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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.01.2007
Aktenzeichen: C-421/05
Rechtsgebiete: EG, Verordnung (EG) Nr. 1400/2002


Vorschriften:

EG Art. 234
Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 Art. 3 Abs. 4
Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 Art. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Dritte Kammer)

18. Januar 2007

"Wettbewerb - Vertriebsvereinbarung über Kraftfahrzeuge - Gruppenfreistellung - Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 - Art. 3 Abs. 4 und 6 - Kündigung durch den Lieferanten - Recht auf Anrufung eines Sachverständigen oder Schiedsrichters und auf Anrufung eines nationalen Gerichts - Ausdrückliche Kündigungsklausel - Vereinbarkeit mit der Gruppenfreistellung - Wirksamkeit der Kündigungsgründe - Wirksame Überprüfung"

Parteien:

In der Rechtssache C-421/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Rechtbank van Koophandel te Brussel (Belgien) mit Entscheidung vom 21. November 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 29. November 2005, in dem Verfahren

City Motors Groep NV

gegen

Citroën Belux NV

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues und A. Ó Caoimh (Berichterstatter),

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: J. Swedenborg, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der City Motors Groep NV, vertreten durch A. Tallon und Y. Lemense, advocaten,

- der Citroën Belux NV, vertreten durch J. Verbist und B. van de Walle de Ghelcke, advocaten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Bouquet und A. Whelan als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (ABl. L 203, S. 30).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der City Motors Groep NV (im Folgenden: CMG) und der Citroën Belux NV (im Folgenden: Citroën) über die Wirksamkeit der von Citroën ausgesprochenen Kündigung der zwischen beiden Parteien geschlossenen Vereinbarung über den Vertrieb von Kraftfahrzeugen der Marke Citroën in Belgien.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 der Kommission vom 28. Juni 1995 über die Anwendung von Artikel [81] Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge (ABl. L 145, S. 25) sieht vor:

"Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Voraussetzungen für die Freistellung berühren nicht

- ...

- das Recht eines Vertragspartners zur außerordentlichen Kündigung, wenn die andere Vertragspartei eine der ihr obliegenden wesentlichen Verpflichtungen nicht erfüllt.

In jedem dieser Fälle müssen die Vertragspartner bei fehlendem Einvernehmen einem zügigen Verfahren zur Beilegung der streitigen Angelegenheit durch Inanspruchnahme eines sachverständigen Dritten oder eines Schiedsrichters zustimmen; das Recht der Vertragspartner, das nach nationalem Recht zuständige Gericht anzurufen, bleibt unberührt."

4 Mit Wirkung vom 1. Oktober 2002 wurde die Verordnung Nr. 1475/95 durch die Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 ersetzt.

5 Der neunte und der elfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1400/2002 lauten:

"(9) Um zu verhindern, dass ein Lieferant eine Vereinbarung kündigt, weil der Händler oder die Werkstatt ein wettbewerbsförderndes Verhalten annimmt, beispielsweise aktiv oder passiv an ausländische Verbraucher verkauft, mehrere Marken vertreibt oder Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen vertraglich weitergibt, sind in der Kündigungserklärung die Beweggründe, die objektiv und transparent sein müssen, eindeutig und in Schriftform anzuführen. Darüber hinaus sollten zur Stärkung der Unabhängigkeit der Händler und Werkstätten von den Lieferanten Mindestfristen für die Ankündigung der Nichterneuerung von Vereinbarungen, die auf eine bestimmte Dauer abgeschlossen wurden, und für die Kündigung von Vereinbarungen, die auf unbestimmte Dauer abgeschlossen wurden, vorgesehen werden.

...

(11) Zur Erleichterung der schnellen Beilegung von Streitfällen zwischen den Vertragsparteien einer Vertriebsvereinbarung, die für wirksamen Wettbewerb hinderlich sein können, sollte sich diese Freistellung lediglich auf Vereinbarungen erstrecken, in denen vorgesehen ist, dass die Vertragsparteien insbesondere im Fall einer Kündigung der Vereinbarung einen unabhängigen Sachverständigen oder einen Schiedsrichter anrufen können."

