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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.01.2002
Aktenzeichen: C-43/00
Rechtsgebiete: Richtlinie 90/434/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 90/434/EWG Art. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Gerichtshof ist für die Auslegung der Bestimmungen einer Richtlinie gemäß Artikel 234 EG auch dann zuständig, wenn sie zwar den fraglichen Sachverhalt nicht unmittelbar regeln, der nationale Gesetzgeber sich aber bei der Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht dafür entschieden hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und unter die Richtlinie fallende Sachverhalte gleich zu behandeln, und deshalb die für rein innerstaatliche Sachverhalte geltenden Rechtsvorschriften dem Gemeinschaftsrecht angeglichen hat.

Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Gemeinschaftsrecht getroffenen Regelungen, um insbesondere zu verhindern, dass es zu Benachteiligungen der eigenen Staatsangehörigen oder zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, so besteht nämlich ein klares Interesse der Gemeinschaft daran, dass die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern.

( vgl. Randnrn. 17-19 )

2. Artikel 2 Buchstaben c und i der Richtlinie 90/434 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, dass eine Einbringung von Unternehmensteilen im Sinne der Richtlinie nicht vorliegt, wenn im Rahmen einer Übertragung der Betrag eines von der einbringenden Gesellschaft aufgenommenen Darlehens bei dieser verbleiben und die entsprechende Darlehensschuld auf die übernehmende Gesellschaft übertragen werden soll. Eine Einbringung von Unternehmensteilen im Sinne der Richtlinie liegt nämlich nur vor, wenn die aktiven und passiven Wirtschaftsgüter eines Teilbetriebs in ihrer Gesamtheit übertragen werden.

Dabei ist unbeachtlich, dass die einbringende Gesellschaft eine kleine Anzahl von Aktien einer dritten Gesellschaft behält, denn dies schließt die Übertragung eines mit dieser Beteiligung nicht zusammenhängenden Teilbetriebs nicht aus.

( vgl. Randnrn. 24-25, 28-29, Tenor 1 )

3. Die Frage, ob eine Einbringung von Unternehmensteilen einen selbständigen Betrieb im Sinne von Artikel 2 Buchstabe i der Richtlinie 90/434, d. h. eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Gesamtheit von Wirtschaftsgütern, betrifft, ist in erster Linie unter einem funktionellen Aspekt - die übertragenen Unternehmensteile müssen als selbständiges Unternehmen funktionsfähig sein, ohne dass sie hierfür zusätzlicher Investitionen oder Einbringungen bedürfen - und erst in zweiter Linie unter einem finanziellen Aspekt zu beurteilen, wobei diese Beurteilung anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls dem nationalen Gericht obliegt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der übernehmenden Gesellschaft zur Deckung ihres künftigen Liquiditätsbedarfs von einem Kreditinstitut ein Betriebskredit zu gewähren ist, für den die das Gesellschaftskapital dieser Gesellschaft bildenden Aktien als Sicherheit zu stellen sind.

( vgl. Randnrn. 35, 37-38, Tenor 2 )


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 15. Januar 2002. - Andersen og Jensen ApS gegen Skatteministeriet. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Vestre Landsret - Dänemark. - Rechtsangleichung - Richtlinie 90/434/EWG - Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen - Einbringung von Unternehmensanteilen oder eines Teilbetriebs - Begriffe. - Rechtssache C-43/00.

Parteien:

In der Rechtssache C-43/00

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Vestre Landsret (Dänemark) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Andersen og Jensen ApS

gegen

Skatteministeriet

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 2 Buchstaben c und i der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1),

erlässt

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter S. von Bahr, A. La Pergola, L. Sevón und C. W. A. Timmermans,

Generalanwalt: A. Tizzano

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Andersen og Jensen ApS, vertreten durch M. Serup, advokat,

- des Skatteministeriet und der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten im Beistand von K. Lundgaard Hansen, advokat,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. P. Hartvig und H. Michard als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Andersen og Jensen ApS, des Skatteministeriet, der dänischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 27. Juni 2001,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. September 2001,ss

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Der Vestre Landsret hat mit Beschluss vom 9. Februar 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Februar 2000, gemäß Artikel 234 EG vier Fragen nach der Auslegung von Artikel 2 Buchstaben c und i der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1, im Folgenden: Richtlinie), zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft Andersen og Jensen ApS und dem Skatteministeriet (dänisches Finanzministerium) wegen der steuerlichen Behandlung der Einbringung von Unternehmensteilen.

