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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.02.1992
Aktenzeichen: C-345/90 P
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat, EWG-Satzung


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 5 Abs. 5 Anhang 3
EWG/EAG BeamtStat Art. 27
EWG/EAG BeamtStat Art. 28
EWG/EAG BeamtStat Art. 29
EWG/EAG BeamtStat Art. 30
EWG/EAG BeamtStat Art. 33
EWG-Satzung Art. 49
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Zwar ist die Anstellungsbehörde mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit eines Prüfungsausschusses nicht befugt, die Entscheidung eines Prüfungsausschusses aufzuheben oder abzuändern, sie ist aber bei der Ausübung ihrer eigenen Befugnisse gehalten, rechtsfehlerfreie Entscheidungen zu treffen, und kann daher nicht durch Entscheidungen eines Prüfungsausschusses gebunden sein, deren Rechtswidrigkeit sich dann auf ihre eigenen Entscheidungen auswirken könnte.

Hat es die Anstellungsbehörde mit einer Eignungsliste zu tun, die zu Unrecht zum Auswahlverfahren zugelassene und von der Ernennung ausgeschlossene Bewerber enthält und dadurch zum einen einem Bewerber, der die erforderliche Mindestpunktzahl erreicht hat, die Möglichkeit der Aufnahme in die Eignungsliste genommen hat und zum anderen den Ermessensspielraum der Anstellungsbehörde einengt, weil sie deren Auswahlmöglichkeiten verringert, so kann sie - anders als das Gericht entschieden hat - das Auswahlverfahren aufheben.

2. Gemäß Artikel 54 Absatz 1 der EWG-Satzung des Gerichtshofes entscheidet dieser den Rechtsstreit selbst endgültig, wenn die Lösung, zu der er nach Prüfung des Rechtsmittels kommt, in jedem Fall die Klagegründe gegenstandslos macht, auf die sich der Kläger beim Gericht berufen hat.

So verhält es sich, wenn der Gerichtshof feststellt, daß eine Entscheidung - anders als der Kläger vorgetragen und das Gericht entschieden hat - rechtmässig ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 20. FEBRUAR 1992. - EUROPAEISCHES PARLAMENT GEGEN JACK HANNING. - RECHTSMITTEL - BEAMTE - AUSWAHLVERFAHREN - BEWERBER, DIE FAELSCHLICH ZU EINEM AUSWAHLVERFAHREN ZUGELASSEN WERDEN - FOLGEN. - RECHTSSACHE C-345/90 P.

Entscheidungsgründe:

1 Das Europäische Parlament hat mit Schriftsatz, der am 23. November 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EWG-Satzung und den entsprechenden Bestimmungen der EGKS- sowie der EAG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 20. September 1990 in der Rechtssache T-37/89 (Hanning/Parlament, Slg. 1990, II-463) eingelegt, soweit in ihm zum einen die Entscheidung des Parlaments, unter Übergehung der Ergebnisse des Auswahlverfahrens Nr. PE/41/A ein neues Auswahlverfahren zu eröffnen, und die stillschweigende Zurückweisung der Beschwerde des Klägers vom 17. Juni 1988 durch das Parlament aufgehoben und zum anderen dem Parlament die Kosten des Verfahrens vor dem Gericht auferlegt werden.

2 Den Feststellungen des Gerichts in den Randnummern 1 bis 12 des Urteils ist zu entnehmen, daß das Parlament am 5. Dezember 1986 die Mitteilung betreffend die Veranstaltung des Allgemeinen Auswahlverfahrens Nr. PE/41/A (ABl. C 311, S. 13) aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen zur Einstellung eines Abteilungsleiters englischer Sprache (Laufbahn A 3) als Leiter des Informationsbüros London veröffentlicht hat.

3 Zwei Bewerber, die Herren Spence und Waters (Beamte des Parlaments), die zum Auswahlverfahren nicht zugelassen worden waren, weil sie nicht alle nach der Ausschreibung erforderlichen Belege vorgelegt hatten, wurden auf ihre Beschwerde hin schließlich zugelassen, weil sich die fehlenden Belege bei ihren von der Anstellungsbehörde geführten Personalakten befanden.