6 Art. 2 ("Geltungsbereich") der Verordnung Nr. 1400/2002 bestimmt in Abs. 1 Unterabs. 1:

"Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags wird gemäß Artikel 81 Absatz 3 unter den in dieser Verordnung geregelten Voraussetzungen für nicht anwendbar erklärt auf vertikale Vereinbarungen, welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien neue Kraftfahrzeuge, Kraftfahrzeugersatzteile oder Wartungs- und Instandsetzungsdienstleistungen für Kraftfahrzeuge beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können."

7 Art. 3 ("Allgemeine Voraussetzungen") der Verordnung Nr. 1400/2004 sieht in den Abs. 4 und 6 vor:

"(4) Die Freistellung gilt unter der Voraussetzung, dass in der vertikalen Vereinbarung mit einem Händler oder einer Werkstatt vorgesehen ist, dass der Lieferant eine Vereinbarung nur schriftlich kündigen kann und die Kündigung eine ausführliche Begründung enthalten muss, die objektiv und transparent ist, um einen Lieferanten daran zu hindern, eine vertikale Vereinbarung mit einem Händler oder einer Werkstatt wegen Verhaltensweisen zu beenden, die nach dieser Verordnung nicht eingeschränkt werden dürfen."

...

6. Die Freistellung gilt unter der Voraussetzung, dass in der vertikalen Vereinbarung für jede der Vertragsparteien das Recht vorgesehen ist, bei Meinungsverschiedenheiten über die Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtung einen unabhängigen Sachverständigen oder einen Schiedsrichter anzurufen. Die Meinungsverschiedenheiten können sich u. a. auf Folgendes beziehen:

...

g) die Frage, ob die Kündigung einer Vereinbarung aufgrund der angegebenen Kündigungsgründe gerechtfertigt ist.

Von dem in Satz 1 genannten Recht unberührt bleibt das Recht der Vertragsparteien, ein nationales Gericht anzurufen."

8 Art. 4 ("Kernbeschränkungen") der Verordnung Nr. 1400/2002 sieht in Abs. 1 vor, dass die Freistellung nicht für vertikale Vereinbarungen gilt, die die in dieser Vorschrift aufgeführten Beschränkungen bezwecken.

9 Nach Art. 5 ("Besondere Voraussetzungen") dieser Verordnung gilt die Freistellung nicht für die in vertikalen Vereinbarungen enthaltenen Verpflichtungen, die dort aufgeführt sind.

Nationales Recht

10 Artikel 1184 des belgischen Zivilgesetzbuchs lautet:

"Gegenseitige Verträge stehen für den Fall, dass eine der beiden Vertragsparteien ihre Verpflichtung nicht erfüllt, stets unter einer auflösenden Bedingung.

In diesem Fall wird der Vertrag nicht von Rechts wegen aufgelöst. Die Vertragspartei, deren Anspruch nicht erfüllt worden ist, kann entweder die andere Vertragspartei zur Erfüllung der Vereinbarung zwingen, sofern die Erfüllung möglich ist, oder die Auflösung und Schadensersatz beanspruchen.

Die Auflösung muss bei Gericht beantragt werden, und dem Beklagten kann nach den Umständen Aufschub gewährt werden."

11 Mit der Aufnahme einer ausdrücklichen Kündigungsklausel können die Vertragsparteien jedoch vereinbaren, sich außerhalb des Anwendungsbereichs des genannten Artikels 1184 zu stellen, und bestimmen, unter welchen Umständen eine Pflichtverletzung hinreichend schwer wiegt, um eine Kündigung der Vereinbarung von Rechts wegen ohne Gerichtsentscheidung zu rechtfertigen.

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage

12 Seit 1992 vertreibt CMG in Belgien aufgrund von Konzessionsvereinbarungen mit Citroën Kraftfahrzeuge dieser Marke. Die letzte dieser Vereinbarungen über den Verkauf von Neuwagen wurde am 13. Mai 2003 auf unbestimmte Zeit geschlossen und trat am 1. Oktober 2003 in Kraft (im Folgenden: Konzessionsvereinbarung).

