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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.03.1999
Aktenzeichen: C-416/96
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Kooperationsabkommen EWG-Marokko


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 177
Kooperationsabkommen EWG-Marokko Art. 40 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Zur Beurteilung der rein gemeinschaftsrechtlichen Frage, ob eine vorlegende Einrichtung Gerichtscharakter im Sinne von Artikel 177 des Vertrages besitzt, ist auf eine Reihe von Gesichtspunkten abzustellen, namentlich die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihren ständigen Charakter, ihre obligatorische Gerichtsbarkeit, die Durchführung eines streitigen Verfahrens, die Anwendung von Rechtsnormen sowie die Unabhängigkeit dieser Einrichtung. Der Immigration Adjudicator, der für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Recht von Ausländern auf Einreise in das Vereinigte Königreich und auf Aufenthalt in diesem Land zuständig ist, genügt diesen Kriterien.

2 Eine Bestimmung in einem von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommen ist unmittelbar anwendbar, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und nach Gegenstand und Art des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfuellung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen.

Dies gilt für Artikel 40 Absatz 1 des Kooperationsabkommens zwischen der EWG und Marokko, der zu Titel III - Zusammenarbeit im Bereich der Arbeitskräfte - gehört und der kein reiner Programmsatz ist, sondern auf dem Gebiet der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen sowie der sozialen Sicherheit einen eindeutigen und unbedingten Grundsatz einführt, der ausreichend bestimmt ist, um von einem nationalen Gericht angewandt werden zu können, und der daher geeignet ist, die Rechtsstellung des einzelnen zu regeln, mit der Folge, daß die Rechtsbürger, für die diese Bestimmung gilt, berechtigt sind, sich vor den nationalen Gerichten auf sie zu berufen.

3 Artikel 40 Absatz 1 des Kooperationsabkommens zwischen der EWG und Marokko untersagt es einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht, es abzulehnen, die Aufenthaltserlaubnis eines marokkanischen Staatsangehörigen, dem er die Einreise und die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt hat, für die gesamte Dauer dieser Beschäftigung zu verlängern, wenn der ursprüngliche Grund für die Gewährung des Aufenthaltsrechts bei Ablauf der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr besteht.

Anders verhält es sich nur, wenn dem Betroffenen durch ein derartiges Vorgehen das Recht auf tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung, das ihm durch eine von der zuständigen nationalen Behörde ordnungsgemäß erteilte Arbeitserlaubnis erteilt wurde, die länger als die Aufenthaltserlaubnis war, entzogen würde, ohne daß Gründe des Schutzes eines berechtigten Interesses des Staates, namentlich Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, dies rechtfertigten. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob dies der Fall ist.


Urteil des Gerichtshofes vom 2. März 1999. - Nour Eddline El-Yassini gegen Secretary of State for Home Department. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Immigration Adjudicator - Vereinigtes Königreich. - Begriff des 'einzelstaatlichen Gerichts' im Sinne von Artikel 177 EG-Vertrag - Kooperationsabkommen EWG-Marokko - Artikel 40 Absatz 1 - Verbot der Diskriminierung im Bereich der sozialen Sicherheit - Unmittelbare Wirkung - Bedeutung - Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, wodurch die Beschäftigung eines marokkanischen Arbeitnehmers in einem Migliedstaat beendet wird. - Rechtssache C-416/96.

Entscheidungsgründe:

1 Der Immigration Adjudicator hat mit Zwischenentscheidung vom 20. Dezember 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Dezember 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 40 Absatz 1 des am 27. April 1976 in Rabat unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2211/78 des Rates vom 26. September 1978 im Namen der Gemeinschaft genehmigten Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko (ABl. L 264, S. 1, im folgenden: Abkommen EWG-Marokko) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem marokkanischen Staatsangehörigen Nour Eddline El-Yassini (Kläger) und dem Secretary of State for the Home Department (Innenminister) wegen dessen Weigerung, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers im Vereinigten Königreich zu verlängern.

3 Nach den Akten erhielt der Kläger am 1. Januar 1989 unter Auflage eines Beschäftigungsverbots als Besucher die Erlaubnis zur Einreise in das Vereinigte Königreich.

