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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.03.1992
Aktenzeichen: C-43/90
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 79/831/EWG, VerfO Gerichtshof


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 169
Richtlinie 79/831/EWG Art. 5 Abs. 2
Richtlinie 79/831/EWG Art. 23 Abs. 1
VerfO Gerichtshof Art. 38 § 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag eingereichte Klageschrift entspricht nicht den in Artikel 19 der Satzung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften und Artikel 38 § 1 Buchstaben c und d der Verfahrensordnung geregelten Anforderungen, wonach sie den Streitgegenstand angeben sowie die Anträge und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muß, wenn die Rügen der Kommission darin nicht genau bezeichnet sind, sondern nur in Form einer blossen Bezugnahme auf die im Aufforderungsschreiben und in der mit Gründen versehenen Stellungnahme aufgeführten Gründe erscheinen.

2. Nach der Schutzklausel des Artikels 23 Absatz 1 der Richtlinie 79/831, mit der die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, das Inverkehrbringen gefährlicher Stoffe vorläufig zu untersagen oder besonderen Bedingungen zu unterwerfen, wenn diese aufgrund ihrer Einstufung, Verpackung oder Kennzeichnung eine Gefahr für den Menschen oder die Umwelt darstellen können, bestehen weder besondere Formerfordernisse im Hinblick auf die Unterrichtung der Kommission und der anderen Mitgliedstaaten über die erlassenen Maßnahmen noch eine Verpflichtung des diese Schutzklausel anwendenden Mitgliedstaats, in diese Maßnahmen einen ausdrücklichen Hinweis auf ihre Vorläufigkeit aufzunehmen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 13. MAERZ 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG EINES MITGLIEDSTAATS - KENNZEICHNUNG GEFAEHRLICHER STOFFE. - RECHTSSACHE C-43/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 15. Februar 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie die Bestimmungen des Artikels 5 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 23 Absatz 1 der Richtlinie 79/831/EWG des Rates vom 18. September 1979 zur sechsten Änderung der Richtlinie 67/548/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (ABl. L 259, S. 10) nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat und anwendet.

2 Der Vorwurf der Vertragsverletzung betrifft im wesentlichen zwei Punkte.

3 Erstens macht die Kommission geltend, daß die deutsche Gefahrstoffverordnung vom 26. August 1986 (BGBl. I, S. 1470), geänderte Fassung, für eine ganze Reihe von - vor dem 18. September 1981 in den Verkehr gebrachten - "Altstoffen" besondere Kennzeichnungspflichten begründe, während diese Stoffe nach Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 79/831 des Rates vom Hersteller selbstverantwortlich gekennzeichnet werden müssten.

4 Zweitens liegt nach Auffassung der Kommission eine Vertragsverletzung auch in bezug auf bestimmte krebserzeugende Stoffe vor, für die die deutsche Regierung geltend macht, sie habe die Kommission nach dem Verfahren gemäß Artikel 23 Absatz 1 der Richtlinie 79/831 über vorläufige zur Kennzeichnung dieser Stoffe getroffene Maßnahmen unterrichtet. Die Kommission sieht eine Vertragsverletzung darin, daß a) hinsichtlich dieser Stoffe keine förmliche Mitteilung im Sinne von Artikel 23 Absatz 1 der Richtlinie 79/831 erfolgt sei und b) in der streitigen deutschen Regelung nicht ausdrücklich darauf hingewiesen werde, daß es sich um eine vorläufige Maßnahme handele.

Zum ersten Punkt

5 Zur Abgrenzung der Tragweite der den ersten Punkt betreffenden Rügen ist die genaue Kenntnis der Liste der Stoffe unerläßlich, hinsichtlich deren die Kommission annimmt, daß die spezifische durch die fraglichen deutschen Rechtsvorschriften begründete Kennzeichnungspflicht gegen Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 79/831 verstösst.

6 Die Klageschrift enthält keinerlei derartige Liste; vielmehr wird dort wiederholt teils auf das Aufforderungsschreiben und die mit Gründen versehene Stellungnahme, teils auf eines dieser beiden Schriftstücke verwiesen und folgendes Ergebnis festgehalten: "Für sämtliche unter Ziffer 3 bis 5 des Fristsetzungsschreibens und II. Ziffer 5 bis 8 und 11 der mit Gründen versehenen Stellungnahme bezeichneten Stoffe verlangt somit die Gefahrstoffverordnung zu Unrecht eine bestimmte Kennzeichnung..."

7 Gemäß Artikel 19 des Protokolls über die EWG-Satzung des Gerichtshofes und Artikel 38 § 1 Buchstaben c und d der Verfahrensordnung muß eine beim Gerichtshof eingereichte Klageschrift u. a. den Streitgegenstand angeben sowie die Anträge und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten.

8 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-347/88 (Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-4747, Randnrn. 26 bis 30) entschieden hat, entspricht eine Klageschrift diesen Anforderungen nicht, wenn die Rügen der Kommission darin nicht genau bezeichnet sind, sondern eine Verurteilung nur "aus all den im Aufforderungsschreiben und in der mit Gründen versehenen Stellungnahme aufgeführten Gründen" begehrt wird.

9 Die Klage ist somit hinsichtlich des ersten Punkts, auf den sich die Rügen der Kommission beziehen, unzulässig.

Zum zweiten Punkt

10 Hinsichtlich des zweiten Punkts, auf den sich das Vorbringen der Kommission bezieht, räumt die Bundesregierung zwar ein, daß sie für bestimmte auf nationaler Ebene als krebserzeugend angesehene Stoffe vorläufig eine besondere Kennzeichnung vorgeschrieben habe, macht jedoch geltend, daß sie insoweit das Verfahren nach Artikel 23 Absatz 1 der Richtlinie 79/831 eingeleitet habe, indem sie der Kommission am 14. Juli 1989 und am 29. August 1989 zwei Listen mit 21 bzw. 42 Stoffen übermittelt habe.

11 Die Kommission räumt zwar ein, daß sie diese beiden Listen erhalten habe, führt aber aus, das Verfahren nach Artikel 23 Absatz 1 sei nicht ordnungsgemäß befolgt worden: Erstens habe sie die Mitteilung vom 29. August 1989 nicht auf offiziellem Weg erhalten, zweitens sei in der fraglichen deutschen Regelung die Vorläufigkeit der streitigen nationalen Maßnahmen nicht erwähnt.

12 Dem ersten Argument der Kommission ist nicht zu folgen. Nach der fraglichen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung bestehen nämlich keine besonderen Formerfordernisse; danach ist der betroffene Mitgliedstaat lediglich verpflichtet, der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten vorläufige nationale Maßnahmen unverzueglich mitzuteilen.

13 Das zweite Argument, mit dem geltend gemacht wird, daß in der beanstandeten Regelung ein ausdrücklicher Hinweis auf ihre Vorläufigkeit fehle, ist unbegründet. Artikel 23 der Richtlinie 79/831 schafft nämlich eine derartige Verpflichtung weder ausdrücklich noch stillschweigend. Im übrigen wäre ein Hinweis auf die Vorläufigkeit in einer nationalen Regelung ohne jeden Nutzen, da sich die Vorläufigkeit solcher Schutzmaßnahmen notwendig aus dem Verfahren nach Artikel 23 ergibt und die Dauer ihrer Geltung davon abhängig ist, wie rasch die für die Durchführung dieses Verfahrens zuständige Kommission handelt.

14 Die Klage ist demnach als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

15 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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