4 Nach Abschluß der Prüfungen wurde der Verfahrensbeteiligte Hanning mit 72 Punkten an die erste Stelle des Verzeichnisses der geeigneten Bewerber gesetzt. Die drei anderen darin aufgenommenen Bewerber waren Frau Beck (69 Punkte) sowie die Herren Spence und Waters (je 63 Punkte). Gemäß der Bewertungstabelle hatte ein fünfter Bewerber, Herr Tate, mit 58 Punkten die für die Aufnahme in die Eignungsliste notwendige Mindestpunktzahl erreicht. Er wurde jedoch nicht in die Liste aufgenommen, weil diese höchstens vier Bewerber umfassen durfte.

5 Nachdem der Verfahrensbeteiligte Hanning über die Eintragung in die Eignungsliste unterrichtet worden war, und nachdem er sich auf Verlangen des Parlaments der der Einstellung vorausgehenden ärztlichen Untersuchung unterzogen hatte, wurde ihm in einem vom Leiter der Personalabteilung unterzeichneten Brief vom 6. April 1988 mitgeteilt, der Präsident des Parlaments habe es "aufgrund der Unregelmässigkeiten des Auswahlverfahrens für gut befunden, keine Ernennung vorzunehmen, sondern ein neues allgemeines Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen zu eröffnen".

6 Gegen diese Entscheidung legte der Verfahrensbeteiligte Hanning am 17. Juni 1988 gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) Beschwerde beim Präsidenten des Parlaments ein.

7 Am 30. März 1988 veröffentlichte das Parlament die Mitteilung betreffend die Veranstaltung eines Allgemeinen Auswahlverfahrens Nr. PE/41a/A zur Besetzung derselben Stelle (ABl. C 82, S. 17). An diesem Auswahlverfahren nahm der Verfahrensbeteiligte Hanning teil. Auf der am Ende des Verfahrens erstellten Eignungsliste befanden sich die folgenden vier Bewerber: Herr Bond mit 80,5 Punkten, der Verfahrensbeteiligte Hanning mit 73 Punkten, Herr Holdsworth mit 72 Punkten und Herr Wood mit 70,5 Punkten. Herr Tate lag mit 66 Punkten erneut an fünfter Stelle. Das Auswahlverfahren führte zur Ernennung von Herrn Bond.

8 Mit Klageschrift, die am 29. Juni 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes einging und mit Beschluß des Gerichtshofes vom 15. November 1989 gemäß Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 über die Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften an das Gericht weitergeleitet wurde, beantragte der Verfahrensbeteiligte Hanning die im Schreiben vom 6. April 1988 enthaltene Entscheidung des Präsidenten des Parlaments aufzuheben, ihm das Recht auf Ernennung aufgrund des Auswahlverfahrens Nr. PE/41/A zuzuerkennen und ihm Schadensersatz für erlittenen immateriellen Schaden in Höhe von 1 BFR und vollen Ersatz für erlittene materielle Schäden zuzusprechen.

9 Dem Urteil des Gerichts zufolge stützte der Verfahrensbeteiligte Hanning seinen Aufhebungsantrag auf fünf Rügen: erstens habe das Parlament gegen Artikel 33 des Statuts verstossen; zweitens habe es den Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt; drittens habe es die Voraussetzungen für den Widerruf von Verwaltungsakten verkannt; viertens habe es sein Ermessen mißbraucht, und fünftens sei die Entscheidung ungenügend und unzutreffend begründet worden.

10 Nach Zurückweisung der vom Parlament erhobenen Einrede der Unzulässigkeit (Randnr. 23 des angefochtenen Urteils) untersuchte das Gericht das Vorbringen der Parteien zu den ersten vier Rügen und beschloß, die sich auf die Begründung des angegriffenen Aktes beziehende Rüge zu prüfen (Randnrn. 37 und 38).

11 Das Gericht entschied, die streitige Entscheidung sei unzureichend begründet (Randnr. 40). Es setzte sich danach aber mit der Frage auseinander, ob die im Verlaufe des Verfahrens vom Parlament gegebenen Erklärungen diesen Formmangel heilen und der angefochtenen Entscheidung eine tragfähige rechtliche Grundlage geben könnten (Randnrn. 41 bis 44).