4 Am 10. Oktober 1990 heiratete er eine britische Staatsbürgerin.

5 Aufgrund dieser Eheschließung erhielt er am 12. März 1991 eine Erlaubnis zum Aufenthalt im Vereinigten Königreich, die entsprechend der in diesem Mitgliedstaat üblichen Praxis zunächst für einen Zeitraum von zwölf Monaten galt; das Verbot einer Beschäftigung wurde aufgehoben.

6 Seither geht der Kläger einer Beschäftigung nach. Ihm wird nicht vorgeworfen, dieser Beschäftigung nicht ordnungsgemäß nachzugehen oder seit März 1991 nachgegangen zu sein.

7 Später trennte sich das Ehepaar. In diesem Zusammenhang stellte der Immigration Adjudicator fest, daß keine Scheinheirat oder dergleichen vorgelegen habe, die dem Kläger die Erlangung einer Erlaubnis zum Aufenthalt im Vereinigten Königreich hätte ermöglichen sollen.

8 Am 5. März und am 24. August 1992 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis; er stützte sich hierfür insbesondere auf Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko.

9 Artikel 40, der zu Titel III dieses Abkommens - Zusammenarbeit im Bereich der Arbeitskräfte - gehört, lautet wie folgt:

"Jeder Mitgliedstaat gewährt den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit, die in seinem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, eine Behandlung, die hinsichtlich der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen bewirkt.

Marokko gewährt den in seinem Hoheitsgebiet beschäftigten Arbeitnehmern, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten sind, die gleiche Behandlung."

10 Die Anträge des Klägers wurden vom Secretary of State for the Home Department insbesondere mit der Begründung abgelehnt, daß die in Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko benutzte Wendung "hinsichtlich der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen" nicht für das Recht eines marokkanischen Arbeitnehmers auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat gelte und daher nicht so verstanden werden dürfe, daß sie ihm das Recht verleihe, seiner Beschäftigung in diesem Staat nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis weiterhin nachzugehen.

11 Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Klage beim Immigration Adjudicator und machte zur Begründung geltend, Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko sei so auszulegen, daß er einem marokkanischen Wanderarbeitnehmer das Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat so lange verleihe, wie dieser einer ordnungsgemässen Beschäftigung nachgehe.

12 Der Immigration Adjudicator führt in seiner Vorlageentscheidung aus, der Kläger mache nicht geltend, daß Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko einem marokkanischen Staatsangehörigen dieselben Rechte verleihe, die das Gemeinschaftsrecht einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats gewähre. Auch berufe sich der Kläger auf diese Bestimmung nicht, um in einen Mitgliedstaat einreisen oder dort die Beschäftigung wechseln zu können.

13 Der Immigration Adjudicator führt weiter aus, er halte den Kläger für unbescholten; dieser sei in allen entscheidungserheblichen Zeiträumen einer ordnungsgemässen Beschäftigung nachgegangen und gehe dieser auch jetzt bis zur Entscheidung des Rechtsstreits noch nach.

14 Der Immigration Adjudicator fragt jedoch, ob der Begriff der "Arbeitsbedingungen" im Sinne von Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko weit auszulegen sei, wie es einer Übertragung der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum einen zur Bedeutung des gleichen Begriffes in Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag und in Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) sowie zum anderen zur Auslegung von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation des durch das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG sowie der Gemeinschaft andererseits unterzeichneten und durch den Beschluß 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (im folgenden: Abkommen EWG-Türkei) eingerichteten Assoziationsrates entspräche, wonach ein Zusammenhang zwischen dem Recht des Staatsangehörigen des betroffenen Drittlandes, einer Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat weiterhin nachzugehen, und seinem Recht auf Aufenthalt in diesem Staat bestehe, ohne den dem Recht auf Arbeit jede Wirksamkeit genommen würde (vgl. insbesondere Urteil vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-237/91, Kus, Slg. 1992, I-6781).

