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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.01.2004
Aktenzeichen: C-433/01
Rechtsgebiete: Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGB, BAföG


Vorschriften:

Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Art. 5 Nr. 2
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Art. 2 Abs. 1
BGB § 1610 Abs. 2
BAföG § 11
BAföG § 37 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 15. Januar 2004. - Freistaat Bayern gegen Jan Blijdenstein. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesgerichtshof - Deutschland. - Brüsseler Übereinkommen - Besondere Zuständigkeiten - Artikel 5 Nummer 2 - Unterhaltsverpflichtung - Regressklage einer öffentlichen Einrichtung aus übergegangenem Recht des Unterhaltsberechtigten. - Rechtssache C-433/01.

Parteien:

In der Rechtssache C-433/01

betreffend ein dem Gerichtshof gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen durch den Gerichtshof vom Bundesgerichtshof (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Freistaat Bayern

gegen

Jan Blijdenstein

"vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 5 Nummer 2 des vorgenannten Übereinkommens vom 27. September 1968 (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und - geänderter Text - S. 77), des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1) und des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters P. Jann (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter C. W. A. Timmermans und A. Rosas,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: R. Grass,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der deutschen Regierung, vertreten durch R. Wagner als Bevollmächtigten,

- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch G. Amodeo als Bevollmächtigte im Beistand von K. Beal, Barrister,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. April 2003

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 26. September 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 9. November 2001, gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen durch den Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung von Artikel 5 Nummer 2 dieses Übereinkommens (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und - geänderter Text - S. 77), des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1) und des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) (im Folgenden: Übereinkommen) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Freistaat Bayern, einer deutschen Körperschaft des öffentlichen Rechts, und Herrn Blijdenstein im Rahmen einer Regressklage auf Rückzahlung von Geldbeträgen, die der Freistaat als Ausbildungsförderung an das Kind von Herrn Blijdensteins gezahlt hat.

Rechtlicher Rahmen

Das Übereinkommen

3 Das Übereinkommen ist nach seinem Artikel 1 Absatz 1 in Zivil- und Handelssachen anzuwenden.

4 Artikel 2 Absatz 1 des Übereinkommens lautet:

"Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen."

5 Artikel 5 Nummmer 2 des Übereinkommens sieht vor:

"Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:

...

2. wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat..."

Nationale Regelung

6 Nach § 1602 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sind die Eltern ihren Kindern zum Unterhalt verpflichtet. § 1610 Absatz 2 BGB bestimmt, dass diese Verpflichtung den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf umfasst.

7 Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erkennt dem Auszubildenden, der nicht über die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel verfügt, einen Anspruch auf Ausbildungsförderung zu. Diese wird von den öffentlichen Leistungsträgern des Landes gezahlt, das örtlich zuständig ist.

8 Nach § 11 BAföG werden die Unterhaltsverpflichtungen der Eltern des Auszubildenden bei der Berechnung der Höhe der Förderung berücksichtigt. Macht der Auszubildende glaubhaft, dass seine Eltern ihren Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen, und ist seine Ausbildung dadurch gefährdet, so wird ihm nach § 36 Absatz 1 BAföG die Förderung auf Antrag nach Anhörung der Eltern ohne Anrechnung des von ihnen zu leistenden Unterhaltsbetrags gewährt.

9 § 37 Absatz 1 BAföG bestimmt:

"Hat der Auszubildende für die Zeit, für die ihm Ausbildungsförderung gezahlt wird, nach bürgerlichem Recht einen Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern, so geht dieser... mit der Zahlung bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf das Land über, jedoch nur soweit auf den Bedarf des Auszubildenden das Einkommen und Vermögen der Eltern nach diesem Gesetz anzurechnen ist...."

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

10 Herr Blijdenstein wohnt in den Niederlanden.

11 Im Schuljahr 1993/94 begann seine Tochter eine Ausbildung an einer Lehranstalt in München (Deutschland). Ab September 1993 erhielt sie Ausbildungsförderung, die ihr vom Freistaat Bayern gewährt wurde.

12 Der Freistaat Bayern erhob zunächst vor dem Amtsgericht München (Deutschland) eine Regressklage gegen Herrn Blijdenstein, um Erstattung der im Schuljahr 1993/94 gezahlten Förderleistungen zu erhalten. Diese Klage führte zur rechtskräftigen Verurteilung des Beklagten des Ausgangsverfahrens.

