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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 22.04.2008
Aktenzeichen: C-408/04 P
Rechtsgebiete: KS, EGKS-Vertrag, EG-Vertrag


Vorschriften:

KS Art. 4 Buchst. c
KS Art. 67
KS Art. 95
EGKS-Vertrag
EG-Vertrag
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

22. April 2008

"Rechtsmittel - Staatliche Beihilfen - Genehmigung der Kommission auf der Grundlage des EG-Vertrags - Stahlunternehmen - Art. 4 Buchst. c KS, Art. 67 KS und Art. 95 KS - EGKS-Vertrag - EG-Vertrag - Stahlbeihilfenkodizes - Gleichzeitige Anwendung - Unvereinbarkeit der Beihilfe - Obligatorische Anmeldung der gewährten Beihilfen - Keine Anmeldung bei der Kommission - Keine Reaktion der Kommission über einen längeren Zeitraum - Erstattungsentscheidung - Grundsatz der Rechtssicherheit - Vertrauensschutz - Verteidigungsrechte - Begründungspflicht"

Parteien:

In der Rechtssache C-408/04 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 16. September 2004,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz und M. Niejahr als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Rechtsmittelführerin,

andere Verfahrensbeteiligte:

Salzgitter AG, Prozessbevollmächtigte: J. Sedemund und T. Lübbig, Rechtsanwälte,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Lumma, W.-D. Plessing und C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte,

Streithelferin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts, A. Tizzano und L. Bay Larsen sowie des Richters J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta, des Richters M. Ilesic, der Richterin P. Lindh und des Richters J.-C. Bonichot (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: J. Swedenborg, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2007,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. September 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 1. Juli 2004, Salzgitter/Kommission (T-308/00, Slg. 2004, II-1933, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Entscheidung 2000/797/EGKS vom 28. Juni 2000 über die staatliche Beihilfe, die Deutschland zugunsten von Salzgitter AG, Preussag Stahl AG und den Tochtergesellschaften der Eisen- und Stahlindustrie des Konzerns, nunmehr Salzgitter AG - Stahl und Technologie (SAG), gewährt hat (ABl. L 323, S. 5) (im Folgenden: streitige Entscheidung), teilweise für nichtig erklärt hat. Mit einem Anschlussrechtsmittel beantragt die Salzgitter AG (im Folgenden: Salzgitter), das angefochtene Urteil teilweise aufzuheben.

Rechtlicher und tatsächlicher Rahmen

2 In den Randnrn. 1 bis 5 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den rechtlichen Rahmen wie folgt dargestellt:

"1 Artikel 4 KS bestimmt:

'Als unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl werden innerhalb der Gemeinschaft gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags aufgehoben und untersagt:

...

c) von den Staaten bewilligte Subventionen oder Beihilfen oder von ihnen auferlegte Sonderlasten, in welcher Form dies auch immer geschieht'.

2 Artikel 67 KS sieht vor:

'§ 1. Jede Maßnahme eines Mitgliedstaats, die eine fühlbare Auswirkung auf die Wettbewerbsbedingungen in der Kohle- und Stahlindustrie haben kann, ist der Kommission durch die beteiligte Regierung zur Kenntnis zu bringen.

§ 2. Ist eine solche Maßnahme geeignet, eine schwere Störung des Gleichgewichts hervorzurufen, indem sie die Unterschiede der Produktionskosten in anderer Weise als durch Veränderung der Produktivität wesentlich vergrößert, so kann die Kommission nach Anhörung des Beratenden Ausschusses und des Rates folgende Maßnahmen ergreifen:

- Hat die Maßnahme dieses Staates schädliche Auswirkungen auf die Kohle- oder Stahlunternehmen innerhalb der Hoheitsgewalt des betreffenden Staates, so kann die Kommission ihn ermächtigen, ihnen eine Beihilfe zu gewähren, deren Höhe, Bedingungen und Dauer im Einvernehmen mit ihr festgesetzt werden. ...

- Hat die Maßnahme dieses Staates schädliche Auswirkungen auf die Kohle- oder Stahlunternehmen innerhalb der Hoheitsgewalt anderer Mitgliedstaaten, so richtet die Kommission an ihn eine Empfehlung mit der Aufforderung, diese Auswirkungen durch Maßnahmen zu beseitigen, die nach seiner Ansicht am besten mit seinem eigenen wirtschaftlichen Gleichgewicht vereinbar sind.

...'

3 Artikel 95 Absätze 1 und 2 KS lautet:

'In allen in diesem Vertrag nicht vorgesehenen Fällen, in denen eine Entscheidung oder Empfehlung der Kommission erforderlich erscheint, um eines der in Artikel 2, 3 und 4 näher bezeichneten Ziele der Gemeinschaft auf dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl gemäß Artikel 5 zu erreichen, kann diese Entscheidung oder Empfehlung mit einstimmiger Zustimmung des Rates und nach Anhörung des Beratenden Ausschusses ergehen.

Die gleiche, in derselben Form erlassene Entscheidung oder Empfehlung bestimmt gegebenenfalls die anzuwendenden Sanktionen.'

4 Um den Erfordernissen der Umstrukturierung der Eisen- und Stahlindustrie gerecht zu werden, erließ die Kommission zu Beginn der achtziger Jahre auf der Grundlage des Artikels 95 KS eine gemeinschaftliche Regelung, mit der in bestimmten, abschließend aufgezählten Fällen staatliche Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie zugelassen wurden. Diese Regelung wurde später mehrfach geändert, um den konjunkturellen Schwierigkeiten der Eisen- und Stahlindustrie zu begegnen. Die verschiedenen in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen werden gemeinhin als 'Stahlbeihilfenkodizes' bezeichnet.

5 Am 18. Dezember 1996 erließ die Kommission die Entscheidung Nr. 2496/96/EGKS zur Einführung gemeinschaftlicher Vorschriften über Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie (ABl. L 338, S. 42), die den 6. Stahlbeihilfenkodex bildet. Diese Entscheidung galt vom 1. Januar 1997 bis zum 22. Juli 2002."

3 Anschließend hat das Gericht in den Randnrn. 6 bis 11 des angefochtenen Urteils die Vorgeschichte des Rechtsstreits wie folgt wiedergegeben:

"6 [Salzgitter] ist ein im Stahlsektor tätiger Konzern, der die Preussag Stahl AG und andere im selben Sektor tätige Unternehmen zusammenfasst.

7 Das deutsche Zonenrandförderungsgesetz (im Folgenden: ZRFG) wurde am 5. August 1971 verabschiedet und, ebenso wie die nachfolgenden Änderungen, nach Prüfung der darin vorgesehenen Maßnahmen gemäß den Artikeln 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) und 93 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 EG) [durch Entscheidung] der Kommission gebilligt [im Folgenden: Entscheidung von 1971]. Die letzten Änderungen des ZRFG wurden von der Kommission als mit dem EG-Vertrag vereinbare staatliche Beihilfen gebilligt (ABl. 1993, C 3, S. 3). Das ZRFG lief 1995 endgültig aus.

