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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 31.05.2001
Aktenzeichen: C-43/99
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 1408/71/EWG, Verordnung Nr. 1612/68/EWG


Vorschriften:

Verordnung Nr. 1408/71/EWG Art. 77
Verordnung Nr. 1612/68/EWG Art. 7
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i und Anhang II der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung, wonach bestimmte besondere Geburts- und Adoptionsbeihilfen von den Familienbeihilfen" im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 ausgenommen sind, verstoßen nicht gegen die Artikel 48 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 42 EG), soweit sie es zulassen, die Gewährung der luxemburgischen vorgeburtlichen Beihilfe und der Geburtsbeihilfe vom Wohnort abhängig zu machen.

Dagegen ist Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung ungültig, soweit in dessen Punkt I. Luxemburg Buchstabe b die luxemburgische Mutterschaftsbeihilfe aufgeführt wird. Es verstößt nämlich gegen die Artikel 48 und 51 EG-Vertrag, dass diese Beihilfe als beitragsunabhängige, ausschließlich im Wohnmitgliedstaat gewährte Sonderleistung im Sinne des Artikels 10a der Verordnung Nr. 1408/71 in diese Vorschrift aufgenommen wurde. Die Gewährung einer solchen Leistung kann daher nicht vom Wohnort abhängig gemacht werden.

( vgl. Randnrn. 30, 37-38, Tenor 1-2 )

2. Eine Beihilfe wie die luxemburgische Erziehungsbeihilfe gehört nicht zu den Familienbeihilfen, die gemäß Artikel 77 der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung an Empfänger von Alters- oder Invaliditätsrenten, Renten wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ohne Rücksicht darauf zu zahlen sind, in welchem Mitgliedstaat sie wohnen. Diese Beihilfe entspricht nämlich nicht der Definition der Familienbeihilfen in Artikel 1 Buchstabe u Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71, da ihre Höhe unabhängig von der Zahl der Kinder ist, die im gleichen Haushalt aufwachsen.

( vgl. Randnrn. 43-44, Tenor 3 )

3. Der Empfänger einer Invaliditätsrente, der außerhalb des Mitgliedstaats wohnt, der diese Rente gewährt, kann aus Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung keinen Anspruch auf andere Familienleistungen als die in Artikel 77 dieser Verordnung genannten Familienbeihilfen herleiten.

( vgl. Randnr. 51, Tenor 4 )

4. Der Empfänger einer Invaliditätsrente, der in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen wohnt, der die Rente gewährt, ist kein Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 7 der Verordnung Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Ihm stehen mit dieser Eigenschaft zusammenhängende Ansprüche nur aufgrund seiner früheren beruflichen Tätigkeit zu.

( vgl. Randnr. 61, Tenor 5 )


Urteil des Gerichtshofes vom 31. Mai 2001. - Ghislain Leclere und Alina Deaconescu gegen Caisse nationale des prestations familiales. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Conseil supérieur des assurances sociales - Luxemburg. - Verordnungen (EWG) Nrn. 1408/71 und 1612/68 - Luxemburgische Mutterschafts-, Geburts- und Erziehungsbeihilfen - Wohnortvoraussetzung - Ansprüche eines Rentners, der nicht in dem für die Rente zuständigen Mitgliedstaat wohnt - Familienbeihilfen und Familienleistungen - Begriff des "Arbeitnehmers" und der "sozialen Vergünstigung". - Rechtssache C-43/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-43/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom luxemburgischen Conseil supérieur des assurances sociales in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Ghislain Leclere,

Alina Deaconescu

gegen

Caisse nationale des prestations familiales

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über zum einen die Auslegung der Artikel 48 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 42 EG), der Artikel 1 Buchstabe u, 10a, 73 und 77 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, sowie des Artikels 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) und zum anderen die Gültigkeit der Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i und 10a sowie der Anhänge II und IIa der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung

erlässt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann und A. La Pergola, der Richter D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet (Berichterstatter), P. Jann und R. Schintgen, der Richterin N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr, J. N. Cunha Rodrigues und C. W. A. Timmermans,

Generalanwalt: F. G. Jacobs

Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Abteilungsleiterin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- von Herrn Leclere und von Frau Deaconescu,

- der Caisse nationale des prestations familiales, vertreten durch A. Rodesch, avocat,

- der luxemburgischen Regierung, vertreten durch P. Steinmetz als Bevollmächtigten,

- der spanischen Regierung, vertreten durch M. López-Monís Gallego als Bevollmächtigte,

- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und R. Brasil de Brito als Bevollmächtigte,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Magrill als Bevollmächtigte im Beistand von D. Rose, Barrister,

- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch A. Lo Monaco und F. Anton als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Hillenkamp und H. Michard als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Kläger Leclere und Deaconescu, der Caisse nationale des prestations familiales, vertreten durch A. Rodesch, der spanischen Regierung, vertreten durch M. López-Monís Gallego, der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch N. Paine, QC, des Rates, vertreten durch A. Lo Monaco, und der Kommission, vertreten durch H. Michard, in der Sitzung vom 22. November 2000,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Februar 2001,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit Urteil vom 10. Februar 1999, das am 16. Februar 1999 beim Gerichtshof eingegangen ist, hat der Conseil supérieur des assurances sociales dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) fünf Fragen nach zum einen der Auslegung der Artikel 48 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 42 EG), der Artikel 1 Buchstabe u, 10a, 73 und 77 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1, im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) geänderten und aktualisierten Fassung, sowie des Artikels 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) und zum anderen der Gültigkeit der Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i und 10a sowie der Anhänge II und IIa der Verordnung Nr. 1408/71 zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen einer Klage des belgischen Staatsangehörigen Ghislain Leclere und seiner Ehefrau Alina Deaconescu gegen die Entscheidung der Caisse nationale des prestations familiales (im Folgenden: Caisse), einer luxemburgischen Einrichtung, die Anträge der Kläger auf Gewährung der luxemburgischen Mutterschafts-, Geburts- und Erziehungsbeihilfen für ihr am 13. März 1995 geborenes Kind abzulehnen; diese Entscheidung wurde damit begründet, dass die Kläger nicht in Luxemburg wohnten.

Rechtlicher Rahmen

Die Gemeinschaftsregelung

3 Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:

...

u) i) ,Familienleistungen: alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h) genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburts- oder Adoptionsbeihilfen".

4 Abschnitt II - Besondere Geburts- oder Adoptionsbeihilfen, die nach Artikel 1 Buchstabe u) Ziffer i) nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fallen - des Anhangs II der Verordnung Nr. 1408/71 nennt in seinem Punkt I. Luxemburg die vorgeburtlichen Beihilfen" und die Geburtsbeihilfen".

5 Nach Artikel 10a Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 erhalten die Personen, für die diese Verordnung gilt, die in Artikel 4 Absatz 2a aufgeführten beitragsunabhängigen Sonderleistungen in bar ausschließlich in dem Wohnmitgliedstaat gemäß dessen Rechtsvorschriften, sofern diese Leistungen in Anhang IIa aufgeführt sind".

6 Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 - Beitragsunabhängige Sonderleistungen - nennt in seinem Punkt I. Luxemburg Buchstabe b die Mutterschaftsbeihilfe (Gesetz von 30. April 1980)".

7 Nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 gilt diese Verordnung für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:... Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft". Nach Artikel 4 Absatz 2a Buchstabe a dieser Verordnung gilt sie auch für beitragsunabhängige Sonderleistungen, die unter andere als die in Absatz 1 erfassten... Rechtsvorschriften oder Systeme fallen, sofern sie... in Versicherungsfällen, die den in Absatz 1 Buchstaben a) bis h) aufgeführten Zweigen entsprechen, ersatzweise, ergänzend oder zusätzlich gewährt werden..."

8 Artikel 73, der zum Kapitel 7 - Familienleistungen - des Abschnitts III der Verordnung Nr. 1408/71 gehört, sieht vor, dass ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt,..., vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates [hat], als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten".

9 Nach Artikel 77 Absatz 1, der zum Kapitel 8 - Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und für Waisen - des Abschnitts III der Verordnung Nr. 1408/71 gehört, sind Leistungen im Sinne dieses Artikels... die Familienbeihilfen für Empfänger von Alters- oder Invaliditätsrenten, Renten wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit sowie die Kinderzuschüsse zu solchen Renten, mit Ausnahme der Kinderzulagen aus der Versicherung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten".

10 Nach Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe a werden die Leistungen... ohne Rücksicht darauf, in welchem Mitgliedstaat die Rentner oder die Kinder wohnen, wie folgt gewährt:... Der Rentner, der nach den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats Rente bezieht, erhält die Leistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rente zuständigen Staates".

11 Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmt:

(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.

(3) Er kann mit dem gleichen Recht und unter den gleichen Bedingungen wie die inländischen Arbeitnehmer Berufsschulen und Umschulungszentren in Anspruch nehmen.

(4) Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Beschäftigung, Entlohnung und alle übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen."

