Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.01.2005
Aktenzeichen: C-356/03
Rechtsgebiete: Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996, Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, Mutterschutzgesetz


Vorschriften:

Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 Art. 2
Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 Art. 4
Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 Art. 6 Abs. 1 Buchst. g
Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 Art. 2 Abs. 1
Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung § 29 Abs. 1
Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung § 29 Abs. 7
Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung § 44 Abs. 1 S. 1a
Mutterschutzgesetz § 13 Abs. 2
Mutterschutzgesetz § 14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Parteien:

In der Rechtssache C-356/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom

9. Juli 2003

, beim Gerichtshof eingegangen am

18. August 2003

, in dem Verfahren

Elisabeth Mayer

gegen

Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

,

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, der Richterin N. Colneric sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Schiemann und E. Juhász,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Frau Mayer,

- der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, vertreten durch Rechtsanwalt J. Kummer,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch N. Yerrell und H. Kreppel als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

9. September 2004,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 des EG-Vertrags sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden), von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl. L 225, S. 40) in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 46, S. 20) geänderten Fassung und von Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1).

2. Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit von Frau Elisabeth Mayer (im Folgenden: Klägerin) gegen die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (im Folgenden: VBL), bei dem es um die Berücksichtigung von Zeiten des Mutterschutzes bei der Berechnung der Anwartschaft der Klägerin auf eine Versicherungsrente geht.

Rechtlicher Rahmen

Das Gemeinschaftsrecht

3. Artikel 2 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung lautet wie folgt:

"(1) Als betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit gelten Systeme, die nicht durch die Richtlinie 79/7/EWG geregelt werden und deren Zweck darin besteht, den unselbständig oder selbständig Erwerbstätigen eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe, eines Wirtschaftszweigs oder den Angehörigen eines Berufes oder einer Berufsgruppe Leistungen zu gewähren, die als Zusatzleistungen oder Ersatzleistungen die gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit ergänzen oder an ihre Stelle treten, unabhängig davon, ob der Beitritt zu diesen Systemen Pflicht ist oder nicht.

(2) Diese Richtlinie gilt nicht:

a) für Einzelverträge selbständig Erwerbstätiger;

b) für Systeme selbständig Erwerbstätiger mit nur einem Mitglied;

c) im Fall von unselbständig Erwerbstätigen für Versicherungsverträge, bei denen der Arbeitgeber nicht Vertragspartei ist;

d) für fakultative Bestimmungen der betrieblichen Systeme, die einzelnen Mitgliedern eingeräumt werden, um ihnen

- entweder zusätzliche Leistungen oder

- die Möglichkeit der Wahl des Zeitpunkts, zu dem die regulären Leistungen selbständig Erwerbstätiger einsetzen, oder der Wahl zwischen mehreren Leistungen zu garantieren;

e) für betriebliche Systeme, sofern die Leistungen durch freiwillige Beiträge der Arbeitnehmer finanziert werden."

4. Artikel 4 dieser Richtlinie lautet:

"Diese Richtlinie findet Anwendung

a) auf betriebliche Systeme, die Schutz gegen folgende Risiken bieten:

- Krankheit,

- Invalidität,

- Alter, einschließlich vorzeitige Versetzung in den Ruhestand,

- Arbeitsunfall und Berufskrankheit,

- Arbeitslosigkeit;

b) auf betriebliche Systeme, die sonstige Sozialleistungen in Form von Geld- oder Sachleistungen vorsehen, insbesondere Leistungen an Hinterbliebene und Familienleistungen, wenn diese Leistungen an Arbeitnehmer gezahlt werden und infolgedessen als vom Arbeitgeber aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses an den Arbeitnehmer gezahlte Vergütungen gelten."

5. Artikel 6 dieser Richtlinie bestimmt:

"(1) Dem Grundsatz der Gleichbehandlung entgegenstehende Bestimmungen sind solche, die sich - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - unmittelbar oder mittelbar auf das Geschlecht stützen und Folgendes bewirken:

...

g) Unterbrechung der Aufrechterhaltung oder des Erwerbs von Ansprüchen während eines gesetzlich oder tarifvertraglich festgelegten Mutterschaftsurlaubs oder Urlaubs aus familiären Gründen, der vom Arbeitgeber bezahlt wird;

..."