12 Zunächst verwarf es das in der Klagebeantwortung enthaltene Vorbringen des Parlaments, der Anstellungsbehörde stehe es frei, das Einstellungsverfahren abzubrechen, indem es auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 9. Februar 1984, Rechtssachen 316/82 und 40/83, Kohler/Rechnungshof, Slg. 1984, 641) verwies. Danach sei die Anstellungsbehörde zwar nicht verpflichtet, eine freie Stelle zu besetzen, sie könne aber ein Einstellungsverfahren nur aus schwerwiegenden Gründen abbrechen und müsse eine solche Entscheidung eindeutig und umfassend begründen (Randnrn. 45 bis 48).

13 Danach prüfte das Gericht die Gründe, die in dem Gutachten des Juristischen Dienstes des Parlaments vom 9. Februar 1988 zu den gegen das Auswahlverfahren PE/41/A eingelegten Beschwerden enthalten sind und zu denen das Parlament in der Gegenerwiderung erklärt hatte, sie seien auch die Gründe der angegriffenen Entscheidung.

14 Erstens hob das Gericht hervor, das Gutachten gehe zu Recht davon aus, daß die Herren Spence und Waters zu Unrecht zugelassen worden seien, denn sie hätten nicht alle nach der Stellenausschreibung erforderlichen Belege vorgelegt (Randnrn. 50 bis 55).

15 Zweitens vertrat das Gericht die Ansicht, entgegen der in dem Gutachten vertretenen Ansicht habe keine der gegen das Auswahlverfahren PE/41/A eingelegten Beschwerden Erfolgsaussichten gehabt und die Aufhebung des Auswahlverfahrens durch das Parlament rechtfertigen können (Randnrn. 56 bis 67).

16 Drittens wies das Gericht darauf hin, daß das Parlament im Lichte der Urteile vom 23. Oktober 1986 (Rechtssache 321/85, Schwiering/Rechnungshof, Slg. 1986, 3199, und verbundene Rechtssachen 322/85 und 323/85, Hoyer/Rechnungshof, Slg. 1986, 3215) untersucht habe, welche Auswirkungen auf das Auswahlverfahren der Umstand gehabt habe, daß Herr Tate wegen unzulässiger Aufnahme von zwei Bewerbern in die Eignungsliste nicht in diese eingetragen worden sei, und daß das Parlament daraus den Schluß gezogen habe, das Auswahlverfahren könne aufgehoben werden (Randnrn. 68 und 69).

17 Sodann führte das Gericht unter den Randnummern 70 ff. des Urteils folgendes aus:

"70 Der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache liegt anders als derjenige der Rechtssachen Schwiering und Hoyer. In jenen Rechtssachen war das Auswahlverfahren insofern unregelmässig, als der Prüfungsausschuß zu Unrecht Bewerber vom Auswahlverfahren ausgeschlossen hatte, während im vorliegenden Fall die Unregelmässigkeit des Auswahlverfahrens Nr. PE/41/A aus der rechtswidrigen Zulassung zweier Bewerber folgt, die hätten ausgeschlossen werden müssen. Nun führt zwar die rechtswidrige Ablehnung eines Bewerbers grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit des gesamten Auswahlverfahrens, für die rechtswidrige Zulassung eines oder mehrerer Bewerber gilt aber anderes. In einem solchen Fall liegen der Anstellungsbehörde ein Auswahlverfahren und eine Eignungsliste vor, bei denen die rechtswidrigen Teile von den rechtmässigen Teilen geschieden werden können. Im vorliegenden Fall waren nur die Teilnahme der Bewerber Spence und Waters am Auswahlverfahren und ihre Eintragung in die Eignungsliste rechtswidrig. Die anderen Bewerber nahmen ordnungsgemäß am Auswahlverfahren teil; ihre Einstufung am Ende des Auswahlverfahrens wurde von der rechtswidrigen Teilnahme der beiden zu Unrecht zugelassenen Bewerber nicht beeinflusst.