Nationales Recht

12 Das luxemburgische Gesetz vom 20. Juni 1977 zur Einführung einer systematischen ärztlichen Kontrolluntersuchung für schwangere Frauen und Kleinkinder und zur Änderung des Rechts über Geburtsbeihilfen sieht in seiner geänderten Fassung in Artikel 9 vor: Die Geburt eines lebensfähigen Kindes begründet einen Anspruch auf eine Geburtsbeihilfe, die in drei Teilen ausgezahlt wird; der erste Teil als vorgeburtliche Beihilfe, der zweite Teil als Geburtsbeihilfe im eigentlichen Sinn und der dritte Teil als nachgeburtliche Beihilfe". Die Artikel 11, 12 und 13 bestimmen: Der erste Teil der Geburtsbeihilfe wird nur gezahlt, wenn die werdende Mutter im Zeitpunkt der letzten nach Artikel 1 vorgesehenen ärztlichen Untersuchung ihren Wohnsitz in Luxemburg hat und sie die in Artikel 1 vorgesehenen ärztlichen Untersuchungen durch Bescheinigungen nachweist, die der untersuchende Arzt zu diesem Zweck bei jedem Besuch ausgestellt hat... Der zweite Teil der Geburtsbeihilfe wird nur gezahlt, wenn die Mutter im Zeitpunkt der Geburt des Kindes ihren gesetzlichen Wohnsitz in Luxemburg hat, sie die in Artikel 5 vorgesehene nachgeburtliche Untersuchung durch eine zu diesem Zweck vom untersuchenden Arzt beim Besuch ausgestellte Bescheinigung nachweist und das Kind in Luxemburg oder während eines begründeten und vorübergehenden Auslandsaufenthalts der Mutter geboren wird... Der dritte Teil der Geburtsbeihilfe wird nur gezahlt, wenn das Kind von Geburt an dauerhaft in Luxemburg aufwächst und der Anspruchsberechtigte die in Artikel 6 vorgesehenen ärztlichen Untersuchungen durch Bescheinigungen nachweist, die der untersuchende Arzt zu diesem Zweck bei jedem Besuch ausgestellt hat..."

13 Das luxemburgische Gesetz vom 30. April 1980 über die Mutterschaftsbeihilfe sieht in seiner geänderten Fassung in Artikel 1 vor, dass jede Schwangere und jede Mutter Anspruch auf eine Mutterschaftsbeihilfe hat, wenn sie im Zeitpunkt der Anspruchsentstehung ihren gesetzlichen Wohnsitz in Luxemburg hat.

14 Auf die Erziehungsbeihilfe, die in dem luxemburgischen Gesetz vom 1. August 1988 über die Erziehungsbeihilfe vorgesehen ist, hat Anspruch, wer gemäß Artikel 2 Absatz 1 dieses Gesetzes verschiedene Voraussetzungen erfuellt, und zwar u. a. seinen Wohnsitz in Luxemburg hat oder tatsächlich dort wohnt und ein oder mehrere Kinder im eigenen Haushalt großzieht.

Der Ausgangsrechtsstreit

15 Der Kläger, wohnhaft in Fauvillers (Belgien), war als Grenzgänger bis 1981 in Luxemburg beschäftigt und entrichtete als solcher Beiträge zum luxemburgischen Sozialversicherungssystem. 1981 hatte er einen Arbeitsunfall und bezieht seitdem eine Invaliditätsrente von der luxemburgischen Sozialversicherung. Mit dieser Rente unterliegt er in Luxemburg der Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung und der Einkommensteuerpflicht. Seit seinem Unfall hat er keine neue entgeltliche Beschäftigung aufgenommen.

16 Seit der Geburt ihres Kindes erhalten die Kläger Familienbeihilfen der Caisse. Die Caisse lehnt es dagegen ab, ihnen die anderen im luxemburgischen Recht vorgesehenen, oben in den Randnummern 12, 13 und 14 genannten Beihilfen anlässlich der Geburt eines Kindes zu gewähren.

17 Ihre Klage gegen diese Ablehnung wurde mit Urteil des luxemburgischen Conseil arbitral des assurances sociales vom 3. August 1998 abgewiesen.

18 Hiergegen legten sie Rechtsmittel zum Conseil supérieur des assurances sociales ein. Nach dessen Ansicht lässt eine Prüfung der einschlägigen Gemeinschaftsverordnungen und der Rechtsprechung des Gerichtshofes einige Fragen offen, insbesondere hinsichtlich der Ansprüche eines Grenzgängers, der eine Invaliditätsrente von dem Mitgliedstaat erhält, in dem er seine berufliche Tätigkeit ausgeübt hat, auf Familienleistungen.

19 Nach Ansicht des Conseil supérieur des assurances sociales ist zur Entscheidung des Rechtsstreits eine Auslegung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts und die Beurteilung der Gültigkeit einiger seiner Vorschriften erforderlich. Er hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind die Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i und 10a sowie die Anhänge II und IIa der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, in denen der Grundsatz der Nichtexportierbarkeit" der Geburts- und Mutterschaftsbeihilfen niedergelegt ist, mit den Artikeln 48 und 51 EG-Vertrag vereinbar?

2. Ist die Verordnung Nr. 1408/71 dahin zu verstehen, dass sie Arbeitnehmern, die eine Invaliditätsrente erhalten und in einem anderen Staat als dem Staat wohnen, der die Invaliditätsrente gewährt, für unterhaltsberechtigte Kinder nur die Familienbeihilfen gewährt, und zwar unter Ausschluss einer Erziehungsbeihilfe, die sich nicht nach der Zahl der Kinder richtet?