6. In Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 96/97 heißt es:

"Jede Maßnahme zur Umsetzung dieser Richtlinie in Bezug auf die unselbständig Erwerbstätigen muss alle Leistungen abdecken, die für Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 gewährt werden, und gilt rückwirkend bis zu diesem Datum ..."

7. Artikel 11 der Richtlinie 92/85 bestimmt:

"Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten Rechte in Bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird Folgendes vorgesehen:

...

2. In dem in Artikel 8 genannten Fall müssen gewährleistet sein:

a) die mit dem Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 verbundenen anderen Rechte als die unter dem nachstehenden Buchstaben b genannten;

b) die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung für die Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2.

..."

8. Nach Artikel 14 Absatz 1 der Richtlinie 92/85 war diese von den Mitgliedstaaten spätestens zwei Jahre nach ihrem Erlass, also bis zum 18. Oktober 1994, umzusetzen.

Das nationale Recht

9. § 29 Absätze 1 und 7 der Satzung der VBL sah in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung vor:

"(1) Der Arbeitgeber hat eine monatliche Umlage in Höhe des nach § 76 festgesetzten Satzes des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts (Absatz 7) des Versicherten einschließlich eines vom Pflichtversicherten erhobenen Beitrags nach § 76 Abs. 1a zu zahlen.

...

(7) Zusatzversorgungspflichtiges Entgelt ist, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist, der entsprechend den Bestimmungen über die Beitragsentrichtung in der gesetzlichen Rentenversicherung zeitlich zugeordnete steuerpflichtige Arbeitslohn ..."

10. § 44 Absatz 1 Satz 1a dieser Satzung lautete wie folgt:

"Als monatliche Versicherungsrente werden ... 0,03125 v. H. der Summe der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte, von denen für die Zeit nach dem 31. Dezember 1977 bis zum Beginn der Versicherungsrente (§ 62) Umlagen entrichtet worden sind ... gewährt."

11. § 13 Absatz 2 des Gesetzes zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (im Folgenden: Mutterschutzgesetz) bestimmt:

"§ 13 Mutterschaftsgeld

...

(2) Frauen, die nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind, erhalten, wenn sie bei Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 in einem Arbeitsverhältnis stehen oder in Heimarbeit beschäftigt sind, für die Zeit der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und des § 6 Abs. 1 sowie für den Entbindungstag Mutterschaftsgeld zu Lasten des Bundes in entsprechender Anwendung der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über das Mutterschaftsgeld, höchstens jedoch insgesamt 210 Euro. Das Mutterschaftsgeld wird diesen Frauen auf Antrag vom Bundesversicherungsamt gezahlt ..."

12. § 14 des Mutterschutzgesetzes bestimmt:

"§ 14 Zuschuss zum Mutterschaftsgeld

(1) Frauen, die Anspruch auf Mutterschaftsgeld ... haben, erhalten während ihres bestehenden Arbeitsverhältnisses für die Zeit der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 sowie für den Entbindungstag von ihrem Arbeitgeber einen Zuschuss in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen 13 Euro und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt ..."

13. In § 3 Absatz 1 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes heißt es:

"Steuerfrei sind

1. ...

d) das Mutterschaftsgeld nach dem Mutterschutzgesetz, ... der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach dem Mutterschutzgesetz ...

..."

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen

14. Frau Mayer, die heute als selbständige Rechtsanwältin tätig ist, war vom 1. Januar 1990 bis zum 30. September 1999 als Angestellte im öffentlichen Dienst des Bundeslandes Rheinland-Pfalz beschäftigt und bei der VBL pflichtversichert. Sie befand sich vom 16. Dezember 1992 bis zum 5. April 1993 und vom 17. Januar bis zum 22. April 1994 im gesetzlichen Mutterschutz.

