EG-Ausländer in das Einwohnerverzeichnis ein und erteilt ihm die Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaften.

Versagt der Minister... oder sein Bevollmächtigter die Niederlassungserlaubnis, so kann er den Ausländer aus dem Hoheitsgebiet ausweisen. Dem Ausländer wird die Entscheidung mitgeteilt..."

5 Artikel 47 der Königlichen Verordnung regelt die Stellung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die in Belgien voraussichtlich höchstens drei Monate lang eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit auszuüben beabsichtigen, einschließlich der Saisonarbeitnehmer. In Artikel 47 heisst es:

"Ein EG-Ausländer, der nach Belgien einreist, um dort voraussichtlich höchstens drei Monate lang eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit auszuüben, oder ein Saisonarbeitnehmer aus einem EG-Land, der höchstens drei Monate lang beschäftigt wird, erhält von der Kommunalverwaltung auf Vorlage der für seine Einreise erforderlichen Dokumente und einer Einstellungserklärung des Arbeitgebers oder einer Arbeitsbescheinigung bzw. der für die Ausübung seines Berufes erforderlichen Dokumente ein Dokument..."

6 Gemäß Artikel 49 der Königlichen Verordnung gelten deren Artikel 45 bis 47 für Familienangehörige von Gemeinschaftsangehörigen.

7 Gemäß Artikel 2 des Gesetzes vom 14. März 1968 zur Aufhebung der Lois coordonnées vom 12. Oktober 1953 über die Aufenthaltsgebühren für Ausländer (Moniteur belge vom 5. April 1968) sind die Kommunalverwaltungen berechtigt, zur Deckung der mit der Ausstellung, Erneuerung, Ersetzung oder Verlängerung der Aufenthaltsdokumente verbundenen Kosten Gebühren zu erheben. Diese Vorschrift sieht ausdrücklich vor, daß diese Gebühren ebenso hoch sind wie die Ausstellungsgebühr von Personalausweisen für belgische Staatsangehörige.

8 Schließlich werden die Kommunalverwaltungen in einem Ministerialrunderlaß vom 24. April 1989 über die Gebühr für die Erteilung von Verwaltungsdokumenten für Ausländer (Moniteur belge vom 23. Mai 1989) auf das Verbot der Diskriminierung in diesem Bereich hingewiesen.

9 Die Kommission forderte die belgische Regierung mit Schreiben vom 3. August 1993 gemäß Artikel 169 des Vertrages auf, sich zur Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht zu äussern.

10 Da dieses Schreiben unbeantwortet blieb, übersandte die Kommission der belgischen Regierung am 4. August 1994 eine mit Gründen versehene Stellungnahme mit der Aufforderung, die notwendigen Maßnahmen zu erlassen, um dem Gemeinschaftsrecht binnen zwei Monaten nach Übermittlung des Schreibens nachzukommen.

11 In einer Mitteilung vom 12. August 1994 erkannte die belgische Regierung an, daß die für Arbeitsuchende geltende Regelung nicht mit den gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen vereinbar sei, und teilte mit, daß sie deren Änderung beabsichtige. Dagegen wies sie die zweite und die dritte Rüge der Kommission zunächst zurück. In zwei späteren Schreiben vom 9. September 1994 und vom 18. April 1995 erkannte sie jedoch an, daß die Regelung ebenfalls angepasst werden müsse. Da keine Maßnahme erlassen wurde, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

Zur ersten Rüge betreffend die Verpflichtung, das Hoheitsgebiet nach drei Monaten zu verlassen

12 Mit der ersten Rüge macht die Kommission geltend, mit der Regelung, daß ein Gemeinschaftsangehöriger, der drei Monate nach Stellung seines Niederlassungsantrags noch keine Stelle gefunden habe und bei der Kommunalverwaltung keine Arbeitsbescheinigung eingereicht habe, automatisch ausgewiesen werde, verstosse Artikel 45 der Königlichen Verordnung offensichtlich gegen Artikel 48 des Vertrages in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-292/89 (Antonissen, Slg. 1991, I-745).

13 Die belgische Regierung weist diese Rüge nicht zurück und führt aus, sie beabsichtige, die Königliche Verordnung dahin zu ändern, daß sie eine Verlängerung des Aufenthalts von Arbeitsuchenden unter den Voraussetzungen zulasse, die der Gerichtshof im Urteil Antonissen, a. a. O., aufgestellt habe.

14 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes gehört der in Artikel 48 Absätze 1 bis 3 des Vertrages verankerte Grundsatz der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zu den Grundlagen der Gemeinschaft; die einschlägigen Bestimmungen sind daher weit auszulegen (vgl. u. a. Urteil Antonissen, a. a. O., Randnr. 11).

