Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.05.1999
Aktenzeichen: C-425/97
Rechtsgebiete: Richtlinie 83/189/EWG, EGV


Vorschriften:

Richtlinie 83/189/EWG
EGV Art. 234
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Eine nationale Regelung, wonach verboten ist, Stoffe mit sympathikusstimulierender Wirkung an Mastrinder zu verabreichen, die älter als 14 Wochen sind, und Mastrinder, denen solche Stoffe verabreicht wurden, zu halten, vorrätig zu halten, zu kaufen oder zu verkaufen, stellt eine technische Spezifikation im Sinne von Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 83/189 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften dar. Eine solche Regelung definiert nämlich die Produktionsmethoden und -verfahren für landwirtschaftliche Erzeugnisse für Nahrungsmittel. Sie stellt somit eine technische Vorschrift im Sinne von Artikel 1 Nummer 5 dieser Richtlinie dar; der Mitgliedstaat, der sie erlassen hat, ist aber gemäß Artikel 10 der Richtlinie von der Verpflichtung zur Mitteilung an die Kommission aus Artikel 8 der Richtlinie befreit, da er mit dem Erlaß dieser Regelung Verpflichtungen aus der Richtlinie 86/469 über die Untersuchung von Tieren und von frischem Fleisch auf Rückstände erfuellt hat.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 11. Mai 1999. - Strafverfahren gegen Adrianus Albers (C-425/97), Martinus van den Berkmortel (C-426/97) und Leon Nuchelmans (C-427/97). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Gerechtshof 's-Hertogenbosch - Niederlande. - Richtlinie 83/189/EWG - Technische Vorschriften - Übermittlungspflicht - Verbot von Stoffen mit wachstumsfördernder Wirkung. - Verbundene Rechtssachen C-425/97 bis C-427/97.

Entscheidungsgründe:

1 Der Gerechtshof Herzogenbusch hat mit drei Beschlüssen vom 11. November 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Dezember 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. L 109, S. 8) in der durch die Richtlinie 88/182/EWG des Rates vom 22. März 1988 (ABl. L 81, S. 75) geänderten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in Strafverfahren, die bei dem vorlegenden Gericht gegen die Angeklagten Albers, Van den Berkmortel und Nuchelmans anhängig sind; diese werden beschuldigt, Mastrinder gehalten zu haben, denen Clenbuterol enthaltende Stoffe mit sympathikusstimulierender Wirkung verabreicht wurden.

3 Die Verordening Stoffen met sympathico mimetische werking (PVV) 1991 (Verordnung über Stoffe mit sympathikusstimulierender Wirkung; im folgenden: Verordnung), die von der Direktion der Produktschap voor Vee en Vlees (öffentlich-rechtliche Einrichtung für Vieh und Fleisch) erlassen und vom Landwirtschaftsminister genehmigt wurde, enthält in Artikel 1 eine Definition der Stoffe mit sympathikusstimulierender Wirkung. Clenbuterol gehört zu diesen Stoffen.

4 Artikel 2 der Verordnung lautet: "Es ist verboten, Tierarzneimittel mit sympathikusstimulierender Wirkung, die Clenbuterol enthalten, Mastrindern zu verabreichen, die älter als 14 Wochen sind, oder die Verabreichung solcher Tierarzneimittel an solche Mastrinder zuzulassen."

5 Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung lautet: "Es ist verboten, Mastrinder, denen unter Verstoß gegen Artikel 2 in dieser Bestimmung aufgeführte Stoffe mit sympathikusstimulierender Wirkung verabreicht wurden, zu halten, vorrätig zu halten, zu kaufen oder zu verkaufen."

6 Nach Artikel 1 Nummer 5 der Richtlinie 83/189 stellen eine "technische Vorschrift" im Sinne dieser Richtlinie dar: "Technische Spezifikationen einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung de jure oder de facto für die Vermarktung oder Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem grossen Teil dieses Staates verbindlich ist, ausgenommen die von den örtlichen Behörden festgelegten technischen Spezifikationen." Nach Artikel 1 Nummer 1 ist unter "technische Spezifikation" im Sinne der Richtlinie 83/189 eine Spezifikation zu verstehen, "die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale eines Erzeugnisses vorschreibt,... sowie Produktionsmethoden und -verfahren für landwirtschaftliche Erzeugnisse im Sinne von Artikel 38 Absatz 1 des Vertrages, für Nahrungs- und Futtermittel..."

