Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.04.1994
Aktenzeichen: C-433/92
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1071/68, EWG-Vertrag


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1071/68 Artikel 3 Absatz 2
EWG-Vertrag Artikel 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1071/68 über Durchführungsbestimmungen für die Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung auf dem Sektor Rindfleisch ist so auszulegen, daß ein privater Lagerhalter mit der Einlagerung der vertraglich vereinbarten Menge erst nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrages beginnen darf. Die Tätigkeit, mit der die Einlagerung im Sinne dieser Vorschrift beginnt, ist das Verbringen des einzulagernden Fleisches in den Kaltlagerraum des Gefrierhauses vor dem Einfrieren.

2. Die Verpflichtung, mit der Einlagerung erst nach dem Abschluß des Lagerhaltungsvertrages zu beginnen, die sich aus Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1071/68 über Durchführungsbestimmungen für die Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung auf dem Sektor Rindfleisch ergibt, stellt eine Hauptpflicht dar, deren Verletzung grundsätzlich den Anspruch auf eine Beihilfe für die betreffende Fleischmenge entfallen lässt. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit lässt den Anspruch auf Beihilfe für die Lagerhaltung von Fleisch allerdings nicht entfallen, wenn der private Lagerhalter der Interventionsstelle telefonisch die beabsichtigte Einlagerung der vertraglich vereinbarten Menge angezeigt hat und wenn dieser Vorgang die Möglichkeit für die Interventionsstelle nicht beeinträchtigt hat, die Einhaltung der Verpflichtungen des Lagerhalters wirksam zu kontrollieren.

3. Bei der Berechnung der für den Anspruch auf Beihilfe für die Lagerhaltung zu berücksichtigenden Menge sind bei entbeintem Fleisch die in Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2471/77 zur Gewährung von im voraus festgesetzten pauschalen Beihilfen für die private Lagerhaltung von Tierkörpern, halben Tierkörpern und "quartiers compensés" auf dem Rindfleischsektor und Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1405/78 zur Gewährung von im voraus festgesetzten pauschalen Beihilfen für die private Lagerhaltung von Vordervierteln auf dem Rindfleischsektor vorgesehenen pauschalen Ausbeutesätze zugrunde zu legen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 28. APRIL 1994. - BUNDESANSTALT FUER LANDWIRTSCHAFTLICHE MARKTORDNUNG GEGEN OTTO FRICK GMBH & CO. KG UND VINZENZ MURR GMBH. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESVERWALTUNGSGERICHT - DEUTSCHLAND. - RINDFLEISCH - BEIHILFE ZUR PRIVATEN LAGERHALTUNG - ZEITPUNKT DER EINLAGERUNG - SANKTION - UNVERARBEITETES FLEISCH - ENTBEINTES FLEISCH - PAUSCHALE UMRECHNUNGSSAETZE - ANWENDUNG. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-433/92 UND C-434/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschlüssen vom 29. Oktober 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Dezember 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage in der Rechtssache C-433/92 (Frick) und fünf Fragen in der Rechtssache C-434/92 (Murr) nach der Auslegung von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1071/68 der Kommission vom 25. Juli 1968 über Durchführungsbestimmungen für die Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung auf dem Sektor Rindfleisch (ABl. L 180, S. 19), von Artikel 4 Absätze 4 und 5 der Verordnung (EWG) Nr. 2471/77 der Kommission vom 8. November 1977 zur Gewährung von im voraus festgesetzten pauschalen Beihilfen für die private Lagerhaltung von Tierkörpern, halben Tierkörpern und "quartiers compensés" auf dem Rindfleischsektor (ABl. L 286, S. 20) und von Artikel 4 Absätze 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1405/78 der Kommission vom 22. Juni 1978 zur Gewährung von im voraus festgesetzten Beihilfen für die private Lagerhaltung von Vordervierteln auf dem Rindfleischsektor (ABl. L 170, S. 20) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Otto Frick GmbH & Co. KG (im folgenden: Firma Frick) und der Vinzenz Murr GmbH (im folgenden: Firma Murr) und der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (im folgenden: BALM), in denen es um gegen diese beiden Firmen erlassene Bescheide der BALM über die Rückforderung der gesamten Beihilfen für die private Lagerhaltung von Rindfleisch geht.

