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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.03.1994
Aktenzeichen: C-40/92
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 1422/78, EWG-Vertrag, VO (EWG) Nr. 804/68


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 1422/78 Art. 10
EWG-Vertrag Art. 5
VO (EWG) Nr. 804/68 Art. 25 Abs. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das den Milk Marketing Boards, Organisationen von Milcherzeugern im Vereinigten Königreich, nach Artikel 25 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 804/68 in der Fassung der Verordnung Nr. 1421/78 zustehende ausschließliche Recht zum Ankauf von Milch erfasst nicht nur Vollmilch, sondern auch Milch mit niedrigem Fettgehalt, d. h. Magermilch und halbentrahmte Milch.

2. Das Vereinigte Königreich ist gehalten, die Verpflichtungen zur Kontrolle der Tätigkeiten der Milk Marketing Boards, die ihm Artikel 10 der Verordnung Nr. 1422/78 auferlegt, genau zu erfuellen, was gerade eine Voraussetzung für die Anerkennung der in Rede stehenden Vertriebssysteme ist, zumal diese eine Ausnahme von der gemeinsamen Marktorganisation darstellen. Da es fünf verschiedene Einrichtungen gibt, die mit der Durchführung dieser Vertriebssysteme betraut sind, hat der Grundsatz einer sehr strengen Kontrolle eine besondere Bedeutung im Hinblick auf das Ziel der vorgenannten Verordnung zu gewährleisten, daß diese Einrichtungen die ihnen eingeräumten Rechte nicht in einer Weise ausüben, die mit den allgemeinen Grundsätzen des Vertrages und mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere dem in Artikel 40 Absatz 3 EWG-Vertrag festgelegten Grundsatz der Nichtdiskriminierung unvereinbar ist. Deshalb hat der genannte Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1422/78 verstossen, indem er es den verschiedenen Milk Marketing Boards gestattet hat, bei der Ausübung ihrer Vorrechte im Hinblick auf Magermilch und halbentrahmte Milch unterschiedliche Politiken zu verfolgen.

3. Da die Gemeinschaft auf Antrag des Vereinigten Königreichs und nur für dieses von der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse abweichende Regelungen eingeführt hat, ist dieses verpflichtet - und würde andernfalls gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen -, die Kommission von allen geplanten Änderungen der nationalen Rechtsvorschriften zu unterrichten, die geeignet sind, die Integrität und Wirksamkeit der auf die Milk Marketing Boards gestützten Vertriebssysteme zu beeinträchtigen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 24. MAERZ 1994. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN VEREINIGTES KOENIGREICH GROSSBRITANNIEN UND NORDIRLAND. - VERTRAGSVERLETZUNGSVERFAHREN - SONDERRECHTE DER MILK MARKETING BOARDS - MAGERMILCH UND HALBENTRAHMTE MILCH - KONTROLLE DER MILK MARKETING BOARDS DURCH DEN MITGLIEDSTAAT - UNTERRICHTUNG DER KOMMISSION. - RECHTSSACHE C-40/92.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 13. Februar 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung,

1. a) daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 25 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 148, S. 13) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1421/78 des Rates vom 20. Juni 1978 (ABl. L 171, S. 12) verstossen hat, indem es nicht dafür gesorgt hat, daß die Milk Marketing Boards (Milchhandelsorganisationen, im folgenden: MMB) nicht die Ausschließlichkeitsrechte überschreiten, die ihnen nur bezueglich der Vollmilch eingeräumt worden sind;

b) daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus der Verordnung Nr. 804/68 verstossen hat, indem es die MMB nicht daran gehindert hat, die Möglichkeiten für die Erzeuger einzuschränken, Milcherzeugnisse ausserhalb der Ausschließlichkeitsrechte der MMB rechtmässig zu erzeugen und in den Verkehr zu bringen;

c) daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1422/78 des Rates vom 20. Juni 1978 über die Gewährung bestimmter Sonderrechte für Milcherzeugerorganisationen im Vereinigten Königreich (ABl. L 171, S. 14) verstossen hat, indem es die MMB nicht kontrolliert hat;

d) daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 25 Absatz 3 der Verordnung Nr. 804/68 verstossen hat, indem es nicht sichergestellt hat, daß der Wettbewerb nicht mehr als unbedingt erforderlich beeinträchtigt wird;

e) daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 25 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 verstossen hat, indem es die Milk Marketing Schemes in Schottland auf Milch mit niedrigem Fettgehalt ausgedehnt hat;

f) daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen hat, indem es der Kommission mehrere Jahre lang nicht die Änderungen der schottischen Milk Marketing Schemes mitgeteilt hat, durch die diese auf Milch mit niedrigem Fettgehalt erstreckt wurden.

