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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 14.02.2002
Aktenzeichen: C-440/01 P(R)
Rechtsgebiete: Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten, Richtlinie 75/318/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise, Zweite Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten in der Fassung der Richtlinie 93/39


Vorschriften:

Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten Art. 5
Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten Art. 11 Abs. 1
Richtlinie 75/318/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise Art. 1 Abs. 1
Zweite Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten in der Fassung der Richtlinie 93/39 Art. 15a
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Ausdruck veränderte Umstände" in Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts ist so auszulegen, dass damit jeder neue tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkt gemeint ist, der die Erwägungen des Richters der einstweiligen Anordnung zu den Voraussetzungen in Frage stellen kann, von denen die Aussetzung des Vollzugs oder die einstweilige Anordnung abhängt. Der Anwendungsbereich dieses Ausdrucks kann nicht auf den Eintritt tatsächlicher Umstände oder neuer Tatsachen" beschränkt werden.

( vgl. Randnrn. 63-64 )

2. Schon wegen der Möglichkeit, das Gericht als Richter der einstweiligen Anordnung jederzeit gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts zu ersuchen, seinen Beschluss aufgrund einer Änderung der bei dessen Erlass bestehenden Umstände zu ändern oder aufzuheben, begeht es einen Rechtsfehler, wenn es einer einstweiligen Anordnung die gleiche Rechtskraft wie einem Endurteil oder einem verfahrensbeendenden Beschluss beimisst.

( vgl. Randnrn. 66, 70 )

3. Das Gericht als Richter der einstweiligen Anordnung begeht einen Rechtsfehler, wenn es die Ansicht vertritt, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit beeinträchtigt würde, wenn einer Partei, die sich bewusst dafür entschieden hat, gegen einen Beschluss kein Rechtsmittel einzulegen, gleichwohl gestattet würde, vom Richter der einstweiligen Anordnung die Aufhebung dieses Beschlusses zu verlangen. Es besteht nämlich nicht die Gefahr, dass ein Antrag gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts an die Stelle eines Rechtsmittels tritt, da sich diese beiden Rechtsschutzmöglichkeiten nach ihrem Gegenstand, ihren Wirkungen und den Voraussetzungen für ihre Anwendung unterscheiden.

( vgl. Randnrn. 67-69 )


Beschluss des Gerichtshofes vom 14. Februar 2002. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Artegodan GmbH. - Rechtsmittel - Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts - Veränderte Umstände. - Rechtssache C-440/01 P(R).

Parteien:

In der Rechtssache C-440/01 P(R)

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. B. Wainwright und H. Støvlbæk als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Rechtsmittelführerin,

betreffend ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 5. September 2001 in der Rechtssache T-74/00 R (Artegodan/Kommission, Slg. 2001, II-0000) wegen Aufhebung dieses Beschlusses und des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts vom 28. Juni 2000 in derselben Rechtssache (Slg. 2000, II-2583)

andere Verfahrensbeteiligte:

Artegodan GmbH mit Sitz in Lüchow (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt U. Doepner, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Antragstellerin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, des Kammerpräsidenten P. Jann, der Kammerpräsidentinnen F. Macken und N. Colneric, des Kammerpräsidenten S. von Bahr sowie der Richter C. Gulmann, D. A. O. Edward, A. La Pergola, J.-P. Puissochet, M. Wathelet (Berichterstatter), R. Schintgen, V. Skouris und J. N. Cunha Rodrigues,

Generalanwältin: C. Stix-Hackl

Kanzler: R. Grass

nach Anhörung der Generalanwältin,

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Rechtsmittelschrift, die am 13. November 2001 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß den Artikeln 225 EG und 50 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz vom 5. September 2001 in der Rechtssache T-74/00 R (Artegodan/Kommission, Slg. 2001, II-0000, im Folgenden: angefochtener Beschluss) eingelegt, mit dem der Präsident des Gerichts den Antrag der Kommission gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts auf Aufhebung des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts vom 28. Juni 2000 in dieser Rechtssache (Slg. 2000, II-2583, im Folgenden: Beschluss vom 28. Juni 2000) zurückgewiesen hat.

2 Mit Schriftsatz, der am 11. Dezember 2001 bei der Kanzlei eingegangen ist, hat die Artegodan GmbH (im Folgenden: Artegodan), die Antragstellerin im ersten Rechtszug, ihre schriftliche Stellungnahme gegenüber dem Gerichtshof abgegeben.

3 Da die schriftlichen Stellungnahmen der Parteien alle für die Entscheidung über das vorliegende Rechtsmittel erforderlichen Informationen enthalten, bedarf es keiner mündlichen Anhörung der Parteien.

Rechtlicher Rahmen

4 Am 26. Januar 1965 erließ der Rat die Richtlinie 65/65/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369). Sie wurde mehrfach geändert, u. a. durch die Richtlinien 89/341/EWG des Rates vom 3. Mai 1989 (ABl. L 142, S. 11) und 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 214, S. 22). Nach dem in Artikel 3 der Richtlinie aufgestellten Grundsatz darf ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Staates eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Richtlinie erteilt hat oder wenn eine solche Genehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. L 214, S. 1) erteilt wurde.

5 Nach Artikel 4 der Richtlinie 65/65 ist die Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 3 von der für das Inverkehrbringen verantwortlichen Person bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats zu beantragen.

6 Artikel 5 der Richtlinie 65/65 lautet:

Die Genehmigung nach Artikel 3 wird versagt, wenn sich nach Prüfung der in Artikel 4 aufgeführten Angaben und Unterlagen ergibt, entweder dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder vom Antragsteller unzureichend begründet ist oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist.

Die Genehmigung wird auch dann versagt, wenn die Angaben und Unterlagen zur Stützung des Antrags nicht den Bestimmungen des Artikels 4 entsprechen."

7 Nach Artikel 10 der Richtlinie 65/65 ist die Genehmigung fünf Jahre gültig und kann für jeweils fünf Jahre verlängert werden; diese Verlängerung erfolgt nach einer von der zuständigen Behörde vorzunehmenden Prüfung der Unterlagen, die insbesondere eine Übersicht über den Stand der Angaben zur Pharmakovigilanz und die übrigen für die Arzneimittelüberwachung maßgebenden Informationen enthalten.

8 Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 sieht Folgendes vor:

Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten setzen die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels aus oder widerrufen sie, wenn sich herausstellt, entweder dass das Arzneimittel [bei bestimmungsgemäßem Gebrauch] schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist. Die therapeutische Wirksamkeit fehlt, wenn feststeht, dass sich mit dem Arzneimittel keine therapeutischen Ergebnisse erzielen lassen."

9 Nach Artikel 21 der Richtlinie 65/65 darf die Genehmigung für das Inverkehrbringen nur aus den in dieser Richtlinie aufgeführten Gründen versagt, ausgesetzt oder widerrufen werden.

