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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.08.1994
Aktenzeichen: C-406/93
Rechtsgebiete: Verordnung 1408/71/EWG, Verordnung 2001/83/EWG, EWGV


Vorschriften:

Verordnung 1408/71/EWG Art. 46 Abs. 2a
Verordnung 2001/83/EWG
EWGV Art. 51
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 in ihrer durch die Verordnung Nr. 2001/83 kodifizierten Fassung ist mit Rücksicht darauf, daß die Wanderarbeitnehmer nicht dadurch, daß sie das ihnen vom EG-Vertrag verliehene Recht auf Freizuegigkeit ausgeuebt haben, Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder eine Verminderung der Höhe dieser Leistungen erleiden dürfen, dahin auszulegen, daß, wenn die Höhe der Leistung bei Invalidität nach den in einem Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften von dem Arbeitsentgelt abhängt, über das der Arbeitnehmer bei Eintritt seiner Invalidität verfügte, und wenn für den betreffenden Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt nicht das System der sozialen Sicherheit dieses Staates galt, weil er in einem anderen Mitgliedstaat arbeitete, der zuständige Träger den theoretischen Betrag der Leistung auf der Grundlage des vom Arbeitnehmer zuletzt in diesem anderen Mitgliedstaat bezogenen Arbeitsentgelts zu berechnen hat.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 9. AUGUST 1994. - ANDRE REICHLING GEGEN INSTITUT NATIONAL D'ASSURANCE MALADIE-INVALIDITE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DU TRAVAIL DE NEUFCHATEAU - BELGIEN. - SOZIALE SICHERHEIT - INVALIDITAETSRENTE - ARTIKEL 46 ABSATZ 2 BUCHSTABE A DER VERORDNUNG (EWG) NR. 1408/71 - BERUECKSICHTIGUNG DES VOM ARBEITNEHMER ZULETZT IN EINEM ANDEREN MITGLIEDSTAAT BEZOGENEN ARBEITSENTGELTS. - RECHTSSACHE C-406/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal du travail Neufchâteau hat mit Urteil vom 13. September 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 46 Absatz 2 Buchstabe a letzter Satz der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 kodifizierten Fassung (ABl. L 230, S. 6) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Reichling und dem Institut national d' assurance maladie-invalidité (INAMI) über die Berechnung der Invaliditätsrente des Herrn Reichling durch das INAMI.

3 Vor der Schilderung des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalts sind die einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts darzustellen.

Rechtlicher Rahmen

4 Aus den Akten geht hervor, daß die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Leistungen bei Invalidität zweierlei Art sind. Nach den einen ist die Höhe der Leistungen bei Invalidität von der Dauer der von dem Arbeitnehmer zurückgelegten Versicherungszeiten unabhängig (sogenannte Systeme des Typs A). Nach den anderen richtet sich die Höhe dieser Leistungen nach den Versicherungszeiten (sogenannte Systeme des Typs B).

5 Zur Lösung der Probleme, die für den Wanderarbeitnehmer beim Übergang von Rechtsvorschriften des Typs B zu Rechtsvorschriften des Typs A entstehen können, ist in Artikel 40 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehen, daß auf invalide Arbeitnehmer, für die nacheinander diese beiden Typen von Rechtsvorschriften galten, Titel III Kapitel 3 der Verordnung über die Renten bei Alter und Tod, d. h. die Artikel 44 bis 51, entsprechend angewandt wird.

6 In Artikel 45 ist für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs der Grundsatz der Zusammenrechnung der Versicherungszeiten niedergelegt.

