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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.04.1994
Aktenzeichen: C-393/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 5
EWG-Vertrag Art. 37
EWG-Vertrag Art. 85 Abs. 1
EWG-Vertrag Art. 86
EWG-Vertrag Art. 90 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein nationales Gericht, das in einem gesetzlich vorgesehenen Fall über einen Einspruch gegen einen Schiedsspruch entscheidet, ist als einzelstaatliches Gericht im Sinne von Artikel 177 EWG-Vertrag anzusehen, auch wenn es aufgrund der Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien als Schiedsrichter nach billigem Ermessen zu entscheiden hat. Obwohl dieses Gericht nach Billigkeit zu entscheiden hat, ist es nämlich nach den Grundsätzes des Vorrangs und der Einheitlichkeit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Verbindung mit Artikel 5 EWG-Vertrag verpflichtet, die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, insbesondere diejenigen auf dem Gebiet des Wettbewerbs, zu beachten.

2. Die Anwendung des Artikels 37 EWG-Vertrag, der sich auf staatliche Handelsmonopole bezieht, setzt einen Sachverhalt voraus, in dem die nationalen Behörden in der Lage sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu kontrollieren oder zu lenken oder ihn über eine zu diesem Zweck geschaffene Einrichtung oder ein auf andere Rechtsträger übertragenes Monopol merklich zu beeinflussen.

Nicht unter diesen Artikel, sondern unter Artikel 85 EWG-Vertrag fällt ein Sachverhalt, in dem ein regionales Stromversorgungsunternehmen, auch wenn es Inhaber einer nicht ausschließlichen Konzession für die Stromversorgung im Konzessionsgebiet ist, den lokalen Stromversorgungsunternehmen durch eine Klausel über die ausschließliche Abnahme verbietet, Elektrizität einzuführen. Die betreffenden Verträge sind nämlich nicht zwischen einem Träger öffentlicher Gewalt und dem regionalen Versorgungsunternehmen, sondern zwischen diesem und den lokalen Versorgungsunternehmen geschlossen worden. Diese Verträge legen die Bedingungen für die Lieferung von Elektrizität fest und bewirken nicht, daß die dem regionalen Unternehmen erteilte Konzession für die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe auf die lokalen Versorgungsunternehmen übergeht, wobei diese Bedingungen, insbesondere die Klausel über die ausschließliche Abnahme, ihre Grundlage in den Verträgen zwischen den Versorgungsunternehmen haben und kein Bestandteil der vom Staat erteilten Gebietskonzession sind.

3. Artikel 85 EWG-Vertrag verbietet es einem regionalen Stromversorgungsunternehmen, in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel über die ausschließliche Abnahme zu verwenden, die es einem lokalen Versorgungsunternehmen untersagt, für die öffentliche Versorgung bestimmte Elektrizität einzuführen, wenn diese Klausel in Anbetracht ihres wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs, d. h. des Bestehens anderer gleichartiger Ausschließlichkeitsvereinbarungen und der kumulierten Wirkung dieser Vereinbarungen, den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.

Auch Artikel 86 EWG-Vertrag verbietet die Verwendung einer solchen Klausel, wenn das betreffende Unternehmen zu einer Unternehmensgruppe gehört, die eine kollektive beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes innehat.

Die Verwendung dieser Klausel fällt jedoch nach Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag insoweit nicht unter dieses doppelte Verbot, als die Wettbewerbsbeschränkung, die sie bewirkt, erforderlich ist, um dem Unternehmen die Wahrnehmung seiner im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe zu ermöglichen. Dabei hat das nationale Gericht, dessen Sache es ist, zu beurteilen, ob diese Wettbewerbsbeschränkung erforderlich ist, die wirtschaftlichen Voraussetzungen, unter denen das Unternehmen aufgrund der für es bestehenden Zwänge tätig wird, u. a. die Kosten, die es zu tragen hat, und die - insbesondere umweltrechtlichen - Vorschriften zu berücksichtigen, die es zu beachten hat.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 27. APRIL 1994. - GEMEENTE ALMELO UND ANDERE GEGEN NV ENERGIEBEDRIJF IJSSELMIJ. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: GERECHTSHOF ARNHEM - NIEDERLANDE. - WETTBEWERB - VEREINBARUNG, DIE DIE EINFUHR VON ELEKTRIZITAET BEHINDERT - IM ALLGEMEINEN INTERESSE LIEGENDE DIENSTLEISTUNG. - RECHTSSACHE C-393/92.

