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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 19.02.1991
Aktenzeichen: C-374/89
Rechtsgebiete: EWGV, RL Nr. 76/491/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 5
EWGV Art. 169
RL Nr. 76/491/EWG Art. 10
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf interne Umstände, wie Schwierigkeiten beim Vollzug eines Rechtsaktes der Gemeinschaft, berufen, um die Nichtbeachtung von Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus den Normen des Gemeinschaftsrechts ergeben.

2. Gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag obliegt allen Mitgliedstaaten eine Verpflichtung zu loyaler Zusammenarbeit und Unterstützung, um der Kommission die Erfuellung ihrer Aufgabe zu erleichtern. Ein Mitgliedstaat, der die besonderen Verpflichtungen, die ihm eine Richtlinie zur Einführung eines gemeinschaftlichen Verfahrens zur Unterrichtung auferlegt, nur erfuellt, solange ihm eine Vertragsverletzungsklage unmittelbar droht, und der aufhört, sie zu beachten, sobald diese Drohung abgewendet scheint, verletzt diese Pflicht.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 19. FEBRUAR 1991. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH BELGIEN. - NICHTDURCHFUEHRUNG DER RICHTLINIE 76/491 - WIEDERHOLTE VERTRAGSVERLETZUNG - ARTIKEL 5 EWG-VERTRAG. - RECHTSSACHE C-374/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 15. Dezember 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 76/491/EWG des Rates vom 4. Mai 1976 über ein gemeinschaftliches Verfahren zur Unterrichtung und Konsultation über die Preise für Rohöl und Mineralölerzeugnisse in der Gemeinschaft (ABl. L 140, S. 4) und aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen hat, daß es trotz Einleitung mehrerer vorgerichtlicher und gerichtlicher Verfahren wiederholt versäumt hat, der Kommission innerhalb der festgesetzten Frist alle Informationen über die Preise für Rohöl und Mineralölerzeugnisse zu übermitteln.

2 Gemäß Artikel 1 Absatz 1 der genannten Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Kommission innerhalb der ersten 45 Tage eines jeden Vierteljahres bestimmte Informationen hinsichtlich der Preise für Rohöl und für Mineralölerzeugnisse im vorangegangenen Vierteljahr zu übermitteln. Gemäß Artikel 10 musste die Richtlinie spätestens am 1. Januar 1977 durchgeführt sein. Nach der Entscheidung 77/190/EWG der Kommission vom 26. Januar 1977 zur Durchführung der Richtlinie 76/491 (ABl. L 61, S. 34), die auf der Grundlage von Artikel 7 der Richtlinie erlassen wurde, sind die fraglichen Informationen in Form von fünf Tabellen zu übermitteln.

3 Gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag richtete die Kommission am 25. April 1983 ein Aufforderungsschreiben an die belgische Regierung, weil diese ab dem vierten Vierteljahr 1980 keine Informationen mehr übermittelt hatte. Mit Schreiben vom 9. September 1983 teilte die belgische Regierung der Kommission mit, die erforderlichen Informationen würden ihr innerhalb kürzester Frist zugehen und die zuständigen Behörden würden alles unternehmen, um die gewünschten Informationen zukünftig fristgemäß zu liefern. Da diese Zusage nicht eingehalten wurde, richtete die Kommission gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die belgische Regierung. In Anbetracht der Antwort der belgischen Regierung vom 26. Oktober 1984 und ihrer Auskünfte in der Sitzung vom 26. November 1984 beschloß die Kommission, von der Einleitung eines Gerichtsverfahrens vorläufig abzusehen.

4 Mit Schreiben vom 5. August 1985 leitete die Kommission ein neues Verfahren gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag ein, weil das Königreich Belgien noch immer nicht alle erforderlichen Vorschriften erlassen hatte, damit Unternehmen, deren Tätigkeit in seinen Zuständigkeitsbereich fällt, ihm die Angaben gemäß Artikel 2 der Richtlinie zur Verfügung stellen. Nachdem die erforderlichen Ministerialverordnungen am 17. Dezember 1985 veröffentlicht worden waren, wurde dieses zweite Verfahren Ende Januar 1986 eingestellt.

5 Die Kommission stellte jedoch fest, daß die belgische Regierung trotz ihrer zahlreichen Besserungsversprechen die erforderlichen Informationen weiterhin sehr unregelmässig und unvollständig übermittelte. Sie beschloß deshalb, das erste Verfahren wieder aufzunehmen, und erhob mit Klageschrift, die am 13. November 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes einging (Rechtssache 277/86), Vertragsverletzungsklage. Da die belgische Regierung jedoch ihre Praxis änderte und in der Folge die nach der Richtlinie erforderlichen Informationen regelmässig übermittelte, teilte die Kommission dem Gerichtshof mit Schreiben vom 8. Juli 1988 mit, daß sie ihre Klage zurücknehme. Mit Beschluß vom 27. Oktober 1988 ordnete der Gerichtshof die Streichung der Rechtssache 277/86 im Register an und verurteilte das Königreich Belgien in die Verfahrenskosten.

6 Die belgische Regierung nahm seitdem ihre frühere Übung wieder auf und teilte bestimmte Informationen überhaupt nicht und andere mit Verzögerungen von zwei bis drei Monaten mit. Die Kommission forderte deshalb die belgische Regierung mit Schreiben vom 31. März 1989 auf, ihren Verpflichtungen innerhalb einer Frist von drei Wochen nachzukommen. Da die Kommission auf dieses Schreiben innerhalb der gesetzten Frist keine Antwort erhielt, richtete sie am 24. Mai 1989 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die belgische Regierung, in der sie diese aufforderte, dafür zu sorgen, daß es zu keinen weiteren Verstössen komme, und entsprechende Maßnahmen binnen eines Monats zu erlassen. Da diese Maßnahmen nicht erlassen wurden, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Die Kommission beantragt, festzustellen, daß das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 76/491, insbesondere aus deren Artikel 1, und aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen hat.

