Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.12.2002
Aktenzeichen: C-362/01
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 98/5/EG


Vorschriften:

EGV Art. 226
Richtlinie 98/5/EG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das vorprozessuale Verfahren soll dem Mitgliedstaat Gelegenheit geben, seinen gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen oder seine Verteidigungsmittel gegenüber den Rügen der Kommission in sachdienlicher Weise geltend zu machen. Sein ordnungsgemäßer Ablauf ist nicht nur eine vom Vertrag vorgeschriebene wesentliche Garantie für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür, dass ein etwaiges prozessuales Verfahren einen eindeutig festgelegten Streitgegenstand hat.

( vgl. Randnrn. 16-17 )

2. Da im Rahmen einer Klage im Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung einer Richtlinie keine Bestimmung bei Nichtbeachtung der von der Kommission für die Beantwortung ihres Mahnschreibens gesetzte Frist die Unzulässigkeit der Äußerung des Mitgliedstaats vorsieht, muss die Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme vor der Darlegung der Vorwürfe, die sie erheben will, angeben, wie sie die nach Ablauf dieser Frist eingegangene Äußerung beurteilt.

Kündigt jedoch der Mitgliedstaat in seiner Antwort nur den künftigen Erlass von Umsetzungsmaßnahmen an, so wirkt sich der Umstand, dass es die Kommission unterlässt, diese Äußerung zu berücksichtigen, nicht auf die Eingrenzung des Streitgegenstands aus, macht es daher dem Mitgliedstaat nicht unmöglich, die Vertragsverletzung abzustellen und beeinträchtigt seine Verteidigungsrechte nicht.

Daher kann die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht als mit einem wesentlichen Fehler behaftet angesehen werden, der die Unzulässigkeit der Vertragsverletzungsklage der Kommission bewirkt hätte.

( vgl. Randnrn. 19-21 )


Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 2002. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Irland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Nichtumsetzung der Richtlinie 98/5/EG - Mit Gründen versehene Stellungnahme - Nichtberücksichtigung der Ausführungen des Mitgliedstaats zur Beantwortung des Mahnschreibens - Auswirkung auf die Zulässigkeit. - Rechtssache C-362/01.

Parteien:

In der Rechtssache C-362/01

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Banks als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg

Klägerin,

gegen

Irland, vertreten durch D. J. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von D. McGuinness, SC, und D. R. Phelan, BL, Zustellungsanschrift in Luxemburg

eklagter,

wegen Feststellung, dass Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (ABl. L 77, S. 36), verstoßen hat, dass es nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen, oder die Kommission davon nicht in Kenntnis gesetzt hat,

erlässt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet (Berichterstatter), M. Wathelet und C. W. A. Timmermans, der Richter D. A. O. Edward, A. La Pergola und P. Jann, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr und J. N. Cunha Rodrigues,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer

Kanzler: R. Grass

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. September 2002,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 24. September 2001 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung, dass Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (ABl. L 77, S. 36.) verstoßen hat, dass es nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen, oder die Kommission davon nicht in Kenntnis gesetzt hat.

2 Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 98/5 lautet:

Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie spätestens am 14. März 2000 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis."

Das vorprozessuale Verfahren

3 Nachdem die Kommission von Irland keine Mitteilung über die zur Umsetzung der Richtlinie 98/5 in dessen nationales Recht ergriffenen Maßnahmen erhalten hatte, forderte sie die irische Regierung mit Schreiben vom 8. August 2000 gemäß Artikel 226 EG auf, sich binnen zwei Monaten zu äußern.

4 Die irische Regierung antwortete auf dieses Mahnschreiben mit Schreiben vom 16. Januar 2001, bei der Kommission eingegangen am 17. Januar 2001, somit drei Monate nach Ablauf der ihr gesetzten Frist von zwei Monaten. Sie führte im Wesentlichen aus, dass die zur Umsetzung der Richtlinie 98/5 erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften noch geprüft würden und grundsätzlich Anfang 2001 in Kraft treten würden.