3 Gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1071/68 muß der Vertrag über die private Lagerhaltung den privaten Lagerhalter verpflichten,

"a) die vereinbarte Menge des betreffenden Erzeugnisses auf eigene Rechnung und Gefahr fristgerecht einzulagern und zu lagern,

b) der zuständigen Interventionsstelle Tag und Ort der Einlagerung sowie Art und Gewicht der einzulagernden Erzeugnisse mitzuteilen,

c) der zuständigen Interventionsstelle unverzueglich die Nachweise über die Einlagerung zu übersenden,

...

e) der zuständigen Interventionsstelle jederzeit die Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen zu ermöglichen".

4 Nach Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung wird "die Beihilfe je Gewichtseinheit festgesetzt und bezieht sich auf das bei der Einlagerung nachgewiesene Gewicht vor dem Einfrieren".

5 Artikel 4 Absatz 1 der Verordnungen Nr. 2471/77 und Nr. 1405/78 lautet:

"Der Vertragschließende darf die... Erzeugnisse vor der Einlagerung ganz oder teilweise zerlegen und entbeinen, sofern sämtliches beim Entbeinen oder Zerlegen anfallende Fleisch eingelagert wird."

6 Nach Artikel 4 Absätze 4 und 5 der Verordnung Nr. 2471/77 und Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1405/78 wird keine Beihilfe gezahlt, wenn die tatsächlich eingelagerte Menge weniger als 85 % der vertraglich einzulagernden Menge beträgt, während die Beihilfe entsprechend verringert wird, wenn sich die tatsächlich eingelagerte Menge auf mindestens diesen Prozentsatz beläuft, ohne jedoch die vertraglich einzulagernde Menge zu erreichen.

7 Um den Unterschieden zwischen unbehandeltem und entbeintem Fleisch Rechnung zu tragen, bestimmt die Verordnung Nr. 2471/77 in Artikel 4 Absatz 3:

"Zur Anwendung dieser Verordnung entsprechen 100 kg Fleisch mit Knochen...:

a) 77 kg Fleisch ohne Knochen im Falle des Entbeinens oder Zerlegens der gesamten Menge, für welche der Vertrag abgeschlossen wird, oder im Falle des Entbeinens oder Zerlegens der gleichen Anzahl Vorder- wie Hinterviertel;

b) 70 kg Fleisch ohne Knochen im Falle des Entbeinens oder Zerlegens aller Vorderviertel."

8 Auch die Verordnung Nr. 1405/78 (Vorderviertel) bestimmt in Artikel 4 Absatz 2, daß "zur Anwendung dieser Verordnung 100 Kilogramm Fleisch mit Knochen 70 Kilogramm Fleisch ohne Knochen" entsprechen.

Zum Sachverhalt in der Rechtssache C-433/92 (Frick)

9 Die Firma Frick schloß mit der BALM einen Vertrag über die Gewährung einer Beihilfe für die private Lagerung von 30 000 kg Rindfleisch für die Dauer von sechs Monaten. Sie erhielt eine Beihilfe in Höhe von 41 693,50 DM für die Einlagerung von 22 157,4 kg Fleisch ohne Knochen, das aus 29 571 kg nicht entbeintem Fleisch gewonnen worden war, was einer tatsächlichen Ausbeute von 74,93 % entsprach. Nach der vorzeitigen Auslagerung von 3 220,8 kg forderte die BALM von der Firma Frick die gewährte Beihilfe in voller Höhe zurück und begründete dies damit, daß aufgrund der Entnahme der Mindestsatz von 85 % der einzulagernden Menge, der nach der Verordnung Nr. 1405/78 für die Gewährung der Beihilfe vorgeschrieben sei, nicht mehr erreicht werde. Bei einer Ausbeute von 74,93 % entsprächen die ausgelagerten 3 220,8 kg Fleisch 4 298 kg unverarbeitetem Fleisch, so daß bei Abzug dieser Menge von den ursprünglich eingelagerten 29 571 kg bis zum Ablauf der vertraglich vereinbarten Lagerzeit 25 273 kg unverarbeitetes Fleisch ordnungsgemäß eingelagert worden seien; diese Menge liege unter dem Mindestsatz von 85 % der vertraglich vereinbarten Menge von 30 000 kg.

