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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 03.04.1992
Aktenzeichen: C-35/92 P-R
Rechtsgebiete: EWGS, Beamtenstatut, EWGV


Vorschriften:

EWGS Art. 49
Beamtenstatut Art. 45
EWGV Art. 186
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Bei der Prüfung der Begründetheit eines Antrags auf Aussetzung der Durchführung eines Urteils des Gerichts, mit dem eine Einweisung in eine freie Planstelle aufgehoben worden ist und gegen das ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt worden ist, ist davon auszugehen, daß die in Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung aufgestellte Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfuellt ist, wenn die fragliche Stelle vor der aufgehobenen Ernennung sechs Monate lang unbesetzt gelassen wurde und der schließlich ernannte Beamte die Genehmigung erhielt, die Stelle ein Jahr lang halbtags zu besetzen. Angesichts dieser Sachlage kann das Organ nämlich nicht behaupten, daß ihm dadurch, daß die Planstelle während des Zeitraums des Verfahrens vor dem Gerichtshof unbesetzt bleibt, ein schwerer Schaden entstehen könne, um so mehr als Artikel 7 Absatz 2 des Beamtenstatuts es ihm ermöglicht, den fraglichen Dienstposten für die Hoechstdauer eines Jahres vorübergehend zu besetzen.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 3. APRIL 1992. - EUROPAEISCHES PARLAMENT GEGEN ERIK DAN FREDERIKSEN. - RECHTSMITTEL - AUSSETZUNG DER DURCHFUEHRUNG EINES AUFHEBUNGSURTEILS. - RECHTSSACHE C-35/92 P-R.

Entscheidungsgründe:

1 Das Europäische Parlament (im folgenden: Parlament) hat mit Rechtsmittelschrift, die am 12. Februar 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EWG-Satzung und den entsprechenden Vorschriften der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil vom 11. Dezember 1991 eingelegt, mit dem das Gericht erster Instanz die Verfügung des Präsidenten des Europäischen Parlaments vom 3. Juli 1989, mit der Frau X im Anschluß an die Veröffentlichung der Stellenausschreibung Nr. 5809 (PE 128908) auf die Planstelle einer linguistischen Beraterin bei der dänischen Übersetzungsabteilung (Generaldirektion Übersetzung und allgemeine Dienste) befördert worden ist, aufgehoben hat.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat das Parlament gemäß Artikel 53 der EWG-Satzung und den entsprechenden Vorschriften der EGKS- und der EAG-Satzung sowie den Artikeln 83 und 118 der Verfahrensordnung einen Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung der Durchführung des angefochtenen Urteils eingereicht.

3 Der Antragsgegner hat am 19. März 1992 eine schriftliche Stellungnahme zum Antrag auf einstweilige Anordnung eingereicht; die Parteien haben am 26. März 1992 mündlich verhandelt.

4 Zunächst sind die Umstände, die das Gericht zur Aufhebung der erwähnten Entscheidung des Parlaments veranlasst haben, kurz wiederzugeben.

5 Am 9. Januar 1989 veröffentlichte das Parlament die Stellenausschreibung Nr. 5809, die sich auf die Planstelle eines linguistischen Beraters der Besoldungsgruppe LA 3 bei der dänischen Übersetzungsabteilung bezog. Zu den in dieser Ausschreibung verlangten Qualifikationen und Kenntnissen zählte auch "Kenntnis der bei der Verwaltungsarbeit zum Einsatz gelangenden Techniken".

6 Drei Mitarbeiter der dänischen Übersetzungsabteilung, der Antragsgegner, Herr Y und Frau X, reichten im Anschluß an diese Ausschreibung ihre Bewerbung ein.

7 Mit an den Generaldirektor der Generaldirektion VII "Übersetzung und allgemeine Dienste" (im folgenden: GD VII) gerichtetem Vermerk vom 2. Februar 1989 schlug der Direktor der Direktion "Übersetzung und Terminologie" vor, den Antragsgegner in die Planstelle des linguistischen Beraters einzuweisen. Er stützte sich dabei u. a. auf dessen Berufserfahrung im Bereich der Datenverarbeitung. Mit Vermerk vom 10. März 1989 schlug der Generaldirektor der GD VII dem Direktor der Direktion "Verwaltung, Personal und Finanzen" vor, Frau X auf die fragliche Planstelle zu befördern, "auch wenn die Bewerberin sich augenblicklich gezwungen sieht, aus familiären Gründen... halbtags zu arbeiten". Dieser Vorschlag war Gegenstand mehrerer Proteste, u. a. des Direktors der Direktion "Übersetzung und Terminologie" wie auch des Leiters der dänischen Übersetzungsabteilung, die sich darauf stützten, daß Frau X keine Kenntnis der bei der Verwaltungsarbeit zum Einsatz gelangenden Techniken besitze. Der Generaldirektor der GD VII blieb in seinem am 7. Juni 1989 an den Generalsekretär des Parlaments gesandten Vermerk dennoch bei seinem ursprünglichen Vorschlag.