15 Da die Entscheidung des Rechtsstreits daher eine Auslegung von Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko erfordere, hat der Immigration Adjudicator das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Umfasst der Begriff "Arbeitsbedingungen" in Artikel 40 des Kooperationsabkommens zwischen der EG und Marokko im Falle eines marokkanischen Staatsangehörigen, der sich rechtmässig in einem Mitgliedstaat aufhält und der in diesem Mitgliedstaat einer ordnungsgemässen Beschäftigung nachgeht, unter entsprechender Anwendung der Erwägungen des Europäischen Gerichtshofes u. a. im Urteil vom 20. Oktober 1993 in der Rechtssache C-272/92 (Spotti, Slg. 1993, I-5185) und vom 16. Juni 1987 in der Rechtssache 225/85 (Kommission/Italien, Slg. 1987, 2625) die Gewähr für eine solche Beschäftigung für die Dauer dieser Beschäftigung, die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer frei vereinbart worden ist (d. h. der Beschäftigungsdauer), und die Vergünstigungen, die sich aus dieser Gewähr ergeben, wie eine Struktur der beruflichen Laufbahn, die die Möglichkeit einer Beförderung, einer beruflichen Aus- oder Fortbildung und einer Bezahlung sowie einer Altersrente nach Maßgabe des Dienstalters des Antragstellers vorsieht?

2. Falls die erste Frage bejaht wird, stellt dann der Umstand, daß die Dauer der Beschäftigung des Antragstellers faktisch aufgrund der Einwanderungsgesetze des Vereinigten Königreichs einer zeitlichen Begrenzung unterliegt und im vorliegenden Fall durch die Entscheidung des Beklagten, die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers im Vereinigten Königreich nicht zu verlängern, beendet wird, eine Diskriminierung in bezug auf diese "Arbeitsbedingungen" aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, wenn der Beklagte eine solche faktische zeitliche Begrenzung und/oder zwangsweise Beendigung der Beschäftigung gegen seine eigenen Staatsangehörigen nicht verfügen durfte?

3. Falls die erste und die zweite Frage bejaht werden, verlangt dann Artikel 40 des Kooperationsabkommens zwischen der EG und Marokko, daß der Mitgliedstaat dem marokkanischen Arbeitnehmer eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer seiner rechtmässigen Beschäftigung erteilt?

Zur Zulässigkeit

16 Bevor die gestellten Fragen beantwortet werden, ist zu prüfen, ob der Immigration Adjudicator ein Gericht im Sinne von Artikel 177 EG-Vertrag ist.

17 Zur Beurteilung der rein gemeinschaftsrechtlichen Frage, ob die vorlegende Einrichtung Gerichtscharakter im Sinne von Artikel 177 EG-Vertrag besitzt, stellt der Gerichtshof auf eine Reihe von Gesichtspunkten ab, namentlich die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihren ständigen Charakter, ihre obligatorische Gerichtsbarkeit, die Durchführung eines streitigen Verfahrens, die Anwendung von Rechtsnormen sowie die Unabhängigkeit dieser Einrichtung (vgl. insbesondere Urteile vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 61/65, Vaassen-Göbbels, Slg. 1966, 584, und vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-54/96, Dorsch Consult, Slg. 1997, I-4961, Randnr. 23).

18 Das Amt des Immigration Adjudicator wurde durch den Immigration Act 1971 (Einwanderungsgesetz 1971) eingeführt.

19 Nach diesem Gesetz ist der Immigration Adjudicator für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Recht von Ausländern auf Einreise in das Vereinigte Königreich und auf Aufenthalt in diesem Land zuständig.

20 Ferner ist der Immigration Adjudicator eine ständige Einrichtung, die gemäß dem Immigration Act 1971 und den Verfahrensvorschriften der Immigration Appeals (Procedure) Rules 1984 (Verfahrensordnung für Rechtsbehelfe in Einwanderungssachen 1984) Recht spricht. Wie der Generalanwalt in Nummer 20 seiner Schlussanträge dargelegt hat, handelt es sich um ein streitiges Verfahren. Die Entscheidungen des Immigration Adjudicator sind mit Gründen versehen, sie sind bindend und können unter bestimmten Voraussetzungen mit einer Klage beim Immigration Appeal Tribunal angefochten werden.

21 Schließlich werden die Amtsinhaber vom Lord Chancellor, wenn die Tätigkeit in Vollzeit ausgeuebt wird, auf zehn Jahre, wenn sie aber in Teilzeit ausgeuebt wird, auf ein Jahr mit Verlängerungsmöglichkeit ernannt. Während der Ausübung ihres Mandates genießen sie richterliche Unabhängigkeit.

