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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.10.1993
Aktenzeichen: C-37/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Im Rahmen des durch Artikel 177 des Vertrages geschaffenen Systems der richterlichen Zusammenarbeit obliegt die Auslegung nationaler Rechtsvorschriften den nationalen Gerichten und nicht dem Gerichtshof, wenngleich diese Gerichte die nationale Regelung, die zur Durchführung einer Gemeinschaftsrichtlinie erlassen wurde, nach ständiger Rechtsprechung im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen haben.

2. Die Richtlinie 75/439 über die Altölbeseitigung steht einer nationalen Regelung entgegen, durch die ein System für die Sammlung und Beseitigung von Altölen zugunsten von Unternehmen eingeführt wird, denen die Verwaltung eine Zulassung für ihnen vorbehaltene Bezirke erteilt, und nach der diese Zulassung faktisch nur inländischen Unternehmen erteilt werden kann.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 12. OKTOBER 1993. - STRAFVERFAHREN GEGEN JOSE VANACKER UND ANDRE LESAGE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR D'APPEL DE DOUAI - FRANKREICH. - AUSFUHRSCHRANKEN - BESCHRAENKUNGEN DES FREIEN DIENSTLEISTUNGSVERKEHRS - ALTOELE. - RECHTSSACHE C-37/92.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour d' appel Douai hat mit Urteil vom 18. Oktober 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Februar 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 30 bis 36 EWG-Vertrag und der Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung (ABl. L 194, S. 31; nachstehend: die Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren gegen zwei belgische Staatsangehörige, J. Vanacker und A. Lesage, die vor dem Tribunal correctionnel Laon angeklagt wurden, weil sie 1985 im Sinne der damals geltenden französischen Regelung Altöle beseitigt, d. h. im französischen Hoheitsgebiet gesammelt und befördert haben sollen, ohne die nach der fraglichen Regelung vorgeschriebene Zulassung zu besitzen. Diese Handlungen sind nach der genannten Regelung strafbar.

3 Das angerufene Tribunal correctionnel sprach die Angeklagten frei. Dieses Urteil wurde durch Urteil der Cour d' appel Amiens bestätigt, gegen das Revision eingelegt wurde. Die französische Cour de cassation hob das Urteil der Cour d' appel Amiens auf und verwies die Sache an die Cour d' appel Douai zurück. Dieses Gericht ist der Auffassung, daß "der ihm zur Entscheidung vorgelegte Sachverhalt hinreichend Anlaß" biete, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann die französische Regelung, durch die in Frankreich zugunsten von Unternehmen, denen die Verwaltung eine Zulassung für ihnen vorbehaltene Bezirke erteilt, ein System für die Sammlung und Beseitigung von Altölen eingeführt worden ist, im Hinblick auf die Artikel 30 bis 36 EWG-Vertrag und die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften dahin ausgelegt werden, daß danach faktisch nur inländischen Unternehmen eine Zulassung erteilt werden kann, und ist sie demnach als mit den genannten gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften vereinbar oder nicht vereinbar anzusehen?

4 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens, des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

5 Wie sich aus den Akten ergibt, beziehen sich die Zweifel des vorlegenden Gerichts auf die Regelung für die Sammlung ° also für die Abholung und Beförderung ° von Altölen, nicht aber auf die Vorschriften über ihre Beseitigung. Ferner umfasst die dem Gerichtshof vorgelegte Frage in Wirklichkeit folgende zwei Teile.

6 Erstens ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Auslegung der französischen Regelung im Hinblick darauf, ob nach dieser Regelung die für die Sammlung erforderliche Zulassung faktisch nur inländischen Unternehmen erteilt werden kann.

7 Auf diese Teilfrage ist zu antworten, daß die Auslegung nationaler Rechtsvorschriften im Rahmen des durch Artikel 177 EWG-Vertrag geschaffenen Systems der richterlichen Zusammenarbeit den nationalen Gerichten und nicht dem Gerichtshof obliegt, wenngleich diese Gerichte die nationale Regelung, die zur Durchführung einer Gemeinschaftsrichtlinie erlassen wurde, nach ständiger Rechtsprechung im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen haben (Urteil vom 8. Oktober 1987 in der Rechtssache 80/86, Kolpinghuis, Slg. 1987, 3969).