3. Ist Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 dahin zu verstehen, dass ein Empfänger einer Invaliditätsrente, der in dem Staat, der die Invaliditätsrente gewährt, weiter Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung entrichtet, trotz seiner Rente im Verhältnis zu diesem Staat als Arbeitnehmer angesehen werden kann, der Familienleistungen, darunter die Erziehungsbeihilfe, und gegebenenfalls Geburtsbeihilfen erhalten kann, falls die Nichtexportierbarkeitsklausel mit dem EG-Vertrag unvereinbar ist?

4. Schließt der Begriff Arbeitnehmer" im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 den Empfänger einer Invaliditätsrente ein, der in einem anderen Staat als dem Staat wohnt, der die Rente gewährt?

5. Ist Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 dahin zu verstehen, dass der Empfänger einer Invaliditätsrente bzw. sein Ehepartner aufgrund dieses Artikels die sozialen Vergünstigungen genießen kann, von denen er durch die Verordnung Nr. 1408/71 ausgeschlossen ist, und zwar trotz des darin niedergelegten Grundsatzes der Nichtexportierbarkeit, falls dieser Grundsatz vom Gerichtshof als mit dem EG-Vertrag vereinbar angesehen werden sollte?

Zur ersten Frage

20 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob zum einen Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i und Anhang II und zum anderen Artikel 10a und Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 vor den Artikeln 48 und 51 EG-Vertrag Bestand haben, soweit sie es erlauben, die Gewährung der luxemburgischen Geburts- und Mutterschaftsbeihilfen vom Wohnort abhängig zu machen.

21 Die Kläger und die portugiesische Regierung machen geltend, die durch die Verordnung Nr. 1408/71 eingeführten Ausnahmen vom Grundsatz der Aufhebung von Wohnortklauseln seien mit den Artikeln 48 und 51 EG-Vertrag nicht vereinbar, weil sie nicht die spezifische Situation von Grenzgängern berücksichtigten und dadurch zu einer Diskriminierung von Arbeitnehmern führten, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten. Der Gerichtshof habe bereits mehrere Artikel und Anhänge der Verordnung Nr. 1408/71 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung für ungültig oder unanwendbar erklärt (siehe z. B. Urteil vom 15. Januar 1986 in der Rechtssache 41/84, Pinna, Slg. 1986, 1).

22 Die Caisse, die luxemburgische, die spanische, die österreichische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Rat sind dagegen der Ansicht, dass keine Unvereinbarkeit vorliegt. Der Gerichtshof habe nämlich bereits entschieden, dass die Artikel 48 und 51 EG-Vertrag es einem Gesetzgeber nicht verböten, Beschränkungen des Rechts auf Ausfuhr von Familienleistungen vorzusehen, sofern diese Beschränkungen in Bezug auf Leistungen, die an einen bestimmten wirtschaftlichen und sozialen Kontext gebunden seien, nicht zu einer Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit führten und den zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehenden Unterschieden keine weiteren hinzufügten. Er habe insbesondere erklärt, dass es mit dem EG-Vertrag vereinbar sei, die Zahlung von Beihilfen, die hinsichtlich der oben genannten Voraussetzungen den hier untersuchten luxemburgischen Beihilfen entsprächen, vom Wohnort abhängig zu machen (vgl. Urteile vom 27. September 1988 in der Rechtssache 313/86, Lenoir, Slg. 1988, 5391; vom 4. November 1997 in der Rechtssache C-20/96, Snares, Slg. 1997, I-6057, und vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache C-297/96, Partridge, Slg. 1998, I-3467).

23 Die Kommission unterscheidet zwischen der luxemburgischen Mutterschaftsbeihilfe einerseits und der luxemburgischen vorgeburtlichen Beihilfe und der Geburtsbeihilfe im eigentlichen Sinn andererseits.

24 Die luxemburgische Mutterschaftsbeihilfe werde unter den beitragsunabhängigen Sonderleistungen aufgeführt, die ausschließlich im Wohnstaat des Begünstigten gezahlt würden; der Gerichtshof habe anerkannt, dass Artikel 51 EG-Vertrag dieser Zuordnung nicht entgegenstehe (vgl. in Bezug auf eine Beihilfe für Behinderte Urteil Snares).

25 Der Ausschluss der luxemburgischen vorgeburtlichen Beihilfe und der Geburtsbeihilfe im eigentlichen Sinn vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 gemäß ihrem Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i sei als rechtmäßig anzusehen, befreie das Großherzogtum Luxemburg jedoch nicht davon, den Grundsatz der Gleichbehandlung und des Verbots der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit zu beachten. Im vorliegenden Fall stelle die Wohnortvoraussetzung eine mittelbare Diskriminierung dar und verstoße als solche gegen Artikel 48 EG-Vertrag und Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68.

