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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 22.05.1992
Aktenzeichen: C-40/92 R
Rechtsgebiete: Verordnung 804/68/EWG, EWGV, Verordnung 1422/78/EWG


Vorschriften:

Verordnung 804/68/EWG Art. 25
EWGV Art. 186
Verordnung 1422/78/EWG Art. 1
Verordnung 1422/78/EWG Art. 10
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Wenn in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das von der Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet worden ist, der beklagte Mitgliedstaat die Zurückweisung des Antrags auf einstweilige Anordnung deshalb beantragt, weil nach seiner Ansicht auf nationaler Ebene getroffene Maßnahmen und eingegangene Verpflichtungen genügen, um den gegenwärtigen Zustand zu erhalten, gewährleistet er dadurch, daß die Maßnahmen und Verpflichtungen beachtet werden und nicht widerrufen oder geändert werden, bevor der Gerichtshof zur Hauptsache entscheidet.

Wird nicht dargelegt, inwiefern die beantragte einstweilige Anordnung geeignet ist, eine bedeutend grössere Gewähr für die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustands zu bieten als die, die bereits durch die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen und eingegangenen Verpflichtungen geboten wird, ist mangels Dringlichkeit der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht geboten.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 22. MAI 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN VEREINIGTES KOENIGREICH. - SONDERRECHTE DER MILK MARKETING BOARDS - ENTRAHMTE UND TEILENTRAHMTE MILCH. - RECHTSSACHE C-40/92 R.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 13. Februar 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben insbesondere auf Feststellung, daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 148, S. 13) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1421/78 des Rates vom 20. Juni 1978 (ABl. L 171, S. 12) und aus der Verordnung (EWG) Nr. 1422/78 des Rates vom 20. Juni 1978 über die Gewährung bestimmter Sonderrechte für Milcherzeugerorganisationen im Vereinigten Königreich (ABl. L 171, S. 4) verstossen hat, indem dieser Mitgliedstaat nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um zu gewährleisten, daß die Milk Marketing Boards (im folgenden: MMB) nicht die ihnen allein für Vollmilch verliehenen ausschließlichen Rechte überschreiten, er es unterlassen hat, die MMB daran zu hindern, die für die Erzeuger bestehenden Möglichkeiten der Herstellung und Vermarktung von Milcherzeugnissen ausserhalb dieser ausschließlichen Rechte zu beschränken, er es unterlassen hat, die MMB zu kontrollieren, und er es unterlassen hat, sicherzustellen, daß der Wettbewerb nur in dem unbedingt notwendigen Umfang beeinträchtigt wird. Hilfsweise für den Fall, daß der Gerichtshof der Ansicht ist, daß Magermilch und halbentrahmte Milch unter die ausschließlichen Ankaufsrechte der MMB fallen, wird die Feststellung beantragt, daß den Erzeugern und/oder Verarbeitern, die sich auf die vom Vereinigten Königreich bis zu seiner Meinungsänderung im Juni 1991 vertretene Auslegung der Gemeinschaftsregelung, wonach Magermilch und halbentrahmte Milch nicht in den Tätigkeitsbereich der MMB fallen, verlassen haben, das berechtigte Vertrauen darauf zuzuerkennen ist, daß sie die entrahmte Milch ausserhalb der ausschließlichen Ankaufsrechte des MMB von England und Wales und des MMB von Nordirland während eines angemessenen Zeitraums, zumindest bis zur Verkündung des Urteils des Gerichtshofes, weiterhin vermarkten können.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Antragstellerin gemäß Artikel 186 EWG-Vertrag und Artikel 83 der Verfahrensordnung eine einstweilige Anordnung beantragt, daß das Vereinigte Königreich bis zur Entscheidung des Gerichtshofes in der Hauptsache alle geeigneten Maßnahmen trifft, die erforderlich sind, um den MMB von England und Wales und den MMB von Nordirland daran zu hindern, jede Art von Beschränkungen, Abgaben, Bußgeldern, rechtlichen Schritten oder deren Androhung einzuleiten, aufzuerlegen oder aufrechtzuerhalten, soweit es um die Erzeugung und/oder Vermarktung von Magermilch und halbentrahmter Milch durch die betroffenen Milcherzeuger und Molkereien geht, die sich für ihre Herstellung, ihre Investitionen oder ihre Finanzplanung auf die seit langem, bis zur Meinungsänderung der MMB und des Vereinigten Königreichs feststehende Auslegung des Anwendungsbereichs der ausschließlichen Rechte der MMB verlassen haben. Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist überdies darauf gerichtet, dem Vereinigten Königreich aufzugeben, mit der Kommission zusammenzuarbeiten, um so bald wie möglich vorläufige Leitlinien in bezug auf den Bereich der Übereinstimmung zwischen den Parteien über eine echte vertragliche Verarbeitung festzulegen.