Entscheidungsgründe:

1 Der Gerechtshof Arnheim hat mit Schiedsurteil vom 3. November 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 37, 85, 86, 90 und 177 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gemeinde Almelo und anderen lokalen Stromversorgungsunternehmen gegen die N.V. Energiebedrijf IJsselmij (IJM), ein regionales Stromversorgungsunternehmen, über einen Ausgleichszuschlag, den diese den lokalen Versorgungsunternehmen in Rechnung gestellt hat.

3 In den Niederlanden wird Strom von vier Unternehmen erzeugt, die Aktionäre eines Gemeinschaftsunternehmens, der N.V. Samenwerkende Elektriciteits-Produktiebedrijven (SEP), sind, das damit betraut ist, die Zusammenarbeit zwischen den Erzeugern zu organisieren.

4 Die Stromversorgung ist auf regionaler und auf lokaler Ebene organisiert: In dem ihnen zugewiesenen Gebiet versorgen die regionalen Versorgungsunternehmen die lokalen Versorgungsunternehmen, die den Gemeinden gehören, und gegebenenfalls bestimmte Endverbraucher. Die lokalen Versorgungsunternehmen stellen die Versorgung der Kunden in den Gemeinden sicher. Die Stromerzeugungs- und -versorgungsunternehmen gehören unmittelbar oder mittelbar den Provinzen oder den Gemeinden.

5 Der IJM wurde durch eine Königliche Verordnung von 1918 eine nichtausschließliche Konzession für die Stromversorgung in dem durch die Konzession erfassten Gebiet erteilt. IJM liefert Elektrizität an lokale Versorgungsunternehmen, u. a. an die Gemeinde Almelo und an die anderen Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, und stellt auch die unmittelbare Versorgung der Verbraucher in den ländlichen Gebieten sicher.

6 In den Jahren 1985 bis 1988 wurde den lokalen Versorgungsunternehmen die Einfuhr von Elektrizität aufgrund einer Klausel über die ausschließliche Abnahme verboten, die sich in den Allgemeinen Bedingungen für die Lieferung von Energie an Gemeinden mit einem eigenen Stromversorgungsunternehmen im Gebiet der N.V. Elektriciteits-Maatschappij IJsselcentrale (frühere Bezeichnung der IJM, im folgenden: IJC) fand. Artikel 2 Absatz 2 dieser Allgemeinen Bedingungen sieht nämlich vor, daß die Gemeinde sich verpflichtet, "für die Elektrizitätsversorgung innerhalb ihres Gebiets ausschließlich elektrische Energie von IJC zu beziehen und diese Energie nur für den eigenen Verbrauch und für die Lieferung an Dritte zum Verbrauch im Gemeindegebiet zu verwenden".

7 Die Allgemeinen Bedingungen der IJM entsprechen den Allgemeinen Musterlieferbedingungen, die die Vereniging van Exploitanten van Electriciteitsbedrijven in Nederland aufgestellt hat.

8 Der Klausel über die ausschließliche Abnahme durch das lokale Versorgungsunternehmen entspricht eine Verpflichtung des regionalen Versorgungsunternehmens zum ausschließlichen Verkauf.