Rechtlicher Rahmen des Ausgangsrechtsstreits

Gemeinschaftsrecht

3 Mit der Richtlinie wurde eine gemeinsame steuerliche Regelung für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensanteilen und den Austausch von Anteilen unter Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten geschaffen. Laut der vierten Begründungserwägung der Richtlinie muss diese Regelung eine Besteuerung anlässlich einer Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder eines Austauschs von Anteilen vermeiden und zugleich die finanziellen Interessen des Staates der einbringenden oder erworbenen Gesellschaft wahren.

4 Artikel 2 der Richtlinie bestimmt:

"Im Sinne dieser Richtlinie ist

...

c) "Einbringung von Unternehmensteilen" der Vorgang, durch den eine Gesellschaft, ohne aufgelöst zu werden, ihren Betrieb insgesamt oder einen oder mehrere Teilbetriebe in eine andere Gesellschaft gegen Gewährung von Anteilen am Gesellschaftskapital der übernehmenden Gesellschaft einbringt;

...

i) "Teilbetrieb" die Gesamtheit der in einem Unternehmensteil einer Gesellschaft vorhandenen aktiven und passiven Wirtschaftsgüter, die in organisatorischer Hinsicht einen selbständigen Betrieb, d. h. eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Einheit, darstellen."

5 Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie, der gemäß Artikel 9 der Richtlinie auch für die Einbringung von Unternehmensteilen gilt, lautet:

"Die Fusion oder die Spaltung darf keine Besteuerung des Unterschieds zwischen dem tatsächlichen Wert und dem steuerlichen Wert des übertragenen Aktiv- und Passivvermögens auslösen. Dabei ist

- "steuerlicher Wert" der Wert, der für die Ermittlung des Einkommens, Gewinns oder Verlustes oder von Wertsteigerungen der einbringenden Gesellschaft zugrunde gelegt worden wäre, wenn das Vermögen gleichzeitig mit der Fusion oder der Spaltung, aber unabhängig davon, veräußert worden wäre;

- "übertragenes Aktiv- und Passivvermögen" das Aktiv- und Passivvermögen der einbringenden Gesellschaft, das nach der Fusion oder der Spaltung tatsächlich einer Betriebsstätte der übernehmenden Gesellschaft im Staat der einbringenden Gesellschaft zugerechnet wird und zur Erzielung des steuerlich zu berücksichtigenden Ergebnisses dieser Betriebsstätte beiträgt."

Nationales Recht

6 § 15c des dänischen Fusionssteuergesetzes (Fusionsskattelov, Lovbekendtgørelse Nr. 954 vom 5. November 1996) bestimmt:

"(1) Bei der Einbringung von Unternehmensteilen können die Gesellschaften nach § 15d besteuert werden, wenn sowohl die einbringende als auch die übernehmende Gesellschaft unter den Begriff der Gesellschaft eines Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 3 der Richtlinie 90/434/EWG fallen. Diese Besteuerung setzt eine Genehmigung durch den Ligningsråd voraus. Der Ligningsråd kann die Genehmigung mit Auflagen erteilen.

(2) Unter Einbringung von Unternehmensteilen ist der Vorgang zu verstehen, durch den eine Gesellschaft, ohne aufgelöst zu werden, ihren Betrieb insgesamt oder einen oder mehrere Teilbetriebe in eine andere Gesellschaft gegen Gewährung von Anteilen am Gesellschaftskapital der übernehmenden Gesellschaft einbringt. Unter Teilbetrieb ist die Gesamtheit der in einem Unternehmensteil einer Gesellschaft vorhandenen aktiven und passiven Wirtschaftsgüter zu verstehen, die in organisatorischer Hinsicht einen selbständigen Betrieb, d. h. eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Einheit, darstellen."

