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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.05.1997
Aktenzeichen: C-405/95
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2551/93


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2551/93 Anhang I
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Gemeinsame Zolltarif ist dahin auszulegen, daß Tropfen auf der Grundlage von Auszuegen von Echinacea purpurea der Position 3004 zuzuordnen sind. Die Beschreibung der heilenden oder vorbeugenden Eigenschaften dieser Erzeugnisse sowie die Art und Weise ihrer Verpackung, Darreichung und Vermarktung führen nämlich als solche dazu, sie als Erzeugnisse mit den typischen Eigenschaften einer Arzneiware zu betrachten. Überdies ist das fragliche Erzeugnis in den Mitgliedstaaten, in denen es im Verkehr ist, auf dem Markt als Arzneimittel zugelassen oder war zumindest Gegenstand eines dahin gehenden Zulassungsantrags. Im übrigen verändert der in dem Erzeugnis enthaltene Alkohol dessen Charakter nicht, auch wenn der Alkoholgehalt erheblich ist, da er als Hilfsstoff, Konservierungsstoff und als Träger der Wirkstoffe des Erzeugnisses fungiert.


Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 15. Mai 1997. - Bioforce GmbH gegen Oberfinanzdirektion München. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht München - Deutschland. - Gemeinsamer Zolltarif - Position 3004 - Echinacea - Arzneiware. - Rechtssache C-405/95.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht München hat mit Beschluß vom 14. Dezember 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Dezember 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Positionen 3004 und 2208 des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2551/93 der Kommission vom 10. August 1993 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 241, S. 1; im folgenden: GZT) in Verbindung mit der Tarifierung von Echinacea-Tropfen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Bioforce GmbH, der Klägerin des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Klägerin), und der Oberfinanzdirektion München, der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Beklagte), über die zolltarifliche Einreihung von zwei Arten von Erzeugnissen, nämlich "Echinaforce" und "Echinacea-Tropfen".

3 Den im Antrag auf Erteilung der verbindlichen Zolltarifauskunft und in der Beipackinformation zu den streitigen Erzeugnissen enthaltenen Angaben zufolge bestehen diese aus einer Frischpflanzentinktur, die 95 % Echinacea purpurea e herba und 5 % Echinacea purpurea e radice bei einem Alkoholgehalt von 65 Vol.-% enthält. Diese Präparate gelangen in den Einzelverkauf in Verpackungen, auf denen die Zusammensetzung, das Anwendungsgebiet und die empfohlene Dosierung angegeben sind.

4 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß

- "Echinacea-Tropfen" vorbeugend zum Schutz vor Erkältung in Zeiten erhöhter Ansteckungsgefahr eingenommen werden, um die Widerstandskraft gegen fieberhafte Erkältungskrankheiten zu erhöhen; als Dosierung werden - soweit nicht anders verordnet - dreimal täglich 20 Tropfen mit etwas Wasser empfohlen;

- das Produkt "Echinaforce" ebenfalls die körpereigenen Abwehrkräfte bei Erkältungskrankheiten und chronischen Infekten mit schlechter Heilungstendenz steigert; es dient ferner zur Vorbeugung bei erhöhter Ansteckungsgefahr und bei Schwächezuständen mit verzögerter Erholung nach Infekten (Rekonvaleszenz) und kann bei Hauterkrankungen verwendet werden; als Dosierung werden, soweit nicht anders verordnet, vorbeugend dreimal täglich 20 Tropfen und bei akuten Erkrankungen fünfmal täglich 20 bis 30 Tropfen vorgeschlagen; die Gebrauchsinformation enthält zusätzlich Gegenanzeigen.

5 In der von ihr erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft hat die Beklagte eine Einreihung der streitigen Präparate als Arzneiwaren in die Position 3004 der Kombinierten Nomenklatur abgelehnt, da die Echinacea-Wirkstoffe bisher keine uneingeschränkte allgemeine Anerkennung als Medikament gefunden hätten. Die Klägerin hat vorgetragen, die in der Wissenschaft anerkannten vorbeugenden Wirkungen der Einnahme von Echinacea-Präparaten sprächen eindeutig für ihre Einreihung in die Position 3004. Diese Erzeugnisse würden in einer Aufmachung für den Einzelverkauf zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken eingeführt.

6 Angesichts der Zweifel an der Auslegung des GZT hat das Finanzgericht München beschlossen, dem Gerichtshof die folgenden Fragen vorzulegen:

1. Ist der Gemeinsame Zolltarif - Kombinierte Nomenklatur 1994 - dahin auszulegen, daß Erzeugnisse wie Echinacea-Tropfen (Auszug von Echinacea purpurea e herba und e radice mit 56,1 % mas Alkohol, zum Schutz vor Erkältung, Grippe und zur Erhöhung der Widerstandskraft bei Erkältungsgefahr) der Position 3004 - Arzneiwaren, die aus ungemischten Erzeugnissen zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestehen,... in Aufmachung für den Einzelverkauf - zuzuordnen sind?

2. Bei Verneinung der Frage 1.: Ist der Gemeinsame Zolltarif dahin auszulegen, daß Erzeugnisse wie zu 1. als "andere" Spirituosen in die Unterposition 2208 90 69 einzureihen sind?

Zur ersten Frage

7 Zur Beantwortung der ersten Frage ist zunächst daran zu erinnern, daß die Position 3004 des GZT umfasst

"Arzneiwaren..., die aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestehen,... in Aufmachung für den Einzelverkauf".

8 Aus Anmerkung 1 Buchstabe a zu Kapitel 30 des GZT ergibt sich ferner, daß "Ergänzungslebensmittel" nicht zu diesem Kapitel gehören.