8 Von Anfang an sah § 3 ZRFG steuerliche Anreize, u. a. in Form von Sonderabschreibungen und der Bildung steuerfreier Rücklagen für Investitionen vor, die in Betriebsstätten eines Unternehmens getätigt wurden, die an der Grenze zur ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und zur ehemaligen Tschechoslowakischen Republik ... gelegen waren. Bei den Sonderabschreibungen konnte das Unternehmen im ersten Jahr bzw. in den ersten Jahren höhere Abschreibungen auf zuschussfähige Investitionen vornehmen, als sie nach den allgemeinen Vorschriften möglich gewesen wären. Das hatte für das Unternehmen eine verringerte Steuerbemessungsgrundlage und damit eine erhöhte Liquidität im ersten Jahr bzw. in den ersten Jahren, also einen Liquiditätsvorteil, zur Folge. Die Bildung steuerfreier Rücklagen verschaffte dem Unternehmen einen ähnlichen Vorteil. Eine Kumulierung von Sonderabschreibungen und steuerfreien Rücklagen war jedoch nicht möglich.

9 Nachdem die Kommission im Jahresabschluss der Preussag Stahl AG, eines der Unternehmen [von Salzgitter], festgestellt hatte, dass dieser in den Jahren 1986 bis 1995 wiederholt Beihilfen auf der Grundlage des § 3 ZRFG gewährt worden waren, setzte sie die Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 3. März 1999 von ihrem Beschluss in Kenntnis, hinsichtlich der Beihilfen, die [die Bundesrepublik] Deutschland der Preussag Stahl AG und den anderen Stahltochtergesellschaften [von Salzgitter] gewährt habe, das Verfahren nach Artikel 6 Absatz 5 des 6. Stahlbeihilfenkodex zu eröffnen. In diesem am 24. April 1999 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Beschluss (ABl. C 113, S. 9) forderte die Kommission alle Beteiligten auf, sich zu den fraglichen Beihilfen zu äußern.

10 Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens erhielt die Kommission die Stellungnahme der deutschen Behörden mit Schreiben vom 10. Mai 1999 sowie die Erklärungen des einzigen am Verfahren beteiligten Dritten, der UK Steel Association, die sie an die Bundesrepublik Deutschland weiterleitete.

11 Am 28. Juni 2000 erließ die Kommission die [streitige Entscheidung], mit der die Sonderabschreibungen und steuerfreien Rücklagen, die [Salzgitter] nach § 3 ZRFG für eine zuschussfähige Grundlage von 484 Mio. DM bzw. 367 Mio. DM ermöglicht worden waren, als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen qualifiziert wurden. Mit den Artikeln 2 und 3 der [streitigen] Entscheidung gab die Kommission der Bundesrepublik Deutschland auf, diese Beihilfen vom Empfänger zurückzufordern und sie über die spezifischen Voraussetzungen für deren Rückforderung zu unterrichten."

Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

4 Mit Klageschrift, die am 21. September 2000 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Salzgitter Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung.

5 Mit Beschluss vom 29. März 2001 ist die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von Salzgitter zugelassen worden.

6 Im angefochtenen Urteil hat das Gericht die Ansicht vertreten, dass die Kommission zu Recht Art. 4 Buchst. c KS und nicht Art. 67 KS auf die Salzgitter gewährten Beihilfen angewandt habe.

7 Zur Begründung dieses Ergebnisses hat das Gericht in den Randnrn. 111 bis 115 des angefochtenen Urteils insbesondere ausgeführt, dass Art. 4 Buchst. c KS und Art. 67 KS zwei verschiedene Sachbereiche erfassten, dass Art. 67 KS nicht das Gebiet der staatlichen Beihilfen betreffe und dass die mit den Entwicklungen der rechtlichen Behandlung nicht kohle- und stahlsektorspezifischer Beihilfen im Zuge des sukzessiven Erlasses der ersten drei Stahlbeihilfenkodizes verbundenen Unsicherheiten an seiner Auslegung dieses Artikels nichts ändern könnten.

8 Das Gericht hat darüber hinaus das Vorbringen von Salzgitter zur unrichtigen Auslegung des Begriffs der staatlichen Beihilfe und des Art. 95 KS durch die Kommission und zum Begründungsmangel der streitigen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen.

9 Es hat jedoch festgestellt, dass die Kommission die Rückforderung der Salzgitter zwischen 1986 und 1995 gezahlten Beihilfen nicht habe verlangen können, ohne gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit zu verstoßen, und die Art. 2 und 3 der streitigen Entscheidung, in denen es um die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Rückforderung der in dieser Entscheidung genannten staatlichen Beihilfen ging, für nichtig erklärt.

10 Den Verstoß gegen den Rechtssicherheitsgrundsatz hat das Gericht in Randnr. 174 des angefochtenen Urteils damit begründet, dass die sich aus dem Erlass des 2. und des 3. Stahlbeihilfenkodex ergebende Situation zu einer unklaren Rechtslage in Bezug auf die Tragweite der Entscheidung von 1971 und der nach Erlass des 3. Stahlbeihilfenkodex gemäß dessen Art. 6 bestehenden Verpflichtung zur Anmeldung der Salzgitter gewährten Beihilfen geführt habe.

11 Das Gericht hat sodann in Randnr. 179 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Kommission von den Salzgitter nach dem ZRFG gezahlten Beihilfen Kenntnis gehabt habe, da Salzgitter ihr ihren Geschäftsbericht und ihren Jahresabschluss für die Jahre 1987/1988 übermittelt habe.

12 Das Gericht hat daraus in Randnr. 180 des angefochtenen Urteils geschlossen, dass die unsichere und unklare Lage in Verbindung mit dem Umstand, dass die Kommission trotz ihrer Kenntnis von den Salzgitter gewährten Beihilfen lange nicht reagiert habe, unter Verstoß gegen die der Kommission obliegende Sorgfaltspflicht eine unklare Rechtslage geschaffen habe, die sie hätte klären müssen, bevor sie irgendeine Maßnahme im Hinblick auf die Anordnung der Rückforderung bereits gezahlter Beihilfen hätte ergreifen dürfen. Das Gericht hat daher in Randnr. 182 des angefochtenen Urteils die Auffassung vertreten, dass die Kommission die Rückforderung der Salzgitter zwischen 1986 und 1995 gezahlten Beihilfen nicht habe verlangen können, ohne gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit zu verstoßen.

13 Unter diesen Umständen hat das Gericht es für entbehrlich gehalten, sich zur Berechnung der Höhe der in der streitigen Entscheidung genannten Beihilfen zu äußern.

Anträge der Verfahrensbeteiligten

14 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Kommission, das angefochtene Urteil aufzuheben, den Rechtsstreit an das Gericht zurückzuverweisen und Salzgitter die Kosten aufzuerlegen.