2. Für den Fall, daß der Gerichtshof zu der Auffassung gelangen sollte, daß Milch mit niedrigem Fettgehalt unter die Ausschließlichkeitsrechte der MMB fällt, beantragt die Kommission, festzustellen, daß die Erzeuger und/oder Hersteller, die sich auf die Auslegung des Gemeinschaftsrechts verlassen haben, die das Vereinigte Königreich bis zur Änderung seiner Haltung im Juni 1991 akzeptiert hat und wonach Milch mit niedrigem Fettgehalt nicht von den fraglichen Milk Marketing Schemes erfasst wird, die berechtigte Erwartung haben, daß sie während eines angemessenen Zeitraums, mindestens aber bis zum Erlaß des Urteils des Gerichtshofes, weiter Milch mit niedrigem Fettgehalt ausserhalb der ausschließlichen Ankaufsrechte der MMB von England und Wales und von Nordirland vermarkten können.

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits

2 Das Vereinigte Königreich hatte vor seinem Beitritt zur Gemeinschaft eine nationale Marktordnung für Milch; eines der Hauptmerkmale dieser Marktordnung war die Arbeitsweise der MMB. Diese hatten die Aufgabe, die Erzeugung und Vermarktung der Milcherzeugnisse zu verbessern. Zu diesem Zweck verkauften alle Erzeuger ihre Milch über die MMB. Diese nahmen die gesamte gelieferte Milch an, verkauften sie zum bestmöglichen Preis und zahlten an die Erzeuger einen aufgrund ihres Gesamtgewinns berechneten Einheitspreis.

3 Die Tätigkeit der MMB ist in den Milk Marketing Schemes geregelt. Danach sind die MMB, von Ausnahmen abgesehen, verpflichtet, alle von den Erzeugern angebotene Milch handelsüblicher Qualität zu kaufen. Umgekehrt sind die MMB befugt, von den Erzeugern zu verlangen, daß diese ihnen die von ihnen erzeugte Milch verkaufen, vorbehaltlich der bestimmten Kategorien von Erzeugern erteilten Genehmigung, ihre Milch selbst direkt in den Verkehr zu bringen. Die MMB kaufen von den Erzeugern Rohmilch zu einem Einheitspreis und verkaufen sie zu verschiedenen, vom Verwendungszweck abhängigen Preisen weiter.

4 Nach dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zur Gemeinschaft wurde die Arbeit der MMB in die durch die Verordnung Nr. 804/68 des Rates errichtete gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse integriert. Artikel 25 dieser Verordnung in der Fassung der Verordnung Nr. 1421/78 des Rates stellte für die Tätigkeit der MMB bestimmte Voraussetzungen auf und legte fest, daß sich das ausschließliche Recht dieser Stellen, Milch von den Erzeugern des betreffenden Gebiets anzukaufen, auf die von diesen erzeugte und in unverarbeitetem Zustand auf den Markt gebrachte Milch bezieht.

5 Die allgemeinen Vorschriften über die Voraussetzungen für die Ausübung der den MMB vom Vereinigten Königreich eingeräumten Sonderrechte wurden in der Verordnung Nr. 1422/78 festgelegt. Nach Artikel 10 Absatz 1 dieser Verordnung ist das Vereinigte Königreich verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen für die ständige Kontrolle zu treffen, ob die MMB die gemeinschaftlichen Grundsätze und Regeln sowie die besonderen Bedingungen, an die die Ermächtigung geknüpft ist, einhalten.

6 Hinsichtlich der Vermarktung von Magermilch und halbentrahmter Milch gehen die Praktiken der verschiedenen MMB im Vereinigten Königreich auseinander.