10 Die Richtlinie 75/318/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneimitteln (ABl. L 147, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 89/341 (im Folgenden: Richtlinie 75/318) schreibt in Artikel 1 Absatz 1 vor, dass die Mitgliedstaaten alle zweckdienlichen Maßnahmen treffen, damit die Angaben und Unterlagen, die gemäß Artikel 4 Absatz 2 Nummern 3, 4, 6, 7 und 8 der Richtlinie 65/65 dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels beizufügen sind, von den Antragstellern entsprechend dem Anhang der Richtlinie 75/318 vorgelegt werden.

11 Die siebte und die achte Begründungserwägung der Richtlinie 75/318 lauten:

Die Begriffe ,Schädlichkeit und ,therapeutische Wirksamkeit in Artikel 5 der Richtlinie 65/65/EWG können nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden und haben nur eine relative Bedeutung, die nach Maßgabe des Standes der Wissenschaft und unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Arzneimittels beurteilt wird. Aus den Angaben und Unterlagen, die dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen beizufügen sind, muss hervorgehen, dass die therapeutische Wirksamkeit höher zu bewerten ist als die potentiellen Risiken. Der Antrag muss abgelehnt werden, wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist.

Da die Beurteilung der Schädlichkeit und der therapeutischen Wirksamkeit sich auf Grund neuer Erkenntnisse ändern kann, sollten die Vorschriften und Nachweise in regelmäßigen Zeitabständen dem wissenschaftlichen Fortschritt angepasst werden."

12 Die Zweite Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. L 147, S. 13) in der Fassung der Richtlinie 93/39 (im Folgenden: Richtlinie 75/319) sieht eine Reihe von Schiedsverfahren vor dem Ausschuss für Arzneispezialitäten (im Folgenden: Ausschuss) der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln vor. Ein solches Verfahren wird durchgeführt, wenn ein Mitgliedstaat im Rahmen des in Artikel 9 der Richtlinie 75/319 vorgesehenen Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung nationaler Genehmigungen für das Inverkehrbringen der Auffassung ist, dass Anlass zu der Annahme besteht, dass die Genehmigung eines Arzneimittels eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen kann (Artikel 10 der Richtlinie), im Fall abweichender Entscheidungen bezüglich der Erteilung, Aussetzung oder Rücknahme nationaler Genehmigungen (Artikel 11), in besonderen Fällen von Gemeinschaftsinteresse (Artikel 12) sowie bei Änderungen harmonisierter Genehmigungen (Artikel 15, 15a und 15b).

13 Nach Artikel 12 der Richtlinie 75/319 können u. a. die Mitgliedstaaten in besonderen Fällen von Gemeinschaftsinteresse den Ausschuss mit der Anwendung des Verfahrens nach Artikel 13 befassen, bevor sie über einen Antrag auf Genehmigung, über die Aussetzung oder den Widerruf einer Genehmigung bzw. über jede andere Änderung der Bedingungen einer Genehmigung für das Inverkehrbringen entscheiden, die für erforderlich gehalten wird, insbesondere um die im Rahmen der Pharmakovigilanz gemäß Kapitel Va der Richtlinie 75/319 gesammelten Informationen zu berücksichtigen.

14 Artikel 15a der Richtlinie 75/319 lautet:

(1) Ist ein Mitgliedstaat der Ansicht, dass die Änderung der Bedingungen für eine Genehmigung, die gemäß den Bestimmungen dieses Kapitels erteilt worden ist oder deren Aussetzung oder Rücknahme für den Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich ist, so verweist der betreffende Mitgliedstaat diese Angelegenheit unverzüglich zur Anwendung der Verfahren gemäß den Artikeln 13 und 14 an den Ausschuss.

(2) Ist eine Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dringend erforderlich, so kann der Mitgliedstaat unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 12 in Ausnahmefällen bis zu einer endgültigen Entscheidung das Inverkehrbringen und die Anwendung des betreffenden Arzneimittels in seinem Hoheitsgebiet aussetzen. Er hat die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten spätestens am nächsten Arbeitstag über die Gründe dieser Maßnahme zu unterrichten."

15 Artikel 13 der Richtlinie 75/319 beschreibt den Ablauf des Verfahrens vor dem Ausschuss. Artikel 14 regelt, wie die Kommission nach Erhalt des Gutachtens des Ausschusses vorzugehen hat. Artikel 14 Absatz 1 Unterabsatz 3 lautet: Entspricht der Entscheidungsentwurf [der Kommission] ausnahmsweise nicht dem Gutachten der Agentur, so hat die Kommission auch eine eingehende Begründung der Abweichung beizufügen."

Sachverhalt und Verfahren

16 Artegodan wurde in Deutschland eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Amfepramon enthaltenden Arzneimittels mit der Bezeichnung Tenuate Retard" erteilt.

17 Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt wird im angefochtenen Beschluss wie folgt dargestellt:

15 Am 17. Mai 1995 wandte sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 12 der Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie 93/39 an den Ausschuss und teilte ihm ihre Befürchtungen im Zusammenhang mit Anorektika mit, zu denen auch Amfepramon enthaltende Arzneimittel gehörten und die eine schwere pulmonale Hypertonie hervorrufen könnten.

16 Das durch diese Anrufung eingeleitete Verfahren führte zum Erlass der auf Artikel 14 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 75/319 gestützten Entscheidung K(96) 3608 der Kommission vom 9. Dezember 1996 (im Folgenden: Entscheidung von 1996). In den Artikeln 1 und 2 dieser Entscheidung wurde den Mitgliedstaaten aufgegeben, im Hinblick auf die in ihrem Anhang II zusammengefassten Merkmale bestimmte klinische Angaben in den einzelstaatlichen Zulassungen für das Inverkehrbringen der in Anhang I aufgeführten Arzneimittel zu ändern, zu denen auch Mittel gehörten, die u. a. Amfepramon enthielten. Anhang II sah u. a. die Durchführung der Behandlung mit den betreffenden Mitteln unter der Aufsicht eines in der Behandlung von Übergewicht erfahrenen Arztes, eine Behandlungsdauer von höchstens drei Monaten und verschiedene ,Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung vor.

17 Nach den Artikeln 3 und 4 der Entscheidung von 1996 war sie an alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Königreichs Schweden und der Republik Finnland gerichtet, und die Adressaten hatten ihr innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.

18 Es ist unstreitig, dass das von der Antragstellerin vermarktete Tenuate Retard seit der Umsetzung der Entscheidung von 1996 durch die deutschen Behörden im Einklang mit den in der geänderten Genehmigung für das Inverkehrbringen aufgestellten Bedingungen verkauft wurde.

19 Ungeachtet der Entscheidung von 1996 äußerte das Königreich Belgien mit Schreiben seines Ministeriums für soziale Angelegenheiten, Volksgesundheit und Umwelt vom 7. November 1997 an den Vorsitzenden des Ausschusses der Agentur u. a. die Befürchtung, dass es eine Kausalbeziehung zwischen Herzklappenstörungen und der Einnahme von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln gebe, insbesondere wenn sie zusammen mit anderen Anorektika verabreicht würden. Das Ministerium ersuchte daher den Ausschuss gemäß den Artikeln 13 und 15a der Richtlinie 75/319, ein begründetes Gutachten zu den betreffenden Arzneimitteln abzugeben.

