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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.06.1991
Aktenzeichen: C-369/89
Rechtsgebiete: EWGV, RL Nr. 79/112/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
EWGV Art. 30
RL Nr. 79/112/EWG Art. 14
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 14 der Richtlinie 79/112 über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln, der die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, daß diese Erzeugnisse in ihrem Hoheitsgebiet nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn bestimmte Angaben "nicht in einer dem Käufer leicht verständlichen Sprache abgefasst sind, es sei denn, die Unterrichtung des Käufers ist durch andere Maßnahmen gewährleistet", verlangt nur, solche Erzeugnisse vom Handelsverkehr auszuschließen, deren Etikettierung für den Käufer nicht leicht verständlich ist, ohne den Gebrauch einer bestimmten Sprache vorzuschreiben.

Es ginge über die Anforderungen dieser Bestimmung hinaus, wenn eine nationale Regelung zum einen eine weiter gehende Verpflichtung als die zum Gebrauch einer leicht verständlichen Sprache, wie zum Beispiel die Verwendung allein der Sprache des Sprachgebiets, in dem die Erzeugnisse in den Verkehr gebracht werden, aufstellen würde und zum anderen nicht die Möglichkeit vorsähe, die Unterrichtung des Verbrauchers durch andere Maßnahmen zu gewährleisten.

Die Verpflichtung zur ausschließlichen Verwendung der Sprache des Sprachgebiets würde eine gegen Artikel 30 EWG-Vertrag verstossende Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung darstellen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 18. JUNI 1991. - ASBL PIAGEME UND ANDERE GEGEN BVBA PEETERS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: RECHTBANK VAN KOOPHANDEL LEUVEN - BELGIEN. - AUSLEGUNG DES ARTIKELS 30 EWG-VERTRAG UND DES ARTIKELS 14 DER RICHTLINIE 79/112/EWG - ETIKETTIERUNG UND AUFMACHUNG VON FUER DEN VERBRAUCHER BESTIMMTEN LEBENSMITTELN - ETIKETTIERUNG IN DER SPRACHE DES SPRACHGEBIETS DES VERKAUFS. - RECHTSSACHE C-369/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Rechtbank van Koophandel Löwen (Belgien) hat mit Beschluß vom 5. Dezember 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Dezember 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 30 EWG-Vertrag und Artikel 14 der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 33, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Verband der Hersteller, Importeure und Generalagenten ausländischer Mineralwässer (Piageme), der Société générale des grandes sources et eaux minérales françaises (SGGSEMF) und den Firmen Évian, Apollinaris und Vittel (nachfolgend: Antragsteller des Ausgangsverfahrens), die verschiedene Mineralwässer nach Belgien einführen und dort vertreiben, und der im flämischen Sprachgebiet dieses Landes niedergelassenen Firma Peeters, die diese Mineralwässer dort in Flaschen zum Verkauf bringt, deren Etiketts ausschließlich in Französisch oder in Deutsch abgefasst sind.

3 Da sie ihre Rechte verletzt sahen, leiteten die Antragsteller des Ausgangsverfahrens gegen die Firma Peeters ein Verfahren vor der Rechtbank van Koophandel Löwen ein, in dem sie geltend machten, daß Artikel 10 der königlichen Verordnung vom 2. Oktober 1980, nunmehr Artikel 11 der königlichen Verordnung vom 13. November 1986 (Moniteur belge vom 2. 12. 1986, S. 16317), mit der die Richtlinie 79/112 in belgisches Recht umgesetzt werden solle, bestimme, daß die vorgeschriebenen Angaben auf den Etiketts zumindest in der oder den Sprachen des Sprachgebiets abgefasst sein müssten, in dem die Lebensmittel zum Verkauf angeboten würden.