71 Überträgt man die vom Gerichtshof in den Urteilen vom 23. Oktober 1986 in der Rechtssache 321/85 (Schwiering) sowie in den verbundenen Rechtssachen 322/85 und 323/85 (Hoyer) gefundenen Lösungen auf den vorliegenden Fall, in dem das Auswahlverfahren teilweise rechtsfehlerhaft war, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Anstellungsbehörde durch die Entscheidungen des Prüfungsausschusses nicht gebunden war, soweit diese rechtswidrig waren. Das hatte jedoch nicht zur Folge, daß sie zum Abschluß des Auswahlverfahrens keinen Bewerber ernennen konnte. Ihre Pflicht, nur rechtsfehlerfreie Entscheidungen zu treffen, stand nur der Ernennung von Spence und Waters entgegen, die aufgrund der Unregelmässigkeiten des Auswahlverfahrens nicht in die Eignungsliste hätten aufgenommen werden dürfen. Eine Ernennung des Klägers, der zu Recht auf der Eignungsliste stand, musste die Anstellungsbehörde hingegen erwägen. Sie musste im übrigen auch die Ernennung von Beck erwägen, deren Eintragung in die Eignungsliste ebenfalls rechtsfehlerfrei war.

72 Unter diesen Umständen war die Anstellungsbehörde verpflichtet, dem Urteil des Gerichtshofes vom 9. Februar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 316/82 und 40/83 (Kohler) zu folgen. Nach diesem Urteil war die Anstellungsbehörde verpflichtet, die Möglichkeit zu prüfen, die freie Stelle durch die Ernennung eines der zu Recht in die Eignungsliste aufgenommenen Bewerber zu besetzen, bevor sie die Ergebnisse des Auswahlverfahrens übergehen konnte. Sie musste demnach zunächst die Möglichkeit prüfen, den Kläger als Bestplazierten auf der Eignungsliste zu ernennen (vgl. Urteile vom 15. Dezember 1966 in der Rechtssache 62/65, Serio/Kommission der EAG, Slg. 1966, 843, 856 ff.; vom 18. Dezember 1986 in der Rechtssache 246/84, Kotsonis/Rat, Slg. 1986, 3989, 4005 ff.). Wenn diese Urteile der Anstellungsbehörde auch das Recht zuerkennen, die genaue Reihenfolge, die sich aus dem Auswahlverfahren ergibt, aus Gründen, die sie zu beurteilen und vor dem Gerichtshof zu begründen hat, nicht zu beachten, so ist doch hervorzuheben, daß sie dienstliche Gründe haben muß, wenn sie einen anderen Bewerber als den Bestplazierten ernennen will. Selbst wenn die Anstellungsbehörde hätte feststellen können, daß über die Unregelmässigkeiten des Auswahlverfahrens hinaus dienstliche Gründe der Ernennung des Klägers entgegenstanden, so hätte sie nach dieser Rechtsprechung doch noch die Möglichkeit prüfen müssen, Beck zu ernennen.

73 In die Prüfung der Möglichkeit, den Kläger oder Beck zu ernennen, musste das Parlament die Leistungen von Tate einbeziehen, der zu Unrecht nur wegen der Unregelmässigkeiten des Auswahlverfahrens nicht in die Eignungsliste aufgenommen worden war. Artikel 30 Beamtenstatut, der nur die Ernennung eines in die Eignungsliste aufgenommenen Bewerbers gestattet, stand nur einer Ernennung von Tate nach einer solchen Prüfung entgegen. Die Anstellungsbehörde konnte daher Tate als fünften Bewerber, der die Mindestpunktzahl erreicht hatte, im Rahmen der Prüfung der dienstlichen Gründe, die einer Ernennung eines der beiden bestplazierten Bewerber entgegenstehen konnten, mit dem Kläger und Beck vergleichen. Die Anstellungsbehörde hat eine solche Prüfung nicht vorgenommen; sie hat somit ihren Entscheidungsspielraum nicht rechtmässig wahrgenommen.