7 Die Artikel 8 und 9 der Richtlinie 83/189 verpflichten die Mitgliedstaaten, der Kommission die Entwürfe technischer Vorschriften, die in ihren Geltungsbereich fallen, zu übermitteln, und in bestimmten Fällen, den Erlaß dieser Entwürfe um mehrere Monate zu verschieben, um der Kommission die Möglichkeit zu geben, zu prüfen, ob diese Entwürfe mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, bzw. eine Richtlinie zu der Frage vorzuschlagen oder zu erlassen.

8 In Artikel 10 der Richtlinie 83/189 ist bestimmt: "Die Artikel 8 und 9 gelten nicht, wenn die Mitgliedstaaten Verpflichtungen aufgrund von Gemeinschaftsrichtlinien erfuellen."

9 Der Gerichtshof hat die Richtlinie 83/189 in seinem Urteil vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-194/94 (CIA Security International, Slg. 1996, I-2201, Randnr. 54; im folgenden: Urteil CIA Security) dahin ausgelegt, daß ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht aus den Artikeln 8 und 9 der Richtlinie zur Unanwendbarkeit der betreffenden technischen Vorschriften führt, so daß sie Einzelpersonen nicht entgegengehalten werden können. Er hat daher festgestellt, daß sich einzelne vor dem nationalen Gericht auf die Artikel 8 und 9 der Richtlinie 83/189 berufen können und daß dieses eine nationale technische Vorschrift, die nicht gemäß der Richtlinie mitgeteilt wurde, nicht anwenden darf.

10 Das Vorhandensein von Clenbuterol wurde in Urinproben von Rindern festgestellt, die sich in den Betrieben der drei Angeklagten, Viehhalter in den Niederlanden, befanden. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb Anklage wegen Verstosses gegen die Verordnung erhoben.

11 Im ersten Rechtszug wurden die Angeklagten Albers und Van den Berkmortel vom Economische Politierechter (Wirtschaftsstrafrichter) der Arrondissementsrechtbank Herzogenbusch mit Urteilen vom 14. Dezember 1995 und der Angeklagte Nuchelmans von der Economische Kamer (Kammer für Wirtschaftssachen) der Arrondissementsrechtbank Maastricht mit Urteil vom 6. Juni 1996 wegen Besitzes von Mastrindern, denen Clenbuterol enthaltende Stoffe mit sympathikusstimulierender Wirkung verabreicht worden waren, verurteilt. Die Angeklagten legten gegen diese Urteile Rechtsmittel beim Gerechtshof Herzogenbusch ein.

12 Aus den Vorlagebeschlüssen geht hervor, daß die Angeklagten im Rechtsmittelverfahren unter Berufung auf das Urteil CIA Security geltend machen, die Verordnung, die technische Vorschriften enthalte und der Kommission nicht mitgeteilt worden sei, könne "nicht berücksichtigt werden".

13 Daher hat das nationale Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof in sämtlichen Ausgangsverfahren die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Enthält die Verordening Stoffen met sympathico mimetische werking (PVV) 1991, insbesondere ihr Artikel 3 Absatz 1, technische Vorschriften, die gemäß Artikel 8 der Richtlinie 83/189/EWG in der im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung geltenden Fassung der Kommission vorab hätten mitgeteilt werden müssen?

14 Die drei Rechtssachen sind mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 26. Januar 1998 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

15 Das nationale Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob eine Vorschrift von der Art des Artikels 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 der Verordnung eine technische Vorschrift im Sinne der Richtlinie 83/189 darstellt und ob der Mitgliedstaat, der eine solche Vorschrift erlassen hat, gegebenenfalls gemäß Artikel 10 der Richtlinie von der Verpflichtung zur Mitteilung an die Kommission aus Artikel 8 der Richtlinie befreit ist.