15 Salzgitter beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen, und mit einem Anschlussrechtsmittel, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es ihre Klage abweist, und Art. 1 der streitigen Entscheidung, der die ihr nach dem ZRFG zugestandenen Sonderabschreibungen und steuerfreien Rücklagen als "staatliche Beihilfen" qualifiziert, für nichtig zu erklären. Sie beantragt ferner, der Kommission die Kosten beider Instanzen aufzuerlegen.

16 Die Bundesrepublik Deutschland beantragt, das Rechtsmittel der Kommission zurückzuweisen, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es die Klage von Salzgitter abweist, und Art. 1 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären.

Zum Anschlussrechtsmittel

17 Sollte der Gerichtshof dem Anschlussrechtsmittel von Salzgitter stattgeben, wäre über das Rechtsmittel, das dann gegenstandslos würde, nicht mehr zu entscheiden. Das Anschlussrechtsmittel ist somit zuerst zu prüfen.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

18 Mit ihrem aus drei Teilen bestehenden ersten Rechtsmittelgrund macht Salzgitter einen Verstoß gegen Art. 4 Buchst. c KS und Art. 67 KS geltend.

Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

19 Mit dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes trägt Salzgitter vor, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, als es angenommen habe, dass die Kommission die in der streitigen Entscheidung genannten Beihilfen zu Recht unter Art. 4 Buchst. c KS und nicht unter Art. 67 KS eingeordnet habe (Urteile vom 10. Mai 1960, Compagnie des hauts fourneaux et fonderies de Givors u. a./Hohe Behörde, 27/58 bis 29/58, Slg. 1960, 515, 539, vom 23. Februar 1961, De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde, 30/59, Slg. 1961, 3, 51, und vom 20. September 2001, Banks, C-390/98, Slg. 2001, I-6117, Randnr. 88).

20 Für Salzgitter geht aus dem Urteil vom 10. Dezember 1969, Kommission/Frankreich (6/69 und 11/69, Slg. 1969, 523), nicht hervor, dass nicht kohle- und stahlsektorspezifische Beihilfen bereits vor Erlass des 1. Stahlbeihilfenkodex gemäß Art. 4 Buchst. c KS verboten gewesen wären.

21 Das Vorbringen der deutschen Regierung ähnelt dem von Salzgitter.

22 Auch sie macht geltend, dass der EGKS-Vertrag nur eine Teilintegration bewirkt habe, die sich auf die Kohle- und Stahlindustrie beschränke.

23 Angesichts der weiten Auslegung des in Art. 87 EG enthaltenen Begriffs der "staatlichen Beihilfe", die auch für den Begriff der "Beihilfe" in Art. 4 Buchst. c KS gelte (Urteil vom 1. Dezember 1998, Ecotrade, C-200/97, Slg. 1998, I-7907), hätte die Anwendung von Art. 4 Buchst. c KS auf Beihilfen wie die in der streitigen Entscheidung genannten zur Folge, dass Art. 67 KS jede praktische Wirksamkeit genommen würde.

24 Würde Art. 4 Buchst. c KS auf Beihilfen, die nicht ausschließlich Stahlunternehmen gewährt würden, nicht angewandt, würde die Kontrolle staatlicher Beihilfen durch die Kommission dadurch nicht erschwert, denn sie fielen unter Art. 87 EG, Art. 88 EG und Art. 67 KS. Ein Verbot dieser Beihilfen würde den Anwendungsbereich der in Art. 87 Abs. 3 Buchst. a bis e EG vorgesehenen Ausnahmen in unzulässiger Weise beschränken.

25 Der in Art. 4 Buchst. c KS verwendete Ausdruck "in welcher Form dies auch immer geschieht" diene lediglich dazu, den Begriff der staatlichen Beihilfe von den Modalitäten der Beihilfengewährung zu unterscheiden, und ermögliche es nicht, die Anwendung dieser Bestimmung auf Beihilfen wie die in der streitigen Entscheidung genannten auszudehnen.

26 Das Urteil Kommission/Frankreich bejahe die Anwendung von Art. 67 KS auf nicht kohle- und stahlsektorspezifische Beihilfen und sei durch das Urteil vom 6. Juli 1971, Niederlande/Kommission (59/70, Slg. 1971, 639), und das Urteil Banks bestätigt worden.

27 Die Bundesrepublik Deutschland sei ihren Notifizierungspflichten dadurch nachgekommen, dass sie der Kommission das ZRFG gemäß Art. 87 EG und Art. 88 EG übermittelt habe; eine Informationspflicht nach Art. 67 Abs. 1 KS habe ihr nicht oblegen, da das ZRFG keine fühlbare Auswirkung auf die Wettbewerbsbedingungen in der Kohle- oder Stahlindustrie im Sinne dieser Bestimmung haben könne.

28 Die Kommission macht geltend, aus der von Salzgitter angeführten Rechtsprechung gehe in Wirklichkeit hervor, dass Art. 67 KS nicht auf staatliche Beihilfen anwendbar sei, sondern nur auf allgemeine Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik erlassen könnten, oder auf sektorielle Maßnahmen, die nicht speziell die Eisen- oder Stahlindustrie beträfen. Art. 4 Buchst. c KS gelte dagegen für Beihilfen, auch wenn diese allgemeiner Natur seien (vgl. u. a. Urteil De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde).

29 Die deutsche Regierung lege die Rechtsprechung falsch aus, weil sie nicht zwischen allgemeinen Maßnahmen und generell anwendbaren Beihilferegelungen unterscheide, und der Gerichtshof habe in keinem der von ihr angeführten Urteile auf allgemeine Beihilferegelungen Bezug genommen.

30 Selbst wenn Art. 67 KS im vorliegenden Fall anwendbar sein sollte, habe die Bundesrepublik Deutschland der Kommission jedenfalls nicht gemäß Art. 67 Abs. 1 KS mitgeteilt, dass das ZRFG auf Stahlunternehmen angewendet werden sollte; dieser Mitgliedstaat könne sich nicht auf eine auch nur implizite Genehmigung der in der streitigen Entscheidung genannten Beihilfen auf der Grundlage dieser Bestimmung berufen.

- Würdigung durch den Gerichtshof

31 Art. 4 Buchst. c KS verbietet staatliche Beihilfen an Stahl- und Kohleunternehmen, ohne danach zu unterscheiden, ob es sich um eine Einzelbeihilfe oder um eine auf der Grundlage einer Beihilferegelung gezahlte Beihilfe handelt, während staatliche Beihilfen in Art. 67 KS nur als Schutzmaßnahmen ausdrücklich erwähnt werden, die die Kommission nach Abs. 2 erster Gedankenstrich dieses Artikels zugunsten von Kohle- und Stahlunternehmen genehmigen kann, wenn diese aufgrund allgemeiner wirtschaftspolitischer Maßnahmen Wettbewerbsnachteile erleiden.