10 Die Firma Frick wendet sich gegen die Anwendung des tatsächlichen Ausbeutesatzes und macht geltend, daß nur der in der Verordnung Nr. 1405/78 vorgesehene Pauschalsatz zugrunde gelegt werden dürfe. Würde man den Pauschalsatz von 70 % anwenden, käme man zu dem Ergebnis, daß die noch im Lager befindliche Menge Fleisch den Mindestsatz von 85 % übersteige; der Betrag der Beihilfe würde daher nur entsprechend gekürzt.

11 Nachdem ihr bei der BALM eingelegter Widerspruch erfolglos geblieben war, erhob die Firma Frick Klage beim Verwaltungsgericht, das am 18. Juli 1985 die angefochtenen Bescheide aufhob. Mit Urteil vom 26. August 1991 änderte der Verwaltungsgerichtshof dieses Urteil und hob die angefochtenen Bescheide nur insoweit auf, als mit ihnen die Erstattung der genannten Beihilfe und nicht deren anteilige Kürzung verfügt wurde.

12 Nachdem die BALM Revision eingelegt hatte, um feststellen zu lassen, daß die Mindestmenge von 85 % anhand der beim Entbeinen tatsächlich erzielten Ausbeute zu berechnen sei, ist das Bundesverwaltungsgericht zu der Ansicht gelangt, daß die Entscheidung des Verfahrens von der Auslegung von Artikel 4 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 1405/78 abhänge; es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist bei der Berechnung der vertraglich einzulagernden Menge gemäß Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1405/78 der Kommission vom 22. Juni 1978 (ABl. L 170, S. 20) bei entbeintem Fleisch von der tatsächlich erzielten Ausbeute oder von dem sich aus Artikel 4 Absatz 2 dieser Verordnung ergebenden Ausbeutesatz von 70 % auszugehen?

Zum Sachverhalt in der Rechtssache C-434/92 (Murr)

13 Die Firma Murr erhielt eine Beihilfe für die private Lagerhaltung von 40 Tonnen Rindfleisch in Höhe von 1 330,90 DM je Tonne für eine Lagerzeit von sechs Monaten. An dem Tag, an dem ihr Beihilfeantrag gestellt wurde, teilte sie der örtlich zuständigen Aussenstelle der BALM mit, daß sie unverzueglich mit dem Entbeinen und Zerlegen eines Teils dieser Menge beginnen werde. Später bestätigte sie, daß sie nach dem Entbeinen und Zerlegen von 40 686 kg Fleisch unter Erzielung einer tatsächlichen Ausbeute von 77,09 % 31 367 kg Fleisch ohne Knochen eingelagert habe. Nachdem die BALM erfahren hatte, daß 5 175,8 kg Fleisch ohne Knochen vor Abschluß des Vertrags eingelagert worden waren, forderte sie die gesamte Beihilfe zurück, da sie der Ansicht war, daß diese Einlagerung nicht genehmigt worden sei. Nach ihrer Meinung lag bei Anwendung des tatsächlichen Ausbeutesatzes von 77,09 % auf die Menge von 5 175,8 kg und nach Abzug der auf diese Weise erhaltenen Menge von 6 713 kg unverarbeitetem Fleisch von der ursprünglichen Menge von 40 686 kg die im Lager verbleibende Menge von 33 973 kg unter der nach der erwähnten Verordnung vorgeschriebenen Mindestmenge von 85 %.

14 Die Firma Murr vertritt die Ansicht, daß mit der Einlagerung des Fleisches vor Abschluß des Vertrages begonnen werden könne und daß die BALM im vorliegenden Fall die Möglichkeit gehabt habe, die Einlagerungstätigkeiten ebenso wirksam wie nach Abschluß dieses Vertrages zu kontrollieren, denn sie sei telefonisch von der Absicht der Firma Murr - gegen die sie keine Einwände erhoben habe - unterrichtet worden, die betreffende Menge Fleisch am Tag des Eingangs des Beihilfeantrags zu zerlegen und zu entbeinen. Zudem vertritt die Firma Murr wie die Firma Frick die Ansicht, daß nur der pauschale Ausbeutesatz, der für sie in der Verordnung Nr. 2471/77 festgesetzt sei, nämlich 77 %, für die Bestimmung herangezogen werden könne, ob die Mindestmenge von 85 % erreicht sei. Wende man diesen Pauschalsatz an, so werde die Mindestmenge von 85 % geringfügig überschritten.