16 Zum ersten Teil der Frage ist mit der niederländischen Regierung und der Kommission festzustellen, daß Vorschriften der im vorliegenden Fall in Rede stehenden Art, die die Verabreichung von Stoffen mit sympathikusstimulierender Wirkung an Mastrinder verhindern sollen, die älter als 14 Wochen sind, technische Spezifikationen im Sinne von Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 83/189 darstellen.

17 Solche Vorschriften definieren nämlich die Produktionsmethoden und -verfahren für landwirtschaftliche Erzeugnisse im Sinne von Artikel 38 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 32 Absatz 1 EG) für Nahrungsmittel.

18 Da sie ferner von nationalen Verwaltungsbehörden festgelegt wurden, im gesamten niederländischen Hoheitsgebiet Anwendung finden und für ihre Adressaten verbindlich sind, handelt es sich um technische Vorschriften im Sinne von Artikel 1 Nummer 5 der Richtlinie 83/189.

19 Zum zweiten Teil der Vorlagefrage machen die niederländische und die irische Regierung sowie die Kommission geltend, daß die niederländischen Behörden nach Artikel 10 der Richtlinie 83/189 nicht verpflichtet gewesen seien, der Kommission die in Rede stehende technische Vorschrift mitzuteilen, da sie bei deren Erlaß nur ihre Verpflichtungen aus Gemeinschaftsrichtlinien erfuellt hätten.

20 In diesem Zusammenhang ist mit der Kommission insbesondere auf die Richtlinie 86/469/EWG des Rates vom 16. September 1986 über die Untersuchung von Tieren und von frischem Fleisch auf Rückstände (ABl. L 275, S. 36) zu verweisen, die auf Rinder Anwendung findet.

21 Nach ihrer achten Begründungserwägung dient die Richtlinie 86/469, wie die Kommission ausgeführt hat, insbesondere dazu, daß zur Feststellung und Beseitigung der Ursache von Rückständen in den Tieren und im Frischfleisch gemeinsame Kontrollmaßnahmen getroffen werden, die sicherstellen, daß Fleisch, das mehr Rückstände enthält als zulässig, für genussuntauglich erklärt wird. In diesem Sinne verpflichtet Artikel 9 Absatz 3 Buchstabe b die zuständigen Behörden, dafür zu sorgen, daß "in Fällen, in denen die Untersuchung das Vorhandensein verbotener Stoffe ergibt, die Tiere nicht für den Verbrauch durch Menschen oder Tiere in den Verkehr gebracht werden dürfen".

22 Die Richtlinie 86/469 zählt in ihrem Anhang I die von ihr erfassten Rückständegruppen auf. Clenbuterol gehört zu Abschnitt B, "Spezifische Gruppen", Gruppe I, "andere Arzneimittel", Untergruppe c, "andere Tierarzneimittel".

23 Somit hat die niederländische Regierung mit dem Verbot, Mastrindern, die älter als 14 Wochen sind, Clenbuterol zu verabreichen, und Mastrinder, die älter als 14 Wochen sind und denen dieser Stoff verabreicht wurde, zu halten, vorrätig zu halten, zu kaufen oder zu verkaufen, Verpflichtungen aus der Richtlinie 86/469 erfuellt.

24 Nach allem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß eine Vorschrift der in Rede stehenden Art eine technische Vorschrift im Sinne der Richtlinie 83/189 darstellt, daß aber der Mitgliedstaat, der sie erlassen hat, gemäß Artikel 10 der Richtlinie von der Mitteilungspflicht aus Artikel 8 der Richtlinie befreit ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Die Auslagen der niederländischen und der irischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Gerechtshof Herzogenbusch mit Beschlüssen vom 11. November 1997 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Eine Vorschrift von der Art des Artikels 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 der Verordening Stoffen met sympathico mimetische werking (PVV) 1991 stellt eine technische Vorschrift im Sinne der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften in der durch die Richtlinie 88/182/EWG des Rates vom 22. März 1988 geänderten Fassung dar. Der Mitgliedstaat, der sie erlassen hat, ist gemäß Artikel 10 der Richtlinie von der Mitteilungspflicht aus Artikel 8 der Richtlinie befreit.

Ende der Entscheidung

Zurück