74 Nur wenn das Parlament zu Recht entschieden hätte, daß dienstliche Gründe die Ernennung von Tate rechtfertigten, hätte Artikel 30 Beamtenstatut eine solche Entscheidung verhindert. Hätte das Parlament die Ernennung des Klägers und von Beck durch eine ordnungsgemäß begründete Entscheidung abgelehnt und statt dessen Tate ernennen wollen, so wäre es daran durch die Unregelmässigkeiten des Auswahlverfahrens gehindert gewesen. In einem solchen Fall wäre die Entscheidung, die Ergebnisse des Auswahlverfahrens zu übergehen, durch erhebliche Gründe gerechtfertigt gewesen. Da die Möglichkeit, den Kläger oder Beck zu ernennen, nicht geprüft wurde, ist die angefochtene Entscheidung rechtsfehlerhaft."

18 Im Ergebnis entschied das Gericht, daß die angegriffene Entscheidung, weil das Parlament keinen ernsthaften Grund zur Rechtfertigung der Beendigung des Auswahlverfahrens gehabt habe, nicht ordnungsgemäß begründet sei und deshalb aufgehoben werden müsse (Randnr. 75).

19 Zur Begründung seines Antrags, dieses Urteil aufzuheben, bringt das Parlament einen einzigen Rechtsmittelgrund vor: Das Gericht habe die Rechte und Pflichten der Anstellungsbehörde in Auswahlverfahren verkannt. Zum einen habe das Gericht den Grundsatz nicht beachtet, daß die Anstellungsbehörde Ernennungen auf der Grundlage einer fehlerhaft zustande gekommenen Eignungsliste nicht vornehmen könne. Im vorliegenden Fall habe die Eignungsliste, auf der nach den Feststellungen des Gerichts zwei zu Unrecht zum Auswahlverfahren zugelassene Bewerber gestanden hätten, schwere Fehler aufgewiesen und nicht die Grundlage für die Ernennung von Herrn Hanning bilden können. Zum anderen macht das Parlament geltend, das Gericht habe dadurch, daß es der Anstellungsbehörde, um so die Fehler der Eignungsliste zu berücksichtigen, aufgegeben habe, einen Bewerber aus einer Eignungsliste zu wählen, die weniger Bewerber enthalten habe, als der Prüfungsausschuß festgelegt habe, den Ermessensspielraum missachtet, der der Anstellungsbehörde bei der Auswahl des zu ernennenden Bewerbers zustehe, und es habe einfach seine Wertung an die Stelle der Wertung der Anstellungsbehörde gesetzt.

20 Nach Ansicht des Verfahrensbeteiligten Hanning, der auf dem Standpunkt steht, das Gericht habe stillschweigend einen Ermessensmißbrauch beim Erlaß der angegriffenen Entscheidung rügen wollen, steht das angefochtene Urteil mit dem Statut und der Rechtsprechung des Gerichtshofes vollkommen im Einklang. Zum einen stellten die aufgezeigten Fehler der Eignungsliste keinen für die Aufhebung des Auswahlverfahrens ausreichend schweren Mangel dar. Mit der Feststellung, das Parlament habe, bevor es die Ergebnisse des Auswahlverfahrens hätte beiseite lassen können, nacheinander die Möglichkeit der Ernennung der beiden zu Recht in die Eignungsliste aufgenommenen Bewerber prüfen und dann auch die Verdienste des ersten nicht in die Liste aufgenommenen Bewerbers in Betracht ziehen müssen, habe sich das Gericht zum anderen darauf beschränkt, dem Parlament - ohne in dessen Ermessensbefugnis einzugreifen - die Regeln aufzuzeigen, die dieses einzuhalten habe, um dem Urteil in vollem Umfang nachzukommen.

21 Wegen weiterer Einzelheiten des Verfahrensablaufs sowie des Vorbringens der Verfahrensbeteiligten wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

22 In den Urteilen vom 23. Oktober 1986 (Schwiering/Rechnungshof und Hoyer/Rechnungshof, a. a. O.) hat der Gerichtshof in den Randnummern 11 und 12 bzw. 12 und 13 festgehalten, daß die Anstellungsbehörde zwar nicht befugt sei, die Entscheidung eines Prüfungsausschusses aufzuheben oder abzuändern, daß sie aber gehalten sei, bei der Ausübung ihrer eigenen Befugnisse rechtsfehlerfreie Entscheidungen zu treffen. Sie könne also nicht durch Entscheidungen eines Prüfungsausschusses gebunden sein, deren Rechtswidrigkeit sich folgerichtig auf ihre eigenen Entscheidungen auswirken könnte.