22 Nach allem ist der Immigration Adjudicator ein Gericht im Sinne von Artikel 177 EG-Vertrag, so daß die Vorlagefragen zulässig sind.

Vorlagefragen

23 Mit seinen drei Vorlagefragen, die gemeinsam zu erörtern sind, begehrt das vorlegende Gericht Auskunft darüber, ob Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko es einem Mitgliedstaat untersagt, es abzulehnen, die Aufenthaltserlaubnis eines marokkanischen Staatsangehörigen, dem er die Einreise und die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt hat, für die gesamte Dauer seiner Beschäftigung zu verlängern, wenn der ursprüngliche Grund für die Gewährung des Aufenthaltsrechts bei Ablauf der ursprünglichen Aufenthaltserlaubnis nicht mehr besteht.

24 Um die so umformulierte Frage beantworten zu können, ist zunächst zu untersuchen, ob sich ein einzelner vor einem nationalen Gericht auf Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko berufen kann, und bejahendenfalls, welche Bedeutung das dort enthaltene Diskriminierungsverbot hat.

Zur unmittelbaren Wirkung von Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko

25 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist eine Bestimmung in einem von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommen unmittelbar anwendbar, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und nach Gegenstand und Art des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfuellung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen (vgl. u. a. Urteile vom 30. September 1987 in der Rechtssache 12/86, Demirel, Slg. 1987, 3719, Randnr. 14, vom 31. Januar 1991 in der Rechtssache C-18/90, Kziber, Slg. 1991, I-199, Randnr. 15, und vom 16. Juni 1998 in der Rechtssache C-162/96, Racke, Slg. 1998, I-3655, Randnr. 31).

26 Ob Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko diese Kriterien erfuellt, ist zunächst anhand seines Wortlauts zu prüfen.

27 Die Bestimmung legt klar, eindeutig und unbedingt das Verbot einer Diskriminierung der im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats beschäftigten marokkanischen Wanderarbeitnehmer hinsichtlich ihrer Arbeits- und Entlohnungsbedingungen fest.

28 Der Feststellung, daß dieses Diskriminierungsverbot geeignet ist, unmittelbar die Situation von Einzelpersonen zu regeln, stehen Gegenstand und Art des Abkommens, zu dem die Bestimmung gehört, nicht entgegen.

29 Nach seinem Artikel 1 hat das Abkommen EWG-Marokko nämlich die Förderung einer globalen Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien mit dem Ziel, zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Marokkos beizutragen, und die Vertiefung ihrer Beziehungen u. a. im Bereich der Arbeitskräfte zum Gegenstand.

30 Daß mit dem Abkommen EWG-Marokko im wesentlichen die wirtschaftliche Entwicklung Marokkos gefördert werden soll und daß es sich darauf beschränkt, eine Zusammenarbeit zwischen den Parteien einzuführen, ohne auf eine Assoziierung oder einen künftigen Beitritt Marokkos zu den Gemeinschaften abzuzielen, vermag die unmittelbare Wirkung einiger seiner Bestimmungen nicht auszuschließen (vgl. Urteil Kziber, Randnr. 21).

31 Dies gilt insbesondere für die Artikel 40 und 41, die zu Titel III - Zusammenarbeit im Bereich der Arbeitskräfte - gehören und keine reinen Programmsätze sind, sondern auf dem Gebiet der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen sowie der sozialen Sicherheit einen eindeutigen, unbedingten Grundsatz einführen, der ausreichend bestimmt ist, um von einem nationalen Gericht angewandt werden zu können, und der daher geeignet ist, die Rechtsstellung des einzelnen zu regeln (Vgl. Urteil Kziber, Randnr. 22).

32 Die unmittelbare Wirkung, die daher Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko beizumessen ist, bedeutet, daß die Rechtsbürger, für die diese Bestimmung gilt, berechtigt sind, sich vor den nationalen Gerichten auf sie zu berufen.

