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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 09.01.2007
Aktenzeichen: C-40/06
Rechtsgebiete: Verfahrensordnung, Verordnung (EWG) Nr. 2658/87


Vorschriften:

Verfahrensordnung Art. 104 § 3 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 Anhang I Kombinierten Nomenklatur Position 3004
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

9. Januar 2007

"Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung - Gemeinsamer Zolltarif - Kombinierte Nomenklatur - Tarifierung - Kapseln, die im Wesentlichen Melatonin enthalten - Arzneiwaren"

Parteien:

In der Rechtssache C-40/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Finanzgericht München (Deutschland) mit Entscheidung vom 8. Dezember 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Januar 2006, in dem Verfahren

Juers Pharma Import-Export GmbH

gegen

Oberfinanzdirektion Nürnberg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten R. Schintgen sowie der Richter A. Tizzano (Berichterstatter) und E. Levits,

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: R. Grass,

gemäß Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung, wonach der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden kann,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Position 3004 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom 11. September 2003 (ABl. L 281, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: KN).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Juers Pharma Import-Export GmbH (im Folgenden: Juers Pharma) und der Oberfinanzdirektion Nürnberg (im Folgenden: OFD) über die Einreihung von Kapseln, die im Wesentlichen Melatonin enthalten (im Folgenden: Melatoninkapseln), als Arzneiware oder als Lebensmittelzubereitung im Sinne der KN.

Rechtlicher Rahmen

3 Die durch die Verordnung Nr. 2658/87 eingeführte KN beruht auf dem weltweiten Harmonisierten System zur Bezeichnung und Codierung der Waren, dessen Positionen und sechsstellige Unterpositionen sie übernimmt, wobei nur die siebte und die achte Stelle spezielle Unterteilungen der KN bilden. Außer der KN sind in Anhang I der genannten Verordnung ebenfalls die autonomen und vertragsmäßigen Zollsätze und die zusätzlichen Einheiten für statistische Zwecke enthalten.

4 Die Position 3004 in Kapitel 30 der KN betrifft "Arzneiwaren (ausgenommen Erzeugnisse der Position 3002, 3005 oder 3006), die aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestehen, dosiert (einschließlich solcher, die über die Haut verabreicht werden) oder in Aufmachungen für den Einzelverkauf". Waren, die zu dieser Position gehören, sind vom Zoll befreit.

5 Die Position 2106 der KN trägt die Überschrift "Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen". Die Lebensmittelzubereitungen, die zu dieser Position gehören, unterliegen dagegen dem Zoll.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

6 Juers Pharma importiert Melatoninkapseln der Marke Twinlab Melatonine Caps aus den USA in die Europäische Union. Dieses Erzeugnis ist als Nahrungsergänzungsmittel aufgemacht und als solches auf dem Etikett beschrieben, das die Angabe "Dietary Supplement" aufweist. Als solches werden die Kapseln zum Verkauf angeboten; jede Kapsel entspricht einer Tagesdosis.

7 Am 26. Januar 2004 beantragte Juers Pharma bei der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt (im Folgenden: ZPLA) Köln die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (im Folgenden: vZTA) betreffend die Einreihung der im Ausgangsverfahren streitigen Melatoninkapseln als "andere Arzneiwaren, Vitamine oder andere Erzeugnisse der Position 2936 enthaltend, in Aufmachung für den Einzelverkauf" in die Unterposition 3004 5010 der KN.

8 Am 22. April 2004 erteilte die ZPLA München, an die die ZPLA Köln den Antrag der Klägerin des Ausgangsverfahrens übersandt hatte, eine vZTA, die die Kapseln als Lebensmittelzubereitung, die zur Position 2106 gehört, in die Unterposition 2106 9098 einreihte.

9 Da Juers Pharma diese Einreihung für falsch hielt, legte sie einen Einspruch bei der OFD ein, der mit Entscheidung vom 22. Mai 2005 zurückgewiesen wurde.

10 Juers Pharma erhob gegen diese Entscheidung eine Klage beim Finanzgericht München, mit der sie geltend machte, dass das im Ausgangsverfahren streitige Erzeugnis eine Arzneiware und demnach in die Position 3004 einzureihen sei. Das Erzeugnis weise nämlich eine spezifische therapeutische Eigenschaft auf, da es zur Heilung oder Linderung von Schlafstörungen wirksam eingesetzt werde.

11 Die OFD trägt dagegen vor, dass das Erzeugnis nicht als Arzneiware in die Position 3004 eingereiht werden könne, da es als Nahrungsergänzung aufgemacht sei und Angaben über therapeutische oder prophylaktische Zwecke fehlten.

12 In seinem Beschluss weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das im Ausgangsverfahren streitige Erzeugnis, wie jede Zubereitung, die Melatonin enthalte, wegen seiner erheblichen Einflüsse auf den Körper durch das in der Europäischen Gemeinschaft geltende Arzneimittelrecht systematisch als Arzneimittel eingestuft werde.

13 Die Melatoninkapseln bezweckten dank ihrer stabilisierenden Wirkung auf das menschliche Nervensystem nämlich hauptsächlich eine Linderung oder Behebung von Schlafstörungen und von Jetlag.

14 Außerdem könnten diese Kapseln in Deutschland nur in Apotheken und nur auf ärztliche Verschreibung rechtmäßig verkauft werden.