13 Nach Art. XVIII der Konzessionsvereinbarung kann Citroën diese unmittelbar, von Rechts wegen und ohne vorherige Fristsetzung u. a. in dem Fall kündigen, dass "ein oder mehrere neue oder seit weniger als drei Monaten zugelassene ... Fahrzeuge [der Marke Citroën] und/oder Ausrüstung und Zubehör entgegen den Bestimmungen der Artikel V und XIV Nr. 9 an einen Wiederverkäufer weiterverkauft worden sind, der kein als Wiederverkäufer zugelassenes und im Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums oder der Schweiz ansässiges Mitglied des offiziellen [Citroën]-Vertriebsnetzes ist".

14 Ferner bestimmt Art. XXI der Konzessionsvereinbarung:

"... Bei einem Streit über die Erfüllung dieser Vereinbarung und im Hinblick auf eine gütliche Einigung kann jede Vertragspartei einen Sachverständigen anrufen, der auf Antrag der zuerst handelnden Partei durch den Vorsitzenden der Rechtbank van Koophandel te Brussel ernannt wird.

Diese Bestimmung beeinträchtigt in keiner Weise das Recht jeder Vertragspartei, sich bei einem Streit über die Erfüllung dieser Vereinbarung an die Gerichte zu wenden ..."

15 Am 1. Juni 2004 kündigte Citroën die Konzessionsvereinbarung gemäß Artikel XVIII, weil CMG Fahrzeuge an die Gesellschaft Interlease NV verkauft hatte.

16 CMG erhob bei der Rechtbank van Koophandel te Brussel Klage auf Schadensersatz wegen rechtswidrigen Bruchs der Konzessionsvereinbarung gegen Citroën. Sie machte in diesem Zusammenhang geltend, dass die ausdrückliche Kündigungsklausel gegen die Verordnung Nr. 1400/2002 verstoße.

17 In einem Eilverfahren verurteilte der Vorsitzende dieses Gerichts Citroën unter Androhung eines Zwangsgeldes dazu, ihre Beziehungen mit CMG bis zur Entscheidung in der Hauptsache fortzusetzen. Das von Citroën gegen diesen Beschluss beim Hof van Beroep te Brussel eingelegte Rechtsmittel wurde abgewiesen.

18 In der Sache macht sich das vorlegende Gericht die Erwägungen des Hof van Beroep te Brussel zu eigen und vertritt die Auffassung, dass Art. 3 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1400/2002 wohl so zu verstehen sei, dass der Vertrag bis zur Klärung der Meinungsverschiedenheit bestehen bleiben müsse. Das bedeute, dass eine ausdrückliche Kündigungsklausel, mit der sich die vorherige Einschaltung eines Sachverständigen, Schiedsrichters oder Gerichts umgehen lasse, nicht rechtswirksam sein könne, wenn einer der in dem genannten Abs. 6 aufgeführten Fälle vorliege. Art. XVIII der Konzessionsvereinbarung sei daher dem ersten Anschein nach mit der Verordnung Nr. 1400/2002 nicht vereinbar.

19 Die Rechtbank van Koophandel te Brussel hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 3 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 dahin auszulegen, dass er eine ausdrückliche Kündigungsklausel in einer Konzessionsvereinbarung für Kraftfahrzeuge, für die die Freistellung nach Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung gelten soll, ausschließt

Zur Vorlagefrage

20 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1400/2002 dahin auszulegen ist, dass die in Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene Gruppenfreistellung nicht für solche in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallende Vereinbarungen gilt, die eine ausdrückliche Kündigungsklausel wie die im Ausgangsverfahren streitige enthalten, nach der eine Vereinbarung vom Lieferanten von Rechts wegen und ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden kann, wenn der Händler eine der in dieser Klausel genannten vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt.