5 Am 24. Januar 2001 übersandte die Kommission Irland eine mit Gründen versehene Stellungnahme, mit der dieser Staat aufgefordert wurde, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um der Richtlinie 98/5 binnen zwei Monaten nachzukommen. Die Kommission führte namentlich in Nummer 3 dieser Stellungnahme aus, dass sie bis heute keine offizielle Antwort" seitens der irischen Regierung erhalten hat". Somit nehme sie an, dass Irland keine Umsetzungsmaßnahme ergriffen oder mitgeteilt habe und dass diese Feststellung die Übersendung einer mit Gründen versehenen Stellungnahme rechtfertige.

6 Die irische Regierung antwortete auf die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 29. Januar 2001 mit dem Hinweis, dass sie der Kommission ihre Stellungnahme übermittelt habe, und fügte als Anlage eine Kopie ihres Schreibens vom 16. Januar 2001 bei. Diese zweite Antwort brachte der Kommission nichts Neues zur Kenntnis.

7 Die Kommission erhielt danach keine weitere Information.

Zur Zulässigkeit

8 Die Kommission macht in ihrer Klageschrift in erster Linie geltend, dass Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen verstoßen habe, dass es nicht die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 98/5 in der hierfür gesetzten Frist erlassen habe. Irland bestreite nicht den gegen es erhobenen Vorwurf.

9 Die irische Regierung macht jedoch in ihrer Klagebeantwortung geltend, dass die gegen sie erhobene Klage unzulässig sei, da die Kommission die Voraussetzungen für die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht beachtet habe. Zu Unrecht führe die Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme aus, dass ihr Mahnschreiben nicht beantwortet worden sei. Sie habe die Kommission auf diesen Fehler aufmerksam gemacht, und die Kommission hätte, anstatt eine Klage beim Gerichtshof einzureichen, zunächst ihre Äußerung berücksichtigen und in einer neuen mit Gründen versehenen Stellungnahme darlegen müssen, warum sie die Antwort der irischen Behörden für unzureichend halte. Die irische Regierung beruft sich für diese Ansicht insbesondere auf den Beschluss des Gerichtshofes vom 11. Juli 1995 in der Rechtssache C-266/94 (Kommission/Spanien, Slg. 1995, I-1975, Randnrn. 24 bis 26), der eine unter gleichen Umständen eingereichte Vertragsverletzungsklage betroffen habe und in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass der Ablauf des vorprozessualen Verfahrens nicht ordnungsgemäß gewesen sei und dass dieser Umstand die Klage der Kommission offensichtlich unzulässig mache.

10 Die Kommission erkenne in ihrer Klageschrift an, dass das vorprozessuale Verfahren nicht ordnungsgemäß abgelaufen sei.

11 Die Kommission macht in ihrer Erwiderung erstens geltend, dass ihr die Äußerung der irischen Regierung nicht rechtzeitig zugegangen sei, da sie ihr erst deutlich nach Ablauf der im Mahnschreiben gesetzten Frist von zwei Monaten übersandt worden sei. Sie habe die Antwort der irischen Regierung ganz einfach deshalb" nicht zu berücksichtigen brauchen, weil diese Antwort unmittelbar vor Absendung der Stellungnahme eingegangen ist".

12 Zweitens sei die ihr übersandte Äußerung der irischen Regierung, selbst wenn sie rechtzeitig eingegangen wäre, nicht geeignet gewesen, sie vom Fehlen einer Vertragsverletzung zu überzeugen. Daher sei die Übersendung der mit Gründen versehenen Stellungnahme auf alle Fälle gerechtfertigt gewesen, und ihre, von ihr nicht bestrittene, Unterlassung der Berücksichtigung dieser Äußerung rechtfertige es nicht, die gegen Irland erhobenen Klage als unzulässig anzusehen.

13 Drittens seien die Voraussetzungen, unter denen der Gerichtshof die Unzulässigkeit der Vertragsverletzungsklage im Beschluss Kommission/Spanien festgestellt habe, auf alle Fälle hier nicht erfuellt. Der Gerichtshof habe nicht entschieden, dass eine Klage gegen einen Mitgliedstaat als unzulässig zu betrachten sei, wenn die Stellungnahme dieses Mitgliedstaats nicht berücksichtigt worden sei, sondern er habe die Unzulässigkeit der bei ihm eingereichten Klage nur festgestellt, weil nationale Maßnahmen, mit denen die in Rede stehende Richtlinie teilweise umgesetzt worden sei, vorgelegen hätten und die Antwort des Königreichs Spaniens innerhalb der von ihr in ihrem Mahnschreiben gesetzten Frist erfolgt sei. Diese beiden Umstände seien im vorliegenden Verfahren nicht gegeben.