15 Der Gerichtshof hat ferner im Urteil Antonissen, a. a. O., Randnr. 13, ausgeführt, daß zur Freizuegigkeit der Arbeitnehmer auch das Recht der Angehörigen der Mitgliedstaaten gehöre, sich in den anderen Mitgliedstaaten frei zu bewegen und sich dort aufzuhalten, um eine Stelle zu suchen.

16 Die praktische Wirksamkeit des Artikels 48 ist gewahrt, wenn der Zeitraum angemessen ist, den das Gemeinschaftsrecht oder in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung das Recht eines Mitgliedstaats dem Betroffenen einräumt, um im jeweiligen Mitgliedstaat von Stellenangeboten, die seinen beruflichen Qualifikationen entsprechen, Kenntnis nehmen und sich gegebenenfalls bewerben zu können (vgl. Urteil Antonissen, a. a. O., Randnr. 16).

17 Da das Gemeinschaftsrecht nicht regelt, wie lange sich Gemeinschaftsangehörige zur Stellensuche in einem Mitgliedstaat aufhalten dürfen, sind die Mitgliedstaaten berechtigt, hierfür einen angemessenen Zeitraum festzulegen. Erbringt der Betroffene jedoch nach Ablauf dieses Zeitraums den Nachweis, daß er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, so darf er vom Aufnahmemitgliedstaat nicht ausgewiesen werden (vgl. Urteil Antonissen, a. a. O., Randnr. 21).

18 Demnach genügt die Feststellung, daß die belgische Regelung das Gemeinschaftsrecht dadurch verletzt, daß sie arbeitsuchende Angehörige anderer Mitgliedstaaten verpflichtet, das Hoheitsgebiet automatisch nach Ablauf des festgelegten Zeitraums zu verlassen.

19 Die insoweit von der Kommission erhobene Rüge ist daher begründet.

Zur zweiten Rüge betreffend die Regelung der Registrierungsbescheinigung

20 Mit der zweiten Rüge macht die Kommission geltend, die Richtlinie sehe die Erteilung eines anderen Dokuments als der Aufenthaltserlaubnis nicht vor und die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats seien gemäß Artikel 4 dieser Richtlinie verpflichtet, einem Arbeitnehmer, der die nach dieser Vorschrift erforderlichen Unterlagen vorlege, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die Königliche Verordnung stehe daher im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht. Da ferner von einem Gemeinschaftsangehörigen bei der Erteilung und bei jeder Verlängerung der Registrierungsbescheinigung eine Gebühr verlangt werden könne, sei diese Regelung mit dem in Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie enthaltenen Diskriminierungsverbot im Gebührenbereich nicht vereinbar.

21 Die belgische Regierung macht erstens geltend, sie beabsichtige, die Königliche Verordnung dahin zu ändern, daß sie die Erteilung einer einzigen Registrierungsbescheinigung vorsehe; zweitens werde ein an die Gemeinden gerichteter Runderlaß ausgearbeitet, in dem erläutert werde, daß der Gesamtbetrag der in dem Verfahren für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erhobenen Gebühren und Abgaben die Ausstellungsgebühr für einen Personalausweis eines belgischen Staatsangehörigen nicht übersteigen dürfe.

22 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 der Richtlinie verpflichtet, die Aufenthaltserlaubnis jedem Arbeitnehmer zu erteilen, der durch geeignete Unterlagen - das Dokument, mit dem er in ihr Hoheitsgebiet eingereist ist, und eine Einstellungserklärung des Arbeitgebers oder eine Arbeitsbescheinigung - nachweist, daß er zu einer der in Artikel 1 der Richtlinie genannten Gruppen gehört (vgl. Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 48/75, Royer, Slg. 1976, 497, Randnr. 37).

23 Die belgische Regelung betreffend die Registrierungsbescheinigung berücksichtigt nicht, ob der Arbeitnehmer eines anderen Mitgliedstaats bereits bei der Stellung des ersten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis alle nach der Richtlinie erforderlichen Unterlagen vorlegt. Ferner können nach dieser Regelung sechs Monate bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vergehen.

24 Wie der Generalanwalt in Nummer 11 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind diese Verfahrensgestaltungen und die Dauer des Verfahrens bis zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als zu aufwendig und daher als - im Widerspruch zu Artikel 48 des Vertrages stehendes - tatsächliches Hindernis für die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zu betrachten.

25 Bezueglich der Regelung über die Gebühren für die Erteilung der Bescheinigungen ergibt sich eindeutig aus Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie, daß die Erteilung und die Verlängerung der Aufenthaltsdokumente für die Gemeinschaftsangehörigen unentgeltlich oder gegen Entrichtung eines Betrages erfolgen müssen, der die Ausstellungsgebühr von Personalausweisen für Inländer nicht übersteigen darf.