13 Der Freistaat Bayern erhob sodann eine weitere Klage vor dem Amtsgericht München, mit der er von Herrn Blijdenstein die Erstattung der Förderleistungen für die Schuljahre 1994/95 und 1995/96 verlangt.

14 Herr Blijdenstein rügte die Zuständigkeit des Amtsgerichts München, das jedoch die Unzuständigkeitseinrede zurückwies und der Klage des Freistaats Bayern stattgab.

15 Auf die Berufung von Herrn Blijdenstein änderte das Oberlandesgericht München (Deutschland) das erstinstanzliche Urteil ab und wies die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, dass der Beklagte des Ausgangsverfahrens nach Artikel 2 Absatz 1 des Übereinkommens, der hier allein anwendbar sei, nur vor den Gerichten seines Wohnsitzstaats hätte verklagt werden können.

16 Der Freistaat Bayern legte gegen dieses Urteil Revision zum Bundesgerichtshof ein. Da der Bundesgerichtshof die Anwendbarkeit von Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens in einem Fall wie dem vorliegenden bezweifelt, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann ein Kläger, dessen Behörden einem Auszubildenden nach öffentlichem Recht für eine bestimmte Zeit Ausbildungsförderung bezahlt haben, sich auf die besondere Zuständigkeitsregel des Artikels 5 Nummer 2 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik berufen, wenn er aus gesetzlich übergegangenem Recht den bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch des Auszubildenden gegen dessen Eltern für die Zeit der Zahlung der Ausbildungsförderung als Regress geltend macht?

Zur Vorlagefrage

17 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich eine öffentliche Einrichtung, die im Wege einer Regressklage die Rückzahlung von Beträgen verlangt, die sie nach öffentlichem Recht einem Unterhaltsberechtigten als Ausbildungsförderung gezahlt hat, dessen Ansprüche gegen den Unterhaltsverpflichteten auf sie übergegangen sind, auf die besondere Zuständigkeit nach Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens berufen kann, der die Zuständigkeit des Gerichts des Ortes begründet, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz hat.

Zur Anwendbarkeit des Übereinkommens

18 Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht vorab geltend, dass eine Klage, die von einer öffentlichen Einrichtung erhoben werde, um bei den Eltern eines Auszubildenden die Beträge zurückzufordern, die dem Auszubildenden nach öffentlichem Recht als Ausbildungsförderung gezahlt worden seien, keine "Zivilsache" im Sinne von Artikel 1 des Übereinkommens sei, selbst wenn der Auszubildende einen Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern habe, der seine Grundlage im Privatrecht habe.

19 Die deutsche Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind hingegen der Ansicht, dass eine Regressklage, der eine Legalzession zugrunde liege, in den Anwendungsbereich des Übereinkommens falle.

20 Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. November 2002 in der Rechtssache C-271/00 (Baten, Slg. 2002, I-10489, Randnr. 37) entschieden hat, dass Artikel 1 Absatz 1 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass der Begriff "Zivilsache" eine Rückgriffsklage umfasst, mit der eine öffentliche Stelle gegenüber einer Privatperson die Rückzahlung von Beträgen verfolgt, die sie als Sozialhilfe an gegenüber dieser Person Unterhaltsberechtigte gezahlt hat, soweit für die Grundlage dieser Klage und die Modalitäten ihrer Erhebung die allgemeinen Vorschriften über Unterhaltsverpflichtungen gelten. Der Gerichtshof hat jedoch hinzugefügt, dass, wenn die Rückgriffsklage auf Bestimmungen gestützt ist, mit denen der Gesetzgeber der öffentlichen Stelle eine eigene, besondere Befugnis verliehen hat, diese Klage nicht als "Zivilsache" angesehen werden kann.

21 Im Ausgangsverfahren ergibt sich aus den Angaben des nationalen Gerichts, dass die Legalzession, die den Ländern nach § 37 Absatz 1 BAföG gegenüber den Eltern der Empfänger der Ausbildungsförderung zugute kommt, dem Zivilrecht unterliegt. Im Licht der in vorstehender Randnummer erwähnten Kriterien fällt somit der Ausgangsrechtsstreit unter den Begriff "Zivilsache" im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 des Übereinkommens.