21 Nach Ansicht von CMG ist eine ausdrückliche Kündigungsklausel wettbewerbsverfälschend, weil sie dem Lieferanten eine beherrschende Stellung verschaffe, indem sie im Fall eines Rechtsstreits die Prüfungsbefugnisse der nationalen Gerichte einschränke. Denn bei einer solchen Klausel dürfe das angerufene Gericht nur prüfen, ob die Voraussetzungen für die Anwendung der Klausel vorlägen und ob die Kündigung rechtsmissbräuchlich sei. Der wettbewerbsbeschränkende Charakter dieser Klausel werde außerdem dadurch bestätigt, dass die Verordnung Nr. 1400/2002 anders als die Verordnung Nr. 1475/95 nicht mehr die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen Nichterfüllung einer wesentlichen vertraglichen Verpflichtung vorsehe.

22 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass, wie Citroën zu Recht ausführt, weder Art. 4 noch Art. 5 der Verordnung Nr. 1400/2002, in denen die Kernbeschränkungen und bestimmte besondere Voraussetzungen abschließend aufgeführt werden, die der Geltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Gruppenfreistellung entgegenstehen, ausdrückliche Kündigungsklauseln erwähnt.

23 Zwar ist, wie CMG in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, in der Verordnung Nr. 1400/2002 im Unterschied zu Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1475/95 nicht mehr ausdrücklich davon die Rede, dass die Voraussetzungen für die Freistellung "nicht ... das Recht eines Vertragspartners zur außerordentlichen Kündigung [berühren], wenn die andere Vertragspartei eine der ihr obliegenden wesentlichen Verpflichtungen nicht erfüllt".

24 Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass ausdrückliche Kündigungsklauseln nunmehr als wettbewerbsbeschränkend im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG verboten wären. Denn mit Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1475/95 sollte keineswegs bestimmten Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG die Gruppenfreistellung gewährt, sondern nur eine bloße Möglichkeit vorgesehen werden, die die Vertragsfreiheit der Parteien, so wie sie im Rahmen des geltenden nationalen Rechts besteht, nicht einschränkt (vgl. in diesem Sinn Urteil vom 7. September 2006, Vulcan Silkeborg, C-125/05, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 47).

25 In ihrer Vorlageentscheidung stellt sich die Rechtbank van Koophandel te Brussel allerdings die Frage, ob eine ausdrückliche Kündigungsklausel nicht dadurch, dass sich mit ihr die vorherige Einschaltung eines Sachverständigen, Schiedsrichters oder Gerichts umgehen lasse, gegen Art. 3 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1400/2002 verstoße. Diese Vorschrift verlange nämlich offenbar, dass eine gekündigte Vereinbarung bis zur Klärung des Rechtsstreits über die Wirksamkeit der Kündigung in Kraft bleibe.

26 Es ist jedoch festzustellen, dass Art. 3 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1400/2002 nicht bestimmte vertragliche Klauseln verbietet, sondern lediglich die Geltung der Gruppenfreistellung an die Voraussetzung knüpft, dass in einer Händlervereinbarung für jede der Vertragsparteien - unbeschadet des Rechts, ein nationales Gericht anzurufen - das vertragliche Recht vorgesehen ist, bei Meinungsverschiedenheiten über das Vertragsverhältnis, insbesondere über die in Art. 3 Abs. 6 Buchst. g angeführte Frage, ob die Kündigung der Vereinbarung aufgrund der angegebenen Kündigungsgründe gerechtfertigt ist, einen unabhängigen Sachverständigen oder einen Schiedsrichter anzurufen.

27 Diese Voraussetzung für die Geltung der Gruppenfreistellung ist daher nach dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1400/2002 und deren elftem Erwägungsgrund schon dann erfüllt, wenn die Vereinbarung eine Klausel enthält, die ein solches vertragliches Recht vorsieht. Da die Aufzählung der das Vertragsverhältnis betreffenden Streitfragen in dieser Vorschrift nicht abschließend ist, muss dies unabhängig davon gelten, ob die Kündigung mit einer Frist oder fristlos ausgesprochen wird. Weder nach Art. 3 Abs. 6 noch nach einer anderen Bestimmung dieser Verordnung setzt die Geltung der Gruppenfreistellung hingegen voraus, dass die Einschaltung des unabhängigen Sachverständigen, Schiedsrichters oder Gerichts vor dem Wirksamwerden der Kündigung erfolgt oder dass dadurch deren Wirkungen ausgesetzt werden, bis eine Entscheidung über die Rechtswirksamkeit dieser Kündigung ergangen ist.