32 Nach ständiger Rechtsprechung beziehen sich Art. 4 KS und Art. 67 KS auf zwei unterschiedliche Bereiche; mit Art. 4 werden bestimmte Maßnahmen der Mitgliedstaaten in dem Bereich, den der EGKS-Vertrag der Zuständigkeit der Gemeinschaft unterstellt, aufgehoben und untersagt, während Art. 67 bestimmten Beeinträchtigungen des Wettbewerbs begegnen soll, die sich zwangsläufig einstellen, wenn die Mitgliedstaaten von Befugnissen Gebrauch machen, die sie sich weiterhin vorbehalten haben (vgl. Urteil Banks, Randnr. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof schließt daraus, dass Art. 67 KS die allgemeinen Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik treffen können, und die von den Mitgliedstaaten für andere Bereiche als die Kohle- und Stahlindustrie getroffenen Maßnahmen erfasst, die aber eine fühlbare Auswirkung auf die Wettbewerbsbedingungen in dieser Industrie haben können (Urteil Banks, Randnr. 88).

33 Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die in Art. 67 KS genannten Eingriffe nicht solche Eingriffe sein können, die in Art. 4 KS ohne Rücksicht auf ihre Form für unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl erklärt und aufgehoben oder untersagt werden (Urteil De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde, S. 48). Insbesondere sei nämlich die Annahme nicht gerechtfertigt, dass die Verfasser des EGKS-Vertrags zwar zunächst in Art. 4 Buchst. c KS mitgliedstaatliche Subventionen oder Beihilfen in jeder Form für aufgehoben und untersagt erklärt, jedoch anschließend in Art. 67 KS bestimmt hätten, diese Beihilfen seien selbst ohne vorherige Zustimmung der Kommission zulässig, wenn auch mit der Einschränkung, dass die Kommission gegebenenfalls ihrerseits Maßnahmen zur Abschwächung oder Beseitigung der Folgen ergreifen dürfe (Urteil De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde, S. 46).

34 Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass Art. 67 Abs. 2 erster Gedankenstrich KS, wonach den in Art. 80 KS genannten Unternehmen abweichend von Art. 4 KS als Schutzmaßnahmen staatliche Beihilfen gewährt werden können, nicht zwischen Beihilfen, die speziell für den Kohle- und Stahlbereich bewilligt werden, und solchen, die in allgemeinen, aber auch für diesen Bereich geltenden Maßnahmen vorgesehen sind, unterscheidet (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 43). Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass ein Vorzugsrediskontsatz für die Ausfuhr eine Beihilfe darstellt, für die in diesem Fall nach Art. 67 Abs. 2 KS eine Ermächtigung durch die Kommission notwendig war, soweit sie den vom EGKS-Vertrag erfassten Bereich betraf (vgl. Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 44).

35 Schließlich sind die wettbewerbswidrigen Wirkungen einer staatlichen Beihilfe, die einem unter den EGKS-Vertrag fallenden Unternehmen gewährt wird, unabhängig davon, ob es sich um eine Einzelbeihilfe oder um eine Beihilfe handelt, die auf der Grundlage einer sich nicht spezifisch auf den Kohle- und Stahlsektor beziehenden Beihilferegelung gewährt wird, dieselben.

36 Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist folglich davon auszugehen, dass Art. 4 Buchst. c KS für staatliche Beihilfen gilt, die Stahl- und Kohleunternehmen auf der Grundlage einer sich nicht spezifisch auf den Kohle- und Stahlsektor beziehenden Beihilferegelung gezahlt wurden.

37 Entgegen der Behauptung der deutschen Regierung wird die praktische Wirksamkeit des Art. 67 KS durch diese Auslegung nicht beeinträchtigt. Allgemeinpolitische Maßnahmen können nämlich eine fühlbare Auswirkung auf die Wettbewerbsbedingungen in der Kohle- oder Stahlindustrie im Sinne von Art. 67 Abs. 1 KS haben, ohne staatliche Beihilfen darzustellen.

38 Im vorliegenden Fall steht fest, dass Salzgitter ein Unternehmen ist, das unter den EGKS-Vertrag fällt, und dass die in der streitigen Entscheidung genannten Beihilfen keine Schutzmaßnahmen nach Art. 67 Abs. 2 erster Gedankenstrich KS darstellen.

39 Folglich hat das Gericht mit der Entscheidung, dass die Kommission zu Recht der Ansicht gewesen sei, dass Art. 4 Buchst. c KS und nicht Art. 67 KS auf die in der streitigen Entscheidung genannten Beihilfen anwendbar sei, keinen Rechtsfehler begangen.

40 Der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes greift somit nicht durch und ist zurückzuweisen.

Zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

41 Mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht Salzgitter geltend, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen habe, als es angenommen habe, dass die Kommission die in der streitigen Entscheidung genannten Beihilfen zu Recht unter Art. 4 Buchst. c KS und nicht unter Art. 67 KS eingeordnet habe, da die Kommission nicht befugt gewesen sei, im Rahmen eines Stahlbeihilfenkodex den Anwendungsbereich von Art. 4 Buchst. c KS auszuweiten.

42 Art. 95 Abs. 1 und 2 KS biete für eine derartige Änderung des EGKS-Vertrags keine ausreichende Rechtsgrundlage; vielmehr hätte dafür das in der alten Fassung von Art. 96 KS vorgesehene Verfahren, zumindest aber das in Art. 95 Abs. 3 und 4 KS vorgesehene Verfahren einer "kleinen Vertragsrevision" befolgt werden müssen (Gutachten 1/59 vom 17. Dezember 1959, Slg. 1959, S. 553).

43 Die Kommission trägt vor, dass keine Änderung des EGKS-Vertrags vorgenommen worden sei; der Wortlaut von Art. 4 Buchst. c KS sei seit dem 23. Juli 1952 unverändert geblieben.

- Würdigung durch den Gerichtshof

44 Angesichts der Antwort auf den ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist festzustellen, dass der zweite Teil dieses Rechtsmittelgrundes aus denselben Gründen wie der erste Teil unbegründet und somit zurückzuweisen ist.

Zum dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

45 Mit dem dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht Salzgitter geltend, dass das Gericht in den Randnrn. 112 ff. des angefochtenen Urteils die Entscheidungspraxis der Kommission unzutreffend dargestellt habe. Die Kommission habe seit Inkrafttreten des EGKS-Vertrags und nicht erst Anfang der 70er-Jahre die Auffassung vertreten, dass Art. 4 Buchst. c KS nur für kohle- und stahlsektorspezifische Beihilfen gelte (vgl. in diesem Sinne Bericht der Hohen Behörde der EGKS von 1963 mit dem Titel "EGKS 1952 bis 1962"). Außerdem lege die Kommission Art. 4 Buchst. c KS und Art. 67 KS in Bezug auf Beihilfen für Kohleunternehmen und Beihilfen für Stahlunternehmen unterschiedlich aus.

