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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.10.1998
Aktenzeichen: C-4/97
Rechtsgebiete: Richtlinie 69/335/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 69/335/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der Fassung der Richtlinie 85/303 verbietet es nicht, von Kapitalgesellschaften eine Steuer wie die Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen zu erheben.

Eine solche Steuer ist, da sie im Unterschied zur Gesellschaftsteuer, die auf das Ansammeln von Kapital erhoben wird, keinen Vorgang voraussetzt, der eine Übertragung von Kapital oder Gegenständen umfasste, und da sie zur Besteuerungsgrundlage neben dem gezeichneten Kapital den Gesamtbetrag mehrerer Rechnungspositionen hat, weder eine Gesellschaftsteuer noch eine Steuer mit den Merkmalen einer Gesellschaftsteuer.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 27. Oktober 1998. - Manifattura italiana Nonwoven SpA gegen Direzione regionale delle entrate per la Toscana. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Commissione tributaria provinciale di Firenze - Italien. - Richtlinie 69/335/EWG - Steuern auf die Ansammlung von Kapital - Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen. - Rechtssache C-4/97.

Entscheidungsgründe:

1 Die Commissione tributaria provinciale Florenz hat mit Beschluß vom 18. Oktober 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Januar 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit der Manifattura Italiana Nonwoven SpA (im folgenden: Klägerin) gegen die Direzione regionale delle entrate per la Toscana (im folgenden: Steuerverwaltung), bei dem es um den Antrag der Klägerin auf Erstattung eines Betrages geht, den diese an Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen entrichtet hat.

3 Durch die Richtlinie sollen u.a. die Faktoren, die die Festsetzung und die Erhebung der Gesellschaftsteuer in der Gemeinschaft beeinflussen, im Rahmen der Beseitigung der steuerlichen Hindernisse, die dem freien Kapitalverkehr entgegenstehen, harmonisiert werden (insbes. Urteil vom 5. März 1998 in der Rechtssache C-347/96, Solred, Slg. 1998, I-937, Randnr. 3).

4 Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt:

"Der Gesellschaftsteuer unterliegen die nachstehenden Vorgänge:

a) die Gründung einer Kapitalgesellschaft;

b) die Umwandlung einer Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristischen Person, die keine Kapitalgesellschaft ist, in eine Kapitalgesellschaft;

c) die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art;

d) die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art, für die nicht Gesellschaftsrechte gewährt werden, die einen Anteil am Kapital oder am Gesellschaftsvermögen verkörpern, sondern Rechte, wie sie Gesellschaftern gewährt werden,..."

5 Nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben e bis h der Richtlinie unterliegt die Verlegung des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung oder des satzungsmässigen Sitzes einer Kapitalgesellschaft von einem Drittland in einen Mitgliedstaat oder von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat ebenfalls der Gesellschaftsteuer.

6 Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie führt die Vorgänge auf, die der Gesellschaftsteuer unterworfen werden können:

"a) die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Umwandlung von Gewinnen, Rücklagen oder Rückstellungen;

b) die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Leistungen eines Gesellschafters, die keine Erhöhung des Kapitals mit sich bringen, sondern ihren Gegenwert in einer Änderung der Gesellschaftsrechte finden oder geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen;

c) die Darlehensaufnahme durch eine Kapitalgesellschaft, wenn der Darlehensgeber Anspruch auf eine Beteiligung an den Gesellschaftsgewinnen hat;

d) die Darlehensaufnahme durch eine Kapitalgesellschaft bei einem Gesellschafter, beim Ehegatten oder bei einem Kind eines Gesellschafters sowie die Aufnahme von Darlehen bei Dritten, wenn ein Gesellschafter für ein solches Darlehen Sicherheit leistet; Voraussetzung ist, daß diese Darlehen die gleiche Funktion haben wie eine Erhöhung des Kapitals."

7 Nach Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten bestimmte in der Richtlinie erwähnte Vorgänge entweder von der Gesellschaftsteuer befreien oder darauf die Steuer mit einem einheitlichen Satz von höchstens 1 % erheben.