28 Aus dem Vorstehenden ergibt sich daher, dass die Verordnung Nr. 1400/2002 den Parteien einer in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallenden Vereinbarung nicht verbietet, eine ausdrückliche Kündigungsklausel wie die im Ausgangsverfahren streitige vorzusehen (vgl. in diesem Sinn Urteil des Gerichtshofes vom 30. April 1998, Cabour, C-30/96, Slg. 1998, I-2055, Randnr. 37). Folglich beurteilt sich die Gültigkeit einer solchen Klausel nicht nach dieser Verordnung, sondern allein nach dem nationalen Recht.

29 Da es sich jedoch um die Kündigung einer Vereinbarung handelt, die in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1400/2002 fällt, ist zu berücksichtigen, dass nach deren Art. 3 Abs. 4 die Gruppenfreistellung nur unter der Voraussetzung gilt, dass in der Vereinbarung vorgesehen ist, dass der Lieferant diese Vereinbarung nur schriftlich kündigen kann und die Kündigung eine ausführliche Begründung enthalten muss, die objektiv und transparent ist, um - wie aus dem Wortlaut dieser Vorschrift selbst hervorgeht - einen Lieferanten daran zu hindern, eine Vereinbarung wegen Verhaltensweisen zu beenden, die nach dieser Verordnung nicht eingeschränkt werden dürfen. Ein solcher Fall läge nach dem neunten Erwägungsgrund der Verordnung vor, wenn ein Lieferant eine Vereinbarung deshalb kündigt, weil der Händler ein wettbewerbsförderndes Verhalten annimmt, beispielsweise aktiv oder passiv an ausländische Verbraucher verkauft.

30 Folglich setzt - wie sowohl CMG als auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vortragen und im Übrigen auch Citroën selbst einräumt - die Geltung der mit der Verordnung Nr. 1400/2002 eingeführten Gruppenfreistellung im Fall der Kündigung einer Vereinbarung durch den Lieferanten aufgrund einer ausdrücklichen Kündigungsklausel nicht nur voraus, dass der Lieferant die Gründe für diese Kündigung schriftlich angibt, sondern auch, dass der unabhängige Sachverständige, der Schiedsrichter oder das nationale Gericht, die der Händler nach Art. 3 Abs. 6 dieser Verordnung anrufen kann, um die Rechtswirksamkeit der Kündigung anzufechten, in der Lage sein müssen, die Kündigungsgründe wirksam zu überprüfen.

31 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob das einschlägige nationale Recht im Fall der Kündigung einer Vereinbarung durch den Lieferanten aufgrund einer ausdrücklichen Kündigungsklausel eine solche wirksame Überprüfung gewährleistet.

32 In Anbetracht des mit Art. 3 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1400/2002 verfolgten Zieles muss der Sachverständige, der Schiedsrichter oder das Gericht, damit eine solche Überprüfung wirksam ist, zumindest prüfen können, ob die Gründe für die vom Lieferanten ausgesprochene Kündigung nicht in Verhaltensweisen des Händlers liegen, die nach dieser Verordnung nicht eingeschränkt werden dürfen.

33 Bei Nichterfüllung der in Art. 3 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1400/2002 genannten Voraussetzung für die Geltung der Gruppenfreistellung durch einen Lieferanten muss das nationale Gericht ferner in der Lage sein, daraus die Schlussfolgerungen nach nationalem Recht zu ziehen, und zwar sowohl für die Gültigkeit der streitigen Vereinbarung im Hinblick auf Art. 81 EG als auch für den Ersatz des dem Händler möglicherweise entstandenen Schadens, wenn zwischen diesem Schaden und einem gegen Artikel 81 EG verstoßenden Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 20. September 2001, Courage und Crehan, C-453/99, Slg. 2001, I-6297, Randnr. 26, und vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a., C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-0000, Randnrn. 60, 61 und 90).