Zur Anwendbarkeit von Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens

22 Die deutsche und die österreichische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission sind der Auffassung, dass Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens nicht im Fall einer von einer öffentlichen Einrichtung erhobenen Regressklage anwendbar sei.

23 Sie machen im Wesentlichen geltend, dass die in Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens vorgesehene Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten eine Ausnahmevorschrift gegenüber der in Artikel 2 des Übereinkommens enthaltenen Vorschrift sei, die die grundsätzliche Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Beklagten vorsehe. Eine solche Ausnahme sei durch das Bestreben gerechtfertigt, den Unterhaltskläger, der als die schwächere Partei angesehen werde, zu schützen, und könne daher nur von diesem geltend gemacht werden.

24 Insoweit ist daran zu erinnern, dass das Übereinkommen autonom unter Berücksichtigung seiner Systematik und seiner Zielsetzungen auszulegen ist (vgl. u. a. Urteile vom 19. Januar 1993 in der Rechtssache C-89/91, Shearson Lehman Hutton, Slg. 1993, I-139, Randnr. 13, vom 20. März 1997 in der Rechtssache C-295/95, Farrell, Slg. 1997, I-1683, Randnrn. 12 und 13, vom 3. Juli 1997 in der Rechtssache C-269/95, Benincasa, Slg. 1997, I-3767, Randnr. 12, und Baten, Randnr. 28).

25 Außerdem ist daran zu erinnern, dass nach der Systematik des Übereinkommens die Zuständigkeit der Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, den allgemeinen Grundsatz darstellt und dass die von diesem allgemeinen Grundsatz abweichenden Zuständigkeitsregeln keiner Auslegung zugänglich sind, die über die in dem Übereinkommen ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinausgeht (vgl. u. a. Urteile Shearson Lehman Hutton, Randnrn. 14 und 16, Benincasa, Randnr. 13, und Urteil vom 13. Juli 2000 in der Rechtssache C-412/98, Group Josi, Slg. 2000, I-5925, Randnr. 49). Eine derartige Auslegung ist erst recht bei einer Zuständigkeitsregel wie Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens geboten, die es dem Unterhaltsberechtigten erlaubt, den Beklagten vor den Gerichten des Vertragsstaats zu verklagen, in dessen Hoheitsgebiet der Kläger seinen Wohnsitz hat. Denn außer in den ausdrücklich vorgesehenen Fällen steht das Übereinkommen der Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Klägers ablehnend gegenüber (in diesem Sinne Urteile Shearson Lehman Hutton, Randnr. 17, Benincasa, Randnr. 14, und Group Josi, Randnr. 50).

26 Im Licht dieser Grundsätze ist Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens auszulegen.

27 Dem Wortlaut von Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens ist nur zu entnehmen, dass diese Bestimmung anwendbar ist, "wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt", und er enthält keinen Hinweis auf die Person, die Kläger sein kann. Unter diesem Gesichtspunkt unterscheidet sich, wie das vorlegende Gericht hervorgehoben hat, Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens von Artikel 14 des Übereinkommens. Diese letztgenannte Vorschrift stellt nämlich für Verträge, die von Verbrauchern geschlossen wurden, nach Maßgabe der Eigenschaft der Verbraucher im Verfahren besondere Zuständigkeitsregeln auf, was den Gerichtshof zu der Feststellung veranlasst hat, dass diese Regeln den Verbraucher nur so weit schützen, wie er persönlich Kläger oder Beklagter in einem Verfahren ist (Urteil Shearson Lehman Hutton, Randnr. 23).

28 Dieser redaktionelle Unterschied zwischen den genannten Vorschriften erklärt sich jedoch, wie die Kommission geltend gemacht hat, durch die unterschiedliche Stellung der Artikel 5 und 14 in dem durch das Übereinkommen errichteten System. Artikel 5 begründet nämlich eine Zuständigkeit, die die Anwendung der in Artikel 2 des Übereinkommens vorgesehenen allgemeinen Zuständigkeit nicht ausschließt, während Artikel 14 ausschließliche Zuständigkeiten vorsieht. Der unterschiedliche Wortlaut dieser Vorschriften kann daher nicht für eine weite Anwendbarkeit von Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens angeführt werden, die sich auf Verfahren erstreckt, in denen der Unterhaltsberechtigte nicht persönlich Kläger ist.