7 Artikel 46 enthält Bestimmungen über die Feststellung der Leistungen. Insbesondere in bezug auf die Berechnung des theoretischen Betrages der Leistung bestimmt Absatz 2 Buchstabe a:

(2) Der zuständige Träger jedes Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer oder Selbständigen galten, wendet, wenn der Arbeitnehmer oder Selbständige nur nach Artikel 45 und/oder nach Artikel 40 Absatz 3 leistungsberechtigt ist, folgende Vorschriften an:

a) Der Träger berechnet den theoretischen Betrag der Leistung, auf die die betreffende Person Anspruch hätte, wenn alle nach den für den Arbeitnehmer oder Selbständigen geltenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- und Wohnzeiten nur in dem betreffenden Staat und nach den für diesen Träger zum Zeitpunkt der Feststellung der Leistung geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Ist nach diesen Rechtsvorschriften der Betrag der Leistung von der Dauer der zurückgelegten Zeiten unabhängig, so gilt dieser Betrag als theoretischer Betrag...

Die Parteien des Ausgangsverfahrens streiten über die Auslegung dieses letzten Satzes.

Ausgangsrechtsstreit

8 Aus den Akten geht hervor, daß Herr Reichling, der die belgische Staatsangehörigkeit besitzt und in Fauvillers (Belgien) wohnt, als Arbeitnehmer nacheinander in Belgien (wo Rechtsvorschriften des Typs A gelten) während einer Versicherungszeit von 7 569 Tagen und in Luxemburg (wo Rechtsvorschriften des Typs B gelten) während einer Versicherungszeit von 734 Tagen berufstätig war. Da er vom 11. November 1989 an wegen Krankheit arbeitsunfähig war, stellte er am 8. November 1990 beim INAMI einen Antrag auf Invaliditätsrente.

9 Mit Bescheid vom 20. August 1991 bewilligte ihm das INAMI ein proratisiertes Tagegeld von 548,35 BFR vom 11. November 1990 an.

10 Für die Zuerkennung dieses Anspruchs rechnete das INAMI gemäß Artikel 45 der Verordnung Nr. 1408/71 seine in Belgien und Luxemburg zurückgelegten Versicherungszeiten zusammen.

11 Zur Berechnung der Höhe der Leistung bei Invalidität stützte sich das INAMI auf die Artikel 28 Absatz 1 und 27 Absatz 2 der belgischen Königlichen Verordnung vom 31. Dezember 1963 über Entschädigungszahlungen.

12 Nach belgischem Recht wird die Höhe der Leistung unabhängig von der Dauer der Versicherungszeiten auf der Grundlage des letzten, vor Eintritt des Versicherungsfalls bezogenen Arbeitsentgelts berechnet. Da Herr Reichling bei Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit in Luxemburg arbeitete und somit in Belgien kein Arbeitsentgelt bezog, wandte das INAMI zur Berechnung des theoretischen Betrages der Rente Artikel 28 der genannten Königlichen Verordnung an, in dem es heisst:

War der Berechtigte bei Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit länger als 14 Tage nicht mehr dem belgischen System der Kranken- und Invaliditätspflichtversicherung angeschlossen, so gilt als Arbeitsentgelt für die Berechnung des Invalidengelds, das gemäß einem Abkommen oder einer Verordnung des Völkerrechts auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit ganz oder teilweise von diesem System zu tragen ist, das Arbeitsentgelt im Sinne des Artikels 27 Absatz 2.

13 Dieser Artikel 27 Absatz 2 lautet:

Befand sich der Berechtigte bei Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit nicht in der Situation der Artikel 22 bis 27 Absatz 1, so entspricht das entgangene Arbeitsentgelt dem für einen Arbeitnehmer der Kategorie I von der Commission paritaire nationale auxiliaire pour employés unter Berücksichtigung des Alters des Berechtigten zum Zeitpunkt des Beginns der Arbeitsunfähigkeit festgesetzten Mindestarbeitsentgelt.

14 Da der auf diese Weise berechnete Betrag der Leistung unter dem Betrag lag, auf den Herr Reichling Anspruch gehabt hätte, wenn sein letztes Arbeitsentgelt in Luxemburg als Berechnungsgrundlage für den theoretischen Betrag herangezogen worden wäre, focht der Betroffene den Bescheid des INAMI beim Tribunal du travail Neufchâteau an. Er machte insbesondere geltend, daß der Bescheid des INAMI gegen das Gemeinschaftsrecht verstosse, da er darin für die Berechnung des theoretischen Betrages seiner Invaliditätsrente als Arbeitnehmer ohne Arbeitsentgelt behandelt werde, obwohl er bei Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit in Luxemburg ein Arbeitsentgelt bezogen habe.