46 Die Kommission hält die Tatsache, dass sie vor Erlass des 3. Stahlbeihilfenkodex eine andere Auffassung vertreten habe, im Hinblick auf die Salzgitter gewährten Beihilfen für unerheblich, weil diese Auffassung vor dem 1. Januar 1986, dem Tag des Inkrafttretens dieses Kodex, in keinem der Rechtskraft fähigen individuellen Rechtsakt mit Salzgitter als Adressaten festgeschrieben worden sei.

- Würdigung durch den Gerichtshof

47 Die Beurteilung der Entscheidungspraxis der Kommission in Bezug auf Beihilfen, die unter den EGKS-Vertrag fallenden Unternehmen gewährt wurden, kann keine Auswirkungen auf die Auslegung von Art. 4 Buchst. c KS und Art. 67 KS durch das Gericht haben.

48 Daraus folgt, dass der dritte Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als unerheblich zurückzuweisen ist.

49 Der erste Rechtsmittelgrund ist daher insgesamt zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

50 Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht Salzgitter geltend, das Gericht habe dadurch, dass es den Klagegrund eines Begründungsmangels der streitigen Entscheidung zurückgewiesen habe, gegen Art. 5 vierter Gedankenstrich KS und Art. 15 Abs. 1 KS verstoßen.

51 Die Kommission habe die Entwicklung ihrer Rechtsauffassung in Bezug auf den jeweiligen Anwendungsbereich von Art. 4 Buchst. c KS und von Art. 67 KS sowie die Gründe, aus denen ihre Beurteilung im vorliegenden Fall von ihrer Entscheidungspraxis im Kohlesektor oder in ähnlichen Fällen abgewichen sei, nicht erläutert.

52 Die deutsche Regierung weist darauf hin, dass die Entwicklung der Rechtsauffassung der Kommission in Bezug auf Art. 4 Buchst. c KS eine detailliertere Begründung in der streitigen Entscheidung erfordert hätte.

53 Die Kommission bemerkt, dass sich ihre Praxis mit dem Erlass des 3. Stahlbeihilfenkodex geändert habe, dieser aber insoweit hinreichend begründet sei. Sie verweist insbesondere auf den dritten und vierten Absatz des Abschnitts I der Erwägungsgründe dieses Kodex. Eine besondere Begründungspflicht bestehe nicht, da sich ihre entsprechende Informationspflicht nur nach Art. 95 Abs. 1 KS und Art. 15 Abs. 3 KS richte.

- Würdigung durch den Gerichtshof

54 Salzgitter trägt vor, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, als es angenommen habe, dass der Klagegrund eines Begründungsmangels der streitigen Entscheidung unbegründet sei und zurückgewiesen werden müsse.

55 Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die der Kontrolle des Gerichtshofs im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt (Urteil vom 20. Februar 1997, Kommission/Daffix, C-166/95 P, Slg. 1997, I-983).

56 Nach ständiger Rechtsprechung zu Art. 253 EG, die auf die Anwendung von Art. 15 KS übertragen werden kann, muss die Begründung eines beschwerenden Rechtsakts dem Wesen des betreffenden Rechtsakts entsprechen und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil vom 15. Juli 2004, Spanien/Kommission, C-501/00, Slg. 2004, I-6717, Randnr. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57 In Randnr. 184 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass die gerichtliche Kontrolle, die es im Rahmen der ersten drei von Salzgitter geltend gemachten Klagegründe ausgeübt habe, hinreichend darlege, dass die Begründungspflicht in der streitigen Entscheidung beachtet worden sei.

58 Die streitige Entscheidung enthält in Randnr. 66 nämlich eine klare und eindeutige Darstellung der Erwägungen, mit denen die Kommission die Anwendung von Art. 4 Buchst. c KS auf die in Rede stehenden Beihilfen begründet. In den Randnrn. 67 bis 76 und 126 bis 133 dieser Entscheidung stellt die Kommission außerdem detailliert die besonderen Regelungen der seit 1986 geltenden Stahlbeihilfenkodizes dar.

59 Das Gericht hat demnach mit seiner Auffassung, dass mit der streitigen Entscheidung der Begründungspflicht Genüge getan sei, keinen Rechtsfehler begangen.

60 Der zweite Rechtsmittelgrund des Anschlussrechtsmittels, mit dem ein Begründungsmangel der streitigen Entscheidung geltend gemacht wird, ist daher unbegründet und zurückzuweisen.

61 Das Anschlussrechtsmittel ist somit zurückzuweisen.

Zum Rechtsmittel

62 Mit ihrem aus sechs Teilen bestehenden ersten Rechtsmittelgrund macht die Kommission einen Verstoß gegen Art. 4 Buchst. c KS sowie gegen den 3., den 4. und den 6. Stahlbeihilfenkodex geltend. Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund rügt sie eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

63 Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund, der zuerst zu prüfen ist, da damit die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Urteils in Frage gestellt wird, macht die Kommission geltend, dass das Gericht die Verteidigungsrechte verletzt habe, indem es - ohne ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu diesem Punkt zu äußern - festgestellt habe, dass der sukzessive Erlass der ersten drei Stahlbeihilfenkodizes zu einer unklaren Rechtslage geführt habe.

64 Die Fragen, die das Gericht ihr in einem Schreiben vom 28. Juli 2003 gestellt habe, hätten nicht erkennen lassen, dass ihr ein solcher Mangel an rechtlicher Klarheit vorgeworfen werden könnte.

65 Salzgitter macht geltend, dass sie in Randnr. 114 ihrer Klageschrift auf die rechtliche Unklarheit aufgrund des sukzessiven Erlasses der ersten drei Stahlbeihilfenkodizes hingewiesen habe und dass die Kommission daher Gelegenheit gehabt habe, sich zu diesem Punkt zu äußern.

66 Außerdem habe das Gericht den streitigen Charakter des Verfahrens nicht verkannt, denn es habe den von Salzgitter in ihren Schriftsätzen dargestellten Sachverhalt zugrunde gelegt, der das Vorliegen einer Verletzung des Rechtssicherheitsgrundsatzes beweisen sollte (Urteil vom 14. April 2005, Belgien/Kommission, C-110/03, Slg. 2005, I-2801, Randnr. 27).

- Würdigung durch den Gerichtshof

67 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Verfahrensunterlagen und insbesondere aus den Antworten auf die schriftlichen Fragen, die das Gericht in seinem Schreiben vom 28. Juli 2003 gestellt hat, dass die Kommission im Zuge des sukzessiven Erlasses der ersten drei Stahlbeihilfenkodizes Gelegenheit hatte, die Entwicklung der Regelung für Beihilfen, die Stahlunternehmen auf der Grundlage einer allgemeinen Regelung gezahlt wurden, zu erläutern und sich zur rechtlichen Bedeutung einer nach Art. 88 EG erlassenen Genehmigungsentscheidung im Rahmen des EGKS-Vertrags zu äußern. Die Kommission hat in diesem Rahmen auch darauf hingewiesen, dass Art. 6 des 3. Stahlbeihilfenkodex eine Pflicht zur Anmeldung der Salzgitter nach dem ZRFG gezahlten Beihilfen vorsah. 68 Unter diesen Umständen ist die Behauptung der Kommission, das Gericht habe ihr nicht die Möglichkeit gegeben, diese Frage zu erörtern, zurückzuweisen.