Zur Bedeutung von Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko

33 Der Kläger vertritt die Ansicht, daß der Aufnahmemitgliedstaat die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nur aus berechtigten Gründen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit ablehnen könne. Die Ansicht des Vereinigten Königreichs, daß es den Mitgliedstaaten freistehe, einen marokkanischen Wanderarbeitnehmer, dem sie doch die Einreise und die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt hätten, jederzeit auszuweisen, mache im Ergebnis die in Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko verankerten Rechte dadurch illusorisch, daß sie es dem betreffenden Mitgliedstaat ermögliche, willkürlich und insbesondere aus rein wirtschaftlichen Gründen eine von dem Betroffenen, dem kein strafbares Verhalten vorgeworfen werden könne, ausgeuebte ordnungsgemässe Beschäftigung zu beenden.

34 Eine derartige Anwendung des nationalen Rechts über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern auf einen Staatsangehörigen eines mit der Gemeinschaft durch ein Kooperationsabkommen verbundenen Drittstaats sei ihrer Natur nach diskriminierend, da dieses Recht einem Staatsangehörigen des betroffenen Mitgliedstaats nicht entgegengehalten werden könne; sie sei daher durch Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko wegen der Folgen untersagt, die sie notwendigerweise für die Beschäftigung der betroffenen Person zeitige.

35 Der Kläger verlange nicht seine Gleichstellung mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, sondern die analoge Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Bestimmungen über die Assoziierung EWG-Türkei, nach der die beschäftigungsrechtlichen Ansprüche des Wanderarbeitnehmers die Anerkennung eines Aufenthaltsrechts implizierten und nicht von den Gründen abhängig seien, aus denen dem Betroffenen ursprünglich ein Einreise-, Arbeits- und Aufenthaltsrecht erteilt worden sei (vgl. insb. Urteil Kus, Randnrn. 21 bis 23 und 29). Daher könne ein marokkanischer Staatsangehöriger, der die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung in einem Mitgliedstaat erhalten habe, dort ein Aufenthaltsrecht für die gesamte Dauer dieser Beschäftigung beanspruchen.

36 Die Bundesregierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs machen demgegenüber geltend, ein Kooperationsabkommen wie das Abkommen EWG-Marokko habe einen begrenzteren Zweck als das Abkommen EWG-Türkei, so daß die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht auf einen marokkanischen Wanderarbeitnehmer wie den Kläger übertragen werden könne.

37 Ferner betreffe das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit in Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko nur das Arbeitsverhältnis des marokkanischen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat. Daher verbleibe jedem Mitgliedstaat die Zuständigkeit, sowohl die Einreise von Personen mit Herkunft aus Marokko als auch deren Aufenthalt in seinem Gebiet zu reglementieren; insbesondere unterlägen die Modalitäten ihrer Anwesenheit allein den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsmitgliedstaats.

38 Daher verleihe Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko einem marokkanischen Staatsangehörigen das Recht auf Gleichbehandlung in bezug auf die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen nur, solange er über eine Erlaubnis zum Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat verfüge. Hingegen verleihe sie auch einem marokkanischen Wanderarbeitnehmer, der über eine ordnungsgemässe Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung in einem Mitgliedstaat verfüge, keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis mit dem Ziel, dieses Arbeitsverhältnis entgegen dem Ausländerrecht des betreffenden Mitgliedstaats fortsetzen zu können.

39 Aus den gleichen Gründen ist die französische Regierung der Ansicht, daß die Anwendung der Regelung des Aufnahmemitgliedstaats in bezug auf die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern auf einen marokkanischen Arbeitnehmer wie den Kläger keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit in bezug auf die Arbeitsbedingungen im Sinne von Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko sei.

40 Jedoch dürfe ein Mitgliedstaat in Ausübung seiner Befugnis, einem marokkanischen Staatsangehörigen die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen und sie zu widerrufen, diesem das Recht auf Ausübung der Beschäftigung, das er ihm verliehen habe, nicht ohne Grund entziehen.

41 Die Kommission macht geltend, es sei zwar vertretbar, daß einem marokkanischen Staatsangehörigen, dem die Erlaubnis zur Einreise in einen Mitgliedstaat und zur Ausübung einer Beschäftigung in diesem Staat erteilt worden sei, ein Aufenthaltsrecht für die gesamte Dauer seines Arbeitsvertrags gewährt werden müsse und daß er daher nicht allein mit der Begründung ausgewiesen werden dürfe, daß die ursprüngliche Grundlage für sein Aufenthaltsrecht entfallen sei.