15 Nachdem ein bei der BALM eingelegter Widerspruch erfolglos geblieben war, erhob die Firma Murr Klage beim Verwaltungsgericht, das der Klage mit Urteil vom 14. März 1985 aus verwaltungsverfahrensrechtlichen Gründen stattgab. Mit Urteil vom 9. September 1991 änderte der Verwaltungsgerichtshof dieses Urteil teilweise ab und hob den Bescheid der BALM nur insoweit auf, als mit ihm die Erstattung der gesamten Beihilfe und nicht deren anteilige Kürzung verfügt wurde.

16 Nachdem die BALM Revision und die Firma Murr Anschlußrevision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt hatten, gelangte dieses zu der Ansicht, daß die Entscheidung des Rechtsstreit von der Auslegung von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1071/68 und von Artikel 4 Absätze 4 und 5 der Verordnung Nr. 2471/77 abhänge; es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist der Regelung in Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1071/68 der Kommission vom 25. Juli 1968 (ABl. L 180, S. 19) zu entnehmen, daß der private Lagerhalter mit der Einlagerung der vereinbarten Menge erst nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrages beginnen darf?

2. Wenn Frage 1 bejaht wird: Mit welcher Tätigkeit (Feststellung des Gewichts des einzulagernden Fleisches vor dem Entbeinen und Zerlegen, Entbeinen und Zerlegen, erneutes Verwiegen des entbeinten und zerlegten Fleisches, Einfrieren oder Verbringen der Ware in den Kaltlagerraum des Gefrierhauses) beginnt die Einlagerung im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1071/68?

3. Wenn Frage 1 bejaht wird: Stellt das Gebot, erst nach Vertragsabschluß einzulagern, eine so wesentliche Vertragspflicht (Hauptpflicht) dar, daß eine Verletzung dieser Pflicht den Anspruch auf Beihilfe für die betreffende Fleischmenge entfallen lässt, oder handelt es sich dabei um eine Nebenpflicht von im wesentlichen administrativer Art, deren Verletzung eine so schwerwiegende Sanktion nicht rechtfertigt?

4. Falls Frage 3 grundsätzlich bejaht wird: Entfällt der Anspruch auf Beihilfe auch dann, wenn mit der vorzeitigen Einlagerung erst an dem Tag begonnen wird, an dem der Beihilfeantrag des privaten Lagerhalters bei der zuständigen Behörde eingegangen ist, und wenn der Lagerhalter an demselben Tag der örtlich zuständigen Aussenstelle dieser Behörde telefonisch die beabsichtigte Einlagerung angezeigt hat, ohne daß diese Stelle Bedenken gegen die vorzeitige Einlagerung angemeldet hat? Ist es in diesem Zusammenhang von Bedeutung, ob auch das Einfrieren des Fleisches vor oder erst nach dem Vertragsabschluß erfolgt ist?

5. Ist bei der Berechnung der vertraglich einzulagernden Menge gemäß Artikel 4 Absätze 4 und 5 der Verordnung (EWG) Nr. 2471/77 der Kommission vom 8. November 1977 (ABl. L 286, S. 20) bei entbeintem Fleisch von der tatsächlich erzielten Ausbeute oder von den in Artikel 4 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Ausbeutesätzen auszugehen?

Zur Verbindung der Rechtssachen C-433/92 und C-434/92

17 Da die in der Rechtssache C-433/92 gestellte einzige Frage die gleiche ist wie die fünfte Frage in der Rechtssache C-434/92, hat der Präsident des Gerichtshofes mit Beschluß vom 25. November 1993 die Verbindung der beiden Rechtssachen gemäß Artikel 43 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung beschlossen.

Zu den nur in der Rechtssache C-434/92 (Murr) gestellten Fragen

Erste Frage

18 Mit seiner ersten Frage möchte das Bundesverwaltungsgericht wissen, ob mit der Einlagerung der vereinbarten Menge erst nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrages begonnen werden darf.