3 Die Antragsgegnerin hat am 11. März 1992 zu dem Antrag auf einstweilige Anordnung schriftlich Stellung genommen; die Parteien haben am 30. März 1992 mündlich verhandelt.

4 Vor einer Prüfung der Begründetheit des Antrags auf einstweilige Anordnung sind die Vorgeschichte des Rechtsstreits und der rechtliche Rahmen, in den er sich einfügt, kurz darzustellen.

5 Die Verordnung Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse sieht in Artikel 25 in seiner durch die Verordnung Nr. 1421/78 geänderten Fassung vor, daß ein Mitgliedstaat unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag ermächtigt werden kann, einer Erzeugerorganisation das ausschließliche Recht einzuräumen, von den Erzeugern des Gebiets, in dem die Organisation ihre Tätigkeit ausübt, die von ihnen erzeugte und in unverarbeitetem Zustand auf den Markt gebrachte Milch anzukaufen. Diesem ausschließlichen Recht entspricht die Verpflichtung der Organisation, die ihr von diesen Erzeugern angebotene Milch anzukaufen.

6 Die Verordnung Nr. 1422/78 über die Gewährung bestimmter Sonderrechte für Milcherzeugerorganisationen im Vereinigten Königreich stellt in Artikel 1 fest, daß die in der Verordnung Nr. 804/68 festgesetzten Bedingungen gegenwärtig hinsichtlich des Vereinigten Königreichs erfuellt seien, und sieht vor, daß das Vereinigte Königreich daher ermächtigt werden kann, fünf bestehenden Erzeugerorganisationen (MMB), für England, Wales, Schottland und Nordirland, die Rechte nach Artikel 25 der Verordnung Nr. 804/68 einzuräumen. Dieselbe Verordnung legt überdies bestimmte Bedingungen für die Ausübung der Sonderrechte durch diese Organisationen fest, wonach diese Rechte insbesondere diejenigen Milchmengen nicht umfassen können, die der Erzeuger entweder mit dem Einverständnis der Organisation oder zur Vermarktung in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland vom Verkauf an diese Organisation ausschließt.

7 Mit ihrer Verordnung (EWG) Nr. 1565/79 vom 25. Juli 1979 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zur genannten Verordnung Nr. 1422/78 (ABl. L 188, S. 29) hat die Kommission das Vereinigte Königreich ermächtigt, den fünf erwähnten MMB die Rechte nach Artikel 25 der Verordnung Nr. 804/68 einzuräumen.

8 Aus den Begründungserwägungen der genannten Verordnungen und aus den Akten ergibt sich, daß die MMB Organisationen sind, die, nach dem nationalen Recht des Vereinigten Königreichs gegründet, seit 1933 ähnliche Vorrechte genossen haben, wie sie ihnen die Gemeinschaftsregelung verleiht.

