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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.08.1995
Aktenzeichen: C-367/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Protokoll betreffend das Großherzogtum Luxemburg


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 95
EWG-Vertrag Art. 95 Abs. 1
EWG-Vertrag Art. 95 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 233
Protokoll betreffend das Großherzogtum Luxemburg Art. 1 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Im Rahmen der Anwendung von Artikel 95 des Vertrages, zu deren wesentlichen Elementen die Definition des Begriffes "inländische Waren" gehört, sind die Hoheitsgebiete Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs hinsichtlich der Weinsteuer als ein einziges Gebiet anzusehen, da die Sätze und Kriterien der in diesen Staaten auf vergorene Getränke aus Früchten und vergorene schäumende Getränke erhobenen Verbrauchsteuern dadurch vereinheitlicht wurden, daß ein gemeinsamer Steuersatz und ein in Belgien und den Niederlanden anwendbarer ergänzender Steuersatz vorgesehen wurden, und da die genannten Staaten eine vereinheitlichte Regelung zur Erhebung der Verbrauchsteuern und einen Verrechnungsmechanismus zwischen den Parteien eingeführt haben.

Folglich sind alle in den Beneluxstaaten erzeugten Obst- oder Traubenweine als inländische Waren im Sinne von Artikel 95 des Vertrages anzusehen.

Auch wenn die steuerliche Vorzugsbehandlung, die die Beneluxstaaten in Luxemburg erzeugten Traubenweinen gegenüber eingeführten Weinen gewährt haben, somit in Anbetracht der in Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 2 des dem Vertrag beigefügten Protokolls betreffend das Großherzogtum Luxemburg vorgesehenen und aufgrund von Artikel 2 der Verordnung Nr. 541/70 über die Landwirtschaft des Großherzogtums Luxemburg und anderen nachfolgenden Verordnungen in Kraft gebliebenen Ausnahme nicht gegen den Vertrag und speziell gegen dessen Artikel 95 verstieß, durften die Beneluxstaaten doch nicht die in ihrem Hoheitsgebiet erzeugten Weine aus anderen Früchten als Trauben zum Nachteil gleichartiger Getränke aus einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft begünstigen.

Eine solche Steuerdiskriminierung der eingeführten Erzeugnisse kann nicht aufgrund von Artikel 233 des Vertrages gerechtfertigt werden, da sie nicht als für das Funktionieren der im Benelux-Rahmen geschaffenen Regelung erforderlich angesehen werden kann. Ein Mitgliedstaat kann sich nämlich nicht auf diese Bestimmung berufen, um sich seinen Verpflichtungen aus Artikel 95 zu entziehen, da dies für das ordnungsgemässe Funktionieren der Benelux-Regelung nicht unerläßlich ist.

2. Bei der Beurteilung des ° weit auszulegenden ° Begriffs der Gleichartigkeit im Sinne von Artikel 95 Absatz 1 des Vertrages ist zu prüfen, ob die fraglichen Waren ähnliche Eigenschaften haben und bei den Verbrauchern den gleichen Bedürfnissen dienen, und zwar nicht anhand eines Kriteriums der strengen Identität, sondern der Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit in der Verwendung. Speziell bei der Beurteilung der Gleichartigkeit von Obst- und Traubenweinen sind zum einen eine Reihe objektiver Merkmale der beiden Gruppen von Getränken zu berücksichtigen, wie ihr Ausgangsstoff, ihre Herstellungsverfahren und ihre organoleptischen Eigenschaften ° insbesondere ihr Geschmack und ihr Alkoholgehalt °, und zum anderen die Frage, ob die beiden Getränkegruppen den gleichen Bedürfnissen der Verbraucher dienen können.

Es ist bereits entschieden worden, daß bei Anwendung dieser Kriterien rote Tafelweine und Obstweine als gleichartige Erzeugnisse anzusehen sind.

In bezug auf rote Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete, Likörweine wie Sherry und Madeira sowie Wermut einerseits und Champagner andererseits hat das vorlegende Gericht anhand der genannten Kriterien zu beurteilen, ob solche Erzeugnisse und stille Obstweine mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 15 Vol.-% bzw. Obstschaumweine mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 15 Vol.-% gleichartig sind, wobei bei den Likörweinen, dem Wermut und dem Champagner sowohl bei den Konsumgewohnheiten oder den organoleptischen Eigenschaften als auch bei den Herstellungsverfahren spürbare Unterschiede festgestellt werden können.

3. Artikel 95 Absatz 2 des Vertrages soll jede Form eines mittelbaren steuerlichen Protektionismus bei Erzeugnissen erfassen, die zwar nicht inländischen Erzeugnissen im Sinne des Absatzes 1 gleichartig sind, die aber doch mit einigen von ihnen, wenn auch nur teilweise, mittelbar oder potentiell, im Wettbewerb stehen.

Die Vereinbarkeit einer Abgabenbelastung mit der genannten Bestimmung muß im Hinblick auf die Auswirkungen dieser Belastung auf die Wettbewerbsverhältnisse zwischen den betreffenden Erzeugnissen beurteilt werden, so daß insbesondere zu prüfen ist, ob diese Belastung geeignet ist, den betreffenden Markt durch eine Verminderung des potentiellen Verbrauchs der eingeführten Erzeugnisse zugunsten der mit ihnen im Wettbewerb stehenden inländischen Erzeugnisse zu beeinflussen. Dabei ist der Unterschied zwischen den Verkaufspreisen der fraglichen Erzeugnisse und der Einfluß dieses Unterschieds auf die Entscheidung des Verbrauchers sowie die Entwicklung des Verbrauchs dieser Erzeugnisse zu berücksichtigen.