15. Die Höhe der Versicherungsrente für Versicherte in einer Situation wie derjenigen der Klägerin ergibt sich nach § 44 Absatz 1 Satz 1a der Satzung der VBL aus einem bestimmten Vomhundertsatz der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte, von denen Umlagen entrichtet worden sind. Nach § 29 Absatz 1 der genannten Satzung hat der Arbeitgeber eine monatliche Umlage in Höhe eines bestimmten Teils des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts zu zahlen. Dieses Entgelt ist nach § 29 Absatz 7 der steuerpflichtige Arbeitslohn.

16. Während ihrer Mutterschutzzeiten bezog die Klägerin, die privat krankenversichert war, das staatliche Mutterschaftsgeld nach § 13 Absatz 2 des Mutterschutzgesetzes und den vom Arbeitgeber zu leistenden Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe der Differenz zwischen dem staatlichen Mutterschaftsgeld und dem letzten Nettoarbeitsentgelt gemäß § 14 Absatz 1 des Mutterschutzgesetzes. Diese Leistung des Arbeitgebers ist nach § 3 Absatz 1 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes steuerfrei. Somit hat die Klägerin während ihrer Mutterschutzzeiten kein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt im Sinne von § 29 Absatz 7 der Satzung der VBL bezogen, für das ihr Arbeitgeber gemäß § 29 Absatz 1 dieser Satzung monatliche Umlagen hätte zahlen müssen. Infolgedessen berücksichtigte die VBL bei der Berechnung der Versicherungsrente der Klägerin die Leistungen nicht, die sie von ihrem Arbeitgeber während der Mutterschutzzeiten bezog.

17. Die Klägerin beantragte, ihre Mutterschutzzeiten bei der Berechnung der Anwartschaft auf die Versicherungsrente, die sie in dem von der VBL verwalteten Zusatzversorgungssystem erworben hatte, zu berücksichtigen.

18. Die mit dem Rechtsstreit befassten Gerichte wiesen die Klage der Klägerin gegen die VBL ab. Sie legte daraufhin Revision beim Bundesgerichtshof ein und regte an, die Sache dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.

19. Der Bundesgerichtshof hat in Betracht gezogen, dass Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 auf den vorliegenden Fall angesichts dessen keine Anwendung finde, dass die letzte Mutterschutzzeit der Klägerin vor Ablauf der den Mitgliedstaaten für die Umsetzung dieser Richtlinie gesetzten Frist geendet habe. Das vorlegende Gericht neigt zu der Ansicht, dass es jedoch gegen den von der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung, insbesondere deren Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g, aufgestellten Grundsatz der Gleichbehandlung verstoße, dass die Zeiten des Mutterschaftsurlaubs der Klägerin nicht berücksichtigt worden seien. Ferner könne auch ein Verstoß gegen Artikel 119 EG-Vertrag vorliegen, der den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit aufstelle.

20. Da der Bundesgerichtshof der Ansicht ist, dass die nationale Regelung möglicherweise mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Stehen Artikel 119 EG-Vertrag und/oder Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 und Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378, neu gefasst durch die Richtlinie 96/97, Satzungsbestimmungen eines Zusatzversorgungssystems der hier vorliegenden Art entgegen, nach denen eine Arbeitnehmerin während des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs (hier: vom 16. Dezember 1992 bis 5. April 1993 sowie vom 17. Januar bis 22. April 1994) keine Anwartschaften auf eine im Fall ihres vorzeitigen Ausscheidens aus der Pflichtversicherung ab Eintritt des Versicherungsfalls (Rentenalter, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit) monatlich zu beanspruchende Versicherungsrente erwirbt, weil die Entstehung solcher Anwartschaften davon abhängt, dass ein Arbeitnehmer im jeweiligen Zeitabschnitt steuerpflichtigen Arbeitslohn erhält, die der Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs zufließenden Leistungen nach den nationalen Bestimmungen jedoch keinen steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellen?