34 Hinsichtlich der Frage, ob die Einschaltung eines unabhängigen Sachverständigen, eines Schiedsrichters oder eines nationalen Gerichts vor der Kündigung erfolgen muss oder ob deren Wirkungen bis zu einer Entscheidung über die Rechtswirksamkeit einer solchen Kündigung ausgesetzt werden müssen, fehlt eine einschlägige Gemeinschaftsregelung, da die Verordnung Nr. 1400/2002, wie sich aus Randnr. 27 des vorliegenden Urteils ergibt, kein solches Erfordernis enthält. Die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Rechtsbehelfsverfahren, die den Schutz der dem Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, ist deshalb Aufgabe des Rechts des einzelnen Mitgliedstaats, wobei diese Verfahren nicht weniger günstig ausgestaltet sein dürfen als bei entsprechenden Rechtsbehelfen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. u. a. Urteile Courage und Crehan, Randnr. 29, sowie Manfredi u. a., Randnrn. 62 und 71).

35 Nach dem Äquivalenzgrundsatz darf ein unabhängiger Sachverständiger, ein Schiedsrichter oder ein nationales Gericht, das die Wirksamkeit einer aufgrund einer ausdrücklichen Kündigungsklausel ausgesprochenen Kündigung anhand des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts beurteilen soll, dann nicht verpflichtet werden, sich vor dieser Kündigung einzuschalten, wenn - wie die Parteien des Ausgangsverfahrens während der mündlichen Verhandlung in Beantwortung der Fragen des Gerichtshofs im Wesentlichen ausgeführt haben - eine solche vorherige Einschaltung bei einer Überprüfung der Wirksamkeit einer solchen Kündigung anhand entsprechender Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts nicht erforderlich ist. Auch die Bedingungen für Eilverfahren im Rahmen von Verfahren, die auf das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht gestützt werden, scheinen nicht weniger günstig zu sein als die, die bei entsprechenden auf das innerstaatliche Recht gestützten Verfahren gelten; allerdings bedarf dieser Aspekt einer Überprüfung durch das vorlegenden Gericht.

36 Was den Effektivitätsgrundsatz betrifft, so muss die Wirksamkeit der Gründe einer auf eine ausdrückliche Kündigungsklausel gestützten Kündigung im Hinblick auf die Verordnung Nr. 1400/2002 einer Überprüfung unterzogen werden, die die in den Randnrn. 29 bis 33 des vorliegenden Urteils aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Dadurch, dass mit einer solchen Klausel die vorherige Einschaltung eines unabhängigen Sachverständigen, Schiedsrichters oder nationalen Gerichts ausgeschlossen wird und die Wirkungen der Kündigung nicht bis zu einer Entscheidung über deren Rechtswirksamkeit ausgesetzt werden, wird demnach die Ausübung der durch diese Verordnung verliehenen Rechte nicht übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich gemacht.

37 Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1400/2002 dahin auszulegen ist, dass die in Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene Gruppenfreistellung nicht allein deshalb nicht für eine in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallende Vereinbarung gilt, weil diese Vereinbarung eine ausdrückliche Kündigungsklausel wie die im Ausgangsverfahren streitige vorsieht, nach der eine solche Vereinbarung vom Lieferanten von Rechts wegen und ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden kann, wenn der Händler eine der in dieser Klausel genannten vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt.

Kostenentscheidung:

Kosten

38 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 3 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor ist dahin auszulegen, dass die in Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene Gruppenfreistellung nicht allein deshalb nicht für eine in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallende Vereinbarung gilt, weil diese Vereinbarung eine ausdrückliche Kündigungsklausel wie die im Ausgangsverfahren streitige vorsieht, nach der eine solche Vereinbarung vom Lieferanten von Rechts wegen und ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden kann, wenn der Händler eine der in dieser Klausel genannten vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt.



Ende der Entscheidung

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