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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.02.1999
Aktenzeichen: C-366/97
Rechtsgebiete: Zweite Richtlinie 89/646/EWG


Vorschriften:

Zweite Richtlinie 89/646/EWG Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Begriff "andere rückzahlbare Gelder" in Artikel 3 der Zweiten Richtlinie 89/646 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780, der das für Personen oder Gesellschaften, die keine Kreditinstitute sind, aufgestellte Verbot, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums gewerbsmässig entgegenzunehmen, so aufhebt, bezieht sich nicht nur auf Finanzierungsinstrumente, deren Wesensmerkmal die Rückzahlbarkeit ist, sondern auch auf solche, die dieses Merkmal nicht besitzen und bei denen die Rückzahlung der eingezahlten Gelder vertraglich vereinbart wird. Denn aus den Richtlinien 77/780 und 89/646 ergibt sich, daß der Schutz der Sparer eines der Ziele der auf dem Kreditsektor unternommenen Koordinierungsarbeiten ist. Nach der vierten Begründungserwägung der Richtlinie 77/780 müssen diese Arbeiten für den gesamten Kreditsektor gelten. Nach der fünften Begründungserwägung ist es daher notwendig, ihren Anwendungsbereich möglichst weit auszudehnen und alle Institute zu erfassen, die rückzahlbare Gelder des Publikums sowohl in Form von Einlagen als auch in anderen Formen, z. B. der laufenden Ausgabe von Schuldverschreibungen und ähnlichen Wertpapieren, entgegennehmen.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 11. Februar 1999. - Strafverfahren gegen Massimo Romanelli und Paolo Romanelli. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale civile e penale di Firenze - Italien. - Freier Dienstleistungsverkehr - Kreditinstitute - Rückzahlbare Gelder. - Rechtssache C-366/97.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunale civile e penale Florenz hat mit Beschluß vom 8. Oktober 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Oktober 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 3 der Zweiten Richtlinie 89/646/EWG des Rates vom 15. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG (ABl. L 386, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren gegen Massimo und Paolo Romanelli als gesetzliche Vertreter der Romanelli Finanzaria SpA wegen unerlaubter Entgegennahme von Ersparnissen des Publikums.

3 Artikel 3 der Richtlinie 89/646 lautet wie folgt:

"Die Mitgliedstaaten untersagen Personen oder Gesellschaften, die keine Kreditinstitute sind, die Tätigkeit der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums gewerbsmässig zu betreiben..."

4 In Italien wurde die Richtlinie 89/646 durch das Decreto legislativo Nr. 385 vom 1. September 1993 zur Umsetzung der Richtlinie 89/646 und zur Koordinierung der Gesetze des Banken- und Kreditwesens in das nationale Recht umgesetzt. Artikel 11 Absatz 2 dieses Dekrets verbietet Unternehmen, die keine Banken sind, die Entgegennahme von Ersparnissen des Publikums, die in Absatz 1 als "Entgegennahme von Geldern mit der Verpflichtung zur Rückzahlung in Form von Einlagen oder in anderer Form" definiert wird. Nach Artikel 130 des Dekrets ist im übrigen die rechtswidrige Entgegennahme von Ersparnissen des Publikums eine Straftat.

5 1994 und 1995 stellten Massimo und Paolo Romanelli treuhänderische Wertpapiere aus, die sich auf den Verkauf einer verbrieften Forderung an Dritte, deren gleichzeitigen Rückkauf zu einem um die vereinbarten Zinsen erhöhten Preis und Bezugsrechte zum Erwerb von Obligationen der Romanelli Finanzaria SpA bezogen.

6 Das Tribunale civile e penale Florenz stellt klar, daß es sich bei den in Rede stehenden treuhänderischen Wertpapieren und Bezugsrechten zum Erwerb von Obligationen "um Finanzierungsinstrumente handelt, die nicht wesensmässig, sondern nur aufgrund vertraglicher Vereinbarung rückzahlbar sind".

7 Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß der Begriff der Entgegennahme von Ersparnissen im Decreto legislativo Nr. 385 auf zweierlei Weise ausgelegt werden kann: Entweder bezieht er sich nur auf Finanzierungsinstrumente, die wesensmässig eine Verpflichtung zur Rückzahlung enthalten, oder er bezeichnet auch Finanzierungsinstrumente, deren Rückzahlbarkeit auf einer ausdrücklichen Vereinbarung beruht.

8 Das Tribunale civile e penale Florenz hat in der Erwägung, daß die maßgebende Auslegung von der Auslegung des Artikels 3 der Richtlinie 89/646 abhänge, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Bezieht sich der Begriff "rückzahlbare Gelder" in der Richtlinie 89/646/EWG vom 15. Dezember 1989 nur auf Finanzierungsinstrumente, deren Wesensmerkmal die Rückzahlbarkeit ist, oder auch auf Finanzierungsinstrumente, die dieses Wesensmerkmal nicht besitzen und bei denen die Rückzahlung des eingezahlten Betrages vertraglich vereinbart wird?