9 Mit Schreiben des Generaldirektors für Landwirtschaft vom 22. Februar 1991 wies die Kommission die Behörden des Vereinigten Königreichs darauf hin, daß aus der Kommission zugegangenen Beschwerden hervorgehe, daß der MMB von England und Wales entschieden habe, daß die von den Erzeugern in fluessiger Form auf den Markt gebrachte Milch ungeachtet ihres Fettgehalts den genannten ausschließlichen Ankaufsrechten unterliege und daß die Erzeuger, die ihre Milch auf der Grundlage von mit Molkereien geschlossenen Verträgen durch diese verarbeiten ließen, gegen die genannten ausschließlichen Rechte verstießen, da die Milch als auf den Markt gebracht anzusehen sei, sobald sie nicht mehr im Besitz des Erzeugers sei. Die Kommission erinnerte daran, daß bereits 1987 und sodann 1988 dieser MMB über Behörden des Vereinigten Königreichs ihr gegenüber darauf bestanden habe, daß Magermilch und halbentrahmte Milch wegen ihrer wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung in seine ausschließlichen Ankaufsrechte mit aufgenommen würden, und daß sie bei diesen beiden Gelegenheiten auf die mit einer Änderung der fraglichen Gemeinschaftsverordnungen verbundenen Schwierigkeiten hingewiesen habe, da nach ihrer Ansicht die gemäß Artikel 25 der Verordnung Nr. 804/68 den MMB verliehenen ausschließlichen Ankaufsrechte sich nur auf die von den Erzeugern zum Verkauf angebotene Vollmilch beziehen könnten.

10 Mit Schreiben vom 7. März 1991 teilte die Ständige Vertretung des Vereinigten Königreichs der Kommission mit, daß die Behörden des Vereinigten Königreichs von der Entscheidung des MMB von England und Wales selbst überrascht gewesen seien, da diese auf Auslegungen der Regelung für die MMB beruhe, die in wichtigen Punkten zu den Stellungnahmen sowohl der Behörden des Vereinigten Königreichs wie auch der Kommission in Widerspruch stuenden und über die dieser MMB eindeutig unterrichtet gewesen sei. Aus diesem Schreiben gehe hervor, daß die Behörden des Vereinigten Königreichs daher den betreffenden MMB aufgefordert hätten, seine Entscheidung zurückzunehmen.

11 Am 19. April 1991 gab der MMB von England und Wales in einer Pressemitteilung bekannt, daß die Organisation zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beabsichtige, hinsichtlich der Magermilch und der halbentrahmten Milch gegen Erzeuger, die diese Milch selbst erzeugten, gerichtlich vorzugehen. In dieser Pressemitteilung wurden die Erzeuger jedoch davon in Kenntnis gesetzt, daß diese Haltung des MMB aufgrund von Veränderungen hinsichtlich der Tätigkeiten der Organisation modifiziert werden könne und daß sich der MMB gegenüber jedem Erzeuger, der nach seiner Auffassung die Regelung verletze, seine Rechte vorbehalte.

12 Am 8. Mai 1991 übermittelte die Kommission gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag den Behörden des Vereinigten Königreichs ein Aufforderungsschreiben, in dem sie insbesondere auf die Verpflichtung dieser Behörden aus Artikel 10 der Verordnung Nr. 1422/78 hinwies, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die ständige Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften durch die MMB zu gewährleisten.

13 Mit Schreiben vom 21. Juni 1991 unterrichteten die Behörden des Vereinigten Königreichs die Kommission davon, daß sie hinsichtlich des Umfangs der ausschließlichen Rechte der MMB die Rechtslage erneut geprüft hätten und zu dem Schluß gekommen seien, daß mit "erzeugter und in unverarbeitetem Zustand auf den Markt gebrachter Milch", die gemäß Artikel 25 der Verordnung Nr. 804/68 Gegenstand dieser ausschließlichen Rechte sei, jede für den unmittelbaren menschlichen Verbrauch bestimmte Milch in fluessiger Form gemeint sei. Die Behörden waren der Ansicht, daß Magermilch und halbentrahmte Milch daher diesen ausschließlichen Rechten unterliege und daß sowohl der MMB von England und Wales als auch der MMB von Nordirland, gegen den sich ebenfalls Beschwerden bei der Kommission richteten, berechtigt gewesen seien, ihre Rechte gegenüber den betroffenen Erzeugern und Molkereien geltend zu machen.