26 Sowohl Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i und Anhang II der Verordnung Nr. 1408/71 in Bezug auf die besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen als auch Artikel 10a und Anhang IIa dieser Verordnung in Bezug auf die beitragsunabhängigen Sonderleistungen lassen eine Ausnahme von dem in Artikel 10 der Verordnung Nr. 1408/71 aufgestellten, für die unterschiedlichen Leistungskategorien in Abschnitt III dieser Verordnung durchgeführten Grundsatz der Aufhebung der Wohnortklauseln zu, ohne freilich den im Vorlageurteil erwähnten Grundsatz der Nichtexportierbarkeit" dieser Beihilfen niederzulegen. Diese Ausnahme wird hinsichtlich der im Anhang II genannten besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen, zu denen die luxemburgische vorgeburtliche Beihilfe und die Geburtsbeihilfe gehören, dadurch, dass diese in Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i von der Kategorie der Familienleistungen im Sinne dieser Verordnung ausgeschlossen werden, hinsichtlich der im Anhang IIa genannten beitragsunabhängigen Sonderleistungen, zu denen die luxemburgische Mutterschaftsbeihilfe gehört, aber dadurch bewirkt, dass nach Artikel 10a Absatz 1 eine Person solche Leistungen nur in dem Wohnmitgliedstaat gemäß dessen Rechtsvorschriften erhalten kann.

27 Diese beiden Gruppen von Ausnahmen sind also für die Prüfung ihrer Gültigkeit unterschiedlicher Natur, da die Gruppe der besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nur bestimmte Leistungskategorien vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 ausschließt, während die der beitragsunabhängigen Sonderleistungen die Zuständigkeit des Wohnmitgliedstaats des Leistungsempfängers für die Zahlung solcher Leistungen begründet.

28 An erster Stelle ist die Gültigkeit des Ausschlusses der besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen zu prüfen, zu denen für Luxemburg die vorgeburtliche Beihilfe und die Geburtsbeihilfe zählen.

29 Angesichts des weiteren Spielraums, über den der Rat bei der Durchführung der Artikel 48 und 51 EG-Vertrag verfügt (vgl. Urteil vom 20. April 1999 in der Rechtssache C-360/97, Nijhuis, Slg. 1999, I-1919, Randnr. 30), sind die einschlägigen Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 nicht allein deshalb ungültig, weil sie eine Leistungskategorie nicht koordinieren. Eine solche Beschränkung des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 1408/71 kann nämlich für sich genommen nicht bewirken, dass Unterschiede eingeführt werden, die zu denen hinzutreten, die sich bereits aus der mangelnden Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften ergeben, oder dass gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen wird.

30 Die Aufnahme der luxemburgischen vorgeburtlichen Beihilfe und der Geburtsbeihilfe in die Kategorie der besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen, für die die Verordnung Nr. 1408/71 nicht gilt, ist daher nicht ungültig.

31 Der Ausschluss der besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 gemäß ihrem Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i befreit jedoch, wie die Kommission zutreffend ausführt, die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung, sich zu vergewissern, dass keine andere Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Verordnung Nr. 1612/68, der Aufstellung einer Wohnortvoraussetzung entgegensteht.

32 Was zweitens die beitragsunabhängigen Sonderleistungen anbelangt, unter denen im Anhang IIa der Verordnung 1408/71 die luxemburgische Mutterschaftsbeihilfe genannt wird, steht es dem Gemeinschaftsgesetzgeber frei, im Rahmen der Durchführung des Artikels 51 EG-Vertrag Vorschriften zu erlassen, die vom Grundsatz der Exportierbarkeit von Sozialleistungen abweichen. Insbesondere kann, wie der Gerichtshof bereits anerkannt hat, die Gewährung von eng mit dem sozialen Umfeld verbundenen Leistungen vom Wohnort im Staat des zuständigen Trägers abhängig gemacht werden (vgl. Urteile Lenoir, Randnr. 16, und Snares, Randnr. 42)

33 Die Caisse und einige andere Beteiligte vertreten hierzu die Auffassung, die luxemburgische Mutterschaftsbeihilfe sei wegen ihrer geburtenfördernden Zweckbestimmung mit dem charakteristischen sozialen Umfeld des Mitgliedstaats, der sie eingeführt habe, eng verbunden und könne daher vom Wohnort abhängig gemacht werden.

34 Die im Gesetz vom 30. April 1980 vorgesehene luxemburgische Mutterschaftsbeihilfe wird jedoch, wie in Randnummer 13 dieses Urteils ausgeführt, an jede Schwangere und jede Mutter unter der alleinigen Voraussetzung gezahlt, dass sie im Zeitpunkt der Anspruchsentstehung einen gesetzlichen Wohnsitz in Luxemburg hat.

35 Bereits nach dem Wortlaut des Artikels 4 Absatz 2a der Verordnung Nr. 1408/71 fallen nur Leistungen unter diese Bestimmung, die nicht nach dem allgemeinen Recht der in Artikel 4 Absatz 1 dieser Verordnung genannten Systeme gewährt werden.

36 Angesichts ihrer in Randnummer 34 dargelegten Merkmale ist die luxemburgische Mutterschaftsbeihilfe gegenüber den in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Leistungen keine Sonderbeihilfe. Da sie keine beitragsunabhängige Sonderleistung darstellt, unterliegt sie nicht der Ausnahmeregelung des Artikels 10a der Verordnung Nr. 1408/71.