7 Der Milk Marketing Board for Northern Ireland verfolgte die ständige Politik, Magermilch und halbentrahmte Milch in seine ausschließlichen Ankaufsrechte einzubeziehen. Er widersetzte sich folglich den Erzeugern, die diese Milch ungeachtet seiner ausschließlichen Ankaufsrechte selbst verkaufen wollten.

8 Was die drei MMB in Schottland betrifft, so wurden zwei der Milk Marketing Schemes, die die Tätigkeiten des Scottish Milk Marketing Board und des North of Scotland Milk Marketing Board regelten, 1982 dahin geändert, daß Milch mit niedrigem Fettgehalt ausdrücklich von den ausschließlichen Ankaufsrechten erfasst wurde, die den MMB durch Artikel 25 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 eingeräumt worden waren. 1984 wurde das Milk Marketing Scheme des Aberdeen and District Milk Marketing Board im gleichen Sinne geändert.

9 Bis 1991 berief sich der Milk Marketing Board of England and Wales gegenüber Erzeugern, die Vollmilch entrahmten und dann Milch mit niedrigem Fettgehalt in den Verkehr brachten, nicht auf sein ausschließliches Ankaufsrecht.

10 Die Kommission machte die Behörden des Vereinigten Königreichs mit Schreiben vom 22. Februar 1991 darauf aufmerksam, daß der Milk Marketing Board of England and Wales beschlossen hatte, daß die von den Erzeugern in fluessiger Form auf den Markt gebrachte Milch unabhängig von ihrem Fettgehalt unter sein ausschließliches Ankaufsrecht falle. Am 8. Mai 1991 forderte die Kommission das Vereinigte Königreich auf, gemäß Artikel 10 der Verordnung Nr. 1422/78 die erforderlichen Maßnahmen für die ständige Kontrolle der Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften durch die MMB zu treffen.

11 Mit Schreiben vom 21. Juni 1991 unterrichtete die Regierung des Vereinigten Königreichs die Kommission davon, daß sie aufgrund einer erneuten Prüfung der Rechtslage zu dem Ergebnis gelangt sei, daß als "erzeugte und in unverarbeitetem Zustand auf den Markt gebrachte Milch", die Gegenstand der besonderen Rechte der MMB gemäß Artikel 25 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 sei, alle Milch in fluessiger Form anzusehen sei, die für den unmittelbaren menschlichen Verbrauch bestimmt sei. Diese Definition schließe Magermilch und halbentrahmte Milch ein.

12 Am 1. Oktober 1991 übermittelte die Kommission dem Vereinigten Königreich eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie ihren Standpunkt hinsichtlich des Umfangs der ausschließlichen Ankaufsrechte der MMB bestätigte und das Vereinigte Königreich aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Status quo bis zur Entscheidung des Gerichtshofes über den vorliegenden Rechtsstreit zu treffen.

Der Hauptantrag

Zu den Rügen in den Klageanträgen 1 a, b, d und e

13 Die Kommission trägt zur Begründung dieser Anträge vor, nach Artikel 25 Absätze 1 und 3 der Verordnung Nr. 804/68 beziehe sich das ausschließliche Ankaufsrecht der MMB nur auf Vollmilch und nicht auf Magermilch und halbentrahmte Milch, d. h. Milch, aus der ein grösserer oder geringerer Fettanteil entfernt worden sei. Die Ausnahmen von der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse seien eng auszulegen. Folglich müsse zwischen Vollmilch und verarbeiteten Erzeugnissen wie Magermilch und halbentrahmter Milch unterschieden werden.

14 Das Vereinigte Königreich trägt vor, die Worte "die... in unverarbeitetem Zustand auf den Markt gebrachte Milch" umfassten Milch mit niedrigem Fettgehalt, da die kommerzielle Verwendung dieser Milchsorte dieselbe sei wie die der Vollmilch. Würde sich das ausschließliche Ankaufsrecht der MMB nicht auf Milch mit niedrigem Fettgehalt erstrecken, so wären die Erzeuger in der Lage, ihre Milch direkt an Molkereien, Großhändler, Einzelhändler oder Verbraucher zu verkaufen. Daraus würde sich eine Erhöhung der Milchmenge ergeben, die den MMB zum Schaden aller Erzeuger, insbesondere derjenigen, die durch ihre geographische Lage benachteiligt seien, vorenthalten würde.