69 Der zweite Rechtsmittelgrund der Kommission ist demnach als unbegründet zurückzuweisen.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

70 Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund stellt die Kommission die Ausführungen des Gerichts zum Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit in zweifacher Hinsicht in Frage. Sie macht erstens geltend, dass die auf die fraglichen Beihilfen anwendbaren Vorschriften vollkommen klar seien, und zweitens, dass sie in Bezug auf diese Beihilfen nicht verspätet reagiert habe. Die Gesamtbeurteilung des Gerichts, die zur Nichtigerklärung des Teils der streitigen Entscheidung geführt habe, mit dem die Rückforderung der fraglichen Beihilfen angeordnet worden sei, sei daher rechtsfehlerhaft.

71 Außerdem habe das Gericht rechtsfehlerhaft bejaht, dass sich der Empfänger einer Beihilfe auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit berufen könne.

Zur Klarheit der für die fraglichen Beihilfen geltenden rechtlichen Regelung

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

72 Die Kommission macht geltend, das Gericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Rechtslage, die sich aus der gleichzeitigen Anwendung des EGKS-Vertrags, des EG-Vertrags und der verschiedenen Stahlbeihilfenkodizes ergebe, unsicher und unklar sei.

73 Sie wendet sich zunächst gegen die Auffassung des Gerichts, dass die in der Entscheidung von 1971 für das ZRFG erteilte Genehmigung mit dem Erlass des 2. und des 3. Stahlbeihilfenkodex zurückgenommen worden sei.

74 Die in dieser Entscheidung enthaltene, auf den EWG-Vertrag gestützte Genehmigung habe im Rahmen des EGKS-Vertrags keine Auswirkungen haben können, und die im ZRFG vorgesehenen Beihilfen für Eisen- und Stahlunternehmen seien vor der Veröffentlichung des 1. Stahlbeihilfenkodex verboten gewesen (Urteil Kommission/Frankreich, Randnrn. 41 bis 44). Erst durch diesen Kodex seien die mit der Entscheidung von 1971 erteilte und die nachfolgenden Genehmigungen für auf Stahlunternehmen anwendbar erklärt worden, und diese allgemeine temporäre Genehmigung sei am 31. Dezember 1981, dem Tag, an dem dieser Kodex außer Kraft getreten sei, ausgelaufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. September 2002, Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission, C-74/00 P und C-75/00 P, Slg. 2002, I-7869, Randnrn. 115 und 116).

75 Außerdem könne Art. 67 KS nicht auf staatliche Beihilfen angewendet werden, und Art. 4 Buchst. c KS verbiete Beihilfen, "in welcher Form dies auch immer geschieht". Die Bundesrepublik Deutschland habe die Kommission nicht über die an Salzgitter geleisteten Beihilfen unterrichtet und könne daher nicht behaupten, dass die Kommission diese Beihilfen nach Art. 67 KS genehmigt habe.

76 Die Kommission beanstandet ferner die Auffassung des Gerichts, dass der Erlass des 2. und des 3. Stahlbeihilfenkodex wegen der Unsicherheit bezüglich der Anwendung von Art. 6 des 3. Stahlbeihilfenkodex, der die Anmeldung staatlicher Beihilfen vorschreibe, auf nach dem ZRFG an Unternehmen des Stahlsektors gezahlte Beihilfen zu zusätzlicher Unklarheit geführt habe; diese Beihilfenregelung sei nämlich bereits Gegenstand einer Genehmigung im Rahmen des EG-Vertrags gewesen.

77 Art. 6 des 3. Stahlbeihilfenkodex sehe unmissverständlich eine Pflicht zur Notifizierung der von der Kommission bereits nach dem EG-Vertrag genehmigten Beihilferegelungen für deren Anwendung auf Stahlunternehmen vor, und die Unterscheidung zwischen neuen und bestehenden Beihilfen spiele im Rahmen des EGKS-Vertrags, der die sofortige und ausnahmslose Abschaffung aller staatlichen Beihilfen vorsehe, keine Rolle.

78 Salzgitter vertritt die Auffassung, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen habe und dass die Kommission die Änderung ihrer Auslegung von Art. 4 Buchst. c KS im 2. und 3. Stahlbeihilfenkodex oder durch eine andere Form der Mitteilung hätte zum Ausdruck bringen müssen (Urteil vom 29. April 2004, Kommission/Kvaerner Warnow Werft, C-181/02 P, Slg. 2004, I-5703, Randnr. 41). Insbesondere hätten die zahlreichen Genehmigungen des ZRFG durch die Kommission auf der Grundlage des EG-Vertrags ein berechtigtes Vertrauen in die Rechtmäßigkeit dieser gesetzlichen Regelung begründet.

79 Art. 4 Buchst. c KS gelte nicht für allgemeine Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die - wie das ZRFG - sämtliche Wirtschaftsbereiche beträfen, was die Kommission im ersten Erwägungsgrund des 1. und des 2. Stahlbeihilfenkodex bestätigt habe. Die Kommission habe Art. 4 Buchst. c KS unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht rückwirkend angewandt, um den langfristigen Investitionsentscheidungen von Salzgitter die Grundlage zu entziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission, Randnr. 119); diese Auffassung werde durch die Entscheidungspraxis der Kommission im Kohlesektor gestützt, nach der Art. 67 KS auf nichtspezifische Beihilfen in diesem Bereich Anwendung finde.

80 Art. 6 des 3. Stahlbeihilfenkodex lasse entgegen dem Vorbringen der Kommission keineswegs erkennen, ob die Anwendung der Steuervorschriften des ZRFG auf Eisen- und Stahlunternehmen, obwohl diese von der Kommission zuvor als Beihilferegelung im Rahmen des EG-Vertrags genehmigt worden seien, nunmehr einer Mitteilung nach dem EGKS-Vertrag bedurft habe.

81 Die Anwendung des ZRFG auf Stahlunternehmen stelle jedenfalls kein "Vorhaben" betreffend die "Gewährung oder Umgestaltung von Beihilfen" im Sinne dieses Artikels dar, da die im ZRFG vorgesehene Zonenrandförderung lange vor Inkrafttreten des 3. Stahlbeihilfenkodex zum Tragen gekommen sei.

82 Außerdem habe Art. 6 des 3. Stahlbeihilfenkodex nicht für die in Umsetzung des ZRFG gewährten Beihilfen gegolten, da diese, auf der Grundlage einer genehmigten Beihilferegelung erteilt, bestehende Beihilfen gewesen seien (Urteil vom 5. Oktober 1994, Italien/Kommission, C-47/91, Slg. 1994, I-4635).