9 Das lokale Versorgungsunternehmen seinerseits verpflichtet den Endverbraucher zur ausschließlichen Abnahme.

10 Auf der Ebene der Beziehungen zwischen den Stromerzeugern und den regionalen Versorgungsunternehmen besteht ebenfalls ein Verbot der Einfuhr von elektrischer Energie (Artikel 21 der Overeenkomst van Samenwerking - Vereinbarung über die Zusammenarbeit - zwischen den stromerzeugenden Unternehmen und der SEP vom 22. März 1986, die an die Stelle der Allgemeinen SEP-Vereinbarung von 1971 getreten ist; im folgenden: OVS-Vereinbarung).

11 Ab 1. Januar 1985 stellte die IJC den lokalen Versorgungsunternehmen einen Ausgleichszuschlag in Rechnung, d. h. einen Zuschlag, der den Unterschied zwischen den höheren Kosten der von ihr selbst sichergestellten Stromversorgung für Verbraucher im ländlichen Bereich und den niedrigeren Kosten der Stromversorgung für Verbraucher im städtischen Bereich durch lokale Versorgungsunternehmen ausgleichen sollte.

12 Im Jahre 1988 reichten lokale Versorgungsunternehmen bei der Kommission eine Beschwerde gegen die IJC ein, die auf drei Punkte gestützt war:

- das ausdrückliche Einfuhrverbot in der Allgemeinen SEP-Vereinbarung von 1971 und in der OVS-Vereinbarung,

- die sich aus den mit der IJC getroffenen Vereinbarungen ergebende Verpflichtung zur ausschließlichen Abnahme,

- das Recht der IJC, die Preise einseitig festzusetzen und den Ausgleichszuschlag zu erheben.

13 Durch das Gesetz vom 16. November 1989 zur Regelung der Erzeugung, der Einfuhr, des Transports und des Verkaufs von Elektrizität (Staatsblad 535) wurde das Stromversorgungssystem in den Niederlanden reformiert. Nach Artikel 34 dieses Gesetzes und nach einer Ministerialverordnung vom 20. März 1990 (Staatscourant vom 22. März 1990) darf allein die SEP für die öffentliche Versorgung bestimmte Elektrizität einführen, soweit es sich nicht um Strom mit einer Spannung von weniger als 500 V handelt.

14 Aufgrund der Beschwerde von 1988 erließ die Kommission die Entscheidung vom 16. Januar 1991 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/32.732-IJsselcentrale u. a.; ABl. L 28, S. 32, im folgenden: Entscheidung von 1991). In Artikel 1 dieser Entscheidung stellt die Kommission fest, daß Artikel 21 der OVS-Vereinbarung

"einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag dar[stellt], da er... bewirkt, [daß] die Elektrizitätseinfuhr durch private industrielle Verbraucher und die Stromausfuhr ausserhalb des Rahmens der öffentlichen Versorgung durch Stromversorgungsunternehmen und private industrielle Verbraucher einschließlich solcher mit Elektrizitätseigenerzeugung [eingeschränkt wird]".

15 Die Kommission hat festgestellt, daß das Einfuhrverbot auf der Ebene der nichtöffentlichen Versorgung, d. h. das dem Verbraucher in seinen vertraglichen Beziehungen mit dem lokalen Versorgungsunternehmen auferlegte Einfuhrverbot, nicht nach Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag gerechtfertigt werden könne.

16 In der Entscheidung von 1991 hat die Kommission nicht ausdrücklich zu dem sich aus Artikel 2 Absatz 2 der Allgemeinen Bedingungen ergebenden Einfuhrverbot Stellung genommen; sie hat dazu jedoch angemerkt, daß

"die betreffenden Bestimmungen der Allgemeinen Bedingungen zusammen mit Artikel 21 [der OVS-Vereinbarung] eine Gesamtregelung darstellen, die zwischen den Stromerzeugern untereinander und - über die nachfolgende Stufe der Versorgungsunternehmen - zwischen den Stromerzeugern und ihren industriellen Verbrauchern Anwendung findet".