4. Die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung der ihm durch Artikel 177 des Vertrages verliehenen Befugnis vornimmt, erläutert und verdeutlicht erforderlichenfalls die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschrift, so wie diese seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, daß der Richter die in dieser Weise ausgelegte Vorschrift auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlaß des auf das Auslegungsersuchen ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden kann und muß, wenn im übrigen die Voraussetzungen dafür, daß ein Rechtsstreit über die Anwendung dieser Vorschrift vor die zuständigen Gerichte gebracht wird, erfuellt sind.

Angesichts dieser Grundsätze ist eine Beschränkung der Wirkungen eines Auslegungsurteils nur ganz ausnahmsweise möglich und nur unter ganz bestimmten Umständen in Erwägung zu ziehen, wenn die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen besteht, die insbesondere auf die grosse Anzahl von Rechtsverhältnissen zurückzuführen sind, die gutgläubig auf der Grundlage einer zuvor als gültig betrachteten nationalen Regelung eingegangen worden sind, und wenn sich herausstellt, daß die Bürger und die nationalen Behörden durch eine objektive und bedeutende Ungewißheit über die Tragweite der Gemeinschaftsbestimmungen, zu der gegebenenfalls auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hat, zu einem mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbaren Verhalten veranlasst worden sind.

Die genannten Voraussetzungen liegen bei einem Urteil über die unterschiedliche steuerliche Behandlung inländischer Obstweine und gleichartiger oder mit ihnen im Wettbewerb stehender eingeführter Erzeugnisse sowie über die Anwendung von Artikel 95 des Vertrages im Rahmen der Benelux-Regelung nicht vor. Die Auslegung dieses Artikels sowie die Frage seiner unmittelbaren Anwendbarkeit sind nämlich Gegenstand einer weit zurückreichenden, umfangreichen und mannigfaltigen Rechtsprechung, die keinen Zweifel über die Tragweite dieser Bestimmung lässt; diese Feststellung drängt sich um so mehr auf, falls gegen den betreffenden Mitgliedstaat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wurde, in dem ihm gerade die Unvereinbarkeit seiner einschlägigen Rechtsvorschriften mit Artikel 95 vorgeworfen wurde.

Die Beschränkung der Wirkungen eines solchen Urteils kann im übrigen nicht ausschließlich mit den möglichen finanziellen Konsequenzen der Rechtswidrigkeit einer Abgabe für eine Regierung gerechtfertigt werden. Wäre dies nicht so, würden die schwersten Verstösse günstiger behandelt, da sie es sind, die die bedeutendsten finanziellen Auswirkungen für die Mitgliedstaaten haben können; wenn man sich allein auf diese Art von Erwägungen stützen würde, würde dies ausserdem darauf hinauslaufen, daß der gerichtliche Schutz der Rechte, die die Steuerpflichtigen aus den Steuervorschriften der Gemeinschaft herleiten, wesentlich eingeschränkt wäre.

5. Hinsichtlich der Rückerstattung von unter Verstoß gegen Artikel 95 des Vertrages erhobenen Steuern schließt das Gemeinschaftsrecht zwar die Berücksichtigung der Tatsache nicht aus, daß die Belastung dieser Steuern auf andere Wirtschaftsteilnehmer oder auf den Verbraucher abgewälzt werden konnte; es obliegt aber den Mitgliedstaaten, für die Erstattung zu Unrecht erhobener Steuern nach den Bestimmungen ihres nationalen Rechts unter Bedingungen zu sorgen, die nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die bei ähnlichen, innerstaatlichen Rechtsbehelfen gelten, und die die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte jedenfalls nicht praktisch unmöglich machen dürfen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 11. AUGUST 1995. - F. G. RODERS BV UND ANDERE GEGEN INSPECTEUR DER INVOERRECHTEN EN ACCIJNZEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TARIEFCOMMISSIE - NIEDERLANDE. - WEINSTEUERN - DISKRIMINIERENDE INLAENDISCHE ABGABEN - BENELUX-REGELUNG. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-367/93 BIS C-377/93.

Entscheidungsgründe:

1 Die Tariefcommissie hat dem Gerichtshof mit elf Beschlüssen vom 7. Juli 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juli 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 95 des Vertrages zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen Importeuren alkoholischer Getränke und dem Inspecteur der Invörrechten en Accijnzen von Amsterdam wegen der auf Weine, die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt wurden, erhobenen Weinsteuern und besonderen Weinsteuern.

