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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.04.1994
Aktenzeichen: C-389/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Richtlinie 71/304 zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge und bei öffentlichen Bauaufträgen, die an die Auftragnehmer über ihre Agenturen oder Zweigniederlassungen vergeben werden, und die Richtlinie 71/305 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge sind dahin auszulegen, daß sie dazu ermächtigen, bei der Beurteilung der Kriterien, die ein Unternehmer im Rahmen der Prüfung eines von der beherrschenden juristischen Person eines Konzern gestellten Zulassungsantrags erfuellen muß, die Gesellschaften zu berücksichtigen, die zu diesem Konzern gehören, soweit die betreffende juristische Person nachweist, daß sie tatsächlich über die diesen Gesellschaften zustehenden Mittel verfügen kann, die zur Ausführung der Aufträge erforderlich sind.

Im Streitfall ist es Sache des nationalen Gerichts, vor dem Hintergrund der tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, mit denen es befasst ist, zu prüfen, ob ein derartiger Nachweis im Ausgangsrechtsstreit erbracht ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 14. APRIL 1994. - BALLAST NEDAM GROEP NV GEGEN BELGISCHER STAAT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: RAAD VAN STATE - BELGIEN. - FREIER DIENSTLEISTUNGSVERKEHR - OEFFENTLICHE BAUAUFTRAEGE - ZULASSUNG DER UNTERNEHMER - EINHEIT, AUF DIE ABZUSTELLEN IST. - RECHTSSACHE C-389/92.

Entscheidungsgründe:

1 Der belgische Raad van State hat mit Urteil vom 29. September 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 6. November 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 71/304/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge und bei öffentlichen Bauaufträgen, die an die Auftragnehmer über ihre Agenturen oder Zweigniederlassungen vergeben werden (ABl. L 185, S. 1), und der Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 185, S. 5) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft niederländischen Rechts Ballast Nedam Gröp NV (im folgenden: Klägerin) und dem Belgischen Staat wegen Nichterneuerung der dieser Gesellschaft erteilten Zulassung.

3 Im Rahmen der Überprüfung der Situation der zugelassenen Unternehmer gemäß Artikel 15 der Königlichen Verordnung vom 9. August 1982 zur Durchführung der Besluitwet vom 3. Februar 1947 über die Zulassung der Unternehmer entschied der Minister für Öffentliche Arbeiten im Jahr 1987, die der Klägerin früher erteilte Zulassung nicht zu erneuern. Begründet wurde diese ministerielle Entscheidung, die nach einer ablehnenden Stellungnahme des Ausschusses für die Zulassung der Unternehmer erging, damit, daß die Klägerin nicht als Unternehmer angesehen werden könne, da sie als Holdinggesellschaft selbst keine Arbeiten ausführe, sondern sich zum Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit auf die von ihren Tochtergesellschaften, bei denen es sich um selbständige juristische Personen handele, ausgeführten Arbeiten berufe.

4 Die Klägerin erhob beim Raad van State Klage auf Nichtigerklärung der Stellungnahme des Zulassungsausschusses sowie des Bescheides des Ministers für Öffentliche Arbeiten.

5 Nach Auffassung des Raad van State hängt die Entscheidung über den Rechtsstreit von der Auslegung der Gemeinschaftsrichtlinien über öffentliche Bauaufträge ab; er hat dem Gerichtshof daher folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ermächtigen die Richtlinie 71/304/EWG vom 26. Juli 1971 zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge und bei öffentlichen Bauaufträgen, die an die Auftragnehmer über ihre Agenturen oder Zweigniederlassungen vergeben werden, und die Richtlinie 71/305/EWG vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, insbesondere deren Artikel 1, 6, 21, 23 und 26, dazu, daß bei der Anwendung der belgischen Regelung über die Zulassung von Unternehmern auf die beherrschende juristische Person eines "Konzerns" nach niederländischem Recht bei der Beurteilung der Kriterien, die der Unternehmer u.a. in bezug auf die technische Leistungsfähigkeit erfuellen muß, nur die juristische Einheit der beherrschenden juristischen Person und nicht die "Konzerngesellschaften" berücksichtigt werden, die jeweils mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind und zu diesem "Konzern" gehören?