7 Aus den Vorarbeiten zum dänischen Fusionssteuergesetz (Folketingstidende 1991/92, Tillæg A, Spalten 495 und 514) ergibt sich u. a.:

"Zweck des Gesetzentwurfs ist es, die Änderungen in der dänischen Steuergesetzgebung durchzuführen, die zur Umsetzung der Fusionssteuerrichtlinie erforderlich sind.

Der Gesetzentwurf bezweckt ferner, entsprechend den Bestimmungen der Fusionssteuerrichtlinie auch Spaltungen, Einbringungen von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen zu regeln, die Gesellschaften betreffen, die alle in Dänemark ansässig sind.

...

Die "Einbringung von Unternehmensteilen" wird in § 15c Absatz 2 wie in Artikel 2 Buchstabe c der Fusionssteuerrichtlinie definiert. Der Teilbetrieb wird wie in Artikel 2 Buchstabe i der Fusionssteuerrichtlinie definiert."

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

8 Laut dem Vorlagebeschluss war die Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin) ursprünglich eine Aktiengesellschaft dänischen Rechts mit der Bezeichnung Randers Sport A/S, die Großhandel und Einzelhandel mit Sportausrüstungen betrieb. Im Jahr 1996 gründeten ihre Aktionäre, um einen Generationswechsel durchzuführen, eine neue Gesellschaft, die Randers Sport Nyt A/S, auf die der Geschäftsbetrieb übertragen werden sollte. Aus den Akten geht hervor, dass das Aktienkapital der Randers Sport A/S 300 000 DKK und das der Randers Sport Nyt A/S 500 000 DKK betrug. Da die Aktionäre das bestehende Eigenkapital im Wesentlichen vor Ansprüchen aus dem künftigen Geschäftsbetrieb schützen und es bei der Klägerin belassen wollten, nahm diese ein Darlehen über 10 Millionen DKK auf, dessen Betrag ihr zukommen sollte, während die entsprechende Geldschuld von der Randers Sport Nyt A/S getragen werden sollte. Weiterhin sollte der Liquiditätsbedarf der Randers Sport Nyt A/S durch den Betriebskredit eines Kreditinstituts gedeckt werden, das zur Kreditsicherung ein Pfandrecht an sämtlichen das Gesellschaftskapital der Randers Sport Nyt A/S bildenden Aktien verlangen sollte. Außerdem war geplant, dass die Klägerin eine kleine Anzahl von Aktien einer dritten Gesellschaft, die sich seinerzeit in Konkurs befand, behalten sollte.

9 Mit Schreiben vom 6. Juni 1996 beantragte die Klägerin beim Ligningsråd, der dänischen obersten Verwaltungsbehörde für verschiedene steuerrechtliche Angelegenheiten, eine Genehmigung für die geplante steuerfreie Einbringung von Unternehmensteilen gemäß den §§ 15c und 15d des dänischen Fusionssteuergesetzes.

10 Mit Schreiben vom 20. November 1996 teilte der Ligningsråd mit, dass die beantragte Genehmigung unter zwei kumulativen Auflagen erteilt werde:

- Das Darlehenskapital in Höhe von 10 Millionen DKK müsse mit der entsprechenden Darlehensschuld entweder zusammen in der einbringenden Gesellschaft verbleiben oder zusammen auf die übernehmende Gesellschaft übertragen werden;

- weder die einbringende Gesellschaft noch die persönlichen Hauptaktionäre, noch Dritte dürften Sicherheiten in Form von Kautionen, Pfandrechten, Bürgschaften oder in anderer Form zugunsten der übernehmenden Gesellschaft stellen.

11 Am 15. März 1997 erhob die Klägerin beim Vestre Landsret Klage gegen den Skatteministeriet, um die Rechtmäßigkeit der vom Ligningsråd gemachten Auflagen überprüfen zu lassen.