15 Unter diesen Umständen hat das Tribunal du travail Neufchâteau das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Vorabentscheidungsfrage vorgelegt:

Ist Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a letzter Satz der Verordnung Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 dahin auszulegen, daß der Betrag der Leistung zwingend und ausschließlich derjenige ist, auf den der Betroffene Anspruch hätte, wenn alle Versicherungszeiten in dem betreffenden Mitgliedstaat nach den zum Zeitpunkt der Feststellung der Leistung geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären, so daß der zuständige Träger keine Unterbrechung der Zugehörigkeit zum System der sozialen Sicherheit des fraglichen Staates geltend machen könnte, um den Betrag der Leistung ohne Berücksichtigung der zuletzt vom Arbeitnehmer bezogenen Vergütung, d. h. in anderer Weise als bei Arbeitnehmern, die ihre Arbeit wegen Krankheit in dem fraglichen Staat aufgegeben haben, festzusetzen?

16 Aus den Akten geht hervor, daß die Verordnung Nr. 1408/71 während des Ausgangsverfahrens in bestimmten Punkten durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992 (ABl. L 136, S. 7) geändert wurde. Insbesondere wurden dadurch mit Wirkung vom 1. Juni 1992 in den Belgien betreffenden Teil des Anhangs VI der Verordnung Nr. 1408/71 die Nummern 9 und 10 eingefügt. Nach diesen Nummern hat der belgische Träger in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens als Grundlage für die Berechnung des theoretischen Betrages das Arbeitsentgelt heranzuziehen, über das der Arbeitnehmer bei Eintritt des Versicherungsfalls in einem anderen Mitgliedstaat als Belgien verfügte. Infolge dieser Änderung berücksichtigte das INAMI das von Herrn Reichling in Luxemburg bezogene Arbeitsentgelt und berechnete seine Leistung mit Wirkung vom 1. Juni 1992 (Datum des Inkrafttretens der Änderungsverordnung) neu. Der Ausgangsrechtsstreit ist also auf den Zeitraum vor diesem Datum, d. h. auf die Zeit vom 11. November 1990 bis zum 31. Mai 1992, beschränkt.

Zur Vorabentscheidungsfrage

17 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage im wesentlichen wissen, ob Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a letzter Satz der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, daß, wenn die Höhe der Leistung bei Invalidität nach den in einem Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften von dem Arbeitsentgelt abhängt, über das der Arbeitnehmer bei Eintritt seiner Invalidität verfügte, und wenn für den betreffenden Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt nicht das System der sozialen Sicherheit dieses Staates galt, weil er in einem anderen Mitgliedstaat arbeitete, der zuständige Träger den theoretischen Betrag der Leistung auf der Grundlage des vom Arbeitnehmer zuletzt in diesem anderen Mitgliedstaat bezogenen Arbeitsentgelts zu berechnen hat.

18 Herr Reichling und die Kommission weisen darauf hin, daß mit Artikel 46 der Verordnung Nr. 1408/71 die Grundsätze des Artikels 51 EWG-Vertrag durchgeführt werden sollten. Diese Bestimmung verlange jedoch die Zusammenrechnung der vom Arbeitnehmer zurückgelegten Versicherungszeiten nicht nur für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs, sondern auch für die Berechnung der Leistungen.