8 Am 3. Juli 1989 beförderte der Präsident des Parlaments in seiner Eigenschaft als Anstellungsbehörde Frau X mit Wirkung vom 1. Juni 1989 auf die Planstelle eines linguistischen Beraters der Besoldungsgruppe LA 3.

9 Am 12. Juli 1989 legte der Antragsgegner gegen die Verfügung, mit der Frau X ernannt worden war, Beschwerde ein.

10 Mit Schreiben vom 29. November 1989 teilte der Präsident des Parlaments dem Antragsgegner mit, daß seine Beschwerde zurückgewiesen worden sei.

11 Im Anschluß an ihre Ernennung erhielt Frau X am 4. Dezember 1989 auf Antrag die Genehmigung, bis zum 30. September 1990 halbtags zu arbeiten.

12 Der Antragsgegner erhob mit Klageschrift, die am 27. Dezember 1989 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, Klage auf Aufhebung der Verfügung, mit der Frau X befördert worden war.

13 Das Gericht weist in seinem Urteil die vom Parlament erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurück; sodann stellt es fest, daß die Stellenausschreibung einen rechtlichen Rahmen bilde, den sich die Anstellungsbehörde selbst setze. Deshalb habe es zu prüfen, ob eine "objektive Entsprechung" zwischen den in dieser Ausschreibung gestellten Anforderungen und den Fachkenntnissen der ausgewählten Bewerberin bestehe. Dazu stellt das Gericht zunächst fest, das Erfordernis der Kenntnis der bei der Verwaltungsarbeit zum Einsatz gelangenden Techniken entspreche der Notwendigkeit des Einsatzes neuer Technologien, um eine Antwort auf die Probleme der Direktion Übersetzung zu finden. Auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens stellt das Gericht sodann fest, Frau X habe nicht über die in der Stellenausschreibung verlangten Kenntnisse im Bereich der Datenverarbeitung verfügt, wie sie objektiverweise auszulegen gewesen seien. Abschließend stellt das Gericht fest, die Anstellungsbehörde habe mit ihrer Entscheidung, daß Frau X diese Voraussetzungen erfuelle, die Grenzen überschritten, die sie sich selbst hinsichtlich ihrer Auswahlmöglichkeiten gesetzt habe.

14 Sodann prüft das Gericht das Vorgehen der Anstellungsbehörde bei der in Artikel 45 des Statuts vorgesehenen vergleichenden Abwägung der Verdienste der Beamten. Dazu stellt es fest, daß es sich bei der im Vermerk des Generaldirektors der GD VII vom 10. März 1989 enthaltenen Abwägung um die einzige handele, die der Anstellungsbehörde für die zu treffende Entscheidung übermittelt worden sei. Dieser Vermerk sei jedoch in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht unvollständig und offenkundig fehlerhaft. Zunächst erwähne er weder die Kenntnisse noch die Erfahrung der drei Bewerber auf dem Gebiet der Datenverarbeitung. Des weiteren enthalte er einen Fehler bei dem Vergleich der Beurteilungen. Entgegen den Feststellungen des Vermerks hätten Frau X und der Antragsgegner gleich viele Benotungen mit "ausgezeichnet" erhalten.

15 Das Gericht ist deshalb der Ansicht, daß die Anstellungsbehörde mit dem Erlaß der angefochtenen Verfügung den rechtlichen Rahmen überschritten habe, den sie sich selbst mit der Stellenausschreibung gesetzt habe; ferner weise ihre Meinungsbildung sowohl bei der Prüfung der von dieser Ausschreibung verlangten Qualifikationen als auch hinsichtlich der Abwägung der jeweiligen Verdienste der Bewerber einen offensichtlichen Irrtum auf.

16 Das Gericht gab demzufolge den vom Antragsgegner erhobenen Rügen statt und hob die Verfügung des Präsidenten des Parlaments, mit der Frau X auf die Planstelle eines linguistischen Beraters dänischer Sprache befördert worden war, auf.