2. Gilt dies insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass die Versicherungsrente nicht - wie die beim Verbleib in der Pflichtversicherung im Versicherungsfall zu leistende Versorgungsrente - der Absicherung der Arbeitnehmerin im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit dient, sondern die während der Zeit der Pflichtversicherung für sie geleisteten Beiträge abgelten soll?

Zu den Vorlagefragen

Vorbringen der Beteiligten

21. Die Klägerin beschränkt sich darauf, auf den Vorlagebeschluss zu verweisen, dessen Inhalt in Randnummer 19 des vorliegenden Urteils zusammengefasst ist.

22. Die VBL macht geltend, dass die Bestimmungen des Zusatzversorgungssystems, nach denen eine Arbeitnehmerin während der gesetzlichen Mutterschutzzeit keine Anwartschaften auf eine Versicherungsrente erwerbe, nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstießen. Die Versicherungsrente diene nicht der Absicherung des Versicherten im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit. Ihr Zweck erschöpfe sich vielmehr darin, dem aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmer einen versicherungstechnischen Gegenwert für die geleisteten Beiträge zu gewähren. Die Anwartschaft auf eine Versicherungsrente werde von der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung nicht erfasst, die nach ihrer Intention der Vermittlung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit dienen wolle. Die Richtlinie 92/85 sei nicht anwendbar, denn die den Mitgliedstaaten für deren Umsetzung gesetzte Frist sei während der Zeit des dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts noch nicht abgelaufen gewesen. Daher habe die VBL darauf vertrauen dürfen, für die Mutterschutzzeiten der Arbeitnehmerinnen keine zusätzlichen Leistungen erbringen zu müssen. Schließlich sei die eingeführte Regelung auch mit Artikel 119 EG-Vertrag vereinbar, da es sich um Modalitäten der Finanzierung eines betrieblichen Versorgungssystems mit feststehenden Leistungen handele, die nicht in den Anwendungsbereich dieses Artikels fielen.

23. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften macht entgegen der VBL geltend, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zusatzversorgungssystem nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 stehe einer nationalen Regelung wie § 29 Absatz 7 der Satzung der VBL entgegen, die den Erwerb von Anwartschaften auf eine Betriebsrente von der Art der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Versicherungsrente während des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs davon abhängig mache, ob und in welchem Umfang eine Arbeitnehmerin in diesem Zeitraum ein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt erhalte. Der Umstand, dass die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie während der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Mutterschutzzeiten noch nicht abgelaufen gewesen sei, sei unerheblich, denn auch die vor dem Ablauf dieser Frist liegenden Mutterschutzzeiten müssten unabhängig davon, wann sie in Anspruch genommen worden seien, als solche berücksichtigt werden. Für den Fall, dass sich der Gerichtshof dieser Auslegung von Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 nicht anschließen sollte, trägt die Kommission vor, dass Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung der fraglichen nationalen Regelung entgegenstehe, soweit Mutterschutzzeiten vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 92/85 betroffen seien. Es erübrige sich, das Problem im Rahmen von Artikel 119 EG-Vertrag zu prüfen.

Würdigung durch den Gerichtshof

24. Die beiden Vorlagefragen sind gemeinsam zu prüfen.

25. Nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 96/97 muss jede Maßnahme zur Umsetzung dieser Richtlinie in Bezug auf die unselbständig Erwerbstätigen alle Leistungen abdecken, die für Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 gewährt werden.

26. Die Mutterschutzzeiten, um die es im Ausgangsverfahren geht, wurden nach diesem Zeitpunkt, nämlich 1992, 1993 und 1994, in Anspruch genommen. Daher ist die Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung in Bezug auf die Berücksichtigung solcher Zeiten für die Zwecke der Berechnung der entsprechenden Anwartschaftszeiten anzuwenden.

27. Nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung gehören zu den dem Grundsatz der Gleichbehandlung entgegenstehenden Bestimmungen solche, die sich unmittelbar oder mittelbar auf das Geschlecht stützen und die Unterbrechung der Aufrechterhaltung oder des Erwerbs von Ansprüchen während eines gesetzlich oder tarifvertraglich festgelegten Mutterschaftsurlaubs oder Urlaubs aus familiären Gründen, der vom Arbeitgeber bezahlt wird, bewirken.

28. Die Ansprüche, auf die sich Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie bezieht, umfassen die Anwartschaften auf künftige Renten, deren Erwerb durch die Anwendung nationaler Bestimmungen über den Mutterschaftsurlaub unterbrochen werden könnte.

29. Dem Vorbringen der VBL, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Versicherungsrente nicht von der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung erfasst werde, da ihr Sinn und Zweck darin bestehe, eine versicherungstechnische Gegenleistung für entrichtete Beiträge zu schaffen, und nicht in einer Absicherung im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit, kann nicht gefolgt werden. Denn es ergibt sich aus allen Angaben des Vorlagebeschlusses zu dieser Versicherungsrente, dass diese Teil einer Zusatzversorgungsregelung ist und den betroffenen Arbeitnehmern eine Leistung beim Eintritt des Risikos Alter oder Erwerbsunfähigkeit gewährleisten soll. Eine solche Versicherungsrente stellt damit eine Zusatzleistung dar, die in den durch die Artikel 2 und 4 der genannten Richtlinie festgelegten Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt und nicht unter den von dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlusstatbeständen aufgeführt ist.

30. Die Zeiten des Mutterschutzurlaubs im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung sind diejenigen, die gesetzlich oder tarifvertraglich festgelegt sind und vom Arbeitgeber bezahlt werden.

31. Nach dem Vorlagebeschluss erhielt die Klägerin während ihrer Zeiten des Mutterschaftsurlaubs neben dem staatlichen Mutterschaftsgeld gemäß § 13 Absatz 2 des Mutterschutzgesetzes den in § 14 Absatz 1 dieses Gesetzes vorgesehenen Zuschuss in Höhe der Differenz zwischen dem Mutterschaftsgeld und ihrem letzten Nettoarbeitsentgelt. Ihre Mutterschutzzeiten wurden somit teilweise von ihrem Arbeitgeber bezahlt. Dies genügt für die Annahme, dass der Urlaub im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie vom Arbeitgeber bezahlt wurde.

32. Nach allem steht Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung einer nationalen Regelung wie § 29 Absatz 7 der Satzung der VBL entgegen, die die Unterbrechung des Erwerbs der Anwartschaften auf eine Versicherungsrente während der Zeiten des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs durch die Aufstellung der Voraussetzung bewirkt, dass die Arbeitnehmerin während dieser Urlaubszeiten steuerpflichtigen Arbeitslohn bezieht.

33. Die Richtlinie 92/85 braucht nicht geprüft zu werden, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeiten des Mutterschaftsurlaubs vor Ablauf der für ihre Umsetzung gesetzten Frist am 19. Oktober 1994 in Anspruch genommen wurden.

34. Da sich die Beantwortung der Vorlagefragen auf die Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung stützt, braucht Artikel 119 EG-Vertrag nicht ausgelegt zu werden.

35. Daher sind die vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen entgegensteht, nach denen eine Arbeitnehmerin während des teilweise vom Arbeitgeber bezahlten gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs keine Anwartschaften auf eine Versicherungsrente, die Teil eines Zusatzversorgungssystems ist, erwirbt, weil die Entstehung solcher Anwartschaften davon abhängt, dass die Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs steuerpflichtigen Arbeitslohn erhält.

Kostenentscheidung:

Kosten

36. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen beim Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen entgegensteht, nach denen eine Arbeitnehmerin während des teilweise vom Arbeitgeber bezahlten gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs keine Anwartschaften auf eine Versicherungsrente, die Teil eines Zusatzversorgungssystems ist, erwirbt, weil die Entstehung solcher Anwartschaften davon abhängt, dass die Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs steuerpflichtigen Arbeitslohn erhält. nach oben

Ende der Entscheidung

Zurück