4 Die Firma Peeters hat sich auf die Unvereinbarkeit der belgischen Vorschriften mit Artikel 30 EWG-Vertrag und Artikel 14 der genannten Richtlinie berufen, der vorsehe, daß die fraglichen Angaben "in einer dem Käufer leichtverständlichen Sprache abgefasst [sein müssen], es sei denn, die Unterrichtung des Käufers ist durch andere Maßnahmen gewährleistet". Unter diesen Umständen hat die Rechtbank van Koophandel Löwen das Verfahren ausgesetzt, um dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht Artikel 10 der königlichen Verordnung vom 2. Oktober 1980, nunmehr Artikel 11 der königlichen Verordnung vom 13. November 1986, im Widerspruch zu Artikel 30 EWG-Vertrag und zu Artikel 14 der Richtlinie 79/112/EWG vom 18. Dezember 1978?

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der anwendbaren Rechtsvorschriften und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Zuständigkeit

6 Die Antragsteller des Ausgangsverfahrens bestreiten die Zuständigkeit des Gerichtshofes aus zwei Gründen. Zum einen sei der Gerichtshof für die Beurteilung der Vereinbarkeit innerstaatlicher Regelungen mit dem Gemeinschaftsrecht und folglich für die Beantwortung der vom nationalen Richter vorgelegten Frage nicht zuständig. Zum anderen sei die Beantwortung der Vorlagefrage für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erforderlich.

7 Zu dem erstgenannten Punkt ist darauf hinzuweisen, daß es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des Artikels 177 EWG-Vertrag nicht Sache des Gerichtshofes ist, über die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden; er ist jedoch befugt, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung dieses Rechts zu geben, die es diesem ermöglichen, bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens die Frage der Vereinbarkeit zu beurteilen (vgl. z. B. das Urteil vom 21. November 1990 in der Rechtssache C-373/89, Integrity, Slg. 1990, I-4243, Randnr. 9).

8 Mit der Vorlagefrage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 30 EWG-Vertrag und Artikel 14 der Richtlinie 79/112 der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, mit der die Verwendung der Sprache des Sprachgebiets, in dem die Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden, vorgeschrieben und die Verwendung einer anderen, den Käufern leicht verständlichen Sprache oder Ausnahmen für den Fall, daß die Unterrichtung des Käufers durch andere Maßnahmen gewährleistet ist, nicht zugelassen werden.

9 Die Antragsteller des Ausgangsverfahrens machen zweitens geltend, daß der Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht nicht die Frage zum Gegenstand habe, ob die belgische Regelung in Form einer Ausnahmevorschrift die Möglichkeit vorsehen müsse, die Unterrichtung des Käufers mit anderen Mitteln als einem in der Sprache des Verkaufsgebiets abgefassten Etikett zu gewährleisten, sondern die Frage, ob - falls eine solche Ausnahmevorschrift bestehe - andere Mittel eine solche Unterrichtung wirksam gewährleisten könnten. Der Rechtsstreit habe demnach eine Beweisfrage zum Gegenstand, die allein in die Zuständigkeit des nationalen Richters und nicht in die des Gerichtshofes falle, so daß dieser mit einer für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens unnötigen Vorlagefrage befasst sei.

10 Hierzu genügt der Hinweis, daß es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache der nationalen Gerichte, die mit dem Rechtsstreit befasst sind und die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, ist, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelnen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die Rechtserheblichkeit der Fragen, die

sie dem Gerichtshof stellen, zu beurteilen. Wenn die von den nationalen Gerichten gestellten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts betreffen, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-231/89, Gmurzynska-Bscher, Slg. 1990, I-4003, Randnr. 20).

Zur Vorlagefrage

11 Die Antragsteller des Ausgangsverfahrens sind der Auffassung, daß die Verpflichtung zur Etikettierung in der Sprache des Sprachgebiets, in dem die Erzeugnisse in den Verkehr gebracht werden, in sinnvoller Weise dem Zweck der Richtlinie entspreche, der darin bestehe, dem Verbraucher nähere Angaben über die verkauften Erzeugnisse zu verschaffen und die angesichts der Verschiedenheit der in einem bestimmten Gebiet gesprochenen Sprachen nötige Rechtssicherheit zu gewährleisten. Artikel 14 der Richtlinie erlege den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf, das Inverkehrbringen von Erzeugnissen zu untersagen, deren Etikettierung nicht den Vorschriften entspreche, und beschränke sich nicht auf eine Verpflichtung, die den Mitgliedstaaten einen Spielraum lasse, indem sie eine für den Käufer leicht verständliche Etikettierung erlaube.