17 Zu dem vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung ist festzustellen, daß nach Artikel 53 der EWG-Satzung und den entsprechenden Vorschriften der EGKS- und der EAG-Satzung ein Rechtsmittel gegen ein Urteil des Gerichts grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat. Gemäß den Artikeln 185 und 186 EWG-Vertrag und den entsprechenden Vorschriften des EGKS-Vertrags und des EAG-Vertrags kann der Gerichtshof jedoch die Aussetzung der Durchführung des angefochtenen Urteils anordnen, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält.

18 Gemäß Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung kann eine einstweilige Anordnung in Anwendung der genannten Vorschriften nur ergehen, wenn Umstände vorliegen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Dringlichkeit der beantragten einstweiligen Anordnung danach zu beurteilen, ob es einer solchen Maßnahme bedarf, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht.

19 Zur Voraussetzung der Dringlichkeit macht das Parlament geltend, daß die sofortige Durchführung des Urteils des Gerichts der dänischen Übersetzungsabteilung ihren linguistischen Berater entziehen würde. In der mündlichen Verhandlung hat es ergänzend ausgeführt, angesichts der gegenwärtigen Arbeitsbelastung des Parlaments müsste es die fragliche Planstelle so rasch wie möglich besetzen. Im Falle der Veröffentlichung einer neuen Stellenausschreibung oder der vorübergehenden Ernennung eines Beamten drohten, solange der Gerichtshof nicht über das Rechtsmittel entschieden habe, neue Klagen sowohl seitens des Antragsgegners als auch seitens Frau X.

20 Hierzu ist festzustellen, daß das Parlament, wie der Antragsgegner ausgeführt hat, die fragliche Planstelle vom 1. Januar 1989, dem Datum des Weggangs des früheren linguistischen Beraters, bis zum 3. Juli 1989, dem Datum der Ernennung von Frau X, unbesetzt gelassen hat. Überdies hatte Frau X die Genehmigung, die Planstelle bis zum 30. September 1990 halbtags zu besetzen. Unter diesen Voraussetzungen kann das Parlament kaum behaupten, daß ihm dadurch, daß die Planstelle eines Beraters bei der dänischen Übersetzung während des Zeitraums des Verfahrens vor dem Gerichtshof unbesetzt bleibt, ein schwerer Schaden entstehen könne.

21 Zu der Behauptung einer gegenwärtig höheren Arbeitsbelastung ist festzustellen, daß das Parlament sich auf allgemeine Behauptungen beschränkt hat und keinen objektiven Gesichtspunkt angeführt hat, der es erlaubt hätte, in umfassender Kenntnis des Sachverhalts die gegenwärtige Lage mit derjenigen zu vergleichen, die bestand, als die Planstelle nicht oder nur halbtags besetzt war.

22 Jedenfalls ist festzustellen, daß Artikel 7 Absatz 2 des Statuts es dem Parlament ermöglicht, den fraglichen Dienstposten für die Hoechstdauer eines Jahres vorübergehend zu besetzen. Dadurch kann vermieden werden, daß die Planstelle für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens unbesetzt bleibt.

23 Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß die in Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung enthaltene Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfuellt ist. Es braucht deshalb nicht geprüft zu werden, ob das Parlament die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht hat.

24 Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist deshalb zurückzuweisen.

25 Der Antragsgegner hat seinerseits in seiner schriftlichen Stellungnahme den Antrag gestellt, zur Wiedergutmachung des immateriellen Schadens, den er wegen der Beeinträchtigung seiner Ehre und Würde sowie aufgrund dessen erlitten habe, daß seine Kenntnisse und seine Befähigung nicht anerkannt worden seien, das Parlament zur Zahlung eines symbolischen Schadensersatzes von 1 BFR zu verurteilen.

26 Hierzu genügt die Feststellung, daß die Entscheidung über einen solchen Antrag nicht in die Zuständigkeit des im Verfahren der einstweiligen Anordnung entscheidenden Präsidenten fällt.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DER ERSTEN UND DER FÜNFTEN KAMMER

gemäß den Artikeln 11 und 85 § 2 der Verfahrensordnung anstelle des Präsidenten des Gerichtshofes

im Verfahren der einstweiligen Anordnung

beschlossen:

1) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 3. April 1992.

Ende der Entscheidung

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