23 Wie dargelegt, hat das Gericht in dem angefochtenen Urteil zum einen festgestellt, daß die Herren Spence und Waters zu Unrecht zum Auswahlverfahren zugelassen worden und folglich zu Unrecht auf die Eignungsliste gelangt seien. Zum anderen hat es ausgeführt, daß Herr Tate, der die in der Ausschreibung verlangte Mindestpunktzahl erreicht habe, nicht auf die Eignungsliste habe gelangen können, weil diese schon die Namen von vier Bewerbern, nach der Stellenausschreibung die zulässige Hoechstzahl, enthalten habe, von denen zwei zu Unrecht aufgenommen worden seien. Es hat aber den Standpunkt vertreten, das Parlament hätte, ehe es das Auswahlverfahren habe aufheben können, prüfen müssen, ob es nicht einen der zwei zu Recht in die Eignungsliste aufgenommene Bewerber hätte auswählen können, und es hätte die Verdienste von Herrn Tate mit den Verdiensten dieser Bewerber vergleichen müssen.

24 Zu Recht ist das Parlament der Auffassung, daß dies keine tragfähige rechtliche Begründung für das Urteil des Gerichts abgibt.

25 Zum einen hat der Umstand, daß auf die Eignungsliste, die höchstens vier Namen enthalten durfte, zwei Bewerber gelangten, die, weil zu Unrecht zum Auswahlverfahren zugelassen, nicht hätten aufgenommen werden dürfen, Herrn Tate, der die für die Eintragung notwendige Punktzahl erreicht hatte, in rechtswidriger Weise der Möglichkeit beraubt, vom Prüfungsausschuß in die Liste aufgenommen und später vom Parlament für die zu besetzende Stelle ausgewählt zu werden.

26 Entgegen den Ausführungen des Gerichts in Randnummer 73 seines Urteils musste das Parlament die Bewerbung von Herrn Tate nicht berücksichtigen und konnte dies auch nicht, ohne sich in rechtswidriger Weise an die Stelle des Prüfungsausschusses zu setzen, denn Herr Tate war nicht in die Eignungsliste eingetragen und konnte folglich nicht ernannt werden.

27 Zum anderen ist den Artikeln 27 bis 30 des Statuts zu entnehmen, daß die vom Prüfungsausschuß festgelegte Eignungsliste der Anstellungsbehörde die Möglichkeit geben soll, den Bewerber auszuwählen, der ihr für die Erfuellung der mit der zu besetzenden Stelle verbundenen Aufgaben am geeignetsten erscheint.

28 Zu diesem Zweck kann die Anstellungsbehörde von der Rangfolge der Bewerber, wie sie vom Prüfungsausschuß in der Eignungsliste festgelegt worden ist, abweichen, wenn nach ihrem Ermessen Gründe hierfür vorliegen, die sie gegebenenfalls vor dem Gerichtshof anzugeben hat; dabei darf sie jedoch den Begriff des Auswahlverfahrens nicht aushöhlen, indem sie sich ohne wichtige Gründe weit vom Ergebnis dieses Verfahrens entfernt (Urteil vom 18. Dezember 1986, Rechtssache 246/84, Kotsonis/Rat, Slg. 1986, 3989, Randnr. 9).

29 Um der Anstellungsbehörde ihre Entscheidung zu erleichtern, ist im übrigen in Artikel 5 Absatz 5 von Anhang III des Statuts vorgesehen, daß der Prüfungsausschuß nach Möglichkeit eine Liste aufzustellen hat, die mindestens doppelt so viele Bewerber enthält, wie Stellen ausgeschrieben sind. Im vorliegenden Fall sah die Stellenausschreibung sogar ausdrücklich vor, daß die Eignungsliste bis zu vier Bewerber enthalten konnte.