19 Wie der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 24. Februar 1994 dargetan hat, führt, da die Verordnung Nr. 1071/68 insoweit keine genaueren Angaben enthält, die Auslegung von Artikel 3 Absatz 2 Buchstaben b und c in Zusammenhang mit Buchstabe e zu dem Ergebnis, daß die Einlagerung nach Abschluß des Vertrages erfolgen muß. Erfolgt sie nämlich vor dem Vertragsabschluß, so kann die Kontrolle nur nachträglich vorgenommen werden, was deren Zuverlässigkeit zu beeinträchtigen droht.

20 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1071/68 so auszulegen ist, daß ein privater Lagerhalter mit der Einlagerung der vertraglich vereinbarten Menge erst nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrages beginnen darf.

Zweite Frage

21 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, mit welcher Tätigkeit die Einlagerung im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1071/68 beginnt.

22 Aus Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1071/68 ergibt sich, daß die Einlagerung nach dem Wiegen und vor dem Einfrieren erfolgt. Dies erlaubt der Interventionsstelle die wirksame Kontrolle.

23 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, daß die Tätigkeit, mit der die Einlagerung im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1071/68 beginnt, das Verbringen des einzulagernden Fleisches in den Kaltlagerraum des Gefrierhauses vor dem Einfrieren ist.

Dritte Frage

24 Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Vertragspartei, die eine Warenmenge vor Abschluß des Lagerhaltungsvertrags eingelagert hat, jeden Anspruch auf eine Beihilfe für diese Menge verliert, ob also die Verpflichtung, das Fleisch erst nach Abschluß des Vertrages einzulagern, eine Hauptpflicht ist, deren Verletzung zum Verlust des Beihilfeanspruchs führt, oder eine blosse Nebenpflicht von im wesentlichen administrativer Art, deren Verletzung eine solche Sanktion nicht rechtfertigt.

25 Die Lagerhaltung muß unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen erfolgen, die geeignet sind, deren Wirksamkeit zu gewährleisten und der Interventionsstelle zu erlauben, Kontrollen durchzuführen sowie Unregelmässigkeiten und Betrügereien vorzubeugen.

26 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß die Verpflichtung, mit der Einlagerung erst nach dem Abschluß des Lagerhaltungsvertrags zu beginnen, eine Hauptpflicht darstellt, deren Verletzung grundsätzlich den Anspruch auf eine Beihilfe für die betreffende Fleischmenge entfallen lässt.

Vierte Frage

27 Unter Berücksichtigung der Antwort auf die dritte Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Anspruch auf Beihilfe auch dann entfällt, wenn die Verwaltung die Möglichkeit hatte, die Einlagerung ebenso wirksam zu kontrollieren, als wenn sie ordnungsgemäß nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrages stattgefunden hätte.

28 Das Bundesverwaltungsgericht, die Kommission und die Firma Murr sind sich über die - allein vom vorlegenden Gericht zu beurteilende - Tatsache einig, daß die örtlich zuständige Aussenstelle der BALM, nachdem die Firma Murr sie von ihrer Absicht unterrichtet hatte, die Möglichkeit hatte, entweder die beabsichtigte Einlagerung ebenso wirksam zu kontrollieren, wie sie es nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrages hätte tun können, oder der vorzeitigen Einlagerung zu widersprechen, was sie nicht getan hat.

29 Unter diesen Umständen erweist sich die Versagung jeder Beihilfe mit der Begründung, daß eine geringe Teilmenge des Fleisches vor dem förmlichen Abschluß des Vertrages eingelagert worden sei, als nicht durch die in Randnummer 25 genannten Ziele gerechtfertigt und wäre daher unverhältnismässig.

30 Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, daß der Anspruch auf Beihilfe für die Lagerhaltung von Fleisch nicht entfällt, wenn der private Lagerhalter der Interventionsstelle telefonisch die beabsichtigte Einlagerung der vertraglich vereinbarten Menge angezeigt und diese Stelle keinerlei Bedenken erhoben hat und wenn dieser Vorgang die Möglichkeit für die Interventionsstelle nicht beeinträchtigt hat, die Einhaltung der Verpflichtungen des Lagerhalters wirksam zu kontrollieren.

Zu der beiden Rechtssachen gemeinsamen Frage

31 Mit der einzigen Frage in der Rechtssache C-433/92 (Frick) und der fünften Frage in der Rechtssache C-434/92 (Murr) möchte das vorlegende Gericht wissen, welcher Umrechnungsschlüssel - tatsächlicher oder pauschaler Ausbeutesatz - bei entbeintem Fleisch zur Festlegung der Mindestmenge zugrunde zu legen ist, die einzulagern ist, damit eine Beihilfe gewährt werden kann.