3 Aufgrund des Vertrages zur Vereinheitlichung der Verbrauchsteuern und des Stempelrechts für Edelmetalle (Staatsblad 1951, 215, im folgenden: Vereinheitlichungsvertrag), der am 18. Februar 1950 zwischen Belgien, Luxemburg und den Niederlanden geschlossen wurde, wurden die Sätze und Kriterien der Verbrauchsteuern auf vergorene Getränke aus Früchten und auf vergorene schäumende Getränke vereinheitlicht. Durch die Artikel 9, 9bis und 10 des Vereinheitlichungsvertrags in der Fassung des Sechsten Protokolls vom 26. Januar 1976 (Tractatenblad 1976, 46) wird eine gemeinsame Verbrauchsteuer für die drei Staaten und eine in den Niederlanden und in Belgien erhobene zusätzliche Verbrauchsteuer eingeführt, die sowohl an die Herstellung als auch an die Einfuhr anknüpfen. Artikel 18 dieses Vertrages sieht vor, daß in den Niederlanden und in der belgisch-luxemburgischen Wirtschaftsunion Maßnahmen getroffen werden, um die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften über die Erhebung von Verbrauchsteuern zu gewährleisten, für die eine gemeinsame Regelung geschaffen worden ist. Nach Artikel 19 Absatz 2 werden die Verbrauchsteuern, die eine der Vertragsparteien auf Waren erhoben hat, für die eine gemeinsame Verbrauchsteuerregelung geschaffen worden ist und die aus ihrem Gebiet in das der anderen Partei verbracht werden, mit dieser letztgenannten Partei verrechnet. Die Verrechnung zwischen den Parteien erfolgt gemäß den von den zuständigen Ministern aufgestellten Vorschriften.

4 In Anwendung dieser Vorschriften konnte die gemeinsame Verbrauchsteuer auf die aus anderen Staaten eingeführten Erzeugnisse bei Überschreitung der Grenze zum Beneluxgebiet von der örtlich zuständigen Zollbehörde erhoben werden. Eine Verrechnung der auf diese Weise erhobenen Steuern wurde regelmässig zwischen den Parteien vorgenommen.

5 Auf der Grundlage von Artikel 9bis Absatz 3 des Vereinheitlichungsvertrags in der Fassung des Sechsten Protokolls konnten die zuständigen Minister der Vertragsparteien im Beneluxgebiet hergestellte oder dorthin eingeführte vergorene Getränke aus anderen Früchten als Trauben, Korinthen oder Rosinen vollständig oder teilweise von den Verbrauchsteuern befreien.

6 Die luxemburgischen Traubenweine waren im Beneluxgebiet ebenfalls von den Verbrauchsteuern befreit. Diese Befreiung beruhte ursprünglich auf Artikel 6 der Konvention vom 25. Juli 1921 über die Belgisch-Luxemburgische Wirtschaftsunion (Leagü of Nations Treaty Series 1922, S. 224). Sie wurde im Vertrag vom 3. Februar 1958 über die Errichtung der Benelux-Wirtschaftsunion (United Nations Treaty Series, 381, S. 165) wieder aufgegriffen, dessen Artikel 80 Absatz 2 in der Fassung des oben genannten Sechsten Protokolls vorsah, daß natürliche Weine, die im Großherzogtum in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften dieses Landes aus dort geernteten Trauben hergestellt worden waren, nicht mit der Verbrauchsteuer und der zusätzlichen Verbrauchsteuer gemäß dem Vereinheitlichungsvertrag belegt werden konnten.

7 Zu der in den Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit galt für die Steuersätze das Siebte Protokoll zum Vereinheitlichungsvertrag vom 14. September 1984 (Tractatenblad 1984, 122). Die darin erwähnten Abgaben waren auch in dem mehrfach geänderten niederländischen Gesetz vom 30. Mai 1963 über die Verbrauchsteuer auf alkoholhaltige Stoffe (Staatsblad 1963, 240; im folgenden: Gesetz von 1963) vorgesehen.

8 In den Artikeln 4 und 5 des Gesetzes von 1963 in seiner zu der maßgeblichen Zeit geltenden Fassung wurde zwischen stillen Weinen, zu denen sowohl Traubenweine mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 22 Volumenprozent als auch Obstweine mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 15 Volumenprozent zählten, und Schaumweinen unterschieden, zu denen Schaumweine auf Traubenbasis und Schaumweine auf der Basis anderer Früchte als Trauben zählten. Erzeugnisse, die ° vor allem weil sie einen höheren als den genannten Alkoholgehalt besassen ° zu keiner dieser Kategorien gehörten, wurden als "alkoholhaltige Stoffe" angesehen und unterlagen als solche einer höheren Alkoholsteuer.

9 Alle in den Niederlanden hergestellten oder dorthin eingeführten stillen Weine unterliegen grundsätzlich einer Weinsteuer und einer besonderen Weinsteuer (Artikel 2 Absätze 2 und 3 des Gesetzes von 1963). Ebenso unterliegen alle Schaumweine grundsätzlich einer Steuer auf schäumende Getränke und einer besonderen Steuer auf schäumende Getränke (Artikel 2 Absätze 4 und 5 des Gesetzes von 1963). Nach den Artikeln 85a und 88d des Gesetzes von 1963 sind jedoch stille Obstweine von den Verbrauchsteuern befreit, sofern ihre Etikettierung und Verpackung bestimmten Anforderungen entspricht. Obstschaumweine wiederum unterliegen einer niedrigeren Steuer als Traubenschaumweine. Ausserdem unterliegen eingeführte Traubenschaumweine der Weinsteuer, während eingeführte Obstschaumweine von ihr befreit sind.