37 Die Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 über die Aufhebung der Wohnortklauseln stellen Maßnahmen zur Durchführung des Artikels 51 EG-Vertrag dar, die im Bereich der sozialen Sicherheit die in Artikel 48 EG-Vertrag garantierte Freizügigkeit der Arbeitnehmer herstellen sollen (zur Auslegung der Artikel 10a und 11 der Verordnung Nr. 1408/71 vgl. u. a. Urteil vom 8. März 2001 in der Rechtssache C-215/99, Jauch, Slg. 2001, I-0000, Randnr. 20). Es verstößt somit gegen die Artikel 48 und 51 EG-Vertrag, dass die luxemburgische Mutterschaftsbeihilfe als beitragsunabhängige, ausschließlich im Wohnmitgliedstaat gewährte Sonderleistung in den Anhang IIa Punkt I. Luxemburg Buchstabe b der Verordnung Nr. 1408/71 aufgenommen wurde. Die Gewährung dieser Leistung kann daher nicht vom Wohnort im zuständigen Mitgliedstaat abhängig gemacht werden.

38 Es ist daher zu antworten, dass die Prüfung der ersten Frage nichts ergeben hat, was gegen die Gültigkeit von Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i und Anhang II der Verordnung Nr. 1408/71 spräche, soweit sie es zulassen, die Gewährung der luxemburgischen vorgeburtlichen Beihilfe und der Geburtsbeihilfe vom Wohnort abhängig zu machen, dass aber Anhang IIa dieser Verordnung ungültig ist, soweit in dessen Punkt I. Luxemburg Buchstabe b die luxemburgische Mutterschaftsbeihilfe aufgeführt wird.

Zur zweiten Frage

39 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Beihilfe wie die luxemburgische Erziehungsbeihilfe zu den Familienbeihilfen gehört, die gemäß Artikel 77 der Verordnung Nr. 1408/71 an Empfänger von Alters- oder Invaliditätsrenten, Renten wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ohne Rücksicht darauf zu zahlen sind, in welchem Mitgliedstaat sie wohnen.

40 Mit Ausnahme der Kläger und der spanischen Regierung vertreten die Beteiligten, die sich zu dieser Frage geäußert haben, die Auffassung, dass die luxemburgische Erziehungsbeihilfe nicht zu den Beihilfen zählt, für die Artikel 77 der Verordnung Nr. 1408/71 gelte.

41 Nach Artikel 77 der Verordnung Nr. 1408/71 handelt es sich bei den Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder, auf die Rentner ohne Rücksicht darauf, in welchem Mitgliedstaat sie wohnen, Anspruch haben, ausschließlich um die Familienbeihilfen (vgl. u. a. Urteil vom 20. März 2001 in der Rechtssache C-33/99, Fahmi und Esmoris Cerdeiro-Pinedo Amado, Slg. 2001, I-0000, Randnr. 33).

42 Gemäß Artikel 1 Buchstabe u Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 sind ,Familienbeihilfen: regelmäßige Geldleistungen, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und gegebenenfalls des Alters von Familienangehörigen gewährt werden". Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Definition der Familienbeihilfen" in Artikel 1 Buchstabe u Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 für die Auslegung des Artikels 77 heranzuziehen ist (Urteil Lenoir, Randnr. 10).

43 Die luxemburgische Erziehungsbeihilfe, die weder in Anhang II noch in Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 erwähnt wird, soll die Einkommenseinbußen ausgleichen, die daraus entstehen, dass ein Elternteil sich hauptsächlich der Erziehung der Kinder unter zwei Jahren im gemeinsamen Haushalt widmet. Die Höhe dieser Beihilfe ist unabhängig von der Zahl der Kinder, die im gleichen Haushalt aufwachsen. Die Erziehungsbeihilfe entspricht daher nicht der Definition der Familienbeihilfen" in Artikel 1 Buchstabe u Ziffer ii der Verordnung.

44 Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass eine Beihilfe wie die luxemburgische Erziehungsbeihilfe nicht zu den Familienbeihilfen gehört, die gemäß Artikel 77 der Verordnung Nr. 1408/71 an Empfänger von Alters- oder Invaliditätsrenten, Renten wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ohne Rücksicht darauf zu zahlen sind, in welchem Mitgliedstaat sie wohnen.

Zur dritten Frage

45 Bei der dritten Frage des vorlegenden Gerichts geht es darum, ob der Empfänger einer Invaliditätsrente aus Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 einen Anspruch auf andere Familienleistungen als die in Artikel 77 dieser Verordnung genannten Familienbeihilfen herleiten kann.