8 Zweitens fragt das vorlegende Gericht, ob die Artikel 30 bis 36 EWG-Vertrag und die Richtlinie 75/439 einer nationalen Regelung entgegenstehen, durch die ein System für die Sammlung und Beseitigung von Altölen zugunsten von Unternehmen eingeführt wird, denen die Verwaltung eine Zulassung für ihnen vorbehaltene Bezirke erteilt, und nach der diese Zulassung faktisch nur inländischen Unternehmen erteilt werden kann.

9 Zur Beantwortung dieser zweiten Teilfrage ist zunächst festzustellen, daß, nachdem mit der Richtlinie auf Gemeinschaftsebene eine harmonisierte Regelung für die Sammlung von Altölen geschaffen worden ist, alle nationalen Maßnahmen in diesem Bereich anhand dieser Richtlinie und nicht anhand der Artikel 30 bis 36 EWG-Vertrag zu beurteilen sind.

10 Nach den Artikeln 2 bis 4 der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zur schadlosen Sammlung und Beseitigung von Altölen, wenn möglich durch Wiederverwendung, zu treffen. Artikel 5 der Richtlinie bestimmt in der Fassung, in der er zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt galt, daß die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen diese Ziele nicht anders erreicht werden können, die erforderlichen Maßnahmen dafür zu treffen haben, daß ein oder mehrere Unternehmen die ihnen von den Besitzern angebotenen Erzeugnisse gegebenenfalls in dem ihnen von der zuständigen Behörde zugewiesenen Bezirk sammeln und/oder beseitigen.

11 Wie der Gerichtshof im übrigen bereits mit den Urteilen vom 10. März 1983 in der Rechtssache 172/82 (Inter-Huiles, Slg. 1983, 555), vom 9. Februar 1984 in der Rechtssache 295/82 (Rhônes-Alpes Huiles, Slg. 1984, 575) und vom 7. Februar 1985 in der Rechtssache 173/83 (Kommission/Frankreich, Slg. 1985, 491) entschieden hat, sind nationale Rechtsvorschriften, durch die ein System der Zulassungen für bestimmte Bezirke eingeführt wird, mit der fraglichen Richtlinie und den Vorschriften über den freien Warenverkehr unvereinbar, weil sie die Ausfuhr von Altöl ausschließen.

12 Ebenso unvereinbar mit der Richtlinie ist eine nationale Regelung, die eine Zulassung für bestimmte Bezirke vorsieht und nach der diese Zulassung faktisch nur inländischen Unternehmen erteilt werden kann.

13 Auf den zweiten Teil der Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß die Richtlinie 75/439 einer nationalen Regelung entgegensteht, durch die ein System für die Sammlung und Beseitigung von Altölen zugunsten von Unternehmen eingeführt wird, denen die Verwaltung eine Zulassung für ihnen vorbehaltene Bezirke erteilt, und nach der diese Zulassung faktisch nur inländischen Unternehmen erteilt werden kann.

Kostenentscheidung:

Kosten

14 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm von der Cour d' appel mit Urteil vom 18. Oktober 1991 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

1) Im Rahmen des durch Artikel 177 EWG-Vertrag geschaffenen Systems der richterlichen Zusammenarbeit obliegt die Auslegung nationaler Rechtsvorschriften den nationalen Gerichten und nicht dem Gerichtshof, wenngleich diese Gerichte die nationale Regelung, die zur Durchführung einer Gemeinschaftsrichtlinie erlassen wurde, nach ständiger Rechtsprechung im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen haben.

2) Die Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung steht einer nationalen Regelung entgegen, durch die ein System für die Sammlung und Beseitigung von Altölen zugunsten von Unternehmen eingeführt wird, denen die Verwaltung eine Zulassung für ihnen vorbehaltene Bezirke erteilt, und nach der diese Zulassung faktisch nur inländischen Unternehmen erteilt werden kann.

Ende der Entscheidung

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