6 Die Richtlinien 71/304 und 71/305 sollen den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge sicherstellen. Daher enthält die erste dieser Richtlinien eine allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Aufhebung der Beschränkungen des Zugangs zu, der Mitwirkung bei und der Ausführung von öffentlichen Bauaufträgen, und die zweite Richtlinie betrifft die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (vgl. Urteil vom 10. Februar 1982 in der Rechtssache 76/81, Transporoute, Slg. 1982, 417, Randnr. 7).

7 Im Rahmen dieser Koordinierung werden in Abschnitt IV der Richtlinie 71/305 eine Reihe von gemeinsamen Bestimmungen über die Teilnahme der Unternehmer an öffentlichen Bauaufträgen aufgestellt. Zu diesen Bestimmungen gehören u. a. diejenigen des Artikels 21, der es Bietergemeinschaften erlaubt, Angebote einzureichen, und des Artikels 28, der hinsichtlich der Aufstellung von offiziellen Listen zugelassener Unternehmer auf die in den Artikeln 23 bis 26 festgelegten Eignungskriterien verweist; diese Artikel bestimmen auch, wie die Unternehmen den Nachweis erbringen können, daß sie diese Kriterien erfuellen (vgl. Urteil Transporoute, a. a. O., Randnr. 8).

8 Die Klägerin und die Kommission machen im wesentlichen geltend, nach diesen Richtlinien sei es zulässig, bei der Beurteilung der Kriterien, denen ein Unternehmer genügen müsse, im Rahmen der Prüfung des Zulassungsantrags einer juristischen Person, die einen nach niederländischem Recht errichteten Konzern beherrsche, Gesellschaften zu berücksichtigen, die zu diesem Konzern gehörten, auch wenn sie mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet seien.

9 Zur Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage ist zu prüfen, ob eine Holdinggesellschaft von den Verfahren der Teilnahme an öffentlichen Bauaufträgen ausgeschlossen werden kann, weil sie selbst keine Arbeiten ausführt, und, falls diese Frage verneint wird, welches die Voraussetzungen sind, unter denen sie die für diese Teilnahme erforderliche Leistungsfähigkeit nachweisen kann.

10 Aus dem Wortlaut der Richtlinie 71/304 ergibt sich, daß öffentliche Bauaufträge an Begünstigte vergeben werden können, die über Agenturen oder Zweigniederlassungen tätig werden.

11 Artikel 21 der Richtlinie 71/305, der zu den gemeinsamen Teilnahmebestimmungen für Aufträge gehört, lässt die Einreichung von Angeboten durch Bietergemeinschaften ausdrücklich zu, ohne daß der öffentliche Auftraggeber vor der Zuschlagserteilung verlangen könnte, daß solche Bieter eine bestimmte Rechtsform annehmen. Was Artikel 16 Buchstabe k dieser Richtlinie angeht, der zu den gemeinsamen Bekanntmachungsvorschriften für Aufträge gehört, so bestimmt dieser lediglich, daß die Bekanntmachung bei offenen Verfahren angeben muß, welche Rechtsform die Bietergemeinschaft, der der Auftrag erteilt wird, gegebenenfalls haben muß.

12 Die in den Artikeln 23 bis 26 der Richtlinie 71/305 - auf die Artikel 28 dieser Richtlinie, betreffend die offiziellen Listen zugelassener Unternehmer, verweist - festgelegten Eignungskriterien schließlich sollen lediglich die Regeln für die sachliche Prüfung der Leistungsfähigkeit der Unternehmer insbesondere in technischer Hinsicht festlegen. Eine dieser Regeln, nämlich Artikel 26 Buchstabe e, sieht ausdrücklich vor, daß der Nachweis dieser technischen Leistungsfähigkeit durch Vorlage einer Erklärung erbracht werden kann, in der die Techniker oder die technischen Stellen anzugeben sind, über die der Unternehmer unabhängig davon, ob sie dem Unternehmen angehören oder nicht, bei der Ausführung des Bauvorhabens verfügen wird.