17 Die Kommission hat sich nicht zur Anwendung von Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag auf das Einfuhrverbot geäussert, das nach Artikel 21 der OVS-Vereinbarung für die öffentliche Elektrizitätsversorgung gilt; dieses für Erzeugungs- und Versorgungsunternehmen geltende Verbot, Elektrizität im Rahmen der öffentlichen Versorgung unter Umgehung der SEP einzuführen, fällt nämlich nach Auffassung der Kommission jetzt unter Artikel 34 des Gesetzes von 1989; eine Stellungnahme von ihrer Seite würde der Beantwortung der Frage vorgreifen, ob dieses Gesetz mit dem EWG-Vertrag vereinbar ist. Die Kommission hat auch nicht darüber entschieden, ob der Ausgleichszuschlag rechtmässig ist.

18 Die von den beschwerdeführenden Unternehmen gegen die Entscheidung von 1991 erhobene Klage ist vom Gericht erster Instanz mit Urteil vom 18. November 1992 in der Rechtssache T-16/91 (Rendo N.V. u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2417) abgewiesen worden. Das von den beschwerdeführenden Unternehmen gegen dieses Urteil eingelegte Rechtsmittel ist beim Gerichtshof anhängig (Rechtssache C-19/93 P, Rendo N.V. u. a./Kommission).

19 Schon vor der Anrufung der Kommission hatten die lokalen Versorgungsunternehmen gemäß den Allgemeinen Bedingungen ein Schiedsverfahren mit dem Ziel in Gang gesetzt, eine Entscheidung über die Rechtmässigkeit des von der IJM erhobenen Ausgleichszuschlags zu erwirken.

20 Gegen das Urteil, durch die die Auffassung der lokalen Versorgungsunternehmen verworfen wurde, haben diese ein Rechtsmittel beim Gerechtshof Arnheim eingelegt, der als Schiedsrichter nach billigem Ermessen entscheidet. Das nationale Gericht hält es für glaubhaft, daß die IJM den Ausgleichszuschlag ohne das Einfuhrverbot nicht hätte erheben können, und hat dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Ist ein nationales Gericht, das in einem gesetzlich vorgesehenen Fall im Rahmen einer Berufung gegen einen Schiedsspruch entscheidet, als ein einzelstaatliches Gericht im Sinne des Artikels 177 EWG-Vertrag anzusehen, wenn es gemäß dem Schiedsvertrag der Parteien als Schiedsrichter nach billigem Ermessen entscheiden muß?

Falls die erste Frage bejaht wird:

2) Wie sind die Artikel 37 und/oder 85 und/oder 86 und/oder 90 EWG-Vertrag in bezug auf ein Verbot der Einfuhr von für die öffentliche Stromversorgung bestimmter Elektrizität in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer regionalen Stromversorgungsgesellschaft in den Jahren 1985 bis 1988, gegebenenfalls im Zusammenhang mit einem Einfuhrverbot in einer Vereinbarung von Elektrizitätserzeugungsbetrieben in dem betroffenen Mitgliedstaat, auszulegen?

Zur ersten Frage

21 Zur Beantwortung der ersten Frage ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof im Urteil vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 61/65 (Vaassen-Göbbels, Slg. 1966, 584) den Begriff des Gerichts im Sinne von Artikel 177 EWG-Vertrag definiert und eine Reihe von Kriterien genannt hat, die ein solches Organ erfuellen muß, wie z. B. gesetzliche Grundlage, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren und Anwendung von Rechtsnormen. Der Gerichtshof hat diese Kriterien ergänzt und u. a. das Erfordernis der Unabhängigkeit hervorgehoben, dem jedes Rechtsprechungsorgan entsprechen muß (Urteile vom 11. Juni 1987 in der Rechtssache 14/86, Pretore di Salò, Slg. 1987, 2545, Randnr. 7, vom 21. April 1988 in der Rechtssache 338/85, Pardini, Slg. 1988, 2041, Randnr. 9, und vom 30. März 1993 in der Rechtssache C-24/92, Corbiau, Slg. 1993, I-1278).