8 Die Richtlinie sieht nach ihrer letzten Begründungserwägung auch die Aufhebung anderer indirekter Steuern mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer oder die Wertpapiersteuer vor, deren Beibehaltung die in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen in Frage stellen würde. Diese Steuern, deren Erhebung untersagt ist, sind namentlich in Artikel 10 der Richtlinie aufgeführt, der lautet:

"Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben auf:

a) die in Artikel 4 genannten Vorgänge;

b) die Einlagen, Darlehen oder Leistungen im Rahmen der in Artikel 4 genannten Vorgänge;

c) die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann."

9 Die Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen wurde durch das Decreto-legge Nr. 394 vom 30. September 1992 (GURI Nr. 230 vom 30. September 1992) in das italienische Steuerrecht eingeführt. Steuerpflichtig sind insbesondere Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit, öffentliche und private Körperschaften, die nicht Gesellschaften sind, jedoch die Ausübung von Geschäftstätigkeiten zum ausschließlichen und/oder hauptsächlichen Zweck haben, sowie natürliche Personen, die unternehmerische Tätigkeiten zu Erwerbszwecken ausüben.

10 Besteuerungsgrundlage ist das Nettogesellschaftskapital, wie es sich aus der Bilanz zum Ende des Geschäftsjahres abzueglich der Gewinne des Jahres ergibt; sie umfasst insbesondere folgende Bestandteile:

- das gezeichnete Gesellschaftskapital, selbst wenn es noch nicht eingezahlt ist, und von den Gesellschaftern unter Verzicht auf Rückzahlung getätigte Einzahlungen auf das Kapitalkonto;

- unterschiedlich bezeichnete und gebildete Rücklagen: gesetzliche und satzungsgemässe Rücklagen, Emissionsagiorücklagen, und Rücklagen für eigene Anteile im Bestand;

- Einzahlungen zur Deckung nicht allgemeiner Belastungen und Finanzierung künftiger Investitionen;

- übertragene Gewinne vorhergehender Geschäftsjahre;

- Verluste sowohl des betreffenden Geschäftsjahres als auch solche, die aus den vorherigen Geschäftsjahren übertragen wurden.

11 Vom steuerbaren Gesellschaftsvermögen werden Beteiligungen in Form von Aktien ebenfalls der Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen unterliegender Gesellschaften in Abzug gebracht, die am Ende des Geschäftsjahres seit mindestens drei Monaten gehalten werden.

12 Der Satz der Steuer wird auf 0,75 % des Nettogesellschaftsvermögens am Ende des Steuerjahres festgesetzt.

13 Das Verfahren der Erhebung und das Rechtsbehelfsverfahren regeln sich nach den für die Einkommensteuer geltenden Bestimmungen.

14 Die Klägerin beantragte bei der Steuerverwaltung Erstattung des Betrages von 93 063 000 LIT, die sie an Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen für die Steuerjahre 1992 und 1993 entrichtet hatte. Da sie keinen Bescheid erhielt, erhob sie bei der Commissione tributaria provinciale Florenz am 30. November 1994 Klage gegen die stillschweigende Ablehnung ihres Antrags.

15 Zur Begründung ihrer Klage machte sie geltend, daß die Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen rechtswidrig sei, da sie das Gesellschaftskapital belaste, das bereits bei seiner Einbringung in die Gesellschaft einer Registersteuer unterliege. Daher verstosse diese Steuer gegen das Verbot der Richtlinie, auf die Ansammlung von Kapital andere Steuern als die Gesellschaftsteuer zu erheben.

16 Die Steuerverwaltung wendet sich gegen diese Argumentation und macht geltend, die Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen sei eine direkte Steuer; die Ansicht, diese sei rechtlich und wirtschaftlich betrachtet im Ergebnis eine indirekte Steuer, sei falsch; die Steuer falle ihrer Natur nach nicht unter die Richtlinie.

17 Das nationale Gericht ist aufgrund dieses Vorbringens der Ansicht, daß die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits hauptsächlich von der Antwort auf die Frage abhänge, ob die Richtlinie für die Entscheidung über den Erstattungsantrag maßgeblich sei, über den es zu befinden habe, obwohl die Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen einhellig als direkte Steuer eingestuft werde. Die Commissione tributaria provinciale Florenz hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die gesetzliche Einführung einer Steuer auf das Nettovermögen der Kapitalgesellschaften, die wirtschaftlich gleiche Wirkungen wie eine indirekte Steuer auf Kapitaleinlagen hat, mit der Gemeinschaftsrechtsordnung, insbesondere mit der Richtlinie 69/335/EWG, vereinbar?