14 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass entgegen dem offensichtlichen Vorbringen der Kommission die Stichhaltigkeit ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme, unterstellt, sie sei erwiesen, einen Fehler, mit dem das vorprozessuale Stadium des Vertragsverletzungsverfahrens behaftet ist, nicht heilt.

15 Das in Artikel 226 EG geregelte Verfahren besteht aus zwei aufeinander folgenden Stadien, nämlich einem vorprozessualen Verwaltungsstadium und einem prozessualen Stadium vor dem Gerichtshof.

16 Das vorprozessuale Verfahren soll dem Mitgliedstaat Gelegenheit geben, seinen gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen oder seine Verteidigungsmittel gegenüber den Rügen der Kommission in sachdienlicher Weise geltend zu machen (Urteil vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 293/85, Kommission/Belgien, Slg. 1988, 305, Randnr. 13, Beschluss Kommission/Spanien, Randnr. 16, und Urteil vom 13. Dezember 2001 in der Rechtssache C-1/00, Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-9989, Randnr. 53).

17 Der ordnungsgemäße Ablauf des vorprozessualen Verfahrens ist nicht nur eine vom Vertrag vorgeschriebene wesentliche Garantie für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür, dass ein etwaiges prozessuales Verfahren einen eindeutig festgelegten Streitgegenstand hat (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 53).

18 Somit werden mit dem vorprozessualen Verfahren drei Zwecke verfolgt: es dem Mitgliedstaat zu ermöglichen, einen eventuellen Verstoß abzustellen, ihn in die Lage zu versetzen, seine Verteidigungsrechte auszuüben, und den Streitgegenstand im Hinblick auf eine Befassung des Gerichtshofes einzugrenzen.

19 Es steht fest, dass der Kommission die Äußerung der irischen Regierung sieben Tage, bevor sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme übersandte, zugegangen ist. Keine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts sieht bei Nichtbeachtung der von der Kommission für die Beantwortung ihres Mahnschreibens gesetzten Frist die Unzulässigkeit der Äußerung des Mitgliedstaats vor. Es hätte daher der Kommission grundsätzlich oblegen, in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme vor der Darlegung der Vorwürfe, die sie erheben will, anzugeben, wie sie diese Äußerung beurteilt, anstatt zu Unrecht zu behaupten, dass ihr keine offizielle Antwort Irlands zugegangen sei.

20 Die Kommission hat es jedoch dem Mitgliedstaat nicht unmöglich gemacht, die Vertragsverletzung abzustellen, und hat seine Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt; der Umstand, dass sie es unterlassen hat, die Äußerung Irlands zu berücksichtigen, wirkt sich im Übrigen nicht auf die Eingrenzung des Streitgegenstands aus. Denn aus Randnummer 4 dieses Urteils geht hervor, dass Irland in seiner Antwort auf das Mahnschreiben der Kommission nur den künftigen Erlass noch in Prüfung befindlicher Umsetzungsmaßnahmen angekündigt hat.

21 Daher kann, so bedauerlich die Art und Weise erscheinen mag, in der das vorprozessuale Verfahren abgelaufen ist, die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht als mit einem wesentlichen Fehler behaftet angesehen werden, der die Unzulässigkeit der Vertragsverletzungsklage der Kommission bewirkt hätte.

22 Nach allem ist die Klage der Kommission zulässig.

Zur Vertragsverletzung

23 Da die Richtlinie 98/5/EG über die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs nicht innerhalb der gesetzten Frist umgesetzt worden ist, wie im Übrigen die irische Regierung einräumt, ist die Klage der Kommission begründet.

24 Daher ist festzustellen, dass Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 98/5 verstoßen hat, dass es nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Irland mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1. Irland hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, verstoßen, dass es nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.

2. Irland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

Zurück