20 Daraufhin wurde ein Verfahren gemäß Artikel 13 der Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie 93/39 eingeleitet. Am Ende dieses Verfahrens erging am 4. Juni 1998 der Bericht von Picon und Abadie. Die Berichterstatter des Ausschusses kamen zu dem Ergebnis, dass kein Zusammenhang zwischen der Verwendung von Amfepramon und Herzklappenveränderungen nachweisbar und deren Auftreten in Belgien auf die Kombination von Amfepramon mit anderen Anorektika zurückzuführen sei. Sie fügten hinzu, eine solche Kombination von Anorektika sollte in Europa kontraindiziert werden.

21 Trotz dieses Ergebnisses forderte der Ausschuss die betroffenen Unternehmen, darunter die Antragstellerin, am 23. Juli 1998 auf, sich im Hinblick auf die von der Agentur am 17. Dezember 1997 herausgegebenen Leitlinien zur klinischen Untersuchung von zur Gewichtskontrolle verabreichten Arzneimitteln (,Note for Guidance on Clinical Investigation of Drugs Used in Weight Control) zum globalen Nutzen-Risiko-Verhältnis ihrer jeweiligen Amfepramon enthaltenden Arzneimittel zu äußern.

22 Eine Anhörung der Inhaber von Genehmigungen für das Inverkehrbringen fand am 24. März 1999 statt. Im Anschluss an diese Anhörung legte der Ausschuss ergänzend zum Bericht von Picon und Abadie den Bericht von Casto, Martinetti und Saint-Raymond vor. In diesem ergänzenden Bericht waren die fraglichen Arzneimittel Gegenstand einer neuen Beurteilung anhand der in den oben genannten Leitlinien festgelegten Kriterien. Die Verfasser des Berichts kamen zu folgendem Ergebnis: ,Aufgrund seines Potenzials für Gewöhnung und physiologische Abhängigkeit kann Amfepramon nur für weniger als drei Monate angewandt werden; dies steht im Widerspruch zu den aktuellen Leitlinien, die eine langfristige Behandlung [von Übergewicht] empfehlen.

23 Auf der Grundlage des Berichts von Casto, Martinetti und Saint-Raymond erstattete der Ausschuss am 22. April 1999 ein Zwischengutachten über die wissenschaftliche Bewertung von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln. Im Hinblick auf die Befürchtungen der belgischen Behörden befürwortete der Ausschuss trotz seiner Schlussfolgerung, dass ,es keinen klinischen oder epidemiologischen Beweis dafür gibt, dass die Amfepramon-Monotherapie zu einem erhöhten Risiko von Herzklappenstörungen führt, den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln.

24 Die Antragstellerin legte dagegen am 30. Juni 1999 Einspruch ein, und am 28. Juli 1999 fand in dieser Angelegenheit eine Anhörung statt. In einem am 17. August 1999 beim Ausschuss eingereichten Bericht (dem Bericht von Garattini und Andres-Trelles) wurde jedoch empfohlen, an dem streitigen Widerruf festzuhalten.

25 In seinem endgültigen Gutachten vom 31. August 1999 wies der Ausschuss den Einspruch zurück und hielt mehrheitlich an der Empfehlung fest, die fraglichen Genehmigungen für das Inverkehrbringen zu widerrufen.

26 Am 5. Januar 2000 wurde dem in Artikel 37b der Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie 93/39 vorgesehenen Ständigen Ausschuss für Humanarzneimittel gemäß Artikel 14 Absatz 2 der Richtlinie ein Entscheidungsentwurf übermittelt, der den Widerruf der fraglichen Genehmigungen vorsah. Er wurde den betroffenen Unternehmen, zu denen auch die Antragstellerin gehörte, am 19. Januar 2000 bekannt gegeben.

27 Am 9. März 2000 erließ die Kommission die... Entscheidung [K(2000) 453 über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff ,Amfepramon enthalten (im Folgenden: ,angefochtene Entscheidung)].

28 In Artikel 1 dieser Entscheidung fordert die Kommission die Mitgliedstaaten auf, die gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 erteilten Zulassungen für die in Anhang I der Entscheidung aufgeführten Arzneimittel, die Amfepramon enthalten, zurückzunehmen.

29 Nach Artikel 2 der angefochtenen Entscheidung ist die Rücknahme der Zulassungen ,auf der Grundlage der in Anhang II dieser Entscheidung zusammengefassten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen gerechtfertigt. Artikel 3 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Zulassungen aller in Anhang I der angefochtenen Entscheidung aufgeführten Arzneimittel innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zurücknehmen.

30 Anhang II der angefochtenen Entscheidung enthält die wissenschaftlichen Beurteilungen im endgültigen Gutachten des Ausschusses, das der Kommission von der Agentur übermittelt wurde. Zur Wirksamkeit von Amfepramon stellt der Ausschuss fest, dass dieser Stoff ,nachweislich nur mäßige kurzfristige Gewichtsverringerungen... bewirkt, dass seine ,Langzeiteffekte... nicht belegt seien und dass sich daher auf der Grundlage der verfügbaren Belege ,nicht mehr annehmen [lässt], Amfepramon verfüge bei der Behandlung von Fettleibigkeit über eine therapeutische Wirksamkeit oder weise (folglich) ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis auf. In Bezug auf die Sicherheit räumt der Ausschuss zwar ein, dass die ,Bedenken hinsichtlich eines möglichen Zusammenhangs zwischen Amfepramon und einer primären pulmonalen Hypertonie oder Herzklappenveränderungen... nicht... erhärtet [wurden], schloss aber die Existenz von ,potenziellen Risiken nicht aus. Ferner vertrat er die Ansicht, dass, ,obwohl die verfügbaren Daten nahe legen, dass das Risiko der Abhängigkeit bei Amfepramon geringer ist als bei Amphetamin, ein gewisses Risiko dennoch tatsächlich vorhanden ist und entsprechend berücksichtigt werden muss, insbesondere bei einer Langzeitbehandlung. Er kam daher zu dem Ergebnis, dass ,Amfepramon-haltige Arzneimittel ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweisen.

31 Die Genehmigung für das Inverkehrbringen, über die die Antragstellerin verfügt, gehört zu denen, die in Anhang I der angefochtenen Entscheidung aufgeführt sind."

18 Mit Schriftsatz, der am 30. März 2000 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Artegodan gemäß Artikel 230 Absatz 4 EG Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung oder, hilfsweise, auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung insoweit, als sie die Rücknahme der Zulassung für Tenuate Retard zur Folge hat.