13 Wie die Kommission zu Recht ausführt, ergibt sich aus der Gesamtheit dieser Vorschriften, daß für den Zuschlag eines öffentlichen Bauauftrags nicht nur eine natürliche oder juristische Person in Betracht kommt, die die Arbeiten selbst ausführt, sondern auch eine Person, die sie durch Agenturen oder Zweigniederlassungen erbringen lässt, eine Person, die sich externer Techniker oder technischer Stellen bedient, oder eine Bietergemeinschaft, unabhängig von ihrer Rechtsform.

14 Darüber hinaus ist festzustellen, daß die Richtlinie 89/440/EWG des Rates vom 18. Juli 1989 zur Änderung der erwähnten Richtlinie 71/305/EWG (ABl. L 210, S. 1) insbesondere in dem Bestreben, den Begriff der öffentlichen Bauaufträge genauer zu definieren, in ihrem Artikel 1 ausdrücklich festlegt, daß diese entweder die Ausführung oder gleichzeitig die Ausführung und die Planung von Bauvorhaben oder Bauwerken oder "die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln, gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen" betreffen. Diese Definition bestätigt, daß eine Person, die nicht die Absicht oder die Mittel hat, die Arbeiten selbst auszuführen, an einem Verfahren zur Vergabe von Bauaufträgen teilnehmen kann.

15 Somit darf eine Holdinggesellschaft, die selbst keine Arbeiten ausführt, nicht deswegen von den Verfahren der Teilnahme an öffentlichen Bauaufträgen ausgeschlossen werden, weil ihre Tochtergesellschaften, die die Arbeiten ausführen, mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind.

16 Wie sich aus Artikel 20 der Richtlinie 71/305 ergibt, ist es jedoch Sache der öffentlichen Auftraggeber, die fachliche Eignung der Unternehmer nach den in den Artikeln 25 bis 28 der Richtlinie genannten Kriterien der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit zu prüfen.

17 In diesem Zusammenhang muß eine Gesellschaft, die zwecks Aufnahme in eine offizielle Liste zugelassener Unternehmen ihre technische, finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dartun will und hierzu auf die Referenzen ihrer Tochtergesellschaften verweist, nachweisen, daß sie unabhängig von der Art der rechtlichen Beziehung zu ihren Tochtergesellschaften tatsächlich über die diesen zustehenden Mittel verfügen kann, die zur Ausführung der Aufträge erforderlich sind. Es ist Sache des nationalen Gerichts, vor dem Hintergrund der tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, mit denen es befasst ist, zu prüfen, ob ein derartiger Nachweis im Ausgangsrechtsstreit erbracht ist.

18 Auf die vorgelegte Frage ist daher zu antworten, daß die Richtlinie 71/304/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge und bei öffentlichen Bauaufträgen, die an die Auftragnehmer über ihre Agenturen oder Zweigniederlassungen vergeben werden, und die Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge dahin auszulegen sind, daß sie dazu ermächtigen, bei der Beurteilung der Kriterien, die ein Unternehmer im Rahmen der Prüfung eines von der beherrschenden juristischen Person eines Konzern gestellten Zulassungsantrags erfuellen muß, die Gesellschaften zu berücksichtigen, die zu diesem Konzern gehören, soweit die betreffende juristische Person nachweist, daß sie tatsächlich über die diesen Gesellschaften zustehenden Mittel verfügen kann, die zur Ausführung der Aufträge erforderlich sind. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob ein solcher Nachweis im Ausgangsrechtsstreit erbracht worden ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom belgischen Raad van State mit Urteil vom 29. September 1992 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Richtlinie 71/304/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge und bei öffentlichen Bauaufträgen, die an die Auftragnehmer über ihre Agenturen oder Zweigniederlassungen vergeben werden, und die Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge sind dahin auszulegen, daß sie dazu ermächtigen, bei der Beurteilung der Kriterien, die ein Unternehmer im Rahmen der Prüfung eines von der beherrschenden juristischen Person eines Konzern gestellten Zulassungsantrags erfuellen muß, die Gesellschaften zu berücksichtigen, die zu diesem Konzern gehören, soweit die betreffende juristische Person nachweist, daß sie tatsächlich über die diesen Gesellschaften zustehenden Mittel verfügen kann, die zur Ausführung der Aufträge erforderlich sind. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob ein solcher Nachweis im Ausgangsrechtsstreit erbracht worden ist.

Ende der Entscheidung

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