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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.12.1994
Aktenzeichen: C-401/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Allgemeine Vorschrift 2 a für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur, wonach die Anführung einer Ware in einer Position auch für die unvollständige oder unfertige Ware gilt, wenn sie die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware hat, lässt nicht die Einreihung von Bestandteilen von Videogeräten in Form von Bandtransportmechaniken in den KN-Code 8521 über Videogeräte zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe zu, da diese Bestandteile, die nur 30 % bis 40 % des Wertes der vollständigen Geräte ausmachen, nur den mechanischen Teil der Videogeräte darstellen, während die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale von Videogeräten in der Kombination aus den mechanischen und den elektronischen Elementen liegen.

In Anbetracht der in der Kombinierten Nomenklatur getroffenen Unterscheidung zwischen Geräten und Geräteteilen und angesichts der offenkundigen Bedeutung der elektronischen Elemente hat die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie die fraglichen Teile mit ihrer Verordnung Nr. 2275/88, Punkt 9 des Anhangs, der Unterposition 8521 10 39 zuwies. Die Verordnung war daher insoweit ungültig.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 13. DEZEMBER 1994. - GOLDSTAR EUROPE GMBH GEGEN HAUPTZOLLAMT LUDWIGSHAFEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FINANZGERICHT RHEINLAND-PFALZ - DEUTSCHLAND. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - MECADECKS - TARIFIERUNG - ALLGEMEINE VORSCHRIFT 2 A - WESENTLICHE BESCHAFFENHEITSMERKMALE - VERORDNUNG (EWG) NR. 2275/88 - UNGUELTIGKEIT. - RECHTSSACHE C-401/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat mit Beschluß vom 27. August 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 14. September 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung und der Gültigkeit der Verordnung (EWG) Nr. 2275/88 der Kommission vom 25. Juli 1988 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. L 200, S. 10) und nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 3085/91 der Kommission vom 21. Oktober 1991 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2275/88 der Kommission über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. L 291, S. 12) zur Vorabentscheidung vorgelegt, soweit diese beiden Verordnungen die Einreihung von Waren in die Unterposition 8521 10 39 der Kombinierten Nomenklatur betreffen.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der GoldStar Europe GmbH (im folgenden: GoldStar) und dem Hauptzollamt Ludwigshafen über die Tarifierung von Bandtransportmechaniken, die Bestandteile von Videogeräten sind.

3 GoldStar führte u. a. in der Zeit vom 25. Oktober 1988 bis 25. Oktober 1991 derartige Mechaniken, sogenannte "deck aß' y" (deck assembly), allein oder zusammen mit Hauptplatinen, sogenannten "main board aß' y" (main board assembly), aus Südkorea ein.

4 Von einigen speziellen Fällen abgesehen, waren "Videogeräte zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe, Magnetbandgeräte" der Unterposition 8521 10 39 der Kombinierten Nomenklatur zugewiesen, die ursprünglich im Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) enthalten war und in diesem Punkt nicht durch die später von der Kommission im maßgebenden Zeitraum erlassenen Verordnungen geändert worden ist. Teile und Zubehör für diese Geräte, mit Ausnahme einiger spezieller Fälle, waren in die ebenfalls im fraglichen Zeitraum nicht geänderte Unterposition 8522 90 99 eingereiht.

5 Für die Waren der Unterposition 8521 10 39 galt ein Gemeinschaftszollsatz von 14 %, während für die Waren der Unterposition 8522 90 99 ein Zollsatz von 5,8 % galt.

6 Nach den Artikeln 9 und 10 der Verordnung Nr. 2658/87 ist die Kommission zum Erlaß von Maßnahmen in bezug auf die Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur ermächtigt.

7 In Punkt 9 des Anhangs der Verordnung Nr. 2275/88 führte die Kommission eine neue Zuweisung zur Unterposition 8521 10 39 ein. Die betreffenden Waren wurden als "Mechaniken für Videogeräte zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe..., ausgestattet mit Aufnahme- und Wiedergabeköpfen (' Mecadecks' )", beschrieben.