12 Dazu ist zu bemerken, daß die den Mitgliedstaaten durch Artikel 14 der Richtlinie auferlegte Verpflichtung darin besteht, dafür zu sorgen, daß diese Erzeugnisse "in ihrem Hoheitsgebiet [nicht] in den Verkehr gebracht werden dürfen", wenn die vorgesehenen Angaben "nicht in einer dem Käufer leicht verständlichen Sprache abgefasst sind, es sei denn, die Unterrichtung des Käufers ist durch andere Maßnahmen gewährleistet".

13 Es besteht also nur die Verpflichtung, solche Erzeugnisse vom Handelsverkehr auszuschließen, deren Etikettierung für den Käufer nicht leicht verständlich ist, nicht aber, den Gebrauch

einer bestimmten Sprache vorzuschreiben.

14 Es trifft zu, daß Artikel 14 bei grammatikalischer Auslegung einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift nicht entgegensteht, die zur Unterrichtung des Verbrauchers allein den Gebrauch der Sprache oder der Sprachen des Gebiets, in dem die Erzeugnisse verkauft werden, zuließe, da es eine solche Regelung den Käufern ermöglichen würde, die Angaben auf den Erzeugnissen leicht zu verstehen. Die Sprache des Sprachgebiets erfuellt nämlich das Merkmal "leicht verständlich" am besten.

15 Eine solche Auslegung von Artikel 14 würde jedoch gegen den Zweck der Richtlinie verstossen. Aus ihren ersten drei Begründungserwägungen ergibt sich nämlich, daß die Richtlinie 79/112 vor allem dazu dienen soll, die zwischen den innerstaatlichen Vorschriften bestehenden Unterschiede, die den freien Warenverkehr behindern, zu beseitigen. Aufgrund dieses Ziels beschränkt sich Artikel 14 darauf, die Verwendung einer dem Käufer leicht verständlichen Sprache zu fordern mit der Maßgabe, daß die Einfuhr von Lebensmitteln in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats auch gestattet werden kann, wenn die einschlägigen Angaben nicht in einer leicht verständlichen Sprache abgefasst sind, sofern "die Unterrichtung des Käufers... durch andere Maßnahmen gewährleistet [ist]".

16 Aus alledem folgt, daß es über die Anforderungen der Richtlinie hinausgeht, wenn zum einen eine weiter gehende Verpflichtung als die zum Gebrauch einer leicht verständlichen Sprache, wie zum Beispiel die Verwendung allein der Sprache des Sprachgebiets, aufgestellt und zum anderen nicht die Möglichkeit vorgesehen wird, die Unterrichtung des Verbrauchers durch andere Maßnahmen zu gewährleisten. Die Verpflichtung zur

ausschließlichen Verwendung der Sprache des Sprachgebiets würde eine gegen Artikel 30 EWG-Vertrag verstossende Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung darstellen.

17 Folglich ist die vom innerstaatlichen Gericht gestellte Frage so zu beantworten, daß Artikel 30 EWG-Vertrag und Artikel 14 der Richtlinie 79/112 einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die ausschließliche Verwendung einer bestimmten Sprache bei der Etikettierung von Lebensmitteln vorschreibt, ohne die Möglichkeit vorzusehen, eine andere für den Käufer leicht verständliche Sprache zu verwenden oder die Unterrichtung des Käufers durch andere Maßnahmen zu gewährleisten.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm von der Rechtbank van Koophandel Löwen mit Beschluß vom 5. Dezember 1989 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 30 EWG-Vertrag und Artikel 14 der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür stehen einer nationalen Regelung entgegen, die die ausschließliche Verwendung einer bestimmten Sprache bei der Etikettierung von Lebensmitteln vorschreibt, ohne die Möglichkeit vorzusehen, eine andere für den Käufer leicht verständliche Sprache zu verwenden oder die Unterrichtung des Käufers durch andere Maßnahmen zu gewährleisten.

Ende der Entscheidung

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