14 Am 23. September 1991 übermittelte die Kommission den Behörden des Vereinigten Königreichs ihre mit Gründen versehene Stellungnahme. Die Kommission wies darin auf die zunehmenden Pressionen und Einschüchterungen hin, die von den beiden fraglichen MMB gegenüber Erzeugern, die ihre Milch als Magermilch und halbentrahmte Milch verkauften, und gegenüber Molkereien, die solche Produkte für Rechnung von Erzeugern erzeugten, ausgeuebt würden, und forderte die Behörden auf, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit sich die MMB dieser Praktiken enthielten und der gegenwärtige Zustand bis zur Entscheidung des Rechtsstreits durch den Gerichtshof erhalten bleibe.

15 Aus den Akten geht hervor, daß der MMB von England und Wales am 8. Oktober 1991 den Erzeugern, die Magermilch und halbentrahmte Milch selbst vermarkteten, ein Schreiben zukommen ließ, mit dem er sie aufforderte, einen dem Schreiben beigefügten Nichtlieferungsvertrag zu unterzeichnen, um die fragliche Milch von der obligatorischen Lieferung an den MMB auszunehmen. Nach diesem Vertrag verpflichtet sich der Erzeuger, für jeden vom 1. Januar 1992 an verkauften Liter Magermilch oder halbentrahmte Milch eine Abgabe an den MMB zu entrichten, deren Höhe von der Organisation festgesetzt wird. Der Vertrag sieht jedoch vor, daß diese Abgabe erst fällig ist, wenn der Gerichtshof entschieden hat oder die Kommission nicht mehr bestreitet, daß Magermilch und halbentrahmte Milch den ausschließlichen Rechten des MMB unterliegen. Es wird erläutert, daß der Vertrag als nichtig und nie zustande gekommen anzusehen ist, falls der Gerichtshof entscheidet, daß die fragliche Milch nicht den genannten Rechten unterliegt.

16 Mit Schreiben vom 6. November 1991 unterrichtete der MMB von England und Wales die betreffenden Erzeuger davon, daß er gegen diejenigen Erzeuger kein Verfahren anstrengen und keine disziplinarische Maßnahme einleiten werde, die den Nichtlieferungsvertrag nicht unterzeichnet hätten und die an diesem 6. November 1991 Magermilch und halbentrahmte Milch vermarkteten, wenn die Kommission nicht im Verfahren der einstweiligen Anordnung gegen die Regierung des Vereinigten Königreichs vorgehe, um den MMB daran zu hindern, die in bezug auf Magermilch und halbentrahmte Milch geltend gemachten Rechte auszuüben. In diesem Schreiben wurden im übrigen die Erzeuger, die sich bei ihren Investitionen auf vom MMB oder seinen Bediensteten gegebene Zusicherungen verlassen hatten, aufgefordert, sich mit der Organisation im Hinblick auf einen möglichen Entschädigungsantrag in Verbindung zu setzen.

17 Was Nordirland anbelangt, so geht ausserdem aus den Akten hervor, daß der MMB von Nordirland schon im April 1991 beim High Court of Justice in Northern Ireland eine Klage gegen die Strathroy Milk Marketing erhoben hat, ein Unternehmen, das bedeutende Mengen von Magermilch und halbentrahmter Milch vermarktete, wobei diese Milch auf der Grundlage von Verträgen erzeugt wurde, die mit einer wachsenden Zahl von Erzeugern geschlossen wurden, die ihre Milch von der obligatorischen Lieferung an den MMB ausgeschlossen hatten. Im Rahmen dieses Verfahrens hat das nationale Gericht durch Beschluß vom 1. Juli 1991 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung des MMB bestätigt, gegebenenfalls für alle Verluste (einschließlich des entgangenen Gewinns), die das beklagte Unternehmen oder seine Erzeuger erleiden würden, Ersatz zu leisten, und der Strathroy Milk Marketing aufgegeben, ihre Verkäufe von Magermilch und halbentrahmter Milch in Großbritannien und Nordirland bis zur Entscheidung über die Hauptsache auf 17 Millionen bzw. 2,1 Millionen Liter jährlich zu begrenzen.