12 Nach Auffassung des Vestre Landsret hängt die Entscheidung des Rechtsstreits, auch wenn dieser in einem rein nationalen Kontext stehe, von der Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften ab. Er verweist insoweit auf die Vorarbeiten und den Wortlaut der einschlägigen Vorschriften des dänischen Fusionssteuergesetzes, denen zu entnehmen sei, dass der dänische Gesetzgeber eine einheitliche Anwendung dieser Vorschriften bei innerstaatlichen Vorgängen und solchen, die mehrere Mitgliedstaaten beträfen, gewünscht habe. Wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-28/95 (Leur-Bloem, Slg. 1997, I-4161) ergebe, sei unter diesen Umständen der Gerichtshof für eine Vorabentscheidung zuständig.

13 Der Vestre Landsret hat deshalb das Ausgangsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die Richtlinie 90/434/EWG (Fusionssteuerrichtlinie) so zu verstehen, dass es gegen ihre Bestimmungen, insbesondere gegen ihren Artikel 2 Buchstaben c und i, verstößt, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats es ablehnen, eine Maßnahme unter die Bestimmungen der Richtlinie über die Einbringung von Unternehmensteilen zu subsumieren, wenn im Rahmen des betreffenden Vorgangs das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der einbringenden Gesellschaft mit Ausnahme eines kleineren Aktienpakets und des Kapitals eines von der einbringenden Gesellschaft aufgenommenen Darlehens in eine andere Gesellschaft (übernehmende Gesellschaft) eingebracht wird?

2. Ist für die Beantwortung der ersten Frage von Bedeutung, dass davon auszugehen ist, dass die einbringende Gesellschaft das betreffende Darlehen aufgenommen hat, um den Nettowert des in die übernehmende Gesellschaft einzubringenden Aktiv- und Passivvermögens zu verringern, weil das Darlehenskapital in der einbringenden Gesellschaft verbleiben soll, während die Darlehensschuld von der übernehmenden Gesellschaft getragen werden soll?

3. Ist es für die Beantwortung der ersten Frage und/oder der zweiten Frage von Bedeutung, dass davon auszugehen ist, dass das betreffende Darlehen aufgenommen wurde, um für die bisherigen Mitarbeiter im Rahmen eines Generationswechsels im Unternehmen die Möglichkeit zu schaffen, die Zeichnung der Aktien der aufnehmenden Gesellschaft zu finanzieren?

4. Sind die Bestimmungen der Fusionssteuerrichtlinie, insbesondere ihr Artikel 2 Buchstabe i, dahin auszulegen, dass es gegen diese Bestimmungen verstößt, wenn als Bedingung für die Subsumtion einer Maßnahme unter die Bestimmungen der Richtlinie über die Einbringung von Unternehmensteilen festgesetzt wird, dass von der einbringenden Gesellschaft, den persönlichen Hauptaktionären oder einem Dritten keine Sicherheiten zugunsten der übernehmenden Gesellschaft gestellt werden, weil angegeben worden ist, dass der zukünftige Liquiditätsbedarf der übernehmenden Gesellschaft durch einen Betriebskredit eines Kreditinstituts finanziert werden soll, das die Einräumung eines Pfandrechts an den Aktien der übernehmenden Gesellschaft wünscht?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofes

14 Die dänische Regierung, die niederländische Regierung und die Kommission sind der Auffassung, dass der Gerichtshof nach den im Urteil Leur-Bloem niedergelegten Grundsätzen seine Zuständigkeit für die Beantwortung der Vorlagefragen bejahen müsse. Auch wenn der Ausgangssachverhalt nicht unmittelbar unter die Richtlinie falle, habe sich doch der dänische Gesetzgeber, wie aus den Vorarbeiten hervorgehe, dafür entschieden, rein innerstaatliche Sachverhalte und unter die Richtlinie fallende Sachverhalte gleich zu behandeln, und deshalb die Rechtsvorschriften für rein innerstaatliche Sachverhalte dem Gemeinschaftsrecht angeglichen.