18 Das vorlegende Gericht möchte somit wissen, ob die Richtlinie es verbietet, von Kapitalgesellschaften eine Steuer wie die Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen zu erheben.

19 Das vorlegende Gericht hat festgestellt, daß die Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen einhellig als direkte Steuer qualifiziert werde. Nach ständiger Rechtsprechung ist jedoch die Qualifizierung einer Steuer, Abgabe oder Gebühr nach Gemeinschaftsrecht vom Gerichtshof nach den objektiven Merkmalen der Steuer unabhängig von ihrer Qualifizierung im nationalen Recht vorzunehmen (Urteil vom 13. Februar 1996 in den Rechtssachen C-197/94 und C-252/94, Bautiaa und Société française maritime, Slg. 1996, I-505, Randnr. 39, mit weiteren Nachweisen).

20 Zu den objektiven Merkmalen der fraglichen Steuer hat der Generalanwalt in Nummer 14 seiner Schlussanträge zu Recht festgestellt, daß die Vorgänge, die nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie der Gesellschaftsteuer unterliegen, sämtlich durch die Übertragung von Kapital oder von Gegenständen auf eine Kapitalgesellschaft im Mitgliedstaat der Besteuerung gekennzeichnet sind. Ebenso stellen die Kategorien von Vorgängen, die nach Artikel 4 Absatz 2 dieser Steuer unterworfen werden können, sämtlich eine tatsächliche Erhöhung des Kapitals oder des Gesellschaftsvermögens der Gesellschaften dar.

21 Demgegenüber wird eine Steuer auf das Vermögen wie diejenige des Ausgangsverfahrens jährlich im Zeitpunkt des Abschlusses des Geschäftsjahres auf das Nettogesellschaftsvermögen der Unternehmen erhoben, wie es sich aus der Bilanz ergibt. Sie setzt keinen Vorgang voraus, der eine Übertragung von Kapital oder Gegenständen umfasste, und bezieht sich daher auf keinen der in Artikel 4 der Richtlinie, auf den Artikel 10 Buchstaben a und b verweist, genannten steuerbaren Vorgänge.

22 Zwar berücksichtigt die Besteuerungsgrundlage der fraglichen Steuer die Höhe des gezeichneten Kapitals, das der Gesellschaftssteuer unterliegt oder unterworfen werden kann, doch ist dieses Kapital nur ein Teil des Nettovermögens der Unternehmen. Die Besteuerungsgrundlage ist der Gesamtbetrag mehrerer Rechnungspositionen, zu denen die Rücklagen oder Mittel ebenso wie die übertragenen Gewinne der vorherigen Geschäftsjahre und die Verluste sowohl des laufenden als auch der vorherigen Geschäftsjahre gehören.

23 Somit wird eine solche Steuer im Unterschied zur Gesellschaftsteuer, die auf das Ansammeln von Kapital erhoben wird, auf das Nettovermögen der Kapitalgesellschaften erhoben, wie es im nationalem Recht definiert ist. Daher bewirkt die fragliche Steuer entgegen dem Vorbringen der Klägerin keine Erhöhung oder erneute Erhebung der Gesellschaftsteuer.

24 Daher ist eine Steuer der fraglichen Art weder eine Gesellschaftsteuer noch eine Steuer mit den Merkmalen einer Gesellschaftsteuer.

25 Somit ist auf die gestellte Frage zu antworten, daß die Richtlinie es nicht verbietet, von Kapitalgesellschaften eine Steuer wie die Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen zu erheben.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Die Auslagen der italienischen und der griechischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm von der Commissione tributaria provinciale Florenz mit Beschluß vom 18. Oktober 1996 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 verbietet es nicht, von Kapitalgesellschaften eine Steuer wie die Steuer auf das Nettovermögen der Unternehmen zu erheben.

Ende der Entscheidung

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