26 Das Verfahren der Registrierungsbescheinigungen ist so gestaltet, daß ein Gemeinschaftsangehöriger vor der Erteilung eines endgültigen Dokuments ein mehrstufiges Verwaltungsverfahren durchlaufen muß und auf jeder Stufe eine Gebühr von ihm erhoben wird. Zwar übersteigt jede Gebühr für sich betrachtet die Ausstellungsgebühr von Personalausweisen für Inländer nicht, doch ist der Gesamtbetrag höher als diese Gebühr, so daß ein Verstoß gegen Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie gegeben ist.

27 Die insoweit von der Kommission erhobene Rüge ist daher begründet.

Zur dritten Rüge betreffend die Bescheinigungen für Arbeitnehmer, deren Aufenthalt drei Monate nicht überschreitet

28 Mit der dritten Rüge macht die Kommission geltend, das Erfordernis der Erteilung eines Dokuments für den Aufenthalt eines Arbeitnehmers aus einem anderen Mitgliedstaat, der sich nach Belgien begebe, um dort für höchstens drei Monate eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben, und für den Aufenthalt eines Saisonarbeitnehmers stelle für diese ein administratives und finanzielles Hindernis dar und verstosse damit gegen Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie, der die Erteilung eines solchen Dokuments nicht vorsehe.

29 Die belgische Regierung erklärt, daß sie beabsichtige, das Erfordernis der Vorlage einer Einstellungserklärung des Arbeitgebers oder einer Arbeitsbescheinigung für Saisonarbeitnehmer und für Gemeinschaftsangehörige, die in Belgien eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausüben wollten, deren Dauer voraussichtlich drei Monate nicht übersteigen werde, abzuschaffen.

30 Gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie gewähren die Mitgliedstaaten Arbeitnehmern, die bis zur Dauer von voraussichtlich höchstens drei Monaten eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausüben, das Aufenthaltsrecht ohne Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis. Das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers ergibt sich insoweit aus dem Ausweis, mit dem er in das Hoheitsgebiet eingereist ist, und aus einer Erklärung des Arbeitgebers mit Angabe der vorgesehenen Beschäftigungszeit. Gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie besteht für Saisonarbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht, wenn sie einen Arbeitsvertrag mit dem Vermerk der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats besitzen, in dessen Hoheitsgebiet sie sich begeben, um ihre Beschäftigung auszuüben.

31 Zwar können gemäß Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie die zuständigen Behörden des Aufnahmestaats von dem Arbeitnehmer eine Anzeige seiner Anwesenheit verlangen, doch ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, daß alles, was über eine solche Erklärung hinausgeht und den Charakter einer Aufenthaltserlaubnis oder -genehmigung hat, nicht mit der Richtlinie vereinbar ist.

32 Zudem stellt die Erhebung einer Gebühr bei der Abgabe einer solchen Erklärung ein finanzielles Hindernis für die Freizuegigkeit dieser Arbeitnehmer dar und steht damit ebenfalls im Widerspruch zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften.

33 Die insoweit von der Kommission erhobene Rüge ist daher begründet.

34 Demnach ist festzustellen, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 des Vertrages und aus der Richtlinie verstossen hat, daß es

- Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die in Belgien Arbeit suchen, verpflichtet, das Hoheitsgebiet nach Ablauf von drei Monaten zu verlassen,

- Arbeitnehmern, die für mindestens ein Jahr eingestellt worden sind, während der ersten sechs Monate ihres Aufenthalts anstelle der Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats nacheinander zwei Registrierungsbescheinigungen erteilt und für diese eine Gebühr erhebt,

- Arbeitnehmern und Saisonarbeitnehmern, deren Tätigkeit voraussichtlich drei Monate nicht überschreiten wird, ein Aufenthaltsdokument erteilt und hierfür eine Gebühr erhebt.

Kostenentscheidung:

Kosten

35 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 EG-Vertrag und aus der Richtlinie 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 13) verstossen, daß es

- Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die in Belgien Arbeit suchen, verpflichtet, das Hoheitsgebiet nach Ablauf von drei Monaten zu verlassen,

- Arbeitnehmern, die für mindestens ein Jahr eingestellt worden sind, während der ersten sechs Monate ihres Aufenthalts anstelle der Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats nacheinander zwei Registrierungsbescheinigungen erteilt und für diese eine Gebühr erhebt,

- Arbeitnehmern und Saisonarbeitnehmern, deren Tätigkeit voraussichtlich drei Monate nicht überschreiten wird, ein Aufenthaltsdokument erteilt und hierfür eine Gebühr erhebt.

2. Das Königreich Belgien trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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