83 Als die Bundesrepublik Deutschland der Kommission 1971 das ZRFG im Rahmen des EWG-Vertrags notifiziert habe, habe sie ihr das Gesetz jedenfalls im Sinne von Art. 67 KS zur Kenntnis gebracht; mit der Genehmigung der gemäß dem EG-Vertrag notifizierten steuerlichen Maßnahmen habe die Kommission stillschweigend erklärt, dass die betreffende Maßnahme keine "fühlbare Auswirkung auf die Wettbewerbsbedingungen" in der Kohle- und Stahlindustrie im Sinne von Art. 67 Abs. 1 KS habe.

84 Das Vorbringen der deutschen Regierung entspricht im Wesentlichen dem von Salzgitter.

- Würdigung durch den Gerichtshof

85 Zunächst ist daran zu erinnern, dass das Gericht, wie in Randnr. 39 des vorliegenden Urteils festgestellt, mit der Auffassung, dass die in der streitigen Entscheidung genannten Beihilfen unter das Verbot des Art. 4 Buchst. c KS fielen, keinen Rechtsfehler begangen hat.

86 Die Bundesrepublik Deutschland kann sich daher nicht darauf berufen, dass die Kommission diese Beihilfen auf der Grundlage von Art. 67 KS stillschweigend genehmigt habe.

87 Zu den Ausführungen des Gerichts, die Kommission habe die Entscheidung von 1971, sich der Anwendung des ZRFG nicht entgegenzustellen, seit dem 2. und 3. Stahlbeihilfenkodex teilweise zurückgenommen, was zu Unsicherheit über die rechtliche Stellung des ZRFG geführt habe, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 305 Abs. 1 EG vorsieht: "[Der EG-]Vertrag ändert nicht die Bestimmungen des [EGKS-]Vertrags ..., insbesondere hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten, der Befugnisse der Organe dieser Gemeinschaft und der Vorschriften des genannten Vertrags für das Funktionieren des gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl."

88 Daraus folgt, dass der EG-Vertrag und der EGKS-Vertrag voneinander unabhängig sind und dass der EG-Vertrag und das auf seiner Grundlage erlassene abgeleitete Recht im Anwendungsbereich des EGKS-Vertrags keine Wirkungen entfalten können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Juli 1982, Frankreich u. a./Kommission, 188/80 bis 190/80, Slg. 1982, 2545, Randnr. 31). Die Bestimmungen des EG-Vertrags finden nur subsidiär Anwendung, wenn der EGKS-Vertrag keine spezifischen Vorschriften enthält (vgl. u. a. Urteil vom 15. Dezember 1987, Deutsche Babcock, 328/85, Slg. 1987, 5119, Randnrn. 6 bis 14).

89 Die Kommission konnte folglich mit dem Verbot sowohl von stahlsektorspezifischen als auch von insoweit nicht spezifischen Beihilfen in Art. 1 des 3. Stahlbeihilfenkodex die Entscheidung von 1971 nicht stillschweigend zurücknehmen.

90 Zur Feststellung des Gerichts, der Erlass des 2. und des 3. Stahlbeihilfenkodex habe wegen der Unsicherheit hinsichtlich der Frage, ob die spätere Anwendung des ZRFG als "Vorhaben" im Sinne von Art. 6 des 3. Stahlbeihilfenkodex habe angemeldet werden müssen, zu Unklarheit geführt, ist zunächst zu bemerken, dass dieser Artikel ausdrücklich die Verpflichtung vorsieht, die Kommission über Vorhaben zu informieren, die die Anwendung von Beihilferegelungen, über die sie bereits auf der Grundlage der Bestimmungen des EG-Vertrags entschieden hat, auf den Stahlsektor betreffen.

91 Anders als der EG-Vertrag unterscheidet der EGKS-Vertrag außerdem nicht zwischen neuen und bestehenden Beihilfen; Art. 4 Buchst. c KS untersagt schlicht und einfach von den Mitgliedstaaten bewilligte Beihilfen, in welcher Form dies auch immer geschieht.

92 Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt im Zusammenhang mit den Stahlbeihilfenkodizes nur nach den Vorschriften beurteilt werden kann, die im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Auszahlung gelten (Urteil Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission, Randnr. 117).

93 Daraus ergibt sich, dass Art. 6 des 3. Stahlbeihilfenkodex, wie die Kommission geltend macht, klar und eindeutig die Verpflichtung vorsah, die Beihilfen, die Salzgitter nach dem ZRFG gewährt werden sollten, ab Inkrafttreten dieses Kodex bei der Kommission anzumelden.

94 Somit hat das Gericht rechtsfehlerhaft entschieden, dass der Erlass des 3. Stahlbeihilfenkodex dazu geführt habe, dass die in der Entscheidung von 1971 enthaltene Genehmigung des ZRFG teilweise stillschweigend zurückgenommen worden sei, und dass Art. 6 dieses Kodex es nicht ermögliche, eindeutig zu bestimmen, ob für die Anwendung des ZRFG nach Erlass dieses Kodex eine Verpflichtung zur Anmeldung der in diesem Artikel vorgesehenen "Vorhaben" bestehe.

Zur Frist für eine Reaktion der Kommission

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

95 Die Kommission bestreitet, dass sie vor Anfang 1998 von der Anwendung des ZRFG auf Salzgitter Kenntnis gehabt und somit lange nicht reagiert habe.

96 Sie macht geltend, dass Unternehmen, die eine Beihilfe erhalten hätten, nur dann auf deren Ordnungsmäßigkeit vertrauen dürften, wenn sie angemeldet worden sei, und dass ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer regelmäßig in der Lage sei, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten worden sei (Urteil vom 20. März 1997, Alcan Deutschland, C-24/95, Slg. 1997, I-1591, Randnr. 25); das Ergebnis, zu dem das Gericht gelangt sei, beeinträchtige die Rechtssicherheit und begünstige die Empfänger rechtswidriger Beihilfen.

97 Salzgitter und die deutsche Regierung tragen vor, es habe sich in der Rechtssache Alcan Deutschland um einen anderen Fall gehandelt, da es hier nicht darum gehe, ob ein Wirtschaftsteilnehmer zu Recht auf die Ordnungsmäßigkeit der Handlungen einer nationalen Behörde habe vertrauen dürfen, sondern darum, ob die Kommission rechtzeitig gehandelt habe oder nicht.

- Würdigung durch den Gerichtshof

98 Bei seiner Entscheidung, den Teil der angefochtenen Entscheidung, mit dem die Bundesrepublik Deutschland zur Rückforderung der Salzgitter gewährten Beihilfen verpflichtet wurde, für nichtig zu erklären, ist das Gericht ferner davon ausgegangen, dass die Kommission seit Ende 1988 Kenntnis von diesen Beihilfen gehabt habe und dass sie, da sie erst 1998 reagiert habe, mit dieser Entscheidung gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen habe.