18 Es ist daran zu erinnern, daß gemäß Artikel 186 EWG-Vertrag der Gerichtshof in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen kann.

19 Nach Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung setzt eine Entscheidung über eine einstweilige Anordnung wie die beantragte voraus, daß Umstände vorliegen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, und daß die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung, wie er vorliegend gestellt worden ist, danach zu beurteilen, ob eine einstweilige Entscheidung notwendig ist, um zu verhindern, daß ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht.

20 Was die Dringlichkeit anbelangt, so macht die Kommission geltend, daß der plötzliche rechtswidrige Wandel in der Politik des MMB von England und Wales und des MMB von Nordirland, der von den Behörden des Vereinigten Königreichs gebilligt werde, das berechtigte Vertrauen der Wirtschaftsteilnehmer verletze, die sich hinsichtlich ihrer gegenwärtigen oder zukünftigen Erzeugung von Magermilch und halbentrahmter Milch vor der Einreichung des vorliegenden Antrags auf einstweilige Anordnung auf die vor kurzem vertretene Auslegung der fraglichen Regelung verlassen hätten. Die Kommission meint, für diese Wirtschaftsteilnehmer sei es zwingend geboten, den gegenwärtigen Zustand mit den beantragten einstweiligen Maßnahmen aufrechtzuerhalten.

21 In bezug auf England und Wales macht die Kommission geltend, daß der von dem betreffenden MMB hinsichtlich der Erzeuger, die Magermilch und halbentrahmte Milch selbst vermarkteten, bekanntgegebene Standpunkt nicht ausreiche, um den gegenwärtigen Zustand aufrechtzuerhalten, selbst wenn man unterstelle, daß er nach Einreichung des Antrags auf einstweilige Anordnung aufrechterhalten bleibe. Die Gefahr, rückwirkend vom 1. Januar 1992 an eine Abgabe auf die verkaufte Magermilch und halbentrahmte Milch entrichten zu müssen, stelle als solche eine Gefahr für die finanzielle Existenzfähigkeit dieser Erzeuger dar, die kleine, mit engen Gewinnmargen auf einem von starkem Wettbewerb gekennzeichneten Markt tätige Unternehmen seien. Das wirtschaftliche Überleben dieser Erzeuger werde damit gefährdet. Diese Erwägung gelte noch mehr für die Erzeuger, die Magermilch und halbentrahmte Milch durch Molkereien produzieren und vermarkten ließen und die - von der Absichtserklärung des MMB nicht gedeckt - jederzeit mit angedrohten gerichtlichen Schritten und der Drohung, eine Abgabe an den MMB zahlen zu müssen, konfrontiert seien. Dasselbe gelte hinsichtlich der Molkereien, die für Rechnung dieser Erzeuger Magermilch und halbentrahmte Milch produzierten, da sie sich jederzeit gerichtlichen Klagen ausgesetzt sehen könnten, gegen die sie sich aus Kostengründen nur mit Schwierigkeiten verteidigen könnten.

22 Was Nordirland anbelangt, so macht die Kommission geltend, daß der am 1. Juli 1991 gegenüber der einzigen unabhängigen Molkerei dieser Region erlassene Beschluß im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in ungerechtfertigter Weise deren Absatz beschränke und den ihr angeschlossenen Erzeugern verbiete, ihre Produktion zu erhöhen. Überdies sähen sich die acht Erzeuger der Region, die selbst Magermilch und halbentrahmte Milch vermarkteten, jederzeit von einer Klage des MMB von Nordirland bedroht.