10 Am 11. Januar 1991 wies der Inspecteur der Invörrechten en Accijnzen von Amsterdam elf Einsprüche gegen die Anwendung der Weinsteuern und der besonderen Weinsteuern zurück, die auf die Einfuhren folgender Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten erhoben worden waren:

° Madeira mit Ursprung in Portugal und einem Alkoholgehalt von 18 % (Rechtssache C-367/93),

° Rotwein mit Ursprung in Frankreich und einem Alkoholgehalt von 12 % (Rechtssachen C-368/93, C-372/93 und C-375/93),

° Champagner mit Ursprung in Frankreich und einem Alkoholgehalt von 12 % (Rechtssachen C-369/93, C-373/93 und C-377/93),

° Wermut mit Ursprung in Italien und einem Alkoholgehalt von 13,5 % (Rechtssache C-370/93),

° Sherry mit Ursprung in Spanien und einem Alkoholgehalt von 17 % (Rechtssachen C-371/93, C-374/93 und C-376/93).

In ihren Einsprüchen machten die Importeure, die nicht in den Genuß der Steuerbefreiungen für Obstweine kommen konnten, geltend, daß die niederländischen Rechtsvorschriften mit Artikel 95 des Vertrages unvereinbar seien, soweit Traubenweine und Weine aus anderen Früchten als Trauben unterschiedlich besteuert würden.

11 Die Importeure erhoben gegen alle ablehnenden Bescheide Klage. Im Rahmen dieser Rechtsstreitigkeiten hat die Tariefcommissie beschlossen, das Verfahren auszusetzen und den Gerichtshof um Vorabentscheidung über folgende Fragen zu ersuchen:

1) Verstösst die vorliegende Erhebung von Weinsteuern bei der Einfuhr [des fraglichen Erzeugnisses] mit Ursprung [im fraglichen Mitgliedstaat] und einem Alkoholgehalt [in der fraglichen Höhe] in die Niederlande ° insbesondere im Hinblick auf die verbrauchsteuerrechtliche Behandlung von Obstwein nach dem seinerzeit geltenden niederländischen Verbrauchsteuerrecht und u. a. auch im Hinblick auf die Tatsache, daß die Niederlande ein Benelux-Mitgliedstaat sind ° gegen Artikel 95 EWG-Vertrag?

2) Welche zeitliche Wirkung ist einer positiven Antwort auf die erste Frage beizumessen?

12 Durch Beschluß vom 6. September 1993 hat der Gerichtshof die Rechtssachen C-367/93, C-368/93, C-369/93, C-370/93, C-371/93, C-372/93, C-373/93, C-374/93, C-375/93, C-376/93 und C-377/93 gemäß Artikel 43 der Verfahrensordnung zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

Zur ersten Frage

13 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß es im Rahmen von Artikel 177 des Vertrages nicht Sache des Gerichtshofes ist, über die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden; er ist jedoch dafür zuständig, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen können, für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits über die Frage der Vereinbarkeit zu befinden (vgl. u. a. Urteil vom 8. Oktober 1992 in der Rechtssache C-143/91, Van der Tas, Slg. 1992, I-5045, Randnr. 12).

14 Mit der ersten Frage wird der Gerichtshof um die Auslegung von Artikel 95 Absätze 1 und 2 EWG-Vertrag ersucht. Sie sehen folgendes vor:

"Die Mitgliedstaaten erheben auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben.

Die Mitgliedstaaten erheben auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten keine inländischen Abgaben, die geeignet sind, andere Produktionen mittelbar zu schützen."

15 Nach ständiger Rechtsprechung zielt Artikel 95, insgesamt betrachtet, darauf ab, durch Beseitigung jeder Form des Schutzes, die aus einer die Waren aus anderen Mitgliedstaaten diskriminierenden inländischen Besteuerung folgen könnte, den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten unter normalen Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. Diese Bestimmung soll somit die vollkommene Wettbewerbsneutralität der inländischen Besteuerung für inländische und eingeführte Erzeugnisse sichern (vgl. Urteil vom 11. Dezember 1990 in der Rechtssache C-47/88, Kommission/Dänemark, Slg. 1990, I-4509, Randnr. 9).

16 Wie sich aus den Vorlagebeschlüssen ergibt, geht es dem vorlegenden Gericht insbesondere um den in Artikel 95 enthaltenen Begriff der inländischen Waren und, bei der Anwendung von Absatz 1, um die Frage, ob die hier in Rede stehenden Waren und die steuerfreien Obstweine gleichartig sind. Falls die in Rede stehenden Waren den inländischen Waren nicht gleichartig sind, wäre sodann die Anwendbarkeit von Artikel 95 Absatz 2 zu prüfen.

Zum Begriff der inländischen Waren

17 Ein wesentliches Element bei der Anwendung von Artikel 95 ist die Definition des Begriffes "inländische Waren".

18 Hierzu führt die niederländische Regierung aus, diese Definition hänge im vorliegenden Fall vom Verhältnis zwischen Artikel 95 und der erwähnten Benelux-Regelung ab. Gemäß Artikel 233 des Vertrages stuenden die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem Bestehen und der Durchführung des Zusammenschlusses zwischen Belgien, Luxemburg und den Niederlanden nicht entgegen, soweit die Ziele dieses Zusammenschlusses durch Anwendung des Vertrages nicht erreicht seien. Nach ihrer Auslegung durch den Gerichtshof solle diese Bestimmung verhindern, daß der genannte regionale Zusammenschluß durch die Anwendung des Gemeinschaftsrechts aufgelöst oder in seiner Entwicklung behindert werde. Aufgrund von Artikel 233 könnten die drei betroffenen Mitgliedstaaten deshalb abweichend von den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften die im Rahmen ihres Zusammenschlusses geltenden Vorschriften anwenden, soweit dieser Zusammenschluß weiter fortgeschritten sei als die Errichtung des Gemeinsamen Marktes (Urteil vom 16. Mai 1984 in der Rechtssache 105/83, Pakvries, Slg. 1984, 2101, Randnr. 11).