9 Nach Ansicht der Angeklagten des Ausgangsverfahrens erfasst Artikel 3 der Richtlinie 89/646 nur die Entgegennahme von wesensmässig rückzahlbaren Geldern, nicht aber Tätigkeiten, die nicht dieses Merkmal aufweisende Finanzierungsinstrumente zum Gegenstand hätten, selbst wenn für diese eine "Rückzahlung" vertraglich vereinbart worden sei. Zwar werde mit der Richtlinie 89/646 und der Richtlinie 77/780/EWG des Rates vom 12. Dezember 1977 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (ABl. L 322, S. 30) bezweckt, Kreditkapital, wie Einlagezertifikate und Obligationen, zu schützen; diese Richtlinien beträfen jedoch nicht Risikokapital, wie Aktien einer Gesellschaft, das nicht aufgrund einer Rückzahlungsgarantie investiert werde, sondern um spekulative Gewinne zu erzielen.

10 Die belgische, die österreichische und die finnische Regierung sowie die Kommission machen hingegen geltend, daß einer der wesentlichen Zwecke der Richtlinie 89/646, der Schutz der Sparer, nur dann erreicht werden könne, wenn Artikel 3 der Richtlinie so ausgelegt werde, daß der Begriff "rückzahlbare Gelder" jedes Geschäft erfasse, das eine Rückzahlungspflicht mit sich bringe, unabhängig von ihren Modalitäten. Da ständig neue Instrumente von den Kreditinstituten geschaffen würden, laufe jede andere Auslegung dieser Bestimmung Gefahr, die praktische Wirksamkeit des in Rede stehenden Verbotes zu beeinträchtigen, das gewährleisten solle, daß nur berechtigte Rechtssubjekte die betreffenden Geschäfte beim Publikum vornehmen dürften.

11 Wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 9. Juli 1997 in der Rechtssache C-222/95 (Parodi, Slg. 1997, I-3899, Randnr. 22) festgestellt hat, ist der Bankensektor ein im Hinblick auf den Schutz der Verbraucher besonders sensibler Bereich. Diese müssen insbesondere gegen eine mögliche Schädigung durch Bankgeschäfte geschützt werden, die von Kreditinstituten durchgeführt werden, die den Anforderungen an ihre Zahlungsfähigkeit nicht genügen oder deren Geschäftsführer nicht die erforderliche fachliche und moralische Eignung besitzen.

12 So ist, wie sich aus den Richtlinien 77/780 und 89/646 ergibt, der Schutz der Sparer eines der Ziele der auf dem Kreditsektor unternommenen Koordinierungsarbeiten.

13 Nach der vierten Begründungserwägung der Richtlinie 77/780 müssen diese Arbeiten für den gesamten Kreditsektor gelten. Nach der fünften Begründungserwägung ist es daher notwendig, ihren Anwendungsbereich möglichst weit auszudehnen und alle Institute zu erfassen, die rückzahlbare Gelder des Publikums sowohl in Form von Einlagen als auch in anderen Formen, z. B. der laufenden Ausgabe von Schuldverschreibungen und ähnlichen Wertpapieren, entgegennehmen.

14 Aufgrund dieser Erwägungen definiert Artikel 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie 77/780 ein Kreditinstitut als "Unternehmer, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren". Die Richtlinie 89/646, die nach ihrem Artikel 2 Absatz 1 für sämtliche Kreditinstitute gilt, verweist ebenfalls auf diese Definition.

15 Somit ist das in Artikel 3 der Richtlinie 89/646 für Personen oder Gesellschaften, die keine Kreditinstitute sind, aufgestellte Verbot, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums gewerbsmässig entgegenzunehmen, so auszulegen, daß es für Finanzierungsinstrumente gilt, deren Rückzahlbarkeit auf einer vertraglichen Bestimmung beruht.

16 Wie der Generalanwalt in Nummer 12 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, würde eine engere Auslegung, wie sie von den Angeklagten des Ausgangsverfahrens vertreten wird, dazu führen, daß der Zweck des Schutzes der Verbraucher gegen den Schaden, den sie durch Geldgeschäfte erleiden könnten, vereitelt wird.

17 Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß sich der Begriff "andere rückzahlbare Gelder" in Artikel 3 der Richtlinie nicht nur auf Finanzierungsinstrumente bezieht, deren Wesensmerkmal die Rückzahlbarkeit ist, sondern auch auf solche, die dieses Merkmal nicht besitzen und bei denen die Rückzahlung der eingezahlten Gelder vertraglich vereinbart wird.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen der belgischen, der österreichischen und der finnischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Tribunale civile e penale Florenz mit Beschluß vom 8. Oktober 1997 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Der Begriff "andere rückzahlbare Gelder" in Artikel 3 der Zweiten Richtlinie 89/646/EWG des Rates vom 15. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG bezieht sich nicht nur auf Finanzierungsinstrumente, deren Wesensmerkmal die Rückzahlbarkeit ist, sondern auch auf solche, die dieses Merkmal nicht besitzen und bei denen die Rückzahlung der eingezahlten Gelder vertraglich vereinbart wird.

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