15 Im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof im Urteil vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-372/88 (Cricket St. Thomas, Slg. 1990, I-1345) entschieden hat, daß die Tragweite der ausschließlichen Ankaufsrechte, deren Gegenstand nach Artikel 25 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 804/68 die "erzeugte und in unverarbeitetem Zustand auf den Markt gebrachte Milch" ist, durch das Gemeinschaftsrecht aufgrund eines Kriteriums eingeschränkt wird, das in den kennzeichnenden Eigenschaften und der Handelsbestimmung des betreffenden Erzeugnisses zu suchen ist. Er hat ausgeführt, daß es um die Frage geht, ob das betreffende Erzeugnis noch als Milch gelten kann oder ob es sich um ein neues, aus der Milch gewonnenes Erzeugnis handelt.

16 Insoweit ist festzustellen, daß Magermilch und halbentrahmte Milch ähnliche Eigenschaften aufweisen wie Vollmilch. Milchsorten mit niedrigem Fettgehalt haben im wesentlichen dieselbe Handelsbestimmung wie Vollmilch, nämlich den direkten Verbrauch für die menschliche Ernährung. Magermilch und halbentrahmte Milch sowie Vollmilch werden in denselben Geschäften in Kartons oder Flaschen im Wettbewerb miteinander und zu gleichen oder sehr ähnlichen Preisen verkauft.

17 Ausserdem wird die homogenisierte Vollmilch, deren Fettgehalt auf einen konstanten Wert von 3,5 % gebracht wird, ähnlichen Verfahren unterworfen, wie sie zur Herstellung von Magermilch und halbentrahmter Milch dienen. Wie Milch mit niedrigem Fettgehalt entsteht auch homogenisierte Vollmilch entweder durch das Verfahren der Trennung der Grundbestandteile der Vollmilch oder durch Verdünnung dieser Milch mit Milch mit niedrigem Fettgehalt. Diese Veränderung des Fettgehalts kann somit nicht als Verarbeitung im eigentlichen Sinne angesehen werden.

18 Hinzuzufügen ist, daß eine Beschränkung des ausschließlichen Ankaufsrechts der MMB auf Vollmilch die Erreichung der Ziele des fraglichen Vertriebssystems, nämlich die Märkte zu stabilisieren und der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten, gefährden würde. Die MMB sind aber nach der ersten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1421/78 von der Gemeinschaft gerade deshalb anerkannt worden, weil diese Ziele durch die Boards unter geringerer Inanspruchnahme der Interventionsmaßnahmen erreicht werden können.

19 Eine Beschränkung der ausschließlichen Ankaufsrechte würde die Eröffnung eines alternativen Absatzweges für Milch mit niedrigem Fettgehalt bedeuten. Eine solche Situation würde die Wirksamkeit des fraglichen Vertriebssystems, dessen Aufrechterhaltung in der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse durch eine dem Beitrittsvertrag angefügte Erklärung akzeptiert wurde, und damit schon die Existenz der in Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1422/78 anerkannten verschiedenen MMB gefährden.

20 Aus alledem ergibt sich, daß die Klageanträge der Kommission zu 1 a, b, d und e als unbegründet abzuweisen sind.

Zu der Rüge im Klageantrag 1 c

21 Mit diesem Antrag begehrt die Kommission die Feststellung, daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1422/78 verstossen hat, wonach es die erforderlichen Maßnahmen für die ständige Kontrolle zu treffen hat, ob die MMB die gemeinschaftlichen Grundsätze und Regeln sowie die besonderen Bedingungen, an die die ihnen erteilte Ermächtigung geknüpft ist, einhalten.