Verstoß gegen die Richtlinie 76/491

9 Die belgische Regierung stellt den Verstoß gegen die Richtlinie nicht in Abrede. Sie trägt vor, sie habe zwei Ministerialverordungen erlassen, mit denen die Erfassung der erforderlichen Informationen sichergestellt werden sollte. Darauf habe der gesamte Mineralölsektor durch die belgische Fédération pétrolière schwerste Bedenken gegen die von der Kommission auf diese Weise zusammengestellten Statistiken erhoben. Die belgische Regierung habe zudem, um den Anforderungen der Richtlinie zu entsprechen, im Interesse einer fristgemässen Übermittlung der Angaben ein Verfahren eingeführt, in dem sie in unmittelbarem Kontakt mit den einzelnen mineralölimportierenden Unternehmen stehe.

10 Dieser Umstand kann den beanstandeten Verstoß nicht beseitigen. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf interne Umstände berufen, um die Nichtbeachtung von Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus den Normen des Gemeinschaftsrechts ergeben. Der Gerichtshof hat ferner entschieden, daß Schwierigkeiten beim Vollzug eines Rechtsaktes der Gemeinschaft einen Mitgliedstaat nicht dazu berechtigen, sich einseitig von der Beachtung seiner Verpflichtungen loszusagen (siehe zuletzt Urteil vom 27. November 1990 in der Rechtssache C-39/88, Kommission/Irland, Slg. 1990, I-4271, Randnr. 11).

11 Es ist demnach festzustellen, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie verstossen hat, daß es trotz Einleitung mehrerer vorgerichtlicher und gerichtlicher Verfahren wiederholt versäumt hat, der Kommission innerhalb der festgesetzten Frist alle Informationen über die Preise für Rohöl und Mineralölerzeugnisse zu übermitteln.

Verstoß gegen Artikel 5 EWG-Vertrag

12 Nach Auffassung der Kommission hat das Königreich Belgien, das mehrfach die Erfuellung seiner Verpflichtungen versprochen, seine Zusagen aber nur während der verschiedenen von der Kommission eingeleiteten vorgerichtlichen und gerichtlichen Verfahren eingehalten habe, durch sein Verhalten der Gemeinschaft die Erfuellung ihrer Aufgabe nicht erleichtert und damit seine Verpflichtungen aus Artikel 5 Absatz 1 EWG-Vertrag verletzt.

13 In seinem Urteil vom 14. Juni 1990 in der Rechtssache C-48/89 (Kommission/Italien, Slg. 1990, I-2425) hat der Gerichtshof entschieden, daß, da die Beklagte gegen besondere Verpflichtungen aus einer Richtlinie verstossen hatte, nicht geprüft zu werden brauchte, ob sie dadurch zugleich ihre Verpflichtungen aus Artikel 5 EWG-Vertrag verletzt hatte. Im vorliegenden Fall rügt die Kommission jedoch noch einen weiteren Verstoß, nämlich die Weigerung, die Kommission bei der Erfuellung ihrer Aufgabe zu unterstützen. Es ist also zu prüfen, ob diese Rüge begründet ist.

14 Es ist darauf hinzuweisen, daß das Königreich Belgien seine Verpflichtungen aus der Richtlinie nur erfuellte, solange ihm eine Vertragsverletzungsklage unmittelbar drohte, und sie verletzte, sobald diese Drohung abgewendet schien. So stellte es insbesondere ganz kurz nach dem Streichungsbeschluß in der Rechtssache 277/86 die Übermittlung der erforderlichen Informationen ein. Die Kommission hatte dieses Verfahren jedoch aus den gleichen Gründen eingeleitet wie die vorliegende Klage und es eben deshalb eingestellt, weil die belgische Regierung sich mehrere Jahre lang so verhalten hatte, daß der beanstandete Verstoß endgültig abgestellt schien.

15 Durch diese Handlungen und Unterlassungen, die die Erfuellung der Aufgabe der Kommission beeinträchtigt haben, hat die belgische Regierung ihre Verpflichtung zu loyaler Zusammenarbeit und Unterstützung verletzt, die nach ständiger Rechtsprechung gemäß Artikel 5 allen Mitgliedstaaten obliegt.

16 Demnach ist festzustellen, daß das Königreichen Belgien gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen hat.

17 Nach alledem hat das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 76/491 des Rates vom 4. Mai 1976 über ein gemeinschaftliches Verfahren zur Unterrichtung und Konsultation über die Preise für Rohöl und Mineralölerzeugnisse in der Gemeinschaft und aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen, daß es trotz Einleitung mehrerer vorgerichtlicher und gerichtlicher Verfahren wiederholt versäumt hat, der Kommission innerhalb der festgesetzten Frist alle Informationen über die Preise für Rohöl und Mineralölerzeugnisse zu übermitteln.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 76/491/EWG des Rates vom 4. Mai 1976 über ein gemeinschaftliches Verfahren zur Unterrichtung und Konsultation über die Preise für Rohöl und Mineralölerzeugnisse in der Gemeinschaft und aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen, daß es trotz Einleitung mehrerer vorgerichtlicher und gerichtlicher Verfahren wiederholt versäumt hat, der Kommission innerhalb der festgesetzten Frist alle Informationen über die Preise für Rohöl und Mineralölerzeugnisse zu übermitteln.

2) Das Königreich Belgien trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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