30 Wenn Bewerber zu Unrecht in die Eignungsliste eingetragen werden, etwa weil sie zu Unrecht zum Auswahlverfahren zugelassen worden sind, kann die Anstellungsbehörde sie nicht ernennen und ihre Auswahlmöglichkeit ist entsprechend vermindert. Der Ermessensspielraum der Anstellungsbehörde wird so in unzulässiger Weise eingeengt.

31 Im vorliegenden Fall sind die Wahlmöglichkeiten der Anstellungsbehörde um die Hälfte verringert worden, weil zwei von vier vom Prüfungsausschuß in die Eignungsliste aufgenommene Bewerber nicht ernannt werden konnten.

32 Daraus folgt, daß das Auswahlverfahren fehlerhaft und seine Aufhebung durch das Parlament rechtmässig war.

33 Die auf den in Randnummer 17 genannten und in Randnummer 23 zusammengefassten Gründen beruhende Entscheidung des Gerichts, daß die Entscheidung des Parlaments nicht gerechtfertigt war, ist demnach rechtsfehlerhaft.

34 Nummer 1 des Tenors des angegriffenen Urteils ist folglich aufzuheben.

35 In Artikel 54 Absatz 1 der EWG-Satzung des Gerichtshofes heisst es: "Ist das Rechtsmittel begründet, so hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen."

36 Wie in Randnummer 32 dieses Urteils ausgeführt worden ist, war das streitige Auswahlverfahren insgesamt fehlerhaft und seine Aufhebung durch das Parlament rechtmässig.

37 Da das Parlament das Auswahlverfahren zu Recht aufgehoben hat, sind die vom Verfahrensbeteiligten Hanning beim Gericht gestellten und auf die Aufhebung dieser Entscheidung gerichteten Anträge zurückzuweisen.

38 Bei dieser Sachlage ist gemäß Artikel 54 Absatz 1 der EWG-Satzung des Gerichtshofes der Rechtsstreit endgültig zu entscheiden, und die Klageanträge des Verfahrensbeteiligten Hanning, mit denen dieser zum einen die Aufhebung der Entscheidung des Präsidenten des Parlaments vom 19. Februar 1988, unter Übergehung der Ergebnisse des Auswahlverfahrens Nr. PE/41/A ein neues Auswahlverfahren zu eröffnen, und zum anderen die Aufhebung der stillschweigenden Zurückweisung seiner Beschwerde vom 17. Juni 1988 durch das Parlament begehrt, sind zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

39 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

40 Da die vom Verfahrensbeteiligten Hanning beim Gericht gestellten Aufhebungsanträge, wie unter Randnummer 38 ausgeführt worden ist, zurückzuweisen sind und gegen Nummer 2 des Tenors des Urteils des Gerichts, mit der die Klage im übrigen abgewiesen wurde, kein Rechtsmittel eingelegt worden ist, ist der Verfahrensbeteiligte Hanning als unterliegende Partei anzusehen.

41 Aus Artikel 122 in Verbindung mit Artikel 70 der Verfahrensordnung folgt aber, daß die Organe ihre Kosten selbst tragen, wenn sie Rechtsmittel einlegen.

42 Deshalb hat jeder Verfahrensbeteiligte seine im vorliegenden Verfahren und im Verfahren vor dem Gericht entstandenen Kosten selbst zu tragen. Nummer 3 des Tenors des Urteils des Gerichts ist aufzuheben.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Nummern 1 und 3 des Tenors des Urteils des Gerichts erster Instanz vom 20. September 1990 in der Rechtssache T-37/89 (Hanning/Parlament, Slg. 1990, II-463) werden aufgehoben.

2) Die auf die Aufhebung der Entscheidung des Präsidenten des Europäischen Parlaments vom 19. Februar 1988, unter Übergehung der Ergebnisse des Auswahlverfahrens Nr. PE/41/A ein neues Auswahlverfahren zu eröffnen, und auf die Aufhebung der stillschweigenden Zurückweisung seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde vom 17. Juni 1988 durch das Europäische Parlament gerichteten Klageanträge des Verfahrensbeteiligten Hanning werden zurückgewiesen.

3) Jeder Verfahrensbeteiligte trägt seine im vorliegenden Verfahren und im Verfahren vor dem Gericht entstandenen Kosten selbst.

Ende der Entscheidung

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