46 Die Kläger sowie die spanische und die portugiesische Regierung vertreten die Ansicht, dass der Empfänger einer Invaliditätsrente, sofern er Beiträge an ein obligatorisches Krankenversicherungssystem in dem Mitgliedstaat entrichte, der die Zahlung seiner Rente gewährleiste, als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 73 der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten sei und daher ungeachtet Artikel 77 dieser Verordnung Anspruch auf sämtliche Familienleistungen habe, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in den er seine Beiträge entrichte, vorgesehen seien. Die luxemburgische Erziehungsbeihilfe könne in diesem Kontext als Familienleistung qualifiziert werden.

47 Nach Ansicht der Caisse, der luxemburgischen und der österreichischen Regierung sowie der Kommission erlaubt die Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung nicht, einen Rentner als Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 zu qualifizieren; vielmehr sei ausschließlich Artikel 77 dieser Verordnung auf seinen Fall anwendbar.

48 Die Definition des Arbeitnehmers" in Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 umfasst zwar alle, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit erfasst werden, pflichtversichert sind.

49 Diese Definition ist jedoch für die Bestimmung des jeweiligen Anwendungsbereichs der Artikel 73 und 77 der Verordnung Nr. 1408/71 ohne Belang. Artikel 77a konkretisiert nämlich die Voraussetzungen, unter denen ein Rentner gegenüber dem Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften er eine Rente bezieht, einen Anspruch auf Leistungen für unterhaltspflichtige Kinder geltend machen kann, und bestimmt seinen Anwendungsbereich ausdrücklich unter ausschließlicher Bezugnahme auf die Familienbeihilfen. Daher kann weder Artikel 73, der anders als Artikel 77 keine Sonderregel darstellt, noch eine andere Bestimmung der Verordnung Nr. 1408/71 dahin ausgelegt werden, dass sie einem Rentner, der außerhalb des Mitgliedstaats wohnt, der diese Rente gewährt, gegenüber diesem einen Anspruch auf andere Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder als Familienbeihilfen einräumte (vgl. Urteil Fahmi und Esmoris Cerdeiro-Pinedo Amado, Randnr. 34).

50 Dass von der Rente aufgrund eines obligatorischen Krankenversicherungssystems Abzüge gemacht werden, macht aus dem betroffenen Rentner keinen Angestellten oder Selbständigen im Sinne des Artikels 73 der Verordnung Nr. 1408/71.

51 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, dass der Empfänger einer Invaliditätsrente aus Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 keinen Anspruch auf andere Familienleistungen als die in Artikel 77 der Verordnung genannten Familienbeihilfen herleiten kann.

Zur vierten Frage

52 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob dem Empfänger einer Invaliditätsrente, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem wohnt, der die Rente gewährt, die Ansprüche zustehen, die mit der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Artikels 7 der Verordnung Nr. 1612/68 verbunden sind.

53 Nach Ansicht der Caisse, der luxemburgischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs setzt der Arbeitnehmerbegriff im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 ein aktuelles Arbeitsverhältnis voraus, in dessen Rahmen sich der Arbeitnehmer eines Mitgliedstaats in dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, in dem er mit den inländischen Arbeitnehmern gleich zu behandeln ist. Die bloße Zahlung einer Rente sichere dem Empfänger keinen Anspruch gemäß der Verordnung Nr. 1612/68 auf alle sozialen Vergünstigungen, die den Arbeitnehmern des Mitgliedstaats offenständen, der die Zahlung seiner Rente gewährleiste. Nur in ganz besonderen Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis trotz seiner Beendigung mit der aktuellen Situation des Betroffenen weiterhin in engem Zusammenhang gestanden habe, habe der Gerichtshof den Fortbestand bestimmter Wirkungen für den Betroffenen anerkannt, die mit seiner früheren Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 zusammenhingen.

54 Die Kläger, die spanische und die portugiesische Regierung sowie die Kommmission legen diesen Begriff weiter aus. Zwar erlösche die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 grundsätzlich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, dem Betroffenen stuenden jedoch, wie der Gerichtshof in Fällen, die dem Ausgangsverfahren ähnelten, anerkannt habe (Urteile des Gerichtshofes vom 27. November 1997 in der Rechtssache C-57/96, Meints, Slg. 1997, I-6689, und vom 24. September 1998 in der Rechtssache C-35/97, Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-5325), bestimmte mit dieser Eigenschaft zusammenhängende Ansprüche über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus zu.

55 Im Rahmen des Artikels 48 EG-Vertrag und der Verordnung Nr. 1612/68 ist als Arbeitnehmer anzusehen, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlischt die Arbeitnehmereigenschaft grundsätzlich; jedoch kann diese Eigenschaft zum einen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in bestimmtem Umfang fortwirken; und zum anderen ist auch derjenige, der tatsächlich eine Arbeit sucht, als Arbeitnehmer zu qualifizieren (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache 66/85, Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Randnr. 17, vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 39/86, Lair, Slg. 1988, 3161, Randnrn. 31 bis 36, und vom 12. Mai 1998 in der Rechtssache C-85/96, Martínez Sala, Slg. 1998, I-2691, Randnr. 32).