19 Da nach Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung der theoretische Betrag die Leistung sei, die der Arbeitnehmer erhielte, wenn er alle seine Versicherungszeiten nur in einem Mitgliedstaat zurückgelegt hätte, müsse dieser Betrag berechnet werden, indem die versicherungsrechtliche Situation des Wanderarbeitnehmers in einem anderen Mitgliedstaat fiktiv übertragen werde, selbst wenn die geltenden Rechtsvorschriften ° wie die belgischen ° zum Typ A gehörten. Geschähe dies nicht, würde der Arbeitnehmer, der das ihm durch den EWG-Vertrag verliehene Recht auf Freizuegigkeit ausgeuebt habe, benachteiligt, weil er eine Leistung bei Invalidität erhielte, die niedriger sei als die, die er bezogen hätte, wenn für ihn immer die belgischen Rechtsvorschriften gegolten hätten.

20 Das INAMI räumt ein, daß der Grundsatz der Zusammenrechnung der Versicherungszeiten gemäß der Verordnung Nr. 1408/71 für den Erwerb des Leistungsanspruchs (Artikel 45) und auch für die Berechnung des (proratisierten) tatsächlichen Betrages der Leistung gelte, wenn der Anspruch des Arbeitnehmers durch Zusammenrechnung entstanden sei. Die Dauer der Versicherungszeiten des Arbeitnehmers wirke sich jedoch in keiner Weise auf die Bestimmung des theoretischen Betrages nach Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a aus, wenn sich die Höhe der Leistung nach den geltenden Rechtsvorschriften ° wie dies bei den belgischen der Fall sei ° nach dem vom Arbeitnehmer zuletzt bezogenen Arbeitsentgelt richte. Daher sei es dem zuständigen Träger nach Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a nicht gestattet, den theoretischen Betrag der Leistung auf der Grundlage des vom Arbeitnehmer zuletzt in einem anderen Mitgliedstaat bezogenen Arbeitsentgelts zu berechnen, wenn der Arbeitnehmer bei Eintritt seiner Invalidität in Belgien kein Arbeitsentgelt beziehe. Andernfalls habe der letzte Satz des Artikels 46 Absatz 2 Buchstabe a keine Bedeutung.

21 Dazu ist festzustellen, daß Artikel 46 der Verordnung Nr. 1408/71, wie übrigens alle Bestimmungen dieser Verordnung, im Licht des Artikels 51 EG-Vertrag auszulegen ist.

22 Dieser Artikel 51 bezweckt, die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer dadurch zu erleichtern, daß er den Wanderarbeitnehmern und ihren anspruchsberechtigten Angehörigen "die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen" sichert.

23 Den gleichen Zweck verfolgt im übrigen die Verordnung Nr. 1408/71, wie sich aus ihrer sechsten Begründungserwägung (ABl. 1971, L 149, S. 2) ergibt, deren Wortlaut dem des Artikels 51 EG-Vertrag ähnelt.

24 Dieser Zweck impliziert, daß die Wanderarbeitnehmer nicht dadurch, daß sie das ihnen vom EG-Vertrag verliehene Recht auf Freizuegigkeit ausgeuebt haben, Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder eine Verminderung der Höhe dieser Leistungen erleiden dürfen.

25 Diese Situation kann jedoch in einem Fall wie dem des Ausgangsrechtsstreits eintreten. Es ist nämlich unstreitig, daß Herr Reichling, wenn er immer in Belgien gearbeitet und alle seine Versicherungszeiten zurückgelegt hätte, dort ein Arbeitsentgelt bezogen hätte und also nicht als Arbeitnehmer ohne Arbeitsentgelt angesehen würde. Er hätte daher Anspruch auf eine höhere Invaliditätsrente gehabt, als ihm bewilligt worden ist.

26 Herr Reichling bezog bei Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit in Belgien kein Arbeitsentgelt, wohl aber in einem anderen Mitgliedstaat. Dieses Arbeitsentgelt hätte gemäß Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a, ausgelegt unter Berücksichtigung des oben in Randnummer 24 genannten Zweckes, vom zuständigen belgischen Träger so berücksichtigt werden müssen, als handelte es sich um ein in Belgien bezogenes Arbeitsentgelt, weil der Wanderarbeitnehmer keine Verminderung der Höhe der Leistung erleiden darf, die er als Nichtwanderarbeitnehmer erhalten hätte.