8 Die Begründung der Kommission für diese Einreihung lautet wie folgt:

"Einreihung gemäß den allgemeinen Vorschriften Ziffern 1, 2 Buchstabe a) und 6 sowie nach dem Wortlaut der Position 8521 und der Unterpositionen 8521 10 und 8521 10 39.

Diese Mechaniken weisen die charakterbestimmenden Merkmale von Videogeräten zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe auf"

9 Die Allgemeine Vorschrift 2 a bestimmt u. a.:

"Jede Anführung einer Ware in einer Position gilt auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware hat."

10 Das Hauptzollamt hatte die von GoldStar eingeführten Bandtransportmechaniken vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2275/88 als "Teile" für Videogeräte der Unterposition 8522 90 99 zugewiesen, für die ein Zollsatz von 5,8 % galt. Nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung wies das Hauptzollamt diese Waren der Unterposition 8521 10 39 zu, da es sie als Mecadecks ansah. Die Bandtransportmechaniken wurden deshalb mit einem Zoll von 14 % belegt.

11 Am 7. April 1991 erließ der Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens einen Avis, wonach Mecadecks als "Teile" für Videogeräte der Unterposition 8522 90 zuzuweisen sind.

12 Daraufhin wurde mit der Verordnung Nr. 3085/91 Punkt 9 des Anhangs der Verordnung Nr. 2275/88 gestrichen.

13 Vom 23. Oktober 1991, dem Tag des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 3085/91, an wies das Hauptzollamt die von GoldStar eingeführten Bandtransportmechaniken wieder der Unterposition 8522 90 99 zu, so daß für sie der Zollsatz von 5,8 % galt.

14 Am 25. Oktober 1991 beantragte GoldStar beim Hauptzollamt, ihr für alle seit dem 25. Oktober 1988 eingeführten "deck aß' y" und für alle zusammen mit diesen eingeführten "board aß' y" die Differenz zwischen dem erhobenen Zoll von 14 % und dem Zoll von 5,8 %, der angeblich hätte erhoben werden müssen, zu erstatten. Das Hauptzollamt lehnte diesen Antrag ab.

15 Die Weigerung des Hauptzollamts, diese Erstattung vorzunehmen, führte zum Ausgangsrechtsstreit vor dem Finanzgericht Rheinland-Pfalz.

16 Da das Finanzgericht Rheinland-Pfalz der Auffassung war, daß der Rechtsstreit Fragen nach der Gültigkeit und der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufwerfe, hat es mit Beschluß vom 27. August 1993 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) War die Verordnung (EWG) Nr. 2275/88 der Kommission vom 25. Juli 1988 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 200/10 vom 26. Juli 1988) insoweit gültig, als sie die in Punkt 9 ihres Anhangs beschriebenen "Mechaniken für Videogeräte zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe der Position 8521, ausgestattet mit Aufnahme- und Wiedergabeköpfen (' Mecadecks' )", dem KN-Code 8521 10 39 zuwies?

2) Falls Frage 1 bejaht wird:

Entfaltet die Verordnung (EWG) Nr. 3085/91 der Kommission vom 21. Oktober 1991 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2275/88 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 291/12 vom 23. Oktober 1991) rückwirkende Kraft in dem Sinne, daß sie bereits auf Einfuhren vor ihrem Inkrafttreten anzuwenden ist?

3) Falls Frage 2 verneint wird:

Welches sind die charakterbestimmenden Merkmale (s. Begründung zu Punkt 9 der Verordnung Nr. 2275/88) im Sinne der wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale (s. Allgemeine Vorschrift 2 Buchstabe a), die die Kommission veranlasst haben, "Mecadecks" wie vollständige Videogeräte zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe der Position 8521 zuzuweisen?

Zur ersten Frage

17 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 2275/88 gültig war, soweit sie die Mecadecks der Unterposition 8521 10 39 zuwies, die für vollständige Magnetband-Videogeräte zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe galt.