29 Diese Analyse wird durch die Ausführungen des Gerichtshofes in Randnummer 19 seines Urteils Farrell bestätigt, in der er entschieden hat, dass die in Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens vorgesehene Ausnahme bezweckt, dem Unterhaltskläger, der in einem solchen Verfahren als die schwächere Partei angesehen wird, eine alternative Zuständigkeitsgrundlage zu bieten. Nach Auffassung des Gerichtshofes sind die Verfasser des Übereinkommens dabei davon ausgegangen, dass dieser spezifische Zweck Vorrang vor dem mit der Regel des Artikels 2 Absatz 1 des Übereinkommens verfolgten Zweck hat, der darin besteht, den Beklagten zu schützen, der, weil er mit der Klage überzogen wird, generell die schwächere Partei ist.

30 Eine öffentliche Einrichtung, die gegen einen Unterhaltsverpflichteten eine Regressklage erhebt, befindet sich aber diesem gegenüber nicht in einer unterlegenen Position. Außerdem befindet sich der Unterhaltsberechtigte, dessen Bedarf durch die Leistungen dieser öffentlichen Einrichtung gedeckt worden ist, nicht mehr in einer schwierigen finanziellen Lage.

31 Da der Unterhaltsberechtigte die Förderung erhalten hat, auf die er Anspruch hatte, besteht folglich kein Anlass, dem Unterhaltsverpflichteten den durch Artikel 2 des Übereinkommens gebotenen Schutz zu nehmen, zumal das Gericht am Wohnsitz des Beklagten am besten in der Lage ist, dessen finanzielle Mittel zu beurteilen.

32 Diese Auslegung findet ihre zusätzliche Bestätigung im Bericht von Herrn Schlosser zu dem Übereinkommen des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über den Beitritt zum Übereinkommen (ABl. 1979, C 59, S. 71, Nr. 97). Danach war es nämlich "nicht Sinn der besonderen Zuständigkeitsbestimmung von Artikel 5 Nr. 2, für Regressforderungen die Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten oder gar am Sitz der Behörde zu begründen - gleich welche der beiden genannten Techniken eine Rechtsordnung gewählt hat".

33 Was das Argument des vorlegenden Gerichts anbelangt, dass die Anwendbarkeit von Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens auf Regressklagen öffentlicher Einrichtungen den Schutz der Unterhaltsberechtigten dadurch verstärken könnte, dass die zuständigen Einrichtungen ermuntert würden, ihnen Vorschüsse auf ihre Unterhaltsforderung zu gewähren, so ist, wie die deutsche Regierung zutreffend geltend gemacht hat, darauf hinzuweisen, dass diese Einrichtungen ihre Vorschüsse nur in Erfuellung gesetzlicher Verpflichtungen leisten, die vom nationalen Gesetzgeber nach Maßgabe der Lage der betreffenden Begünstigten festgelegt worden sind.

34 Demnach ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass sich eine öffentliche Einrichtung, die im Wege einer Regressklage die Rückzahlung von Beträgen verlangt, die sie nach öffentlichem Recht einem Unterhaltsberechtigten als Ausbildungsförderung gezahlt hat, dessen Ansprüche gegen den Unterhaltsverpflichteten auf sie übergegangen sind, nicht auf diese Bestimmung berufen kann.

Kostenentscheidung:

Kosten

35 Die Auslagen der deutschen und der österreichischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 26. September 2001 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 5 Nummer 2 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland und des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik ist dahin auszulegen, dass sich eine öffentliche Einrichtung, die im Wege einer Regressklage die Rückzahlung von Beträgen verlangt, die sie nach öffentlichem Recht einem Unterhaltsberechtigten als Ausbildungsförderung gezahlt hat, dessen Ansprüche gegen den Unterhaltsverpflichteten auf sie übergegangen sind, nicht auf diese Bestimmung berufen kann.

Ende der Entscheidung

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