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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.11.2006
Aktenzeichen: C-346/05
Rechtsgebiete: EG, Verordnung (EWG) Nr. 1408/71


Vorschriften:

EG Art. 39 Abs. 2
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 3 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 67 Abs. 2
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 67 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)

9. November 2006

"Vorabentscheidungsersuchen - Artikel 39 EG sowie Artikel 3 und 67 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Abhängigkeit der Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit von der Zurücklegung einer Beschäftigungszeit im zuständigen Mitgliedstaat"

Parteien:

In der Rechtssache C-346/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Cour du travail de Liège (Belgien) mit Entscheidung vom 6. September 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 22. September 2005, in dem Verfahren

Monique Chateignier

gegen

Office national de l'emploi (ONEM)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters J. Makarczyk in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) und des Richters J. Klucka,

Generalanwältin: C. Stix-Hackl,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- des Office national de l'emploi (ONEM), vertreten durch R. Joly, avocat,

- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Wimmer als Bevollmächtigten,

- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten, im Beistand von G. Aiello, avvocato dello Stato,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz und J.-P. Keppenne als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 39 Absatz 2 EG sowie 3 Absatz 1 und 67 Absätze 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Chateignier und dem Office national de l'emploi (im Folgenden: ONEM) über die Weigerung dieser Behörde, Frau Chateignier Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu gewähren, weil sie in Belgien, wo sie im Zeitpunkt der Stellung ihres Antrags auf Gewährung dieser Leistungen wohnte, nicht mindestens einen Beschäftigungstag zurückgelegt habe.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor:

"Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen."

4 Artikel 67 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

"(2) Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Beschäftigungszeiten abhängig ist, berücksichtigt, soweit erforderlich, die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als handelte es sich um Beschäftigungszeiten, die nach eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind.

(3) Absätze 1 und 2 gelten außer in den in Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe a) Ziffer ii) und Buchstabe b) Ziffer ii) genannten Fällen nur unter der Voraussetzung, dass die betreffende Person unmittelbar zuvor

- im Fall des Absatzes 1 Versicherungszeiten,

- im Fall des Absatzes 2 Beschäftigungszeiten

nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt hat, nach denen die Leistungen beantragt werden."

Nationales Recht

5 Die nationale Regelung, die zu der Zeit in Kraft war, zu der das ONEM der Klägerin die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit verweigerte, war die Königliche Verordnung vom 25. November 1991 über die Regelung der Arbeitslosigkeit (Moniteur Belge vom 31. Dezember 1991, S. 29888, im Folgenden: Königliche Verordnung).

6 Artikel 37 Absatz 2 der Königlichen Verordnung lautet wie folgt:

"Im Ausland geleistete Arbeit wird [für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit] berücksichtigt, wenn sie in einem Beschäftigungsverhältnis geleistet worden ist, das in Belgien zur Einbehaltungen für die soziale Sicherheit einschließlich solcher für den Bereich der Arbeitslosigkeit führen würde."

7 Artikel 43 Absatz 1 Unterabsatz 3 der Königlichen Verordnung bestimmt:

"Die Artikel 35, 36, 37 Absatz 2 und 38 Absatz 2 gelten nur in den Grenzen eines internationalen Übereinkommens. Jedoch gelten die Artikel 35 und 36 auch für Staatsangehörige der Länder, die im Gesetz vom 13. Dezember 1976 über die Genehmigung der die Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern in Belgien betreffenden bilateralen Abkommen aufgezählt sind."

8 Die Verfassungsmäßigkeit dieses Artikels 43 ist vor der belgischen Cour de cassation in Frage gestellt worden; diese hat mit Urteil vom 25. März 2002 entschieden, dass diese Vorschrift nicht anzuwenden ist.

Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfrage

9 Frau Chateignier (F. C.), die französische Staatsangehörige ist, heiratete am 8. Oktober 1994 einen belgischen Staatsangehörigen und ließ sich in Belgien nieder.

10 Am 17. Oktober 1994 füllte F. C. einen Antrag auf Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit aus, in dem sie angab, dass sie französischer Staatsangehörigkeit sei. Am Tag darauf reichte sie einen zweiten Antrag ein, in dem dieses Mal angegeben war, dass sie durch ihre Eheschließung die belgische Staatsangehörigkeit erworben habe. Der letztgenannte Antrag wurde mit seinen Anlagen am 9. Dezember 1994 dem zuständigen Regionalbüro übermittelt. Mit Entscheidung vom 1. Februar 1995 gewährte dieses der Betroffenen mit Wirkung vom Zeitpunkt der Antragstellung diese Leistungen.