19 Die niederländische Regierung macht daher geltend, im Hinblick auf den Stand der Vereinheitlichung der Verbrauchsteuern in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden seien diese drei Mitgliedstaaten bei der Anwendung von Artikel 95 des Vertrages als ein einziger Mitgliedstaat anzusehen. In Anbetracht des Umfangs der Erzeugung von Obst- und Traubenwein in den Beneluxstaaten sei der Traubenwein deshalb als eine inländische Ware anzusehen. Da sowohl Obst- als auch Traubenwein inländische Waren seien, liege keine Diskriminierung im Sinne von Artikel 95 des Vertrages vor.

20 Hierzu ist festzustellen, daß die Hoheitsgebiete Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs hinsichtlich der Weinsteuer als ein einziges Gebiet anzusehen sind. Wie sich nämlich aus den Randnummern 3 ff. des vorliegenden Urteils ergibt, hat der Vereinheitlichungsvertrag die Sätze und Kriterien der Verbrauchsteuern auf vergorene Getränke aus Früchten und vergorene schäumende Getränke dadurch vereinheitlicht, daß ein gemeinsamer Steuersatz und ein in Belgien und den Niederlanden anwendbarer ergänzender Steuersatz vorgesehen wurden. Ausserdem haben die Beneluxstaaten eine vereinheitlichte Regelung zur Erhebung der Verbrauchsteuern und einen Verrechnungsmechanismus zwischen den Parteien eingeführt.

21 Folglich sind alle in den Beneluxstaaten erzeugten Obst- oder Traubenweine als inländische Waren im Sinne von Artikel 95 des Vertrages anzusehen.

22 Die steuerliche Vorzugsbehandlung, die luxemburgischem Traubenwein im Beneluxgebiet gegenüber eingeführten Weinen zugute kam, verstieß nicht gegen den Vertrag. Gemäß Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 2 des dem EWG-Vertrag beigefügten Protokolls betreffend das Großherzogtum Luxemburg wandten Belgien, Luxemburg und die Niederlande nämlich das in Artikel 6 Absatz 3 der Konvention vom 25. Juli 1921 über die Belgisch-Luxemburgische Wirtschaftsunion vorgesehene System an. Diese Ausnahme blieb aufgrund von Artikel 2 der Verordnung (EWG) Nr. 541/70 des Rates vom 20. März 1970 über die Landwirtschaft des Großherzogtums Luxemburg (ABl. L 68, S. 3) und anderen nachfolgenden Verordnungen in Kraft. Diese Steuerbefreiungen wurden gemäß Artikel 2 der Verordnung (EWG) Nr. 204/90 des Rates vom 22. Januar 1990 über die Landwirtschaft im Großherzogtum Luxemburg (ABl. L 22, S. 11) am 1. Januar 1993 aufgehoben.

23 Auch wenn die Beneluxstaaten somit durch die Vorzugsbehandlung der in Luxemburg erzeugten Traubenweine nicht gegen Artikel 95 verstießen, so durften sie doch nicht die in einem der drei Beneluxstaaten erzeugten Obstweine zum Nachteil eventuell gleichartiger Getränke aus einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft begünstigen.

24 Wie sich aus den Randnummern 3 bis 5 ergibt, kam den im Beneluxgebiet hergestellten Obstweinen aber eine steuerliche Vorzugsbehandlung gegenüber den eingeführten Traubenweinen zugute, die die Kommission und die Klägerinnen der Ausgangsverfahren als den Obstweinen gleichartig ansehen.

25 Diese Steuerdiskriminierung der eingeführten Erzeugnisse kann nicht als für das Funktionieren der im Benelux-Rahmen geschaffenen Regelung erforderlich und damit als aufgrund von Artikel 233 des Vertrages gerechtfertigt angesehen werden.

Zur Gleichartigkeit der betreffenden Waren

26 Sodann ist zu prüfen, ob die verschiedenen Traubenweine, die Gegenstand der Ausgangsverfahren sind, im Sinne von Artikel 95 Absatz 1 des Vertrages den Obstweinen gleichartig sind.

27 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes, der den Begriff der Gleichartigkeit weit ausgelegt hat, ist bei der Beurteilung dieses Begriffes zu prüfen, ob die fraglichen Waren ähnliche Eigenschaften haben und bei den Verbrauchern den gleichen Bedürfnissen dienen, und zwar nicht anhand eines Kriteriums der strengen Identität, sondern der Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit in der Verwendung. Speziell zur Beurteilung der Gleichartigkeit von Obst- und Traubenweinen hat der Gerichtshof ausgeführt, daß zum einen eine Reihe objektiver Merkmale der beiden Gruppen von Getränken zu berücksichtigen sind, wie ihr Ausgangsstoff, ihre Herstellungsverfahren und ihre organoleptischen Eigenschaften ° insbesondere ihr Geschmack und ihr Alkoholgehalt °, und zum anderen die Frage, ob die beiden Getränkegruppen den gleichen Bedürfnissen der Verbraucher dienen können (vgl. Urteil vom 4. März 1986 in der Rechtssache 106/84, Kommission/Dänemark, Slg. 1986, 833, Randnr. 12).