15 Nach Artikel 234 EG entscheidet der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des EG-Vertrags und der Handlungen der Gemeinschaftsorgane.

16 Der Ausgangsrechtsstreit betrifft jedoch unstreitig eine nationale Rechtsvorschrift, die in einem rein nationalen Kontext anzuwenden ist.

17 Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass sich der dänische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht dafür entschieden habe, rein innerstaatliche Sachverhalte und unter die Richtlinie fallende Sachverhalte gleich zu behandeln; er habe deshalb die für rein innerstaatliche Sachverhalte geltenden Rechtsvorschriften dem Gemeinschaftsrecht angeglichen. Die Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit erfordere überdies eine Auslegung der Begriffe "Einbringung von Unternehmensteilen" und "Teilbetrieb" in ihrem gemeinschaftsrechtlichen Zusammenhang; diese Begriffe seien in der Richtlinie enthalten, sie seien in das nationale Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie übernommen worden, und ihre Geltung sei auf rein innerstaatliche Sachverhalte ausgeweitet worden.

18 Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Gemeinschaftsrecht getroffenen Regelungen, um insbesondere zu verhindern, dass es zu Benachteiligungen der eigenen Staatsangehörigen oder zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, so besteht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein klares Interesse der Gemeinschaft daran, dass die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (Urteil Leur-Bloem, Randnr. 32).

19 Der Gerichtshof ist demnach für die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie zuständig, auch wenn sie den Ausgangssachverhalt nicht unmittelbar regeln. Die vom Vestre Landsret vorgelegten Fragen sind daher zu beantworten.

Zur ersten, zweiten und dritten Frage

20 Mit der ersten, der zweiten und der dritten Frage, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 2 Buchstaben c und i der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine Einbringung von Unternehmensteilen im Sinne der Richtlinie vorliegt, wenn im Rahmen einer Übertragung der Betrag eines von der einbringenden Gesellschaft aufgenommenen Darlehens bei dieser verbleiben und die entsprechende Darlehensschuld auf die übernehmende Gesellschaft übertragen werden soll und zudem die einbringende Gesellschaft eine kleine Anzahl von Aktien einer dritten Gesellschaft behält.

21 Nach Meinung der Klägerin ist diese Frage zu bejahen. Es sei im Wesentlichen darauf abzustellen, ob die eingebrachten aktiven und passiven Wirtschaftsgüter einen selbständigen Betrieb darstellten, und nicht auf die genaue Art dieser Wirtschaftsgüter.

22 Nach Meinung der dänischen Regierung, der niederländischen Regierung und der Kommission sind die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie hingegen dahin auszulegen, dass zwischen dem Betrag eines Darlehens und der entsprechenden Verbindlichkeit keine Trennung vorgenommen werden dürfe. Das Verbot einer willkürlichen Aufspaltung dieser beiden Elemente ergebe sich aus dem Wortlaut von Artikel 2 Buchstaben c und i der Richtlinie, der von der Einbringung der Gesamtheit der einen Teilbetrieb bildenden aktiven und passiven Wirtschaftsgüter einerseits und von der Gewährung von Anteilen am Gesellschaftskapital als Gegenleistung andererseits spreche.

23 Die dänische Regierung verweist ferner auf Randnummer 36 des Urteils Leur-Bloem, wonach die Richtlinie für alle Vorgänge der Einbringung von Unternehmensteilen gelte, und zwar "ungeachtet dessen, ob ihre Gründe finanzieller, wirtschaftlicher oder rein steuerlicher Art sind".

24 Nach dem Wortlaut der Artikel 2 Buchstaben c und i und 4 Absatz 1 der Richtlinie fällt eine Einbringung von Unternehmensteilen nur dann unter die Richtlinie, wenn sie alle zu einem Teilbetrieb gehörenden aktiven und passiven Wirtschaftsgüter umfasst. Gemäß Artikel 2 Buchstabe i der Richtlinie kann nur eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Einheit einen solchen Teilbetrieb darstellen.