9 Zudem gibt es Erläuterungen, die vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens und vom Ausschuß für das Harmonisierte System ausgearbeitet worden sind und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (Urteile vom 10. Oktober 1985 in der Rechtssache 200/84, Daiber, Slg. 1985, 3363, Randnr. 14, und vom 14. Dezember 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-106/94 und C-139/94, Colin und Dupré, Slg. 1995, I-4759, Randnr. 21).

10 So heisst es in Nummer 1 Buchstabe b der Erläuterungen des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens zur Position 3004:

"Zu dieser Position gehören Arzneiwaren bestehend aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen, vorausgesetzt, daß sie wie folgt aufgemacht sind:

...

b) in einer Aufmachung für den Einzelverkauf zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken. Als solche sind Erzeugnisse anzusehen... , die aufgrund ihrer Aufmachung und insbesondere wegen des Vorhandenseins - gleich in welcher Form - von entsprechenden Angaben (z. B. Art der Beschwerden, gegen die sie gebraucht werden sollen, Anwendungsweise, Angabe der jeweils zu verarbreichenden Menge) erkennbar dazu bestimmt sind, unmittelbar und ohne weiteres Abpacken an den Verwender (Einzelperson, Krankenhäuser usw.) verkauft zu werden, damit sie zu den obengenannten Zwecken gebraucht werden."

11 Ferner ergibt sich aus den Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur, Kapitel 30, "Allgemeines", daß

"die Bezeichnung eines Erzeugnisses als Medikament in anderen Rechtsakten der Gemeinschaften als solchen bezueglich der Einreihung in die Kombinierte Nomenklatur, z. B. in nationalen Gesetzen der Mitgliedstaaten oder in einer Pharmakopöe,... nicht entscheidend für die Einreihung in dieses Kapitel ist".

12 Nach ständiger Rechtsprechung ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichteren Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren grundsätzlich in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Tarifpositionen des Gemeinsamen Zolltarifs und der Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (siehe u. a. Urteil Colin und Dupré, a. a. O., Randnr. 22).

13 Es ist daher zu prüfen, ob die streitigen Erzeugnisse die in der Position 3004 des GZT festgelegten Merkmale und Eigenschaften aufweisen, wobei diese, wie der Gerichtshof im Urteil vom 14. Januar 1993 in der Rechtssache C-177/91 (Bioforce, Slg. 1993, I-45, Randnr. 9) festgestellt hat, im Lichte der medizinischen Entwicklung auszulegen sind.

14 Hierzu ist zunächst festzustellen, daß - wie sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens und aus den in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben ergibt - die Verwendung der streitigen Erzeugnisse im Rahmen einer therapeutischen wie auch prophylaktischen Behandlung mit der entsprechenden Dosierung empfohlen wird, um die körpereigenen Abwehrkräfte gegen fieberhafte Erkältungskrankheiten und, was speziell "Echinaforce" angeht, gegen chronische Infekte und Entzuendungen sowie bei erhöhter Ansteckungsgefahr und Schwächezuständen nach Infekten wie auch gegen Hautkrankheiten zu steigern.

15 Ungeachtet des tatsächlichen therapeutischen oder prophylaktischen Wertes der streitigen Erzeugnisse ist festzustellen, daß die Beschreibung der heilenden oder vorbeugenden Eigenschaften dieser Erzeugnisse sowie die Art und Weise ihrer Verpackung, Darreichung und Vermarktung als solche dazu führen, sie als Erzeugnisse mit den typischen Eigenschaften einer Arzneiware zu betrachten und dementsprechend die Möglichkeit auszuschließen, daß sie zu anderen als therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gebraucht werden können.

16 Der Umstand, daß die fraglichen Erzeugnisse überdies - wie sich aus den Antworten der Klägerin und der Kommission ergibt - in den Mitgliedstaaten, in denen sie im Verkehr sind, auf dem Markt als Arzneimittel zugelassen sind oder zumindest Gegenstand eines dahin gehenden Zulassungsantrags waren, stellt ein zusätzliches Indiz dafür dar, daß sie die in der Position 3004 des GZT festgelegten objektiven Merkmale und Kriterien aufweisen.

17 Wie sich ebenfalls aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt, verändert der in den streitigen Erzeugnissen enthaltene Alkohol den Charakter der Erzeugnisse nicht, auch wenn der Alkoholgehalt erheblich ist, da er als Hilfsstoff, Konservierungsstoff und als Träger der Wirkstoffe dieser Erzeugnisse fungiert.

18 Nach alledem lassen sich die streitigen Erzeugnisse nicht als Ergänzungslebensmittel im Sinne der Anmerkung 1 Buchstabe a zu Kapitel 30 des GZT oder als zur Erhaltung der Gesundheit bestimmte Spirituosen im Sinne der Nummer 14 der Erläuterungen des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens zur Position 2208 betrachten, sondern sind als Erzeugnisse anzusehen, die genau umschriebene therapeutische und vor allem prophylaktische Eigenschaften aufweisen und deren Wirkung auf das Immunsystem des menschlichen Körpers konzentriert ist.

19 Somit ist zu antworten, daß der Gemeinsame Zolltarif dahin auszulegen ist, daß Tropfen auf der Grundlage von Auszuegen von Echinacea purpurea der Position 3004 zuzuordnen sind.

Zur zweiten Frage

20 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Erste Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht München mit Beschluß vom 14. Dezember 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Der Gemeinsame Zolltarif in der Fassung der Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2551/93 der Kommission vom 10. August 1993 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif ist dahin auszulegen, daß Tropfen auf der Grundlage von Auszuegen von Echinacea purpurea der Position 3004 zuzuordnen sind.

Ende der Entscheidung

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