28 Im vorliegenden Fall sind diese Kriterien nacheinander auf Rotweine, auf Likörweine des Typs Sherry und Madeira, auf Wermut und auf Champagner anzuwenden.

29 Bei den Rotweinen ist zwischen den Tafelweinen, die Gegenstand der Rechtssachen C-368/93 und C-372/93 sind, und den roten Qualitätsweinen bestimmter Anbaugebiete, um die es in der Rechtssache C-375/93 geht, zu unterscheiden.

30 Der Gerichtshof hat bereits im Urteil Kommission/Dänemark vom 4. März 1986 (a. a. O., Randnrn. 14 und 15) die Ansicht vertreten, daß Tafelweine, gleichgültig, ob es sich um Obst- oder Traubenweine handelt, aus derselben Art von Grunderzeugnissen, nämlich aus Agrarprodukten, nach dem gleichen Verfahren, nämlich durch natürliche Gärung, hergestellt werden. Er hat ferner darauf hingewiesen, daß die beiden Gruppen von Weinen ähnliche organoleptische Eigenschaften ° insbesondere Geschmack und Alkoholgehalt ° aufweisen und bei den Verbrauchern den gleichen Bedürfnissen dienen, da sie sich für dieselben Arten des Verbrauchs, sowohl als durstlöschendes und erfrischendes Getränk als auch zu den Mahlzeiten, eignen können.

31 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand der vom Gerichtshof herausgearbeiteten Kriterien zu beurteilen, ob die roten Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete ebenfalls als den Obstweinen gleichartig im Sinne von Artikel 95 Absatz 1 des Vertrages anzusehen sind.

32 In bezug auf die Likörweine, die Gegenstand der Rechtssachen C-371/93, C-374/93 und C-376/93 (Sherry) und der Rechtssache C-367/93 (Madeira) sind, ist festzustellen, daß sie sich von Tafelweinen unterscheiden, da sie gewöhnlich zum einen als Aperitif und zum anderen als Dessertwein konsumiert werden und daher unterschiedlichen Bedürfnissen der Verbraucher dienen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der Alkoholgehalt des Sherrys (17 Volumenprozent) und des Madeiras (18 Volumenprozent) höher ist als der der Obstweine (15 Volumenprozent), die eine Vorzugsbehandlung genießen.

33 Der Wermut, um den es in der Rechtssache C-370/93 geht, hat einen Alkoholgehalt von 13,5 Volumenprozent und könnte aus diesem Grund den stillen Obstweinen mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 15 Volumenprozent gleichgestellt werden. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß der Wermut nicht aus den gleichen Ausgangsstoffen wie die Obstweine hergestellt wird, da dem Traubenwein nicht nur Äthylalkohol hinzugefügt wird, sondern auch eine geringe Menge einer Pflanzenmischung, die dem Wermut seinen besonderen Geschmack verleiht. Daraus folgt, daß die organoleptischen Eigenschaften des Wermuts nicht denen von stillen Obstweinen entsprechen und daß diese beiden Getränkegruppen unterschiedlichen Bedürfnissen der Verbraucher dienen.

34 Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht zu treffenden Feststellungen zu der Frage, ob es Obstweine mit ähnlichen Merkmalen gibt, hat dieses Gericht zu beurteilen, ob der in Rede stehende Wein als gleichartig angesehen werden kann.

35 In bezug auf den Champagner, der Gegenstand der Rechtssachen C-369/93, C-373/93 und C-377/93 ist, ist zunächst festzustellen, daß zwar sowohl die Obstschaumweine als auch der Champagner aus derselben Art von Grunderzeugnissen gewonnen werden, daß sie aber nicht nach dem gleichen Verfahren hergestellt werden. Während der Champagner durch ein natürliches Verfahren, nämlich durch eine zweite alkoholische Gärung in der Flasche, zum Schäumen gebracht wird, benötigen die Obstschaumweine den Zusatz von Kohlensäure, also einen Gärungsprozeß, der nicht natürlich ist. Darüber hinaus sind die organoleptischen Eigenschaften von Champagner nicht mit denen von Obstschaumweinen vergleichbar. Schließlich dienen diese beiden Getränkegruppen bei den Verbrauchern nicht den gleichen Bedürfnissen, vor allem weil der Konsum von Champagner gewöhnlich besonderen Gelegenheiten vorbehalten ist.

36 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand dieser Kriterien zu beurteilen, ob der Champagner, der Gegenstand der Rechtssachen C-369/93, C-373/93 und C-377/93 ist, als eine Ware angesehen werden kann, die den Obstschaumweinen mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 15 Volumenprozent gleichartig ist.

Zur Anwendung von Artikel 95 Absatz 2

37 Auch wenn nationale Rechtsvorschriften wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden in bezug auf Sherry, Madeira, Wermut und Champagner mit Artikel 95 Absatz 1 vereinbar sind, so könnten sie doch gegen Absatz 2 dieses Artikels verstossen. Es erscheint daher angebracht, dem vorlegenden Gericht alle Anhaltspunkte zu liefern, die ihm die Entscheidung über die Vereinbarkeit solcher Rechtsvorschriften mit dieser Bestimmung ermöglichen.