99 Ohne dass entschieden zu werden braucht, ob das Gericht davon ausgehen durfte, dass die Kommission seit Ende 1988 Kenntnis von den fraglichen Beihilfen hatte, was diese bestreitet, ist festzustellen, dass die im angefochtenen Urteil enthaltenen Ausführungen zum Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit unzutreffend sind.

100 Der Gerichtshof hat in der Tat entschieden, dass die Kommission, auch wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber keine Verjährungsfrist festgelegt hat, durch das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit daran gehindert ist, unbegrenzt lange zu warten, ehe sie von ihren Befugnissen Gebrauch macht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 1972, Geigy/Kommission, 52/69, Slg. 1972, 787, Randnr. 21, und zu staatlichen Beihilfen, die unter den EGKS-Vertrag fallen, Urteil Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission, Randnrn. 140 und 141).

101 Für unter den EG-Vertrag fallende staatliche Beihilfen sieht Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (ABl. L 83, S. 1) vor, dass die Kommission, wenn sie sich im Besitz von Informationen gleich welcher Herkunft über angebliche rechtswidrige Beihilfen befindet, diese unverzüglich prüft.

102 Ferner bestimmt Art. 15 der Verordnung Nr. 659/1999, dass die Rückforderung rechtswidriger Beihilfen innerhalb einer Frist von zehn Jahren ab dem Tag der Gewährung der Beihilfen erfolgen muss. Nach dem vierzehnten Erwägungsgrund dieser Verordnung wurde diese Frist aus Gründen der Rechtssicherheit eingeführt.

103 Diese Vorschriften sind im Anwendungsbereich des EGKS-Vertrags zwar nicht eins zu eins anzuwenden, im Bereich der staatlichen Beihilfen liegt ihnen jedoch das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit zugrunde. Selbst in den Fällen, in denen der Gemeinschaftsgeber nicht ausdrücklich eine Frist festgesetzt hat, kann die Kommission daher nicht unbegrenzt lange warten, ehe sie von ihren Befugnissen Gebrauch macht.

104 Man darf jedoch nicht vergessen, dass die Anmeldung staatlicher Beihilfen ein zentraler Bestandteil des gemeinschaftlichen Beihilfekontrollsystems ist und dass sich die Unternehmen, denen diese Beihilfen zugutekommen, nicht auf ein berechtigtes Vertrauen in deren Ordnungsmäßigkeit berufen können, wenn sie nicht unter Einhaltung dieses Verfahrens gewährt wurden (Urteil Alcan Deutschland, Randnr. 25).

105 Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sich die im EGKS-Vertrag vorgesehene Regelung über staatliche Beihilfen insoweit von der im EG-Vertrag enthaltenen unterscheidet, als sie besonders strikt ist (siehe dazu Urteil Falck und Acciaierie di Bolzano, Randnrn. 101 und 102).

106 Ist im Rahmen des EGKS-Vertrags eine Beihilfe ohne Anmeldung gewährt worden, führt der Umstand, dass die Kommission über einen längeren Zeitraum ihre Kontrollbefugnisse nicht ausgeübt und die Rückforderung dieser Beihilfe nicht angeordnet hat, daher nur in Ausnahmefällen, in denen eine offensichtliche Untätigkeit der Kommission und eine offenkundige Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht erkennbar sind, zur Rechtswidrigkeit dieser Rückforderungsentscheidung.

107 Somit durfte das Gericht zwar entscheiden, dass sich der Empfänger einer staatlichen Beihilfe zur Stützung einer Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der die Rückforderung dieser Beihilfe angeordnet wird, auf den Grundsatz der Rechtssicherheit berufen kann, es hat diesen Grundsatz in der ihm vorliegenden Rechtssache jedoch insoweit falsch angewandt, als es nicht geprüft hat, ob die Kommission bei der Ausübung ihrer Kontrollbefugnisse offensichtlich untätig gewesen ist und offenkundig ihre Sorgfaltspflicht verletzt hat, denn nur dies kann - in Ausnahmefällen - zur Rechtswidrigkeit einer Entscheidung der Kommission führen, mit der im Rahmen des EGKS-Vertrags die Rückforderung einer nicht angemeldeten Beihilfe angeordnet wird.

108 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass dem Rechtsmittel stattzugeben und das angefochtene Urteil aufzuheben ist, soweit darin Art. 2 und Art. 3 der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt werden.

Zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Gericht

109 Aus dem vorliegenden Urteil ergibt sich, dass das Gericht im angefochtenen Urteil zutreffend entschieden hat, dass Salzgitter nach dem EGKS-Vertrag unzulässige Beihilfen erhalten hat, dass dieses Urteil jedoch insoweit rechtsfehlerhaft ist, als es den Teil der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt, mit dem die Rückforderung der fraglichen Beihilfen angeordnet wird.

110 Das Gericht hat somit zum einen darüber zu entscheiden, ob die Kommission unter den Umständen des vorliegenden Falles offensichtlich untätig gewesen ist und offenkundig ihre Sorgfaltspflicht verletzt hat, und zum anderen gegebenenfalls die anderen Rechtsmittelgründe zu prüfen, über die es aufgrund seiner Entscheidung, Art. 2 und Art. 3 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären, rechtmäßigerweise nicht hatte entscheiden müssen, nämlich dass die Kommission bestimmte Investitionen zu Unrecht als unter den EGKS-Vertrag fallende Investitionen angesehen habe, dass ein Teil der fraglichen Beihilfen als Beihilfen zum Schutz der Umwelt hätte angesehen werden müssen und dass der maßgebliche Abzinsungssatz nicht richtig bestimmt worden sei.

111 Diese verschiedenen Gesichtspunkte des Rechtsstreits erfordern nämlich die Prüfung komplexer Tatsachenfragen auf der Grundlage von Angaben, die weder vom Gericht beurteilt, noch vor dem Gerichtshof erörtert wurden; die Sache ist in Bezug auf diese Punkte somit nicht zur Entscheidung reif.

112 Die Rechtssache ist daher an das Gericht zurückzuverweisen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Anschlussrechtsmittel wird zurückgewiesen.

2. Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 1. Juli 2004, Salzgitter/Kommission (T-308/00), wird aufgehoben, soweit es Art. 2 und Art. 3 der Entscheidung 2000/797/EGKS der Kommission vom 28. Juni 2000 über die staatliche Beihilfe, die Deutschland zugunsten von Salzgitter AG, Preussag Stahl AG und den Tochtergesellschaften der Eisen- und Stahlindustrie des Konzerns, nunmehr Salzgitter AG - Stahl und Technologie (SAG) für nichtig erklärt und die Kosten festsetzt.

3. Die Rechtssache wird an das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften zurückverwiesen.

4. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.



Ende der Entscheidung

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