23 Der Antragsgegner ist wie die Kommission der Ansicht, daß bis zum Erlaß des Urteils des Gerichtshofes der gegenwärtige Zustand aufrechtzuerhalten sei. Er betont jedoch auch, daß die Gemeinschaftsregelung nicht nur den Erzeugern, sondern auch den MMB Rechte gewähre und daß der gegenwärtige Zustand die Interessen aller betroffenen Parteien zu wahren habe. Der Antragsgegner ist der Auffassung, daß zum jetzigen Zeitpunkt der gegenwärtige Zustand durch die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen und eingegangenen Verpflichtungen in angemessener Weise bewahrt werde.

24 Was England und Wales angeht, so weist der Antragsgegner darauf hin, daß der betreffende MMB sich verpflichtet habe, gegenüber den Erzeugern, die Magermilch und halbentrahmte Milch selbst vermarkteten, seinen Standpunkt aufrechtzuerhalten, wie er aus seinem vorerwähnten Schreiben vom 6. November 1991 hervorgehe. Der MMB werde von diesen Erzeugern die Zahlung der vom 1. Januar 1992 an anwendbaren Abgaben nur dann verlangen, wenn die heute von den Behörden des Vereinigten Königreichs vertretene Auslegung vom Gerichtshof bestätigt werde. Der Antragsgegner weist überdies darauf hin, daß hinsichtlich derjenigen Erzeuger, die ihre Magermilch und halbentrahmte Milch von Molkereien, denen sie diese Tätigkeiten anvertrauten, produzieren und vermarkten ließen, sich der betreffende MMB verpflichtet habe, keine neuen Klagen zu erheben, es sei denn wegen der Verarbeitungsverträge, die nach den Kriterien, die die Kommission in ihrem Antrag auf einstweilige Anordnung selbst angewandt habe, lediglich Vereinbarungen darstellten, um die ausschließlichen Rechte des MMB zu umgehen, d. h., wenn der Erzeuger nicht an der betroffenen Molkerei beteiligt sei und keine Kontrolle über ihre Tätigkeiten ausübe. In den Fällen, in denen bereits Klage gegen solche Erzeuger oder Molkereien erhoben worden sei, habe sich der MMB von England und Wales verpflichtet, keine neuen Prozeßhandlungen vorzunehmen.

25 Hinsichtlich Nordirlands trägt der Antragsgegner vor, daß die Erzeuger, die ihre Milch an die Strathroy Milk Marketing lieferten, anfänglich erklärt hätten, daß sie ihre Produktion für die Ausfuhr von der obligatorischen Lieferung an den MMB ausnähmen. Eine Klage sei gegen die Molkerei erst dann erhoben worden, als diese angekündigt habe, daß die Magermilch und halbentrahmte Milch ungeachtet dieser Erklärungen in Großbritannien und Nordirland vermarktet würden. Der vom High Court of Justice in Northern Ireland am 1. Juli 1991 erlassene Beschluß im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bewahre in angemessener Weise den gegenwärtigen Zustand, indem er durch eine Beschränkung der vermarkteten Mengen ausschließe, daß diese Molkerei neue Erzeuger anwerbe. Schließlich vermarkte eine geringe Zahl von Erzeugern dieses Gebiets ihre Produktion an Magermilch und halbentrahmter Milch selbst, doch entrichte keiner von ihnen eine Abgabe an den betreffenden MMB. Dieser habe sich verpflichtet, von den Erzeugern erst nach einem Urteil des Gerichtshofes zugunsten der heute vom Antragsgegner vertretenen Auslegung die Zahlung einer Abgabe zu verlangen.

26 Der Antragsgegner macht geltend, daß unter diesen Umständen für den Gerichtshof kein Anlaß bestehe, die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.

27 Zunächst ist festzustellen, daß, wenn der Antragsgegner die Zurückweisung des Antrags auf einstweilige Anordnung deshalb beantragt, weil nach seiner Ansicht die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen und eingegangenen Verpflichtungen genügen, um den gegenwärtigen Zustand zu erhalten, er dadurch gewährleistet, daß die Maßnahmen und Verpflichtungen, wie sie oben in den Randnummern 24 und 25 beschrieben sind, von den MMB beachtet werden und nicht widerrufen oder geändert werden, bevor der Gerichtshof zur Hauptsache entscheidet.