11 Nach einem Umzug legte F. C. dem zuständigen Träger am 2. Oktober 1995 ein neues Dokument vor, in dem sie angab, dass sie immer noch die französische Staatsangehörigkeit besitze. Daraufhin wurde eine Untersuchung eingeleitet, aus der sich ergab, dass sie die französische Staatsangehörigkeit behalten hatte.

12 Mit Entscheidung vom 15. Dezember 1995 schloss das ONEM F. C. vom Bezug der Leistungen bei Arbeitslosigkeit ab dem 18. Dezember 1995 mit der Begründung aus, dass sie in Anbetracht ihrer Staatsangehörigkeit und mangels einer Beschäftigung von einem Tag in Belgien diese Leistungen nicht beanspruchen könne. Nach Angabe des vorlegenden Gerichts berief sich das ONEM - da die Anwendung des Artikels 43 der Königlichen Verordnung im Ausgangsverfahren aufgrund des oben genannten Urteils der Cour de cassation vom 25. März 2002 auszuschließen war - für seine Forderung nach dem Zurücklegen einer Beschäftigungszeit nur auf Artikel 67 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71.

13 Am 21. Dezember 1995 stellte F. C. einen neuen Antrag auf Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit, nachdem sie in Belgien einen Beschäftigungstag zurückgelegt hatte. Die Entscheidung des ONEM vom 15. Dezember 1995 wurde daraufhin aufgehoben, und der Anspruch auf diese Leistungen wurde der Betroffenen ab dem 21. Dezember 1995, dem Tag der Stellung ihres neuen Antrags, zuerkannt.

14 Außerdem nahm das ONEM aufgrund einer Entscheidung vom 10. Mai 1996 an, dass F. C. die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Leistungen zur Zeit der Stellung ihres ersten Antrags nicht erfüllt habe und dass demzufolge die ohne Rechtsgrund in der Zeit vom 11. Oktober 1994 bis zum 10. Dezember 1995 gezahlten Beträge wieder einzuziehen seien.

15 Nachdem diese Entscheidung in erster Instanz durch ein Urteil des Tribunal du travail de Namur (Belgien) bestätigt worden war, wurde das vorlegende Gericht mit dem von F. C. gegen dieses Urteil eingelegten Rechtsmittel befasst.

16 Die Cour du travail de Liège hat daraufhin beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Lassen Artikel 39 Absatz 2 EG und Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, die die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und die Freizügigkeit - auch der Arbeitnehmer - garantieren, es zu, Artikel 67 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen, dass er einen Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, verpflichtet, eine Beschäftigungszeit zurückzulegen, die das Recht auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit im Wohnstaat begründet, auch wenn das innerstaatliche Recht dieses Mitgliedstaats eine derartige Verpflichtung bei einem ausländischen Arbeitnehmer unabhängig davon, ob er aus einem Drittstaat oder einem Mitgliedstaat stammt, nicht vorschreibt?

Zur Vorabentscheidungsfrage

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

17 Vorab macht das ONEM die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens geltend, wobei es sich auf vier Argumente beruft. Erstens sei der Gerichtshof für die Beurteilung der Vereinbarkeit des belgischen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht nicht zuständig. Zweitens könne er im Rahmen einer Vorabentscheidungsfrage nach der Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts nicht über die Gültigkeit dieser Vorschrift entscheiden. Drittens sei das Gemeinschaftsrecht auf den Fall, der von dem vorlegenden Gericht als Bezugspunkt für den Vergleich herangezogen worden sei, nämlich den Fall der Staatsangehörigen von Staaten, die nicht Mitglieder der Europäischen Union seien, nicht anwendbar. Viertens sei das Postulat, auf das sich das Vorabentscheidungsersuchen stütze, dass es nämlich für Ausländer, die keine Gemeinschaftsangehörigen seien, eine günstigere Regelung gebe als für die Ausländer, die Staatsangehörige von Mitgliedstaaten seien, nicht zutreffend.

18 Zwar ist der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Anwendung des Artikels 234 EG nicht befugt, über die Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden, er kann aber aus den Fragen des vorlegenden Gerichts unter Berücksichtigung des von diesem mitgeteilten Sachverhalts das herausschälen, was die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betrifft, um diesem Gericht die Entscheidung der ihm vorliegenden Rechtsfrage zu ermöglichen (vgl. Urteile vom 28. Januar 1992 in den Rechtssachen C-330/90 und C-331/90, López Brea und Hidalgo Palacios, Slg. 1992, I-323, Randnr. 5, und vom 30. September 2003 in der Rechtssache C-224/01, Köbler, Slg. 2003, I-10239, Randnr. 60).