19 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts einging, beantragte Artegodan, den Vollzug der angefochtenen Entscheidung auszusetzen, hilfsweise ihn insoweit auszusetzen, als der Bundesrepublik Deutschland durch Artikel 1 der Entscheidung in Verbindung mit Anhang I die Rücknahme der Zulassung für Tenuate Retard aufgegeben wird. Ferner beantragte sie gemäß Artikel 105 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts, eine Eilentscheidung über den Aussetzungsantrag zu treffen.

20 Am 11. April 2000 ordnete der Präsident des Gerichts an, dass der Vollzug der angefochtenen Entscheidung bis zum Erlass des Beschlusses, der das Verfahren der einstweiligen Anordnung beendet, ausgesetzt wird.

21 Mit Beschluss vom 28. Juni 2000 gab der Präsident des Gerichts dem Antrag von Artegodan statt und setzte den Vollzug der angefochtenen Entscheidung aus.

22 Im Wesentlichen stellte er zunächst fest, dass die Voraussetzung des Fumus boni iuris im vorliegenden Fall erfuellt sei. Hierzu vertrat er in Randnummer 35 des Beschlusses vom 28. Juni 2000 die Ansicht, dass die Zuständigkeit der Kommission für den Erlass der angefochtenen Entscheidung von der Natur der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 ab[hängt], die streitig ist", und dass die Kommission im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine überzeugenden Gesichtspunkte vorgetragen [hat], die erklären, weshalb die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und die angefochtene Entscheidung zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen gelangen".

23 Sodann kam er hinsichtlich der Dringlichkeit unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Artegodan über keine weiteren zugelassenen Erzeugnisse verfügte, zu dem Ergebnis, dass ihr bei sofortigem Vollzug der angefochtenen Entscheidung ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden entstehen könnte. Dabei stützte er sich auf folgende Erwägungen:

45 Im vorliegenden Fall bedeutet der sofortige Vollzug der angefochtenen Entscheidung, dass die in deren Artikel 1 genannten Arzneimittel ganz vom Markt genommen werden. Der sofortige Vollzug bedeutet damit auch, dass diese Arzneimittel im Pharmahandel ausgelistet werden und aus den für die Beratungs- und Verschreibungspraxis der Ärzteschaft maßgeblichen Arzneimittellisten verschwinden. Wird der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht ausgesetzt, so werden zudem Ersatzarzneimittel, deren Existenz beide Parteien anerkennen, sehr wahrscheinlich an die Stelle der zurückgenommenen Arzneimittel treten. Das Vertrauen der Verbraucher, der Ärzte und der Apotheker in ein Arzneimittel ist aber besonders empfindlich gegenüber Erklärungen, wonach das betreffende Arzneimittel eine Gefahr für die Gesundheit des Patienten darstellt. Selbst wenn diese Erklärungen später widerlegt werden, kann das Vertrauen in das zurückgenommene Produkt häufig nicht mehr wiederhergestellt werden, außer in speziellen Fällen, nämlich dann, wenn die Eigenschaften des Arzneimittels von den Verbrauchern besonders geschätzt werden und es kein vollwertiges Ersatzprodukt gibt oder wenn der Hersteller einen außergewöhnlich guten Ruf genießt, so dass nicht behauptet werden kann, dass er die Marktanteile, die er vor der Rücknahme besessen hat, nicht zurückerobern könnte. Ein solcher spezieller Fall liegt hier jedoch nicht vor.

46 Sollte das Gericht die angefochtene Entscheidung für nichtig erklären und die Antragstellerin somit ihr Arzneimittel erneut vertreiben dürfen, ließe sich zudem der finanzielle Schaden, den sie aufgrund des Absatzrückgangs infolge eines Vertrauensverlustes in Bezug auf ihr Präparat erlitten hat, im Hinblick auf einen Ersatz tatsächlich nicht vollständig genug quantifizieren."

24 Schließlich war er im Rahmen der Interessenabwägung der Auffassung, dass der den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit unbestreitbar einzuräumende Vorrang, sobald auf solche Erfordernisse hingewiesen werde, eine Prüfung der besonderen Umstände des konkreten Falles nicht ausschließen könne. Bei dieser Prüfung kam er zu folgendem Ergebnis:

54 Im vorliegenden Fall hat die Kommission überzeugend dargetan, dass Unsicherheiten bezüglich der Risiken bestehen, die mit Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln verbunden sind, auch wenn diese Risiken gering sind. Während jedoch der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und der angefochtenen Entscheidung genau die gleichen Informationen zugrunde liegen, unterscheiden sich die Maßnahmen, die die Kommission 1996 und 2000 zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gegenüber diesen Risiken getroffen hat, grundlegend. Die Kommission musste daher nachweisen, dass sich die in der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 enthaltenen Schutzmaßnahmen als für den Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht ausreichend erwiesen hatten, so dass die Schutzmaßnahmen, die sie in der angefochtenen Entscheidung getroffen hat, nicht offensichtlich unverhältnismäßig sind. Dieser Nachweis ist der Kommission indessen nicht gelungen.

55 Außerdem lässt der Umstand, dass die für den Erlass der angefochtenen Entscheidung ausschlaggebenden Gesundheitsrisiken bereits in der Entscheidung der Kommission vom 9. Dezember 1996 berücksichtigt worden waren und zu einer Änderung der obligatorischen Angaben bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geführt hatten, darauf schließen, dass die Durchführung der angefochtenen Entscheidung nicht dringend ist."

25 Gegen diesen Beschluss vom 28. Juni 2000 legte die Kommission kein Rechtsmittel ein.

26 Außer der angefochtenen Entscheidung erließ die Kommission am 9. März 2000 noch zwei weitere Entscheidungen über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die Phentermin (K[2000] 452) und die Stoffe Clobenzorex", Fenbutrazat", Fenproporex", Mazindol", Mefenorex", Norpseudoephedrin", Phenmetrazin", Phendimetrazin" und Propylhexedrin" (K[2000] 608) enthalten. Alle diese Entscheidungen betreffen Arzneimittel zur Behandlung von Fettleibigkeit, die bereits Gegenstand der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 waren, und schließen sich an eine von zwei Mitgliedstaaten verlangte Neubewertung dieser Arzneimittel gemäß Artikel 15a der Richtlinie 75/319 an. Das Bewertungsverfahren führte zu mehreren Gutachten des Ausschusses, die nahezu einstimmig erstellt wurden und mit ganz ähnlicher Begründung die Rücknahme der Zulassung der genannten Arzneimittel empfahlen. Die Entscheidungen der Kommission vom 9. März 2000 beruhen auf diesen Gutachten.