42 Doch lasse sich hiergegen einwenden, daß dies nur in dem Kontext des Abkommens EWG-Türkei haltbar sei, das ein ehrgeizigeres Ziel als das Abkommen EWG-Marokko habe und in dessen Rahmen der Assoziationsrat ausdrücklich Rechte der türkischen Arbeitnehmer vorgesehen habe, die mit zunehmender Dauer einer ordnungsgemässen Beschäftigung in einem Mitgliedstaat ebenfalls zunähmen.

43 Daher liege im Fall des Klägers eine durch Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko verbotene Diskriminierung in bezug auf die Arbeitsbedingungen nicht allein deshalb vor, weil ihm in Anwendung der ausländerrechtlichen Regelung des Aufnahmemitgliedstaats die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis versagt worden und er daher gezwungen sei, die Beschäftigung zu beenden, deren Ausübung in dem betroffenen Mitgliedstaat ihm erlaubt worden sei.

44 Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko verbietet grundsätzlich jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats beschäftigter marokkanischer Wanderarbeitnehmer gegenüber den eigenen Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats in bezug auf die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen.

45 Selbst im Rahmen der Anwendung des Grundrechts der Freizuegigkeit innerhalb der Gemeinschaft erlaubt nach ständiger Rechtsprechung der Vorbehalt insbesondere in Artikel 48 Absatz 3 EG-Vertrag den Mitgliedstaaten, gegenüber den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit Maßnahmen zu ergreifen, die sie bei ihren eigenen Staatsangehörigen nicht anwenden könnten, da sie nach einem Grundsatz des Völkerrechts nicht die Befugnis haben, diese aus ihrem Staatsgebiet zu entfernen oder ihnen die Einreise in das Staatsgebiet zu untersagen (vgl. in diesem Sinn Urteile vom 4. Dezember 1974 in der Rechtssache 41/74, Van Duyn, Slg. 1974, 1337, Randnrn. 22 und 23, vom 18. Mai 1982 in den Rechtssachen 115/81 und 116/81, Adoui und Cornuaille, Slg. 1982, 1665, Randnr. 7, vom 17. Juni 1997 in den Rechtssachen C-65/95 und C-111/95, Shingara und Radiom, Slg. 1997, I-3343, Randnr. 28, vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-171/96, Pereira Roque, Slg. 1998, I-4607, Randnrn. 37 und 38, und vom 19. Januar 1999 in der Rechtssache C-348/96, Calfa, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 20). Im Rahmen eines zwischen der Gemeinschaft und einem Drittland geschlossenen Abkommens, wie des Abkommens EWG-Marokko, kann nichts anderes gelten.

46 Somit kann entgegen dem Vorbringen des Klägers der Grundsatz der Gleichbehandlung in bezug auf die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko als solcher nicht bewirken, daß es den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats untersagt wäre, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eines dort beschäftigten marokkanischen Wanderarbeitnehmers abzulehnen, selbst wenn diese Maßnahme ihrer Natur nach die Staatsangehörigen des betroffenen Mitgliedstaats nicht betreffen kann.

47 Der Kläger macht weiter geltend, die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Abkommen EWG-Türkei lasse sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein völkerrechtlicher Vertrag nicht nur nach seinem Wortlaut, sondern auch im Lichte seiner Ziele auszulegen ist. Artikel 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 bestimmt hierzu, daß ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist (vgl. insbesondere Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991, Slg. 1991, I-6079, Randnr. 14, und Urteil vom 1. Juli 1993 in der Rechtssache C-312/91, Metalsa, Slg. 1993, I-3751, Randnr. 12).

48 Ob die Rechtsprechung zum Abkommen EWG-Türkei auf das Abkommen EWG-Marokko übertragen werden kann, bestimmt sich daher nach den jeweiligen Zielen dieser Abkommen sowie nach ihrem Kontext.