19 Darüber hinaus steht es dem Gerichtshof nach gleichfalls ständiger Rechtsprechung frei, bei ungenau formulierten oder den Rahmen seiner Befugnisse nach Artikel 234 EG überschreitenden Fragen aus allen von dem vorlegenden Gericht gemachten Angaben und insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung diejenigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung oder gegebenenfalls einer Beurteilung ihrer Gültigkeit bedürfen (vgl. Urteile vom 29. November 1978 in der Rechtssache 83/78, Pigs Marketing Board, Slg. 1978, 2347, Randnr. 26, und vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-107/98, Teckal, Slg. 1999, I-8121, Randnr. 34).

20 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass der Ausschluss von F. C. vom Bezug der Leistungen bei Arbeitslosigkeit durch die Entscheidung des ONEM vom 15. Dezember 1995 allein darauf gestützt ist, dass die Betroffene den Träger, der die Zahlung dieser Leistungen vornimmt, davon unterrichtet hat, dass sie entgegen dem, was sie in ihrem ersten Antrag auf Gewährung von Leistungen angegeben hatte, nicht die belgische Staatsangehörigkeit besaß, sondern die französische Staatsangehörigkeit behalten hatte.

21 Somit ergibt sich schon aus der Vorlageentscheidung, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung durch einen Sachverhalt wie den im Ausgangsverfahren betroffenen berührt werden und dass dieser in den Zuständigkeitsbereich des im Rahmen des Artikels 234 EG angerufenen Gerichtshofes fallen kann.

22 Was das Argument des ONEM angeht, dass die Vorlagefrage auf ein nicht zutreffendes Postulat gestützt sei, ist schließlich festzustellen, dass es dann, wenn unter den Behörden oder den Gerichten der Mitgliedstaaten abweichende Auffassungen über die zutreffende Auslegung nationaler Rechtsvorschriften, insbesondere hinsichtlich ihrer genauen Tragweite bestehen oder zu bestehen scheinen, nicht Sache des Gerichtshofes ist, darüber zu entscheiden, welche Auslegung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar oder am ehesten vereinbar ist. Der Gerichtshof hat vielmehr die Aufgabe, anhand der Sach- und Rechtslage, wie sie das vorlegende Gericht dargestellt hat, das Gemeinschaftsrecht auszulegen, um diesem Gericht sachdienliche Hinweise für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu geben (vgl. Urteil vom 1. Februar 2001 in der Rechtssache C-108/96, Mac Quen u. a., Slg. 2001, I-837, Randnr. 18).

23 Nach alledem ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Zur Beantwortung der Vorlagefrage

24 Auch wenn das vorlegende Gericht sein Ersuchen dadurch auf die Auslegung der Artikel 3 Absatz 1 sowie 67 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 1408/71 beschränkt hat, dass es die Stellung der Klägerin des Ausgangsverfahrens mit der Stellung von nicht gemeinschaftsangehörigen Arbeitnehmern vergleicht, so verwehrt dies dem Gerichtshof nicht, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, unabhängig davon zu geben, worauf es bei der Darlegung seiner Fragen Bezug genommen hat (vgl. u. a. Urteile vom 12. Dezember 1990 in der Rechtssache C-241/89, SARPP, Slg. 1990, I-4695, Randnr. 8, und vom 7. September 2004 in der Rechtssache C-456/02, Trojani, Slg. 2004, I-7573, Randnr. 38).

25 Der Auslegung bedarf im Ausgangsverfahren der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer der Gemeinschaft, da sich aus der Vorlageentscheidung eindeutig ergibt, dass ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats als des Königreichs Belgien und ein belgischer Staatsangehöriger bei der Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit nicht gleichbehandelt werden, obwohl sie sich in einer ähnlichen Lage befinden.

26 Da nämlich nach der Vorlageentscheidung für einen belgischen Staatsangehörigen, "der im Ausland gearbeitet hat, die dort abgeleistete Zeit nichtselbständiger Arbeit einer Arbeit gleichgestellt [wird], die in Belgien zu Einbehaltungen für die soziale Sicherheit einschließlich der Arbeitslosenversicherung geführt hat, während ... [bei einem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats der Gemeinschaft als des Königreichs Belgien] im Ausland geleistete Arbeit - außer im Rahmen von besonderen für die Staatsangehörigen der Europäischen Union erlassenen Vorschriften - außer Acht gelassen wird", ist also zu untersuchen, ob diese Folge im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer der Gemeinschaft in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht steht.