25 Wie der Generalanwalt in Nummer 22 seiner Schlussanträge dargelegt hat, hielt es der Gemeinschaftsgesetzgeber somit für erforderlich, dass die aktiven und passiven Wirtschaftsgüter eines Teilbetriebs in ihrer Gesamtheit übertragen werden. Verbleibt aber der Betrag eines von der einbringenden Gesellschaft aufgenommenen Darlehens von erheblicher Höhe bei dieser und wird die entsprechende Verbindlichkeit auf die übernehmende Gesellschaft übertragen, so bewirkt dies eine Trennung dieser Wirtschaftsgüter.

26 Es ist überdies festzustellen, dass die einbringende Gesellschaft und die übernehmende Gesellschaft im Ausgangssachverhalt das gleiche Ergebnis erzielt hätten, wenn die übernehmende Gesellschaft das Darlehen aufgenommen und anschließend die Unternehmensteile der einbringenden Gesellschaft gegen Übertragung ihrer eigenen Aktien sowie des Darlehenskapitals erworben hätte. Eine solche Übertragung, die teilweise gegen eine Geldleistung erfolgt wäre, wäre jedoch keine Einbringung von Unternehmensteilen im Sinne der Richtlinie.

27 Folglich sind hinsichtlich der im Ausgangsverfahren fraglichen Darlehensaufnahme die Anforderungen von Artikel 2 Buchstaben c und i der Richtlinie nicht erfuellt.

28 Was den Umstand anbelangt, dass die einbringende Gesellschaft eine kleine Anzahl von Aktien einer dritten Gesellschaft behalten hat, so genügt insoweit der vom Generalanwalt in Nummer 27 seiner Schlussanträge gegebene Hinweis, dass dies zwar die Übertragung des gesamten Geschäftsbetriebs der einbringenden Gesellschaft ausschließt, nicht aber die Übertragung eines Teilbetriebs ohne Bezug zu dieser Beteiligung.

29 Auf die erste, die zweite und die dritte Frage ist daher zu antworten, dass Artikel 2 Buchstaben c und i der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass eine Einbringung von Unternehmensteilen im Sinne der Richtlinie nicht vorliegt, wenn im Rahmen einer Übertragung der Betrag eines von der einbringenden Gesellschaft aufgenommenen Darlehens bei dieser verbleiben und die entsprechende Darlehensschuld auf die übernehmende Gesellschaft übertragen werden soll. Dabei ist unerheblich, dass die einbringende Gesellschaft ein kleine Anzahl von Aktien einer dritten Gesellschaft behält.

Zur vierten Frage

30 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 2 Buchstabe i der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein selbständiger Betrieb, d. h. eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Einheit, auch dann gegeben sein kann, wenn der künftige Liquiditätsbedarf der übernehmenden Gesellschaft durch einen Betriebskredit eines Kreditinstituts finanziert werden soll, das u. a. von den Aktionären der übernehmenden Gesellschaft verlangt, das Kapital dieser Gesellschaft bildende Aktien als Sicherheit zu stellen.

31 Die Klägerin und die Kommission machen geltend, aus Artikel 2 Buchstabe i der Richtlinie lasse sich nicht schließen, dass ein Vorgang notwendig dann nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie falle, wenn die Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft zur Sicherung eines dieser gewährten Darlehens ihre das Kapital der übernehmenden Gesellschaft bildenden Aktien verpfändeten.

32 Die Klägerin meint, aus der Bedingung, dass der eingebrachte Betrieb selbständig sein müsse, folge nur, dass die übernehmende Gesellschaft über Eigenkapital und Möglichkeiten der Darlehensaufnahme verfügen müsse, die ihre Lebensfähigkeit gewährleisteten. Die Steuerbehörde habe in jedem Einzelfall eine Gesamtwürdigung vorzunehmen.