56 So hat der Gerichtshof entschieden, dass der Anspruch auf Gewährung beitragsfreier Punkte für die zusätzliche Altersrente an das Personal der von den Umstrukturierungen betroffenen Stahlunternehmen des Ostens und des Nordens Frankreichs (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 41) und eine Leistung, die in den Niederlanden an die Arbeitnehmer in der Landwirtschaft gewährt wurde, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstilllegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet wurden (Urteil Meints, Randnrn. 40 und 41), zu den mit der Arbeitnehmereigenschaft zusammenhängenden Wirkungen zählen, die für Personen, die nicht oder nicht mehr in dem Gebiet des Mitgliedstaats wohnen, in dem sie ihre berufliche Tätigkeit ausgeübt haben, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortbestehen.

57 Wie im Urteil Meints, Randnummer 41, ausgeführt, geht es in den eben genannten Fällen um Leistungen, die wegen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gewährt werden und deren Gewährung in innerem Zusammenhang mit der objektiven Arbeitnehmereigenschaft der Berechtigten steht.

58 Ein früherer Arbeitnehmer hat nämlich nach Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit weiterhin Anspruch auf bestimmte, während seines Arbeitsverhältnisses erworbene Vergünstigungen; der Grundsatz der Gleichbehandlung erfordert, dass dieser Anspruch nicht vom Wohnort in dem Gebiet des zuständigen Mitgliedstaats abhängig ist.

59 Daraus folgt nicht, dass ein früherer Arbeitnehmer, der wie der Kläger von dem zuständigen Träger eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, in dessen Gebiet er wohnt, eine Invaliditätsrente und somit eine Leistung erhält, die mit dem vorherigen Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zusammenhängt, aufgrund des Bezugs seiner Rente weiterhin Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 ist. Er wird durch Artikel 48 EG-Vertrag und die Verordnung Nr. 1612/68 vor Diskriminierungen geschützt, die die während des früheren Arbeitsverhältnisses erworbenen Ansprüche berühren; da er aktuell aber in keinem Arbeitsverhältnis steht, kann er daraus keine neuen Ansprüche herleiten, die mit seiner früheren beruflichen Tätigkeit in keinem Zusammenhang stehen.

60 Daraus folgt insbesondere, dass ein Rentner, der wie der Kläger nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Vater wird, auf Beihilfen, die nach dem Recht des für die Zahlung seiner Rente zuständigen Mitgliedstaats für die Arbeitnehmer anlässlich der Geburt eines Kindes vorgesehen sind, auf die er aber nach der Verordnung Nr. 1408/71 keinen Anspruch hat, nicht unter Berufung auf Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 Anspruch erheben kann.

61 Auf die vierte Frage ist daher zu antworten, dass der Empfänger einer Invaliditätsrente, der in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen wohnt, der die Rente gewährt, kein Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 7 der Verordnung Nr. 1612/68 ist und ihm mit dieser Eigenschaft zusammenhängende Ansprüche nur aufgrund seiner früheren beruflichen Tätigkeit zustehen.

Zur fünften Frage

62 Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich der Empfänger einer Invaliditätsrente oder sein Ehepartner für die Geltendmachung von Ansprüchen auf soziale Vergünstigungen, von denen er nach der Verordnung Nr. 1408/71 ausgeschlossen ist, auf Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 stützen kann.

63 Angesichts der Antwort auf die vorhergehende Frage erübrigt sich eine Beantwortung dieser Frage.

Kostenentscheidung:

Kosten

64 Die Auslagen der luxemburgischen, der spanischen, der österreichischen und der portugiesischen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs, des Rates und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Conseil supérieur des assurances sociales mit Urteil vom 10. Februar 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Prüfung der ersten Frage hat nichts ergeben, was gegen die Gültigkeit von Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i und Anhang II der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, spräche, soweit sie es zulassen, die Gewährung der luxemburgischen vorgeburtlichen Beihilfe und der Geburtsbeihilfe vom Wohnort abhängig zu machen.

2. Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung ist ungültig, soweit in dessen Punkt I. Luxemburg Buchstabe b die luxemburgische Mutterschaftsbeihilfe aufgeführt wird.

3. Eine Beihilfe wie die luxemburgische Erziehungsbeihilfe gehört nicht zu den Familienbeihilfen, die gemäß Artikel 77 der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung an Empfänger von Alters- oder Invaliditätsrenten, Renten wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ohne Rücksicht darauf zu zahlen sind, in welchem Mitgliedstaat sie wohnen.

4. Der Empfänger einer Invaliditätsrente kann aus Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung keinen Anspruch auf andere Familienleistungen als die in Artikel 77 dieser Verordnung genannten Familienbeihilfen herleiten.

5. Der Empfänger einer Invaliditätsrente, der in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen wohnt, der die Rente gewährt, ist kein Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Ihm stehen mit dieser Eigenschaft zusammenhängende Ansprüche nur aufgrund seiner früheren beruflichen Tätigkeit zu.

Ende der Entscheidung

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