22 Hinsichtlich der Schiedsgerichtsbarkeit hat der Gerichtshof im Urteil vom 23. März 1982 in der Rechtssache 102/81 (Nordsee, Slg. 1982, 1095, Randnr. 14) entschieden, daß ordentliche Gerichte, die einen Schiedsspruch überprüfen, unter den Begriff des Gerichts im Sinne von Artikel 177 EWG-Vertrag fallen, wenn sie im Wege der Aufhebungsklage, durch einen Einspruch, zur Vollstreckbarerklärung oder mit irgendeinem anderen durch die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften eröffneten Rechtsbehelf damit befasst werden.

23 Für diese vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung ist es unerheblich, daß ein Gericht wie der Gerechtshof aufgrund der Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien als Schiedsrichter nach billigem Ermessen entscheidet. Nach den Grundsätzen des Vorrangs und der Einheitlichkeit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Verbindung mit Artikel 5 EWG-Vertrag ist ein Gericht eines Mitgliedstaats, das nach den nationalen Rechtsvorschriften mit einem Einspruch gegen einen Schiedsspruch befasst ist, auch dann verpflichtet, die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, insbesondere diejenigen auf dem Gebiet des Wettbewerbs, zu beachten, wenn es nach Billigkeit entscheidet.

24 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß ein nationales Gericht, das in einem gesetzlich vorgesehenen Fall über einen Einspruch gegen einen Schiedsspruch entscheidet, als einzelstaatliches Gericht im Sinne von Artikel 177 EWG-Vertrag anzusehen ist, auch wenn es aufgrund der Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien als Schiedsrichter nach billigem Ermessen zu entscheiden hat.

Zur zweiten Frage

25 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Artikel 37 und/oder 85 und/oder 86 und/oder 90 EWG-Vertrag dem entgegenstehen, daß ein regionales Stromversorgungsunternehmen in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel über die ausschließliche Abnahme verwendet, die es einem lokalen Versorgungsunternehmen verbietet, für die öffentliche Stromversorgung bestimmte Elektrizität zu importieren.

26 Zur Beantwortung dieser Frage ist zu prüfen, ob das für ein lokales Stromversorgungsunternehmen aufgrund eines mit dem regionalen Versorgungsunternehmen geschlossenen Vertrags bestehende Einfuhrverbot gegen die Artikel 37, 85 und 86 EWG-Vertrag verstösst und inwieweit Ausnahmen von den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Verboten nach Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag zulässig sind.

Zu Artikel 37 EWG-Vertrag

27 Was zunächst den Anwendungsbereich dieses Artikels angeht, so folgt sowohl aus seiner Stellung innerhalb des Kapitels über die Beseitigung der mengenmässigen Beschränkungen als auch aus der Verwendung der Worte "Einfuhr" und "Ausfuhr" in Satz 2 des ersten Absatzes und der Worte "Waren" oder "Erzeugnisse" in den Absätzen 3 und 4, daß er den Handel mit Waren betrifft (siehe Urteil vom 30. April 1974 in der Rechtssache 155/73, Sacchi, Slg. 1974, 409, Randnr. 10; Urteil vom 27. Oktober 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-46/90 und C-93/91, Lagauche und Evrard, Slg. 1993, I-5267, Randnr. 33).

28 Weder im Gemeinschaftsrecht noch auch in den nationalen Rechtssystemen wird bestritten, daß Elektrizität eine Ware im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag darstellt. So wird die Elektrizität im Rahmen des Zolltarifschemas als Ware angesehen (KN-Code 27.16). Ausserdem hat der Gerichtshof im Urteil vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache 6/64 (Costa/Enel, Slg. 1964, 1253) entschieden, daß die Elektrizität in den Anwendungsbereich des Artikels 37 EWG-Vertrag fallen kann.