22 Die Regierung des Vereinigten Königreichs räumt ein, daß die MMB in der Vergangenheit unterschiedliche Praktiken in bezug auf die Situation von Erzeugern, die ihre Produktion in Form von Milch mit niedrigem Fettgehalt selbst in den Verkehr gebracht hätten, angewandt hätten. In Schottland hätten die MMB seit den Änderungen der Milk Marketing Schemes von 1982 und 1984 keinen Unterschied mehr zwischen Vollmilch und Milch mit niedrigem Fettgehalt gemacht. In Nordirland sei der MMB stets der Auffassung gewesen, daß Milch mit niedrigem Fettgehalt unter sein Ausschließlichkeitsrecht falle. In England und Wales habe der MMB seine Haltung dahin gehend geändert, daß Milch mit niedrigem Fettgehalt nunmehr unter sein ausschließliches Ankaufsrecht falle. Somit seien derzeit alle MMB der Auffassung, daß Milch mit niedrigem Fettgehalt von ihrem ausschließlichen Ankaufsrecht erfasst werde.

23 Das Vereinigte Königreich führt aus, die ihm durch Artikel 10 der Verordnung Nr. 1422/78 auferlegten Verpflichtungen ermöglichten es ihm nicht, Privatpersonen, insbesondere die MMB, daran zu hindern, sich gutgläubig auf die ihnen vom Gemeinschaftsrecht eingeräumten Rechte zu berufen. Das Vereinigte Königreich sei nicht aufgrund seiner Kontrollpflicht gehalten, in nationale Verfahren zwischen privaten Parteien über den Umfang derartiger Rechte einzugreifen oder die von der Kommission vorgeschlagenen Schritte einzuleiten.

24 Das Vereinigte Königreich macht ausserdem geltend, daß diese Rüge nicht in der mit Gründen versehenen Stellungnahme enthalten gewesen sei.

25 Dieses letztgenannte Vorbringen ist zurückzuweisen. Wie sich nämlich aus zahlreichen Ausführungen in den vorprozessualen Schriftsätzen der Kommission ergibt, hat diese den Behörden des Vereinigten Königreichs vorgeworfen, sie hätten die Anwendung der Milk Marketing Schemes durch die MMB nicht wirksam überwacht.

26 Was die Rüge in der Sache betrifft, so ist darauf hinzuweisen, daß das Vereinigte Königreich gehalten ist, die Verpflichtungen, die ihm Artikel 10 der Verordnung Nr. 1422/78 auferlegt, genau zu erfuellen, was gerade eine Voraussetzung für die Anerkennung der in Rede stehenden Vertriebssysteme ist, zumal diese eine Ausnahme von der gemeinsamen Marktorganisation darstellen.

27 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ist die Regelung, die sich aus sämtlichen Gemeinschaftsbestimmungen über die Zulassung der MMB ergibt, durch den Grundsatz einer sehr strengen Kontrolle der Tätigkeit dieser Stellen gekennzeichnet (vgl. Urteil vom 2. Dezember 1986 in der Rechtssache 23/84, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1986, 3581, Randnr. 40). Diese Kontrollverpflichtung ist besonders wichtig, da es fünf verschiedene Stellen gibt, die mit der Durchführung dieser Vertriebssysteme betraut sind.

28 Im vorliegenden Fall steht fest, daß mehrere Jahre lang weder die Rechtslage noch die Praxis der MMB dem Erfordernis einer einheitlichen Anwendung der fraglichen Regelung entsprochen hat.

29 Die zuständigen Behörden des Vereinigten Königreichs haben zugelassen, daß die Milk Marketing Schemes unterschiedlich angewandt wurden. Wie sich aus der vierten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1422/78 ergibt, besteht eines der Ziele dieser Verordnung darin, zu gewährleisten, daß die MMB die ihnen eingeräumten Rechte nicht in einer Weise ausüben, die mit den allgemeinen Grundsätzen des Vertrages und mit dem Gemeinschaftsrecht, also insbesondere dem in Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag verankerten Grundsatz der Nichtdiskriminierung, unvereinbar ist.

30 Deshalb ist festzustellen, daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1422/78 verstossen hat, indem es den MMB gestattet hat, bei der Vermarktung von Magermilch und halbentrahmter Milch unterschiedliche Politiken zu verfolgen.

Zu der Rüge im Klageantrag 1 f

31 Nach Auffassung der Kommission stellt der Umstand, daß das Vereinigte Königreich sie nicht von der veränderten Politik der MMB unterrichtet habe, einen Verstoß gegen die ihm nach Artikel 5 EWG-Vertrag obliegende Loyalitätspflicht dar.