28 Sodann ist festzustellen, daß im Verhältnis zu der Situation, die sich aus den auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen und eingegangenen Verpflichtungen ergibt, die beantragte einstweilige Anordnung namentlich das an die betroffenen MMB gerichtete Verbot umfasst, von den Erzeugern, die bereits Magermilch oder halbentrahmte Milch vermarkten, die Zahlung von Abgaben für den Zeitraum bis zum Erlaß des Urteils des Gerichtshofes zu erhalten, selbst wenn das Urteil die von diesen Organisationen vertretene Auslegung bestätigt.

29 Die Kommission hält es für erforderlich, im Stadium des Verfahrens der einstweiligen Anordnung das berechtigte Vertrauen dieser Erzeuger hinsichtlich des Umfangs der ausschließlichen Rechte der MMB zu schützen, da schon die Gefahr, rückwirkend die von den MMB angekündigten Abgaben zahlen zu müssen, zu einem Schaden für diese Erzeuger führen könne. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung dem Urteil des Gerichtshofes nicht vorgreifen darf, indem er eine der betroffenen Parteien endgültig vor den Folgen schützt, die sich aus dem Urteil für die Zeit vor seiner Verkündung ergeben können. Im übrigen begehrt die Kommission mit ihrem in der Klageschrift gestellten Hilfsantrag vom Gerichtshof gerade die Feststellung, daß das berechtigte Vertrauen dieser Erzeuger zu schützen ist und daß ihnen zu gestatten ist, die Vermarktung von Magermilch und halbentrahmter Milch ausserhalb der ausschließlichen Rechte der MMB fortzusetzen, d. h. ohne an diese Organisationen irgendwelche Abgaben zahlen zu müssen, und zwar wenigstens bis zum Erlaß des Urteils des Gerichtshofes. In diesem Punkt läuft der Antrag der Kommission auf einstweilige Anordnung darauf hinaus, den Anträgen des Hauptverfahrens bereits im Stadium des Verfahrens der einstweiligen Anordnung stattzugeben.

30 Die beantragte einstweilige Anordnung unterscheidet sich überdies von der Situation, die sich aus den auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen und eingegangenen Verpflichtungen ergibt, da sie nicht nur die Erzeuger betrifft, die zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf einstweilige Anordnung Magermilch und halbentrahmte Milch vermarktet haben, sondern auch diejenigen, die durch Investitionen oder Finanzpläne eine solche Vermarktung vorbereitet haben. In diesem Punkt genügt der Hinweis darauf, daß mangels bestimmter Kriterien blosse Pläne für eine künftige Vermarktung von Magermilch und halbentrahmter Milch allgemein nicht Gegenstand eines vorläufigen Rechtsschutzes sein können. Wie das Vereinigte Königreich ausgeführt hat, ist die besondere Lage einer Molkerei oder eines einzelnen Erzeugers im Rahmen eines Gerichtsverfahrens auf nationaler Ebene zu beurteilen.

31 Im übrigen hat die Kommission nicht dargelegt, inwiefern die beantragten Maßnahmen geeignet sind, eine bedeutend grössere Gewähr für die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustands zu bieten als die, die bereits durch die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen und eingegangenen Verpflichtungen geboten wird.

32 In Anbetracht dieser Maßnahmen und Verpflichtungen ist deshalb festzustellen, daß die Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfuellt ist und der Antrag auf einstweilige Anordnung daher zurückzuweisen ist.

33 Es ist jedoch daran zu erinnern, daß der vorliegende Beschluß gemäß Artikel 87 der Verfahrensordnung jederzeit wegen veränderter Umstände abgeändert werden kann.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT

beschlossen:

1) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 22. Mai 1992.

Ende der Entscheidung

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