27 Neben dem Antrag von Artegodan war die angefochtene Entscheidung noch Gegenstand von zwei weiteren Anträgen auf Aussetzung des Vollzugs, die von der Bruno Farmaceutici SpA und anderen Gesellschaften sowie von der Laboratoires pharmaceutiques Trenker SA gestellt wurden. Die beiden anderen Entscheidungen der Kommission vom 9. März 2000 waren Gegenstand von sechs Anträgen auf einstweilige Anordnung. Über diese acht Anträge entschied der Präsident des Gerichts mit Beschluss vom 19. Oktober 2000 in der Rechtssache T-141/00 R (Trenker/Kommission, Slg. 2000, II-3313) und sieben Beschlüssen vom 31. Oktober 2000 in den Rechtssachen T-76/00 R (Bruno Farmaceutici u. a./Kommission, Slg. 2000, II-3557), T-83/00 R II (Schuck/Kommission, Slg. 2000, II-3585), T-83/00 R I (Hänseler/Kommission, Slg. 2000, II-3563), T-84/00 R (Roussel und Roussel Diamant/Kommission, Slg. 2000, II-3591), T-85/00 R (Roussel und Roussel Iberica/Kommission, Slg. 2000, II-3613), T-132/00 R (Gerot Pharmazeutika/Kommission, Slg. 2000, II-3635) und T-137/00 R (Cambridge Healthcare Supplies/Kommission, Slg. 2000, II-3653). In diesen acht Beschlüssen ordnete der Präsident des Gerichts die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung und der beiden anderen Entscheidungen der Kommission vom 9. März 2000 an.

28 Gegen die acht Beschlüsse, die auf nahezu identischen Gründen wie der Beschluss vom 28. Juni 2000 beruhen, legte die Kommission, anders als gegen den letztgenannten Beschluss, Rechtsmittel ein.

29 Der Präsident des Gerichtshofes gab diesen Rechtsmitteln mit Beschlüssen vom 11. April 2001 in den Rechtssachen C-459/00 P(R) (Kommission/Trenker, Slg. 2001, I-2823), C-471/00 P(R) (Kommission/Cambridge Healthcare Supplies, Slg. 2001, I-2865), C-474/00 P(R) (Kommission/Bruno Farmaceutici u. a., Slg. 2001, I-2909), C-475/00 P(R) (Kommission/Hänseler, Slg. 2001, I-2953), C-476/00 P(R) (Kommission/Schuck, Slg. 2001, I-2995), C-477/00 P(R) (Kommission/Roussel und Roussel Diamant, Slg. 2001, I-3037), C-478/00 P(R) (Kommission/Roussel und Roussel Iberica, Slg. 2001, I-3079) und C-479/00 P(R) (Kommission/Gerot Pharmazeutika, Slg. 2001, I-3121) aus nahezu identischen Gründen statt, hob die acht angefochtenen Beschlüsse auf und wies die beim Gericht gestellten Anträge auf einstweilige Anordnung zurück.

30 Er stellte insbesondere in Randnummer 57 seines Beschlusses Kommission/Bruno Farmaceutici u. a. fest, dass den Erwägungen, die der Beschluss Bruno Farmaceutici u. a./Kommission sowohl zum Fumus boni iuris als auch zur Interessenabwägung enthält, keine auch nur summarische Prüfung der Begründung in Anhang II der angefochtenen Entscheidung zugrunde [liegt], auf die in Artikel 2 der Entscheidung verwiesen wird". Dabei wies er auf die Bedeutung dieser Begründung im Hinblick auf den Gegenstand der angefochtenen Entscheidung und angesichts der Rechtsvorschriften für die Beurteilung von Arzneimitteln hin. Im Einzelnen stellte er folgende Erwägungen an:

58 Anhang II der angefochtenen Entscheidung, in dem die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses wiedergegeben sind, aus denen sich die Gründe für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen der in Anhang I der Entscheidung aufgezählten Arzneimittel ergeben, enthält zunächst eine Analyse der Wirksamkeit dieser Arzneimittel. Aus ihr wird der Schluss gezogen, dass Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln ,bei der Behandlung von Fettleibigkeit die Wirksamkeit fehlt, wenn sie aufgrund der im Laufe von Jahren gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse und der aktuellen medizinischen Empfehlungen bewertet werden.

59 Diese Schlussfolgerung wird in Anhang II darauf gestützt, dass die Auswirkung von Amfepramon auf den Gewichtsverlust gering sei und ,unabhängig von der Behandlungsdauer nie über 5,1 kg [lag]. Der größte Effekt wurde in den ersten zwei Monaten erzielt, unmittelbar danach nahm er ab. Zu dem Argument, dass eine kurzfristige Verringerung des Körpergewichts im Rahmen eines Programms zur Behandlung der Fettleibigkeit nützlich sein könnte, wird in Anhang II ausgeführt: ,Nach Beendigung der Behandlung kommt es jedoch erneut zu einer raschen Gewichtszunahme, und es liegen keine kontrollierten Studien vor, die belegen, dass eine begrenzte kurzfristige Wirkung eine langfristige, klinisch relevante Auswirkung auf das Körpergewicht hat oder einen klinischen Vorteil im Rahmen eines Programms zur Behandlung der Fettleibigkeit bietet. Weiter heißt es: ,Wegen des Risikos des Medikamentenmissbrauchs und der Medikamentenabhängigkeit verbietet sich eine Langzeitbehandlung mit Amfepramon. Im Ergebnis bewirke Amfepramon ,nachweislich nur mäßige, kurzfristige Gewichtsverringerungen von zweifelhafter und nicht belegter Relevanz für den Krankheitsverlauf.

60 Nach den Angaben in Anhang II erfordert eine therapeutisch wirksame Behandlung der Fettleibigkeit eine wesentliche und langfristige, d. h. mindestens ein Jahr anhaltende Verringerung des Körpergewichts. Weiter heißt es dort: ,Diese Erkenntnis beruht auf den im Laufe von Jahren gesammelten wissenschaftlichen Erfahrungen und findet in den gegenwärtigen medizinischen Empfehlungen ihren Niederschlag, so zum Beispiel in der Note for Guidance on Clinical Investigation of Drugs Used in Weight Control (Leitlinie zur klinischen Prüfung von verabreichten Medikamenten zur Gewichtskontrolle) (CPMP/EWP/281/96). Ferner kommt diese Erkenntnis auch in den gegenwärtigen Leitlinien zum Ausdruck, z. B. der schottischen Leitlinie (1996), einer Leitlinie des Royal College of Physicians (1998) und einer Leitlinie der American Society for Clinical Nutrition (1998)."

31 Zu den Rechtsvorschriften für die Beurteilung von Arzneimitteln führte der Präsident des Gerichtshofes aus:

62 Nach Artikel 5 der Richtlinie 65/65 erstreckt sich die Beurteilung jedes Arzneimittels auf seine Wirksamkeit, seine Unschädlichkeit und seine Qualität. Die Beachtung dieser drei Voraussetzungen dient zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Schon der Begriff des Schutzes der öffentlichen Gesundheit impliziert nämlich, dass das fragliche Arzneimittel nicht nur unschädlich, sondern auch wirksam ist. So wird in den Fußnoten zu den Artikeln 10 Absatz 1 der Richtlinie 75/319 und 7a der Richtlinie 65/65 ausgeführt, dass sich der Ausdruck ,Gefahr für die öffentliche Gesundheit auf die Qualität, die Sicherheit und die Wirksamkeit des Arzneimittels bezieht.