32 Die Regierung des Vereinigten Königreichs bestreitet, ihre Verpflichtungen verletzt zu haben. Sie führt aus, sie habe sich in einer schwierigen Lage befunden, in der sich die MMB gutgläubig aufgrund des Gemeinschaftsrechts auf ausschließliche Ankaufsrechte für Milch mit niedrigem Fettgehalt berufen hätten.

33 Es ist darauf hinzuweisen, daß die Gemeinschaft die von der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse abweichende Regelung auf Antrag des Vereinigten Königreichs anerkannt hat, so daß dieser Mitgliedstaat verpflichtet ist, die Kommission von allen Änderungen der Milk Marketing Schemes zu unterrichten, die geeignet sind, die Integrität und Wirksamkeit dieser Vertriebssysteme zu beeinträchtigen.

34 Es steht fest, daß die Änderungen der drei schottischen Milk Marketing Schemes, durch die diese auf Magermilch und halbentrahmte Milch ausgedehnt wurden, der Kommission nicht mitgeteilt worden sind.

35 Aufgrund der Bedeutung der geplanten Änderungen und um es den Gemeinschaftsbehörden zu ermöglichen, die Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit der anwendbaren Regelung zu prüfen, hätte die Regierung des Vereinigten Königreichs die Kommission aber davon unterrichten müssen.

36 Somit ist festzustellen, daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen hat, indem es die Kommission nicht von den geplanten Änderungen unterrichtet hat, die 1982 und 1984 an den in Schottland geltenden Milk Marketing Schemes vorgenommen wurden.

Der Hilfsantrag

37 Für den Fall, daß der Gerichtshof zu der Auffassung gelangt, daß Milch mit niedrigem Fettgehalt unter die Ausschließlichkeitsrechte der MMB fällt, beantragt die Kommission, den Erzeugern, die sich auf die gegenteilige Auslegung des Gemeinschaftsrechts verlassen haben, die die Regierung des Vereinigten Königreichs bis zur Änderung ihrer Haltung im Juni 1991 akzeptiert hat und wonach Milch mit niedrigem Fettgehalt nicht von den fraglichen Milk Marketing Schemes erfasst wird, nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes das Recht zuzuerkennen, während eines angemessenen Zeitraums, mindestens aber bis zum Erlaß des Urteils des Gerichtshofes, weiter Milch mit niedrigem Fettgehalt ausserhalb der ausschließlichen Ankaufsrechte des Milk Marketing Board of England und Wales und des Milk Marketing Board for Northern Ireland zu vermarkten.

38 Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht geltend, daß dieser Antrag im vorprozessualen Verfahren nicht gestellt worden sei.

39 Diesem Vorbringen ist zu folgen. Die Kommission hat nämlich weder in ihrem Aufforderungsschreiben noch in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme einen Antrag in bezug auf die Einhaltung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes gestellt.

40 Somit ist der Hilfsantrag der Kommission als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

41 Nach Artikel 69 § 3 Absatz 1 kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt. Da beide Parteien im vorliegenden Fall in mehreren Punkten unterlegen sind, ist zu beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, einschließlich der Kosten des von der Kommission gestellten Antrags auf Erlaß einstweiliger Anordnungen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland hat gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1422/78 des Rates vom 20. Juni 1978 über die Gewährung bestimmter Sonderrechte für Milcherzeugerorganisationen im Vereinigten Königreich verstossen, indem es den Milk Marketing Boards gestattet hat, bei der Vermarktung von Magermilch und halbentrahmter Milch unterschiedliche Politiken zu verfolgen.

2) Das Vereinigte Königreich hat gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen, indem es die Kommission nicht von den geplanten Änderungen unterrichtet hat, die 1982 und 1984 an den in Schottland geltenden Milk Marketing Schemes vorgenommen wurden.

3) Die übrigen Hauptanträge der Kommission werden als unbegründet abgewiesen.

4) Der Hilfsantrag der Kommission wird als unzulässig abgewiesen.

5) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung.

Ende der Entscheidung

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