29 Seinem Gegenstand nach bezieht sich Artikel 37 auf staatliche Handelsmonopole. Im Urteil vom 4. Mai 1988 in der Rechtssache 30/87 (Bodson, Slg. 1988, 2479, Randnr. 13) hat der Gerichtshof entschieden, daß Artikel 37 einen Sachverhalt voraussetzt, in dem die staatlichen Behörden in der Lage sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu kontrollieren oder zu lenken oder ihn über eine zu diesem Zweck geschaffene Einrichtung oder ein auf andere Rechtsträger übertragenes Monopol merklich zu beeinflussen.

30 Für den Fall, daß Verträge in einem solchen Rahmen geschlossen werden, hat der Gerichtshof entschieden, daß das Vorliegen einer Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 ausgeschlossen ist, wenn die Auswirkung auf den Handel auf einem Konzessionsvertrag beruht, der zwischen einem Träger öffentlicher Gewalt und Unternehmen geschlossen worden ist, die mit der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe betraut werden (Urteil Bodson, Randnr. 18, a. a. O.).

31 Der IJM ist keine ausschließliche Konzession erteilt worden, die ihr ein Monopol für die Stromversorgung im Konzessionsgebiet einräumte. Weiter wurden die Verträge, die dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit zugrunde liegen, nicht zwischen einem Träger öffentlicher Gewalt und der IJM, sondern zwischen einem regionalen Versorgungsunternehmen und lokalen Versorgungsunternehmen geschlossen. Ausserdem legen diese Verträge die Bedingungen fest, unter denen die IJM den lokalen Versorgungsunternehmen Elektrizität liefert, und bewirken nicht, daß die dem regionalen Unternehmen erteilte Konzession für die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe auf diese Unternehmen übergeht. Die Lieferbedingungen, insbesondere die Klausel über die ausschließliche Abnahme, haben ihre Grundlage in der Vereinbarung der Parteien und sind kein Bestandteil der der IJM vom Staat erteilten Gebietskonzession.

32 Der Sachverhalt, der Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, fällt folglich nicht unter Artikel 37 EWG-Vertrag.

Zu den Artikeln 85, 86 und 90 Absatz 2 EWG-Vertrag

33 Nach ständiger Rechtsprechung ist das Verhalten eines Unternehmens im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 EWG-Vertrag im Hinblick auf die Artikel 85, 86 und 90 Absatz 2 zu prüfen (siehe Urteil vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache C-260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925).

Zu Artikel 85 EWG-Vertrag

34 Nach seinem Wortlaut gilt Artikel 85 EWG-Vertrag für Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb einschränken und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

35 Was das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen angeht, so stützt sich das Stromversorgungssystem in den Niederlanden - wie die Kommission in der Entscheidung von 1991 festgestellt hat - auf eine Gesamtheit von vertragsrechtlichen Beziehungen zwischen Erzeugern, zwischen Erzeugern und regionalen Versorgungsunternehmen, zwischen regionalen und lokalen Versorgungsunternehmen und schließlich zwischen lokalen Versorgungsunternehmen und Endverbrauchern. Die Klausel über die ausschließliche Abnahme, die bei dem vorlegenden Gericht im Streit ist, findet sich in den Allgemeinen Bedingungen für die Lieferung von Elektrizität durch ein regionales Versorgungsunternehmen an lokale Versorgungsunternehmen und stellt daher eine Klausel einer Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 EWG-Vertrag dar.

36 Eine Vereinbarung, die eine solche Klausel enthält, hat insoweit eine den Wettbewerb beschränkende Wirkung, als diese Klausel dem lokalen Versorgungsunternehmen verbietet, Strom bei anderen Lieferanten zu beziehen.

37 Um festzustellen, ob eine solche Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigt, ist, wie der Gerichtshof in den Urteilen vom 12. Dezember 1967 in der Rechtssache 23/67 (Brasserie de Hächt, Slg. 1967, 544) und vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-234/89 (Delimitis, Slg. 1991, I-935) entschieden hat, diese Vereinbarung in ihrem wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang zu prüfen und eine kumulative Wirkung zu berücksichtigen, die sich gegebenenfalls aus dem Bestehen anderer Ausschließlichkeitsvereinbarungen ergibt.