33 Die dänische Regierung und die niederländische Regierung sind gleichfalls der Auffassung, dass die Frage, ob eine Gesellschaft aus eigenen Mitteln funktionsfähig sei, anhand der besonderen Umstände des Sachverhalts zu entscheiden sei. Im vorliegenden Fall scheine es, dass die übernehmende Gesellschaft wegen der hohen Verschuldung und der Verpfändung aller ihr Kapital bildenden Aktien nicht selbständig, d. h. aus ihren eigenen Mitteln, funktionsfähig sei.

34 Artikel 2 Buchstabe i der Richtlinie definiert den Begriff des Teilbetriebs als "die Gesamtheit der in einem Unternehmensteil einer Gesellschaft vorhandenen aktiven und passiven Wirtschaftsgüter, die in organisatorischer Hinsicht einen selbständigen Betrieb... darstellen".

35 Daraus folgt, dass das selbständige Funktionieren des Betriebes in erster Linie unter einem funktionellen Aspekt - die übertragenen Unternehmensteile müssen als selbständiges Unternehmen funktionsfähig sein, ohne dass sie hierfür zusätzlicher Investitionen oder Einbringungen bedürfen - und erst in zweiter Linie unter einem finanziellen Aspekt zu beurteilen ist. Dass eine übernehmende Gesellschaft zu normalen Marktbedingungen einen Bankkredit aufnimmt, schließt allein noch nicht aus, dass der eingebrachte Betrieb selbständig ist, selbst wenn das Darlehen von den Aktionären der übernehmenden Gesellschaft gesichert wird, die ihre Aktien an dieser Gesellschaft als Sicherheit für das gewährte Darlehen stellen.

36 Anders kann es sich jedoch verhalten, wenn die finanzielle Lage der übernehmenden Gesellschaft insgesamt den Schluss aufdrängt, dass sie sehr wahrscheinlich nicht aus eigenen Mitteln lebensfähig sein kann. Dies kann der Fall sein, wenn die Einkünfte der übernehmenden Gesellschaft im Verhältnis zu den Zinsen und Tilgungsraten der aufgenommenen Schulden unzureichend erscheinen.

37 Die anhand der besonderen Umstände jedes Einzelfalls vorzunehmende Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb selbständig ist, ist jedoch dem nationalen Gericht zu überlassen.

38 Auf die vierte Frage ist daher zu antworten, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob eine Einbringung von Unternehmensteilen einen selbständigen Betrieb im Sinne von Artikel 2 Buchstabe i der Richtlinie, d. h. eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Einheit, betrifft, wenn der künftige Liquiditätsbedarf der übernehmenden Gesellschaft durch einen Betriebskredit eines Kreditinstituts gedeckt werden soll, das u. a. von den Aktionären der übernehmenden Gesellschaft verlangt, das Gesellschaftskapital dieser Gesellschaft bildende Aktien als Sicherheit zu stellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

39 Die Auslagen der dänischen Regierung, der niederländischen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Vestre Landsret mit Beschluss vom 9. Februar 2000 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 2 Buchstaben c und i der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, dass eine Einbringung von Unternehmensteilen im Sinne der Richtlinie nicht vorliegt, wenn im Rahmen einer Übertragung der Betrag eines von der einbringenden Gesellschaft aufgenommenen Darlehens bei dieser verbleiben und die entsprechende Darlehensschuld auf die übernehmende Gesellschaft übertragen werden soll. Dabei ist unerheblich, dass die einbringende Gesellschaft ein kleine Anzahl von Aktien einer dritten Gesellschaft behält.

2. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob eine Einbringung von Unternehmensteilen einen selbständigen Betrieb im Sinne von Artikel 2 Buchstabe i der Richtlinie 90/434, d. h. eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Einheit, betrifft, wenn der künftige Liquiditätsbedarf der übernehmenden Gesellschaft durch einen Betriebskredit eines Kreditinstituts gedeckt werden soll, das u. a. von den Aktionären der übernehmenden Gesellschaft verlangt, das Gesellschaftskapital dieser Gesellschaft bildende Aktien als Sicherheit zu stellen.

Ende der Entscheidung

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