32 Unter Berufung auf Artikel 4 Absatz 1 der Verordnungen Nrn. 2471/77 und 1405/78, wonach der Einlagerer das gesamte beim Entbeinen oder Zerlegen tatsächlich anfallende Fleisch einlagern muß, vertritt die Kommission die Ansicht, daß der beim Entbeinen und Zerlegen tatsächlich erreichte Ausbeutesatz anzuwenden sei.

33 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2471/77 und Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1405/78 einen Umrechnungsschlüssel "zur Anwendung dieser Verordnung" festlegen, ohne eine Ausnahme hiervon vorzusehen.

34 Die Anwendung des beim Entbeinen oder Zerlegen des Fleisches tatsächlich erzielten Ausbeutesatzes ist in keiner Bestimmung der Verordnungen vorgesehen.

35 Zwar schafft Artikel 4 Absatz 1 der Verordnungen Nrn. 2471/77 und 1405/78 eine Verpflichtung, das gesamte bei den genannten Tätigkeiten anfallende Fleisch einzulagern, jedoch wird nach Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1071/68, der die Einzelheiten der Durchführung der Beihilfegewährung regelt, der Betrag der Beihilfe nur anhand des bei der Einlagerung nachgewiesenen Gewichts vor dem Einfrieren festgesetzt.

36 Artikel 4 Absatz 1 der Verordnungen Nrn. 2471/77 und 1405/78 kann daher nicht so ausgelegt werden, daß mit dieser Bestimmung eine stillschweigende Ausnahme von dem in den Artikeln 4 Absatz 3 bzw. Absatz 2 dieser Verordnungen in bezug auf den Umrechnungsschlüssel aufgestellten Grundsatz eingeführt wird.

37 Daher ist auf diese Frage zu antworten, daß bei der Berechnung der für den Anspruch auf Beihilfe für die Lagerhaltung zu berücksichtigenden Menge bei entbeintem Fleisch die in Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2471/71 und Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1405/78 vorgesehenen pauschalen Ausbeutesätze zugrunde zu legen sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

38 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluß vom 29. Oktober 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1071/68 der Kommission vom 25. Juli 1968 über Durchführungsbestimmungen für die Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung auf dem Sektor Rindfleisch ist so auszulegen, daß ein privater Lagerhalter mit der Einlagerung der vertraglich vereinbarten Menge erst nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrages beginnen darf.

2) Die Tätigkeit, mit der die Einlagerung im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1071/68 beginnt, ist das Verbringen des einzulagernden Fleisches in den Kaltlagerraum des Gefrierhauses vor dem Einfrieren.

3) Die Verpflichtung, mit der Einlagerung erst nach dem Abschluß des Lagerhaltungsvertrages zu beginnen, stellt eine Hauptpflicht dar, deren Verletzung grundsätzlich den Anspruch auf eine Beihilfe für die betreffende Fleischmenge entfallen lässt.

4) Der Anspruch auf Beihilfe für die Lagerhaltung von Fleisch entfällt nicht, wenn der private Lagerhalter der Interventionsstelle telefonisch die beabsichtigte Einlagerung der vertraglich vereinbarten Menge angezeigt und diese Stelle keinerlei Bedenken erhoben hat und wenn dieser Vorgang die Möglichkeit für die Interventionsstelle nicht beeinträchtigt hat, die Einhaltung der Verpflichtungen des Lagerhalters wirksam zu kontrollieren.

5) Bei der Berechnung der für den Anspruch auf Beihilfe für die Lagerhaltung zu berücksichtigenden Menge sind bei entbeintem Fleisch die in Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2471/77 der Kommission vom 8. November 1977 zur Gewährung von im voraus festgesetzten pauschalen Beihilfen für die private Lagerhaltung von Tierkörpern, halben Tierkörpern und "quartiers compensés" auf dem Rindfleischsektor und Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1405/78 der Kommission vom 22. Juni 1978 zur Gewährung von im voraus festgesetzten pauschalen Beihilfen für die private Lagerhaltung von Vordervierteln auf dem Rindfleischsektor vorgesehenen pauschalen Ausbeutesätze zugrunde zu legen.

Ende der Entscheidung

Zurück