63 Die Bedeutung der Wirksamkeit des Arzneimittels, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, hängt damit zusammen, dass in Artikel 1 Nummer 2 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 zur Definition des Arzneimittelbegriffs das Kriterium der ,Bezeichnung verwendet wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes soll dieses Kriterium nicht nur Arzneimittel erfassen, die tatsächlich eine therapeutische oder medizinische Wirkung haben, sondern auch Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam sind oder nicht die Wirkung haben, die nach ihrer Bezeichnung von ihnen zu erwarten wäre; dadurch sollen die Verbraucher nicht nur vor schädlichen oder giftigen Arzneimitteln als solchen geschützt werden, sondern auch vor Erzeugnissen, die anstelle geeigneter Heilmittel verwendet werden (vgl. zuletzt Urteil vom 28. Oktober 1992 in der Rechtssache C-219/91, Ter Voort, Slg. 1992, I-5485, Randnr. 16).

64 Wie schon aus dem Wortlaut von Artikel 11 der Richtlinie 65/65 hervorgeht, hat die zuständige Behörde folglich eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nicht nur dann zu widerrufen oder auszusetzen, wenn sich herausstellt, dass das Arzneimittel schädlich ist oder nicht die angegebene Qualität aufweist, sondern auch dann, wenn es sich als nicht wirksam erweist.

65 Der Grad der Schädlichkeit, den die zuständige Behörde als akzeptabel ansehen kann, hängt somit vom Nutzen ab, den das Arzneimittel haben soll. Wie der siebten und der achten Begründungserwägung der Richtlinie 75/318 zu entnehmen ist, können die Begriffe ,Schädlichkeit und ,therapeutische Wirksamkeit nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden. Daher können die Gründe, die eine zuständige Behörde veranlasst haben, die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels aufrechtzuerhalten, obwohl es bestimmte schädliche Auswirkungen hat, wegfallen, wenn die Behörde zu der Auffassung gelangt, dass der die Genehmigung rechtfertigende Nutzen, d. h. die therapeutische Wirksamkeit, nicht mehr vorhanden ist. Wie sich aus der Einleitung des Anhangs der Richtlinie 75/318 in der Fassung der Richtlinie 91/507/EWG der Kommission vom 19. Juli 1991 (ABl. L 270, S. 32) ergibt, sind nämlich den zuständigen Behörden ,zwecks Kontrolle der Nutzen-Risiko-Bewertung nach Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen alle neuen Angaben oder Informationen vorzulegen.

66 Im angefochtenen Beschluss wird bei den Ausführungen zum Fumus boni iuris und zur Interessenabwägung nicht auf die Erwägungen eingegangen, die in der Begründung der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf die Änderung der wissenschaftlichen Kriterien für die Beurteilung von Arzneimitteln zur Behandlung von Fettleibigkeit und die fehlende therapeutische Wirksamkeit von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln zu finden sind.

67 Eine solche Änderung stellt aber nach dem Wortlaut der angefochtenen Entscheidung einen ausschlaggebenden Gesichtspunkt für die Beurteilung der genannten Arzneimittel durch den Ausschuss und die Kommission dar.

68 Ferner betreffen aufgrund dieses Versäumnisses die [den Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln zugeschriebenen] Risiken [für die Gesundheit] ausschließlich die Schädlichkeit des Arzneimittels, ohne den Bezug zu dessen fehlender therapeutischer Wirksamkeit herzustellen."

32 Der Präsident des Gerichtshofes kam daher in Randnummer 69 des Beschlusses Kommission/Bruno Farmaceutici u. a. zu dem Ergebnis, dass der Beschluss Bruno Farmaceutici u. a./Kommission mit einem Rechtsfehler behaftet und daher aufzuheben ist, da wesentliche Aspekte der Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt wurden und damit deren Inhalt unrichtig wiedergegeben wurde.

33 Da die acht Rechtssachen zur Entscheidung reif waren, entschied der Präsident des Gerichtshofes über die beim Gericht gestellten Anträge auf einstweilige Anordnung und wies sie alle zurück.

34 Dabei stellte er im Beschluss Kommission/Bruno Farmaceutici u. a. Folgendes fest:

- Zum Fumus boni iuris

89... Es ist unstreitig, dass bei jeder Entscheidung über den Widerruf einer... Genehmigung [für das Inverkehrbringen], die gemäß dem Verfahren der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 getroffen wird, die in Artikel 11 der Richtlinie 65/65 aufgestellten inhaltlichen Voraussetzungen in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität des Arzneimittels beachtet werden müssen. Eine derartige Entscheidung ist somit das Ergebnis komplexer Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet.

90 Solche Beurteilungen sind grundsätzlich nur in begrenztem Umfang gerichtlich überprüfbar. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verfügt eine Gemeinschaftsbehörde, die im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Bewertungen vorzunehmen hat, dabei über ein weites Ermessen, dessen Ausübung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, bei der der Gemeinschaftsrichter seine Würdigung des Sachverhalts nicht an die Stelle derjenigen dieser Behörde setzen kann. Somit beschränkt er sich in einem solchen Fall auf die Prüfung der Richtigkeit der Tatsachen und ihrer rechtlichen Einordnung durch diese Behörde und insbesondere der Frage, ob deren Handeln einen offensichtlichen Irrtum oder Ermessensmissbrauch aufweist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat (vgl. zum Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels Urteil [vom 21. Januar 1999 in der Rechtssache C-120/97,] Upjohn, [Slg. 1999, I-223,] Randnr. 34).

91 Im vorliegenden Fall ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, dass die auf dem Gutachten des Ausschusses beruhende angefochtene Entscheidung einen offensichtlichen Irrtum oder einen Ermessensmissbrauch aufweist oder dass die Kommission die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat."

- Zur Dringlichkeit

103... [D]er behauptete Schaden [ist] rein finanzieller Art... und [kann] als solcher grundsätzlich nicht als irreparabel oder auch nur als schwer wieder gutzumachen angesehen werden..., da ein späterer finanzieller Ausgleich möglich ist (Beschluss vom 3. Juli 1984 in der Rechtssache 141/84 R, De Compte/Parlament, Slg. 1984, 2575, Randnr. 4).

104 Der Richter der einstweiligen Anordnung hat jedoch die Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen (Beschluss De Compte/Parlament, Randnr. 4).

105 [Prüfung der finanziellen Situation von sechs der acht Antragstellerinnen mit dem Ergebnis, dass ihre Verluste, die sich aus der Durchführung der angefochtenen Entscheidung ergeben würden, ,wahrscheinlich durch den Verkauf anderer Produkte ausgeglichen werden [könnten] und... daher keinesfalls ihre finanzielle Leistungsfähigkeit gefährden [würden].]

106 [Prüfung der finanziellen Situation der Temmler Pharma GmbH & Co. KG mit dem Ergebnis, dass ,die ihr drohenden finanziellen Schwierigkeiten nicht geeignet [erscheinen], ihre Existenz in Frage zu stellen, da der Umsatz von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln, für deren Inverkehrbringen sie eine Genehmigung besitzt, weniger als 10 % ihres Gesamtumsatzes beträgt.]