38 Insoweit hat der Gerichtshof bereits festgestellt, daß Artikel 95 Absatz 2 des Vertrages jede Form eines mittelbaren steuerlichen Protektionismus bei Erzeugnissen erfassen soll, die zwar nicht inländischen Erzeugnissen im Sinne des Absatzes 1 gleichartig sind, die aber doch mit einigen von ihnen, wenn auch nur teilweise, mittelbar oder potentiell, im Wettbewerb stehen (vgl. Urteil vom 9. Juli 1987 in der Rechtssache 356/85, Kommission/Belgien, Slg. 1987, 3299, Randnr. 7).

39 Ausserdem ist nach ständiger Rechtsprechung die Vereinbarkeit einer Abgabenbelastung mit Artikel 95 Absatz 2 im Hinblick auf die Auswirkungen dieser Belastung auf die Wettbewerbsverhältnisse zwischen den betreffenden Erzeugnissen zu beurteilen. Die grundlegende Frage ist also die, ob diese Belastung geeignet ist, den betreffenden Markt durch eine Verminderung des potentiellen Verbrauchs der eingeführten Erzeugnisse zugunsten der mit ihnen im Wettbewerb stehenden inländischen Erzeugnisse zu beeinflussen (vgl. Urteil Kommission/Belgien, a. a. O., Randnr. 15). Dabei hat das vorlegende Gericht den Unterschied zwischen den Verkaufspreisen der fraglichen Erzeugnisse und den Einfluß dieses Unterschieds auf die Entscheidung des Verbrauchers sowie die Entwicklung des Verbrauchs dieser Erzeugnisse zu berücksichtigen.

40 Auf die erste Frage der Tariefcommissie ist deshalb zu antworten, daß

° ein Mitgliedstaat sich nicht auf Artikel 233 des Vertrages berufen kann, um sich seinen Verpflichtungen aus Artikel 95 dieses Vertrages zu entziehen, da dies für das ordnungsgemässe Funktionieren der Benelux-Regelung nicht unerläßlich ist;

° Artikel 95 Absatz 1 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß das vorlegende Gericht anhand der vom Gerichtshof herausgearbeiteten Kriterien zu beurteilen hat, ob

° Erzeugnisse wie roter Tafelwein, roter Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete, Sherry, Madeira und Wermut einerseits und stille Obstweine mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 15 Volumenprozent andererseits gleichartig sind;

° Erzeugnisse wie Champagner und Obstschaumweine mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 15 Volumenprozent gleichartig sind;

° Artikel 95 Absatz 2 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß die Vereinbarkeit einer Abgabenbelastung im Hinblick auf die Auswirkungen dieser Belastung auf die Wettbewerbsverhältnisse zwischen den betreffenden Erzeugnissen beurteilt werden muß, so daß insbesondere zu prüfen ist, ob diese Belastung geeignet ist, den betreffenden Markt durch eine Verminderung des potentiellen Verbrauchs der eingeführten Erzeugnisse zugunsten der mit ihnen im Wettbewerb stehenden inländischen Erzeugnisse zu beeinflussen. Dabei hat das vorlegende Gericht den Unterschied zwischen den Verkaufspreisen der fraglichen Erzeugnisse und den Einfluß dieses Unterschieds auf die Entscheidung des Verbrauchers sowie die Entwicklung des Verbrauchs dieser Erzeugnisse zu berücksichtigen.

Zur zweiten Frage

41 Mit der zweiten Frage wird der Gerichtshof ersucht, darüber zu entscheiden, ob bei Bejahung der ersten Frage die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu beschränken sind.

42 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung der ihm durch Artikel 177 des Vertrages verliehenen Befugnis vornimmt, die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschrift, so wie diese seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre, erforderlichenfalls erläutert und verdeutlicht. Daraus folgt, daß der Richter die in dieser Weise ausgelegte Vorschrift auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlaß des auf das Auslegungsersuchen ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden kann und muß, wenn im übrigen die Voraussetzungen dafür, daß ein Rechtsstreit über die Anwendung dieser Vorschrift vor die zuständigen Gerichte gebracht wird, erfuellt sind (vgl. Urteil vom 27. März 1980 in der Rechtssache 61/79, Denkavit italiana, Slg. 1980, 1205, Randnr. 16).

43 Angesichts dieser Grundsätze ist eine Beschränkung der Wirkungen des auf das Auslegungsersuchen ergehenden Urteils nur ganz ausnahmsweise möglich (vgl. u. a. Urteil Denkavit italiana, a. a. O., Randnr. 17). Der Gerichtshof hat diese Lösung in der Tat nur unter ganz bestimmten Umständen angewandt, wenn die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen bestand, die insbesondere auf die grosse Anzahl von Rechtsverhältnissen zurückzuführen waren, die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, und wenn sich herausstellte, daß die Bürger und die nationalen Behörden durch eine objektive und bedeutende Ungewißheit über die Tragweite der Gemeinschaftsbestimmungen, zu der gegebenenfalls auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hatte, zu einem mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren (vgl. u. a. Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-163/90, Legros u. a., Slg. 1992, I-4625).