38 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus den Akten, daß die für die Beziehungen zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens geltenden Allgemeinen Bedingungen den Allgemeinen Musterbedingungen der Vereniging van Exploitanten van Electriciteitsbedrijven in Nederland entsprechen.

39 Die kumulierte Wirkung dieser vertraglichen Beziehungen ist insoweit zur Abschottung des nationalen Marktes geeignet, als diese bewirken, daß den in den Niederlanden niedergelassenen lokalen Versorgungsunternehmen verboten wird, bei Versorgungsunternehmen oder Erzeugern anderer Mitgliedstaaten Elektrizität zu beziehen.

Zu Artikel 86 EWG-Vertrag

40 Artikel 86 EWG-Vertrag verbietet mißbräuchliche Praktiken, die darin bestehen, daß ein oder mehrere Unternehmen eine beherrschende Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben ausnutzen, sofern der Handel zwischen Mitgliedstaaten durch diese Praktiken beeinträchtigt werden kann (Urteil Bodson, a. a. O., Randnr. 22).

41 Zwar hat ein Unternehmen, das wie die IJM Inhaber einer nicht ausschließlichen Konzession nur für einen Teil des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats ist, nicht ohne weiteres eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes inne. Anders verhält es sich aber dann, wenn dieses Unternehmen zu einer Unternehmensgruppe gehört, die eine kollektive beherrschende Stellung innehat.

42 Eine solche kollektive beherrschende Stellung setzt jedoch voraus, daß die Unternehmen der betreffenden Gruppe so eng miteinander verbunden sind, daß sie auf dem Markt in gleicher Weise vorgehen können (siehe Urteil Bodson, a. a. O.).

43 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Verbindungen zwischen den regionalen Stromversorgungsunternehmen in den Niederlanden so stark sind, daß sie zu einer kollektiven beherrschenden Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes führen.

44 Was die mißbräuchliche Praxis angeht, hat der Gerichtshof bereits entschieden, daß ein Unternehmen, das eine beherrschende Stellung einnimmt und Abnehmer, sei es auch auf deren Wunsch, durch die Verpflichtung oder die Zusage an sich bindet, ihren gesamten Bedarf oder einen beträchtlichen Teil desselben ausschließlich bei ihm zu beziehen, seine Stellung mißbräuchlich ausnutzt (siehe Urteile vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 89, und vom 3. Juli 1991 in der Rechtssache C-62/86, Akzo/Kommission, Slg. 1991, I-3359, Randnr. 149).

45 Wie in den Randnummern 38 und 39 dargelegt, kann die Klausel über die ausschließliche Abnahme in den Vereinbarungen zwischen den regionalen Versorgungsunternehmen und den lokalen Versorgungsunternehmen den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

Zu Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag

46 Nach Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag können Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, insoweit nicht unter die Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages fallen, als Wettbewerbsbeschränkungen oder sogar der Ausschluß jeglichen Wettbewerbs von seiten anderer Wirtschaftsteilnehmer erforderlich sind, um die Erfuellung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe sicherzustellen (siehe Urteil vom 19. Mai 1993 in der Rechtssache C-320/91, Corbeau, Slg. 1993, I-2533, Randnr. 14).

47 Was die Frage angeht, ob ein Unternehmen wie die IJM mit Dienstleistungen von allgemeinem Interesse betraut ist, ist darauf hinzuweisen, daß ihr durch eine nichtausschließliche öffentlich-rechtliche Konzession die Aufgabe übertragen worden ist, die Stromversorgung in einem Teil des Staatsgebiets sicherzustellen.

48 Ein solches Unternehmen hat die ununterbrochene Stromversorgung im gesamten Konzessionsgebiet für alle Abnehmer, lokale Versorgungsunternehmen oder Endverbraucher, in den zu jeder Zeit geforderten Mengen zu einheitlichen Tarifen und unter Bedingungen sicherzustellen, die nur nach objektiven Kriterien unterschiedlich sein dürfen, die für alle Kunden gelten.