18 Es ist darauf hinzuweisen, daß, wenn der Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens keine Auslegung vorgenommen hat, der Gemeinschaftsgesetzgeber befugt ist, die Nomenklatur, wie sie von der Gemeinschaft anzuwenden ist, im Verordnungswege und unter der Kontrolle des Gerichtshofes auszulegen (vgl. Urteil vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache 233/88, Van de Kolk, Slg. 1990, I-265, Randnr. 10).

19 Zu diesem Zweck hat der Rat der Kommission, die mit den Zollsachverständigen der Mitgliedstaaten zusammenarbeitet, ein weites Ermessen bei der näheren Angabe des Inhalts der Tarifpositionen, die für die Tarifierung einer bestimmten Ware in Frage kommen, eingeräumt, unter dem alleinigen Vorbehalt, daß die von der Kommission erlassenen Bestimmungen den Wortlaut des Tarifs nicht ändern (vgl. Urteil vom 18. September 1990 in der Rechtssache C-265/89, Vismans Nederland, Slg. 1990, I-3411, Randnr. 13).

20 Folglich ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie die Mecadecks durch die Verordnung Nr. 2275/88 in die Unterposition 8521 10 39 einreihte.

21 In ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen hat die Kommission ausgeführt, die Mecadecks umfassten sämtliche Elemente der Bandtransportmechanik, einschließlich des Motors, der das Abspielen sowie das Vor- und Zurückspulen des Bandes ermögliche. Zusätzlich enthielten sie die beiden Videoköpfe (Aufnahme und Wiedergabe), den Tonkopf, den Löschkopf sowie den Kapstan, der den exakten Gleichlauf des Bandmotors garantiere.

22 Die übrigen Elemente des Videogeräts bestuenden im wesentlichen aus der Energiequelle, dem Gehäuse und insbesondere dem elektronischen Steuer- und Schaltkreis.

23 Nach Ansicht der Kommission stellt das Mecadeck das Herzstück des Videogeräts dar, da es allein sämtliche Elemente enthalte, die den Zweck des Gerätes charakterisierten, nämlich die Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe.

24 Diesem Argument kann nicht gefolgt werden.

25 Die Bezeichnung der Waren in Position 8521 der Kombinierten Nomenklatur umfasst Video-"Geräte" zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe, während sich die von der Kommission in der Verordnung Nr. 2275/88 vorgenommene Tarifierung auf "Mechaniken für Videogeräte zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe" bezieht.

26 Dazu ist festzustellen, daß zwar die mechanischen Elemente, aus denen ein Mecadeck besteht, unentbehrlich sind für die besondere Funktionsweise eines Videogeräts, daß aber die elektronischen Elemente ebenso unentbehrlich sind. Die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines Videogeräts liegen in der Kombination aus den mechanischen und den elektronischen Elementen.

27 Die Kommission hat selbst eingeräumt, daß die Mecadecks nur 30 % bis 40 % des Wertes der vollständigen Videogeräte ausmachten.

28 In Anbetracht der in der Kombinierten Nomenklatur getroffenen Unterscheidung zwischen Geräten und Geräteteilen und angesichts der offenkundigen Bedeutung

der elektronischen Elemente konnte die Kommission vernünftigerweise nicht davon ausgehen, daß die Mechanik eines Mecadecks für sich allein die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines Videogeräts aufweist, die es ihr ermöglichen, diese Ware der gleichen Tarifposition zuzuweisen wie vollständige Videogeräte.

29 Daraus folgt, daß die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie die Mecadecks in die Unterposition 8521 10 39 einreihte.

30 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß die Verordnung Nr. 2275/88 ungültig war, soweit sie die Mecadecks in Punkt 9 ihres Anhangs der Unterposition 8521 10 39 zuwies.

Zur zweiten und zur dritten Frage

31 Angesichts der Antwort auf die erste Frage brauchen die zweite und die dritte Frage nicht mehr geprüft zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

32 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz mit Beschluß vom 27. August 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Verordnung (EWG) Nr. 2275/88 der Kommission vom 25. Juli 1988 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur war ungültig, soweit sie die Mecadecks in Punkt 9 ihres Anhangs der Unterposition 8521 10 39 zuwies.

Ende der Entscheidung

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