44 Im vorliegenden Fall gibt es keinen Gesichtspunkt, der eine Ausnahme vom Grundsatz der Rückwirkung der Auslegungsurteile rechtfertigen könnte.

45 Tatsächlich ist festzustellen, daß die Auslegung von Artikel 95 sowie die Frage seiner unmittelbaren Anwendbarkeit Gegenstand einer weit zurückreichenden, umfangreichen und mannigfaltigen Rechtsprechung sind, die keinen Zweifel über die Tragweite dieser Bestimmung lässt (vgl. u. a. Urteil vom 27. Mai 1981 in den Rechtssachen 142/80 und 143/80, Essevi und Salengo, Slg. 1981, 1413, Randnr. 33). Ausserdem ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission am 17. Oktober 1990 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Königreich der Niederlande eingeleitet hatte, in dem diesem gerade die Unvereinbarkeit der in den Ausgangsverfahren streitigen Rechtsvorschriften mit Artikel 95 des Vertrages vorgeworfen wurde. Dieses Verfahren wurde später eingestellt, nachdem die Niederlande die am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen neuen Rechtsvorschriften für diesen Bereich erlassen hatten.

46 Die niederländische Regierung weist im übrigen darauf hin, daß sie einen beträchtlichen finanziellen Schaden erleiden würde, wenn das Urteil sofort anwendbar wäre. Ausserdem ergäbe sich daraus ein ungerechtfertigter Vorteil für die betroffenen Steuerpflichtigen, da sie diese Steuer schon auf ihre Kunden abgewälzt hätten und ihnen den fraglichen Betrag nicht zurückzahlen würden, wenn sie ihn erstattet bekämen.

47 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

48 Zum einen haben die möglichen finanziellen Konsequenzen der Rechtswidrigkeit einer Steuer für eine Regierung für sich allein niemals die Beschränkung der Wirkungen eines Urteils des Gerichtshofes gerechtfertigt (vgl. Urteil vom 31. März 1992 in der Rechtssache C-200/90, Dansk Denkavit und Poulsen Trading, Slg. 1992, I-2217). Wäre dies nicht so, würden die schwersten Verstösse ausserdem günstiger behandelt, da sie es sind, die die bedeutendsten finanziellen Auswirkungen für die Mitgliedstaaten haben können. Zudem würde eine allein auf diese Art von Erwägungen gestützte Beschränkung der Wirkungen eines Urteils darauf hinauslaufen, daß der gerichtliche Schutz der Rechte, die die Steuerpflichtigen aus den Steuervorschriften der Gemeinschaft herleiten, wesentlich eingeschränkt wäre.

49 Zum anderen schließt das Gemeinschaftsrecht nach ständiger Rechtsprechung zwar die Berücksichtigung der Tatsache nicht aus, daß die Belastung der zu Unrecht erhobenen Steuern auf andere Wirtschaftsteilnehmer oder auf den Verbraucher abgewälzt werden konnte; es obliegt aber den Mitgliedstaaten, für die Erstattung unter Verstoß gegen Artikel 95 erhobener Steuern nach den Bestimmungen ihres nationalen Rechts unter Bedingungen zu sorgen, die nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die bei ähnlichen, innerstaatlichen Rechtsbehelfen gelten, und die die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte jedenfalls nicht praktisch unmöglich machen dürfen (vgl. Urteil vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache 68/79, Just, Slg. 1980, 501, Randnr. 27).

50 Auf die zweite Frage ist deshalb zu antworten, daß kein Anlaß besteht, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu beschränken.

Kostenentscheidung:

Kosten

51 Die Auslagen der niederländischen und der portugiesischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm von der Tariefcommissie mit Beschlüssen vom 7. Juli 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf Artikel 233 EWG-Vertrag berufen, um sich seinen Verpflichtungen aus Artikel 95 dieses Vertrages zu entziehen, da dies für das ordnungsgemässe Funktionieren der Benelux-Regelung nicht unerläßlich ist.

2) Artikel 95 Absatz 1 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß das vorlegende Gericht anhand der vom Gerichtshof herausgearbeiteten Kriterien zu beurteilen hat, ob

° Erzeugnisse wie roter Tafelwein, roter Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete, Sherry, Madeira und Wermut einerseits und stille Obstweine mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 15 Volumenprozent andererseits gleichartig sind;

° Erzeugnisse wie Champagner und Obstschaumweine mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als 15 Volumenprozent gleichartig sind.

3) Artikel 95 Absatz 2 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß die Vereinbarkeit einer Abgabenbelastung im Hinblick auf die Auswirkungen dieser Belastung auf die Wettbewerbsverhältnisse zwischen den betreffenden Erzeugnissen beurteilt werden muß, so daß insbesondere zu prüfen ist, ob diese Belastung geeignet ist, den betreffenden Markt durch eine Verminderung des potentiellen Verbrauchs der eingeführten Erzeugnisse zugunsten der mit ihnen im Wettbewerb stehenden inländischen Erzeugnisse zu beeinflussen. Dabei hat das vorlegende Gericht den Unterschied zwischen den Verkaufspreisen der fraglichen Erzeugnisse und den Einfluß dieses Unterschieds auf die Entscheidung des Verbrauchers sowie die Entwicklung des Verbrauchs dieser Erzeugnisse zu berücksichtigen.

4) Es besteht kein Anlaß, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu beschränken.

Ende der Entscheidung

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