49 Beschränkungen des Wettbewerbs von seiten anderer Wirtschaftsteilnehmer sind zuzulassen, soweit sie erforderlich sind, um dem mit einer solchen Aufgabe von allgemeinem Interesse betrauten Unternehmen die Erfuellung dieser Aufgabe zu ermöglichen. Dabei sind die wirtschaftlichen Voraussetzungen, unter denen das Unternehmen tätig wird, u. a. die Kosten, die es zu tragen hat, und die - insbesondere umweltrechtlichen - Vorschriften zu berücksichtigen, die es zu beachten hat.

50 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob eine Klausel über die ausschließliche Abnahme, die dem lokalen Versorgungsunternehmen die Einfuhr von Elektrizität verbietet, dafür erforderlich ist, daß das regionale Versorgungsunternehmen seine im allgemeinen Interesse liegende Aufgabe wahrnehmen kann.

51 Die zweite Frage des Gerechtshof Arnheim ist daher wie folgt zu beantworten:

a) Artikel 85 EWG-Vertrag verbietet es einem regionalen Stromversorgungsunternehmen, in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel über die ausschließliche Abnahme zu verwenden, die es einem lokalen Versorgungsunternehmen untersagt, für die öffentliche Versorgung bestimmte Elektrizität einzuführen, wenn diese Klausel in Anbetracht ihres wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.

b) Artikel 86 EWG-Vertrag verbietet es einem regionalen Stromversorgungsunternehmen, das einer Unternehmensgruppe angehört, die eine kollektive beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes innehat, in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel über die ausschließliche Abnahme zu verwenden, die es einem lokalen Versorgungsunternehmen untersagt, zur öffentlichen Versorgung bestimmte Elektrizität einzuführen, wenn diese Klausel in Anbetracht ihres rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.

c) Nach Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag fällt die Verwendung einer solchen Klausel über die ausschließliche Abnahme durch ein regionales Stromversorgungsunternehmen insoweit nicht unter die Verbote der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag, als diese Wettbewerbsbeschränkung erforderlich ist, um diesem Unternehmen die Wahrnehmung seiner im allgemeinen Interesse liegende Aufgabe zu ermöglichen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung erfuellt ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

52 Die Auslagen der griechischen Regierung, der französischen Regierung, der niederländischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Gerechtshof Arnheim mit Schiedsurteil vom 3. November 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Ein nationales Gericht, das in einem gesetzlich vorgesehenen Fall über einen Einspruch gegen einen Schiedsspruch entscheidet, ist als einzelstaatliches Gericht im Sinne von Artikel 177 EWG-Vertrag anzusehen, auch wenn es aufgrund der Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien als Schiedsrichter nach billigem Ermessen zu entscheiden hat.

2) a) Artikel 85 EWG-Vertrag verbietet es einem regionalen Stromversorgungsunternehmen, in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel über die ausschließliche Abnahme zu verwenden, die es einem lokalen Versorgungsunternehmen untersagt, für die öffentliche Versorgung bestimmte Elektrizität einzuführen, wenn diese Klausel in Anbetracht ihres wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.

b) Artikel 86 EWG-Vertrag verbietet es einem regionalen Stromversorgungsunternehmen, das einer Unternehmensgruppe angehört, die eine kollektive beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes innehat, in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel über die ausschließliche Abnahme zu verwenden, die es einem lokalen Versorgungsunternehmen untersagt, zur öffentlichen Versorgung bestimmte Elektrizität einzuführen, wenn diese Klausel in Anbetracht ihres rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.

c) Nach Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag fällt die Verwendung einer solchen Klausel über die ausschließliche Abnahme durch ein regionales Stromversorgungsunternehmen insoweit nicht unter die Verbote der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag, als diese Wettbewerbsbeschränkung erforderlich ist, um diesem Unternehmen die Wahrnehmung seiner im allgemeinen Interesse liegende Aufgabe zu ermöglichen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung erfuellt ist.

Ende der Entscheidung

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