107 Die Essential Nutrition Ltd erzielt mit Diethylpropion, dem Amfepramon enthaltenden Arzneimittel, für dessen Inverkehrbringen sie eine Genehmigung erhalten hat, fast zwei Drittel ihres Umsatzes. Unter diesen Umständen lässt sich nicht ausschließen, dass die finanziellen Schwierigkeiten, die sich für sie aus der Durchführung der angefochtenen Entscheidung ergeben könnten, geeignet wären, ihre Existenz in Frage zu stellen.

108 Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerinnen auf dem Markt für Humanarzneimittel tätig sind, der streng reglementiert ist.

109 In einem Bereich, der oft erhebliche Investitionen erfordert und in dem die zuständigen Behörden aus Gründen, die für die betroffenen Unternehmen nicht immer vorhersehbar sind, zu schnellem Eingreifen gezwungen sein können, wenn Gefahren für die öffentliche Gesundheit bestehen, ist es aber Sache dieser Unternehmen, sich vor den Konsequenzen solcher Eingriffe durch eine geeignete Politik zu schützen, um nicht selbst den daraus entstehenden Schaden tragen zu müssen.

110 Bereits in der Entscheidung vom 9. Dezember 1996, die die Antragstellerinnen im Übrigen nicht angefochten haben, wurde auf schädliche Auswirkungen der Amfepramon enthaltenden Arzneimittel hingewiesen. Unter diesen Umständen gehörte der mögliche Erlass einer Entscheidung über den Widerruf oder die Aussetzung der ihnen erteilten Genehmigungen für das Inverkehrbringen zu den normalerweise von ihnen zu tragenden Risiken, nachdem der Ausschuss von einem Mitgliedstaat angerufen worden war, der der Ansicht war, dass die Änderung der Bedingungen der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder deren Aussetzung oder Rücknahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sei."

- Zur Interessenabwägung

112 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen unbestreitbar Vorrang einzuräumen ist...

113 Im vorliegenden Fall steht fest, dass es im Gutachten des Ausschusses, auf das in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen wird, zu den Wirkungen auf das zentrale Nervensystem heißt, dass die fraglichen Arzneimittel ,schwerwiegende Nebenwirkungen wie z. B. psychotische Reaktionen oder Psychosen, Depressionen und Krampfanfälle hätten und dass das Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential ,bekannt sei. Weiter wird darin ausgeführt, dass ,das Sicherheitsprofil von Amfepramon-haltigen Arzneimitteln in Bezug auf das Risiko einer primären pulmonalen Hypertonie und anderer schwerwiegender Nebenwirkungen auf das Herz-Kreislauf-System... Anlass zur Besorgnis gab. Diese Erwägungen bestätigen die bereits 1996 vorgenommene Beurteilung der Sicherheit der genannten Arzneimittel.

...

116 In Anbetracht der genannten Beurteilung könnte die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung aber ernste Gefahren für die Personen mit sich bringen, die die fraglichen Arzneimittel einnehmen, und im Bereich der öffentlichen Gesundheit Schäden verursachen, die bei späterer Abweisung der Klage nicht wieder gutgemacht werden könnten."

35 Unter diesen Umständen ersuchte die Kommission den Präsidenten des Gerichts am 20. April 2001, den Beschluss vom 28. Juni 2000 im Licht der Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 11. April 2001 in den Rechtssachen Kommission/Trenker und Kommission/Bruno Farmaceutici u. a. sowie in den sechs anderen in Randnummer 29 des vorliegenden Beschlusses genannten Parallelsachen gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts zu ändern oder aufzuheben.

Der angefochtene Beschluss

36 Im angefochtenen Beschluss wies der Präsident des Gerichts den Antrag der Kommission aus folgenden Gründen als unzulässig zurück.

37 Erstens führt er in Randnummer 79 des angefochtenen Beschlusses aus, der Ausdruck veränderte Umstände" in Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts bedeute, dass sich zuvor bestehende Merkmale des Sachverhalts geändert haben. Er enthält keine Angaben zu Gewicht und Art der erforderlichen Änderungen." Nach seinem Wortlaut könne dieser Ausdruck nicht dahin ausgelegt werden, dass er weniger wichtige oder andere Änderungen als solche beschreibt, die sich aus ,neuen Tatsachen ergeben würden. Diese beiden Ausdrücke weisen somit nach ihrem Wortlaut keine unterschiedliche Bedeutung auf, aus der geschlossen werden könnte, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber durch die Verwendung des Ersteren eine weniger strenge Voraussetzung aufstellen und dem Richter der einstweiligen Anordnung eine umfassendere Befugnis einräumen wollte."

38 Der Ausdruck jederzeit" bedeutet nach der vom Präsidenten des Gerichts in derselben Randnummer des angefochtenen Beschlusses vertretenen Auffassung nur, dass ein Antrag gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung zu jedem Zeitpunkt nach Erlass der einstweiligen Anordnung gestellt werden kann".

39 Zweitens vertritt er in Randnummer 84 des angefochtenen Beschlusses die Ansicht, aus der Verwendung des Ausdrucks ,veränderte Umstände anstelle des Ausdrucks ,neue Tatsachen" könne kein besonderer Schluss" gezogen werden, so dass Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts unter Heranziehung der übrigen einschlägigen Bestimmungen der Verfahrensordnung" auszulegen sei. Hierzu stellt er in den Randnummern 85 bis 88 fest, sowohl der nach Artikel 107 §§ 3 und 4 der Verfahrensordnung vorläufige Charakter einer einstweiligen Anordnung als auch die Ähnlichkeit dieser Bestimmung mit Artikel 109 der Verfahrensordnung - der vorsieht, dass bei Zurückweisung eines Antrags auf einstweilige Anordnung ein weiterer, auf neue Tatsachen" gestützter Antrag gestellt werden kann - sprächen für eine enge Auslegung von Artikel 108.

40 Drittens führt der Präsident des Gerichts in den Randnummern 89 bis 96 des angefochtenen Beschlusses aus, unter den Umständen des vorliegenden Falles könne wegen des Grundsatzes der Rechtssicherheit einem Antrag gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung nicht stattgegeben werden.