27 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die Klägerin zur Zeit der Stellung ihres ersten Antrags die französische Staatsangehörigkeit besaß und Inhaberin einer Aufenthaltserlaubnis als Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft war.

28 Darüber hinaus setzte dieser Antrag voraus, dass die Antragstellerin als Arbeitsuchende gemeldet war. Außerdem stellen die im Ausgangsverfahren betroffenen Leistungen unstreitig Leistungen bei Arbeitslosigkeit im Sinne der Artikel 67 bis 71 der Verordnung Nr. 1408/71 dar.

29 Daraus folgt, dass die Klägerin als Staatsangehörige eines Mitgliedstaats auf der Suche nach einer Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat in den Anwendungsbereich des Artikels 39 EG fällt und ihr daher das in Absatz 2 dieser Vorschrift vorgesehene Recht auf Gleichbehandlung zusteht. Was die soziale Sicherheit angeht, findet dieses Recht seinen spezifischen Ausdruck insbesondere in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71.

30 Zur Tragweite dieses Rechts hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Bestimmungen wie Artikel 39 EG die Beseitigung aller Maßnahmen zum Ziel haben, die auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Arbeitnehmer Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats strenger behandeln oder sie gegenüber eigenen Staatsangehörigen, die sich in derselben Lage befinden, rechtlich oder tatsächlich benachteiligen (vgl. Urteil vom 13. Dezember 1984 in der Rechtssache 251/83, Haug-Adrion, Slg. 1984, 4277, Randnr. 14).

31 Im Ausgangsverfahren besteht kein Zweifel daran, dass die Anwendung der in der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltenen Vorschriften durch das ONEM zu einer unterschiedlichen Behandlung von belgischen Staatsangehörigen und solchen anderer Mitgliedstaaten führt.

32 Eine solche unterschiedliche Behandlung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhte und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stünde, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird (Urteile vom Mai 23. 1996 in der Rechtssache C-237/94, O'Flynn, Slg. 1996, I-2617, Randnr. 19, und vom 23. März 2004 in der Rechtssache C-138/02, Collins, Slg. 2004, I-2703, Randnr. 66).

33 Im Ausgangsverfahren haben weder das ONEM noch die belgische Regierung in den Erklärungen, die sie dem Gerichtshof vorgelegt haben, etwas angeführt, was rechtfertigen könnte, dass aus den in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen Gründen vom Grundsatz der Gleichbehandlung abgewichen wird.

34 Zwar erlaubt Artikel 67 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 1408/71 den Mitgliedstaaten, den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von der Zurücklegung von Beschäftigungszeiten nach den Rechtsvorschriften abhängig zu machen, nach denen die Leistungen beantragt werden.

35 Jedoch geht weder aus den dem Gerichtshof vom vorlegenden Gericht übermittelten Akten noch aus den Erklärungen der belgischen Regierung hervor, dass die nationalen Rechtsvorschriften die Zurücklegung derartiger Beschäftigungszeiten vorschreiben, wenn es sich um belgische Arbeitnehmer handelt, die diese Zeiten nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats abgeleistet haben.

36 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Artikel 39 Absatz 2 EG und 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, aufgrund deren der zuständige Träger des Wohnmitgliedstaats einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats das Recht auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit mit der Begründung verweigert, dass der Betroffene im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Gewährung von Leistungen im Gebiet des Wohnmitgliedstaats eine bestimmte Beschäftigungszeit nicht zurückgelegt habe, während eine solche Voraussetzung für die Staatsangehörigen des letztgenannten Mitgliedstaats nicht vorgeschrieben ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Die Artikel 39 Absatz 2 EG und 3 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, aufgrund deren der zuständige Träger des Wohnmitgliedstaats einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats das Recht auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit mit der Begründung verweigert, dass der Betroffene im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Gewährung von Leistungen im Gebiet des Wohnmitgliedstaats eine bestimmte Beschäftigungszeit nicht zurückgelegt habe, während eine solche Voraussetzung für die Staatsangehörigen des letztgenannten Mitgliedstaats nicht vorgeschrieben ist.

Ende der Entscheidung

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