Das Abkommen EWG-Türkei

49 Das Abkommen EWG-Türkei hat nach seinem Artikel 2 Absatz 1 zum Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern. Sein Artikel 28 lautet: "Sobald das Funktionieren des Abkommens es in Aussicht zu nehmen gestattet, daß die Türkei die Verpflichtungen aus dem Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft vollständig übernimmt, werden die Vertragsparteien die Möglichkeit eines Beitritts der Türkei zur Gemeinschaft prüfen."

50 Artikel 12 des Abkommens EWG-Türkei lautet: "Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen."

51 Zu diesem Zweck setzt das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnete und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) im Namen der Gemeinschaft geschlossene, gebilligte und bestätigte Zusatzprotokoll in Artikel 36 die Fristen für die schrittweise Herstellung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Republik Türkei fest und bestimmt, daß der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln festlegt. Ferner bestimmt Artikel 37 des Zusatzprotokolls: "Jeder Mitgliedstaat sieht für die in der Gemeinschaft beschäftigten Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit eine Regelung vor, die in bezug auf die Arbeitsbedingungen und das Entgelt keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung gegenüber Arbeitnehmern enthält, die Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten sind."

52 Gestützt auf das Abkommen und auf das Zusatzprotokoll, insbesondere dessen Artikel 36, erließ der durch das Abkommen EWG-Türkei eingesetzte Assoziationsrat am 19. September 1980 den Beschluß Nr. 1/80, dessen Artikel 6 Absatz 1, der sich in Kapitel II - Soziale Bestimmungen -, Abschnitt 1 - Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer -, findet, wie folgt lautet:

"Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemässer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis."

53 Angesichts dieser Rechtslage hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß ein türkischer Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 erfuellt, die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat verlangen kann, um dort weiterhin eine ordnungsgemässe Beschäftigung ausüben zu können (vgl. insbesondere Urteile Kus, a. a. O., Randnr. 36, vom 30. September 1997 in der Rechtssache C-36/96, Günaydin, Slg. 1997, I-5143, Randnr. 55, und in der Rechtssache C-98/96, Ertanir, Slg. 1997, I-5179, Randnr. 62, sowie vom 26. November 1998 in der Rechtssache C-1/97, Birden, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 69).

Das Abkommen EWG-Marokko

54 Ziel des Abkommens EWG-Marokko ist es, wie bereits aus Randnummer 29 hervorgeht, eine globale Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien zu fördern, um zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Marokkos beizutragen, und die Vertiefung ihrer Beziehungen zu erleichtern.

55 Zu diesem Zweck werden nach Artikel 1 dieses Abkommens Bestimmungen und Maßnahmen für den Bereich der wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Zusammenarbeit, für den Handel wie auch für den sozialen Bereich festgelegt und durchgeführt.

56 Für die Zusammenarbeit im Bereich der Arbeitskräfte, die Gegenstand des Titels III des Abkommens EWG-Marokko ist, stellt Artikel 40 den Grundsatz auf, daß jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung der im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber den eigenen Staatsangehörigen dieses Staates bei den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen verboten ist.

57 Anders als das Abkommen EWG-Türkei sieht das Abkommen EWG-Marokko also nicht vor, daß die vertragschließenden Parteien auf längere Sicht die Möglichkeit eines Beitritts des Drittlandes zur Gemeinschaft prüfen werden.

58 Im übrigen hat das Abkommen EWG-Marokko anders als das Abkommen EWG-Türkei nicht die schrittweise Verwirklichung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zum Gegenstand.

59 Zudem hat der durch das Abkommen EWG-Marokko eingesetzte Kooperationsrat keine Entscheidung erlassen, die eine Bestimmung wie Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei enthielte, der den türkischen Wanderarbeitnehmern im Hinblick auf die künftige Herstellung der Freizuegigkeit von der Dauer der Ausübung einer ordnungsgemässen Beschäftigung abhängige, genau bestimmte Rechte verleiht, die diese schrittweise in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats eingliedern sollen.

60 Dabei bezieht sich die Rechtsprechung, deren Übertragung der Kläger begehrt, gerade auf Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 und nicht auf Artikel 37 des Zusatzprotokolls, dessen Gleichheitssatz demjenigen des Artikels 40 des Abkommens EWG-Marokko vergleichbar ist.