27 Der letzte Satz dieser Bestimmung kann diese Auslegung nicht berühren. Das darin erwähnte Problem betrifft nämlich nur die Auswirkung der zurückgelegten Versicherungs- und Wohnzeiten auf die Leistungshöhe.

28 Daraus ergibt sich, daß in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71, ausgelegt im Licht des Artikels 51 EG-Vertrag und der Ziele der Verordnung Nr. 1408/71, verlangt, daß für die Berechnung des theoretischen Betrages der Leistung das Arbeitsentgelt berücksichtigt wird, das der Arbeitnehmer bei Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit in einem anderen Mitgliedstaat als dem, nach dessen Rechtsvorschriften der theoretische Betrag berechnet wird, bezogen hat.

29 Diese Auslegung des Artikels 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 wird durch die Bestimmung bestätigt, die die Verordnung Nr. 1248/92 in den Belgien gewidmeten Teil des Anhangs VI der Verordnung Nr. 1408/71 (siehe oben, Randnr. 16) eingefügt hat. Entgegen der Ansicht des INAMI, das in dieser Bestimmung eine Änderung der bestehenden Regelung sieht und daraus den Umkehrschluß zieht, hat nämlich die Verordnung Nr. 1248/92 diese Regelung in Wirklichkeit nur näher erläutert, was dadurch bestätigt wird, daß in den Begründungserwägungen dieser Verordnung keine Erklärung zu der neuen Bestimmung gegeben wird.

30 Schließlich ist festzustellen, daß im Urteil vom 28. Februar 1980 in der Rechtssache 67/79 (Fellinger, Slg. 1980, 535) in bezug auf die Berechnung der einem Grenzgänger zu gewährenden Leistungen bei Arbeitslosigkeit eine ähnliche Auslegung enthalten ist.

31 In diesem Urteil hat der Gerichtshof nämlich für Recht erkannt, daß Artikel 68 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 im Lichte des Artikels 51 EWG-Vertrag und der von ihm verfolgten Ziele dahin auszulegen ist, daß im Falle eines Grenzgängers, der vollarbeitslos ist, der zuständige Träger des Wohnsitzmitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Berechnung der Leistungen die Höhe des früheren Entgelts zugrunde zu legen ist, diese Leistungen unter Berücksichtigung des Entgelts zu berechnen hat, das der Arbeitnehmer während der letzten Beschäftigung in dem Mitgliedstaat erhalten hat, in dem er unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit beschäftigt war.

32 Aufgrund all dieser Erwägungen ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, daß, wenn die Höhe der Leistung bei Invalidität nach den in einem Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften von dem Arbeitsentgelt abhängt, über das der Arbeitnehmer bei Eintritt seiner Invalidität verfügte, und wenn für den betreffenden Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt nicht das System der sozialen Sicherheit dieses Staates galt, weil er in einem anderen Mitgliedstaat arbeitete, der zuständige Träger den theoretischen Betrag der Leistung auf der Grundlage des vom Arbeitnehmer zuletzt in diesem anderen Mitgliedstaat bezogenen Arbeitsentgelts zu berechnen hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Tribunal du travail Neufchâteau mit Urteil vom 13. September 1993 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 vom 2. Juni 1983 kodifizierten Fassung ist dahin auszulegen, daß, wenn die Höhe der Leistung bei Invalidität nach den in einem Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften von dem Arbeitsentgelt abhängt, über das der Arbeitnehmer bei Eintritt seiner Invalidität verfügte, und wenn für den betreffenden Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt nicht das System der sozialen Sicherheit dieses Staates galt, weil er in einem anderen Mitgliedstaat arbeitete, der zuständige Träger den theoretischen Betrag der Leistung auf der Grundlage des vom Arbeitnehmer zuletzt in diesem anderen Mitgliedstaat bezogenen Arbeitsentgelts zu berechnen hat.

Ende der Entscheidung

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