15 Das vorlegende Gericht bezweifelt jedoch, ob die Einreihung dieser Kapseln als "Arzneiwaren" im Sinne der Position 3004 der KN richtig ist, da sie seit mehreren Jahren durch die in den Mitgliedstaaten erteilten vZTA als Lebensmittelzubereitung eingestuft worden sind.

16 Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht München beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die KN dahin auszulegen, dass in Position 3004 Melatoninkapseln, die wegen fehlender arzneimittelrechtlicher Zulassung als Nahrungsergänzungsmittel aufgemacht sind, einzureihen sind?

Zur Vorlagefrage

17 Nach Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist. 18 Mit seiner Frage möchte das Finanzgericht München im Wesentlichen wissen, ob Erzeugnisse wie die im Ausgangsverfahren streitigen Melatoninkapseln unter die Position 3004 der KN fallen.

19 Das vorlegende Gericht neigt dazu, die Frage zu bejahen. Es hegt jedoch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die in den Mitgliedstaaten erteilten vZTA diese Kapseln als Lebensmittelzubereitung im Sinne der Position 2106 der KN eingereiht haben, Zweifel an der Richtigkeit dieser Beurteilung.

20 In dieser Hinsicht ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine etwaige abweichende Anwendung der Regelung in einigen Mitgliedstaaten die auf dem Wortlaut der Tarifpositionen beruhende Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs nicht beeinflussen kann (vgl. Urteile vom 7. Mai 1991, Post, C-120/90, Slg. 1991, I-2391, Randnr. 24, und vom 15. September 2005, Intermodal Transports, C-495/03, Slg. 2005, I-8151, Randnr. 36).

21 Infolgedessen ist nach ständiger Rechtsprechung im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Urteile vom 16. September 2004, DFDS, C-396/02, Slg. 2004, I-8439, Randnr. 27, vom 8. Dezember 2005, Possehl Erzkontor, C-445/04, Slg. 2005, I-10721, Randnr. 19, und vom 8. Juni 2006, Sachsenmilch, C-196/05, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 22).

22 Zur Position 3004 der KN hat der Gerichtshof zum einen entschieden, dass "Arzneiwaren" im Sinne dieser Position Erzeugnisse sind, die genau umschriebene therapeutische oder prophylaktische Eigenschaften aufweisen und deren Wirkungen auf ganz bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Januar 1993, Bioforce, C-177/91, Slg. 1993, I-45, Randnr. 12, vom 15. Mai 1997, Bioforce, C-405/95, Slg. 1997, I-2581, Randnr. 18, vom 12. März 1998, Laboratoires Sarget, C-270/96, Slg. 1998, I-1121, Randnr. 28, sowie vom 10. Dezember 1998, Glob-Sped, C-328/97, Slg. 1998, I-8357, Randnrn. 29 und 30).

23 Zum anderen hat der Gerichtshof entschieden, dass die Darbietung solcher Erzeugnisse in dosierter Form oder ihre Aufmachung für den Einzelverkauf, wie schon aus dem Wortlaut der Position 3004 hervorgeht, eine Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist (vgl. Beschluss vom 19. Januar 2005, SmithKline Beecham, C-206/03, Slg. 2005, I-415, Randnr. 34).

24 Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass die Melatoninkapseln diese beiden Kriterien erfüllen.

25 Erstens stellen die Kapseln nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts dank ihrer stabilisierenden Wirkung auf das menschliche Nervensystem hauptsächlich ein Mittel zur Behandlung von Schlafstörungen und von Jetlag dar. Sie weisen daher genau umschriebene therapeutische oder prophylaktische Eigenschaften auf.

26 Zweitens wird, wie sich aus Randnr. 6 des vorliegenden Urteils ergibt, das im Ausgangsverfahren streitige Erzeugnis in Form von Kapseln verkauft, wobei jede Kapsel einer Tagesdosis entspricht.

27 Daher sind Erzeugnisse wie die im Ausgangsverfahren streitigen Melatoninkapseln zum Zweck der Einreihung in die KN nach den Informationen, über die der Gerichtshof verfügt, als "Arzneiwaren" im Sinne der Position 3004 anzusehen.

28 Das von der OFD vorgetragene Argument, dass diese Kapseln nicht in diese Position eingereiht werden könnten, weil sie als Nahrungsergänzungsmittel aufgemacht seien, kann diese Einstufung nicht in Frage stellen.

29 Insoweit genügt der Hinweis, dass sich, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, weder der Wortlaut der Position 3004 noch die Anmerkungen zu Kapitel 30 der KN für die Tarifierung von Erzeugnissen nach diesem Kapitel auf die Darbietung des Erzeugnisses beziehen, so dass dieses Merkmal keine entscheidende Bedeutung für die Einreihung des Erzeugnisses in die KN hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 1997, LTM, C-201/96, Slg. 1997, I-6147, Randnr. 28, und Laboratoires Sarget, Randnr. 27, sowie Beschluss SmithKline Beecham, Randnr. 33). Die vom Erzeuger für das im Ausgangsverfahren streitige Erzeugnis gewählte Bezeichnung "Nahrungsergänzungsmittel" schließt also seine Tarifierung als Arzneiware keineswegs aus.

30 Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die KN dahin auszulegen ist, dass Melatoninkapseln wie die im Ausgangsverfahren streitigen unter die Tarifposition 3004 fallen.

Kostenentscheidung:

Kosten

31 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) beschlossen:

Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom 11. September 2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Kapseln, die wie die im Ausgangsverfahren streitigen im Wesentlichen Melatonin enthalten, unter die Tarifposition 3004 fallen.

Ende der Entscheidung

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