61 Aufgrund dieser wesentlichen Unterschiede zwischen dem Wortlaut sowie zwischen Gegenstand und Zweck beider Abkommen kann die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Abkommen EWG-Türkei nicht auf das Abkommen EWG-Marokko übertragen werden.

62 Daher ist es beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht untersagt, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eines marokkanischen Staatsangehörigen, dem er die Einreise und die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt hatte, abzulehnen, wenn der ursprüngliche Grund für die Gewährung des Aufenthaltsrechts bei Ablauf der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr besteht.

63 Daß ein solches Vorgehen der zuständigen nationalen Behörden den Betroffenen dazu zwingt, sein Arbeitsverhältnis im Aufnahmemitgliedstaat vor dem mit dem Arbeitgeber vertraglich vereinbarten Termin zu beenden, ändert daran grundsätzlich nichts.

64 Anders verhielte es sich jedoch, wenn das vorlegende Gericht feststellen sollte, daß der Aufnahmemitgliedstaat dem marokkanischen Wanderarbeitnehmer in bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung weitergehende Rechte als in bezug auf den Aufenthalt verliehen hätte.

65 Dies wäre dann der Fall, wenn die dem Betroffenen vom Mitgliedstaat gewährte Aufenthaltserlaubnis kürzer als die Arbeitserlaubnis wäre und der Mitgliedstaat vor Ablauf der Arbeitserlaubnis eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt hätte, ohne dies mit Gründen des Schutzes eines berechtigten Interesses des Staates, namentlich Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, rechtfertigen zu können.

66 Wie der Generalanwalt in den Nummern 63 bis 66 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, erfordert nämlich die praktische Wirksamkeit von Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko, daß ein marokkanischer Staatsangehöriger, dem ordnungsgemäß die Erlaubnis erteilt wurde, im Gebiet eines Mitgliedstaats für eine bestimmte Zeit eine Beschäftigung auszuüben, während dieser gesamten Zeit seine Rechte aus dieser Bestimmung ausüben kann.

67 Nach allem ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß Artikel 40 Absatz 1 des Abkommens EWG-Marokko es einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht untersagt, es abzulehnen, die Aufenthaltserlaubnis eines marokkanischen Staatsangehörigen, dem er die Einreise und die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt hat, für die gesamte Dauer dieser Beschäftigung zu verlängern, wenn der ursprüngliche Grund für die Gewährung des Aufenthaltsrechts bei Ablauf der ursprünglichen Aufenthaltserlaubnis nicht mehr besteht.

Anders verhält es sich nur, wenn dem Betroffenen durch ein derartiges Vorgehen das Recht auf tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung, das ihm durch eine von der zuständigen nationalen Behörde ordnungsgemäß erteilte Arbeitserlaubnis erteilt wurde, die länger als die Aufenthaltserlaubnis war, entzogen würde, ohne daß Gründe des Schutzes eines berechtigten Interesses des Staates, namentlich Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, dies rechtfertigten. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob dies der Fall ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

68 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der Bundesregierung und der französischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Immigration Adjudicator mit Entscheidung vom 20. Dezember 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 40 Absatz 1 des am 27. April 1976 in Rabat unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2211/78 des Rates vom 26. September 1978 im Namen der Gemeinschaft genehmigten Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko untersagt es einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht, es abzulehnen, die Aufenthaltserlaubnis eines marokkanischen Staatsangehörigen, dem er die Einreise und die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt hat, für die gesamte Dauer dieser Beschäftigung zu verlängern, wenn der ursprüngliche Grund für die Gewährung des Aufenthaltsrechts bei Ablauf der ursprünglichen Aufenthaltserlaubnis nicht mehr besteht.

Anders verhält es sich nur, wenn dem Betroffenen durch ein derartiges Vorgehen das Recht auf tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung, das ihm durch eine von der zuständigen nationalen Behörde ordnungsgemäß erteilte Arbeitserlaubnis erteilt wurde, die länger als die Aufenthaltserlaubnis war, entzogen würde, ohne daß Gründe des Schutzes eines berechtigten Interesses des Staates, namentlich Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, dies rechtfertigten. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob dies der Fall ist.

Ende der Entscheidung

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