41 Ein solcher Antrag ziele nämlich im Wesentlichen darauf ab, die Folgen der Entscheidung der Kommission zu korrigieren, gegen den Beschluss vom 28. Juni 2000 im Gegensatz zu den einstweiligen Anordnungen in den Parallelverfahren kein Rechtsmittel einzulegen. Würde dem Antrag stattgegeben, so könnte die Kommission die Unabdingbarkeit der Klagefristen umgehen. Der Präsident des Gerichts verweist in diesem Zusammenhang auf die Urteile des Gerichtshofes vom 9. März 1994 in der Rechtssache C-188/92 (TWD Textilwerke Deggendorf, Slg. 1994, I-833, Randnr. 13) und vom 14. September 1999 in der Rechtssache C-310/97 P (Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., Slg. 1999, I-5363, Randnr. 57) und stellt Folgendes fest:

91... So kann eine einstweilige Anordnung, abgesehen von den in den Artikeln 108 und 109 der Verfahrensordnung vorgesehenen Fällen, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht mehr in Frage gestellt werden und besitzt die gleiche Rechtskraft wie ein Urteil des Gerichts. Als erster Akt der Rechtspflege in einer Rechtssache stellt eine solche Anordnung nämlich einen förmlichen Akt dar, auf den die Parteien des Rechtsstreits vertrauen können müssen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Richter der einstweiligen Anordnung u. a. die Ansicht vertritt, dass die Durchführung der angefochtenen Entscheidung dem Antragsteller wahrscheinlich einen schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen würde, der sogar seine Existenz gefährden könnte.

92 Würde unter solchen Umständen einem Antragsgegner, der sich wie die Kommission im vorliegenden Fall... bewusst dafür entschieden hat, von der Möglichkeit, gegen einen solchen Beschluss Rechtsmittel einzulegen, keinen Gebrauch zu machen, gleichwohl gestattet, vom Richter der einstweiligen Anordnung die Aufhebung dieses Beschlusses zu verlangen, so würde der Grundsatz der Rechtssicherheit beeinträchtigt....

93 Aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt somit, dass die Befugnis des Richters der einstweiligen Anordnung, eine einstweilige Anordnung aufzuheben, nur einen begrenzten Anwendungsbereich hat.... [E]in Antrag gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung [kann] keinesfalls an die Stelle des Rechtsmittels treten..., das die Parteien nach Artikel 50 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes gegen eine aufgrund der Artikel 242 EG und 243 EG ergangene Entscheidung des Gerichts einlegen können."

42 Der Präsident des Gerichts fügt hinzu:

96... [D]er bloße Umstand, dass die Beurteilung in den [in Randnummer 29 des vorliegenden Beschlusses aufgeführten] Beschlüssen vom 11. April 2001 auf einer abweichenden Auslegung des Umfangs der Erfordernisse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit beruht, [reicht] als solcher nicht aus, um die Rechtskraft zu beseitigen, die der streitige Beschluss nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit besitzt."

43 Der Präsident des Gerichts kommt zu folgendem Ergebnis:

98 Unter diesen Umständen sind die Voraussetzungen von Artikel 108 der Verfahrensordnung im vorliegenden Fall nicht erfuellt. Daher braucht nicht geprüft zu werden, ob die Beschlüsse vom 11. April 2001 es erlauben würden, dem Antrag der Kommission stattzugeben, und, wenn ja, ob die Aufrechterhaltung der im streitigen Beschluss angeordneten Aussetzung des Vollzugs gleichwohl zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit des zu erlassenden Urteils gerechtfertigt wäre (vgl. Beschluss Kommission/Italien vom 12. Juni 1992, [C-272/91 R, Slg. 1992, I-3929], Randnr. 8)."

Das Rechtsmittel

Vorbringen der Parteien

44 Die Kommission stützt ihr Rechtsmittel auf vier Gründe, mit denen sie rügt, dass gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung sowie gegen das Vorsorgeprinzip verstoßen worden sei.

45 Erstens wirft sie dem Präsidenten des Gerichts vor, in den Randnummern 92 und 95 des angefochtenen Beschlusses die Ansicht vertreten zu haben, dass sie das Recht zur Stellung eines Antrags gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung verloren habe, weil sie nicht fristgerecht ein Rechtsmittel eingelegt habe. Dabei habe der Präsident des Gerichts die Tragweite des Grundsatzes der Rechtssicherheit nicht den Besonderheiten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung angepasst, das nur zu einer vorläufigen Maßnahme führen und die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen könne. Der Richter der einstweiligen Anordnung dürfe die ein Nichtigkeits- oder sonstiges Endurteil kennzeichnende Rechtskraft nicht auf den Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes übertragen. Das Rechtsmittelverfahren und das Verfahren gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung seien zwei völlig verschiedene und voneinander unabhängige Verfahrensarten.

46 Zweitens macht sie geltend, der Grundsatz des Vertrauensschutzes, auf den der Präsident des Gerichts seine Entscheidung implizit gestützt habe (vgl. Randnr. 91 des angefochtenen Beschlusses), könne nicht zugunsten eines Wirtschaftsteilnehmers ausgelegt werden, der während der gesamten Verfahrensdauer damit rechnen müsse, dass die andere Partei bei veränderten Umständen einen Antrag gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts stelle. Der Schutz des berechtigten Vertrauens der obsiegenden Partei in den Bestand eines Beschlusses des Richters der einstweiligen Anordnung werde daher durch Artikel 108 begrenzt.

47 Drittens rügt sie, dass der Präsident des Gerichts ihren Antrag für unzulässig erklärt habe, ohne zu prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 108 nach dem Vorbringen in ihrem Antrag erfuellt seien. Er habe dadurch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, denn seit dem 11. April 2001, dem Tag des Erlasses der Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes, sei Artegodan das einzige Unternehmen, das auf dem europäischen Markt Amfepramon enthaltende Humanarzneimittel verkaufen dürfe. Sie habe damit de facto ein Monopol für den Verkauf solcher Arzneimittel.

48 Viertens habe der Präsident des Gerichts angesichts der von Amfepramon ausgehenden Gefahren für die menschliche Gesundheit gegen das Vorsorgeprinzip verstoßen, da er nicht geprüft habe, ob die genannten Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes einen veränderten Umstand im Sinne von Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts darstellten, und infolgedessen Amfepramon enthaltende Arzneimittel auf dem Markt belassen habe (vgl. u. a. Beschluss Kommission/Bruno Farmaceutici u. a., Randnr. 113).

49 Unter diesen Umständen ersucht die Kommission den Gerichtshof, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und selbst auf der Grundlage von Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts zu entscheiden.

50 Diese Bestimmung sei weit auszulegen. Nach ihr könne ein Antrag jederzeit" gestellt werden, d. h. sowohl vor als auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist. Im Gegensatz zu den Artikeln 109 der Verfahrensordnung des Gerichts und 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes setze die Anwendung von Artikel 108 der Verfahrensordnung nicht das Vorliegen neuer Tatsachen" oder einer Tatsache von entscheidender Bedeutung" voraus.

51 Die veränderten Umstände ergäben sich aus dem Erlass und den Gründen der Beschlüsse des Gerichtshofes in den Rechtssachen Kommission/Trenker und Kommission/Bruno Farmaceutici u. a. - die speziell die angefochtene Entscheidung und Amfepramon beträfen - und in den übrigen in Randnummer 29 des vorliegenden Beschlusses aufgeführten Parallelsachen. Hinzuweisen sei insbesondere auf den Vorwurf einer unrichtigen Wiedergabe der Begründung der angefochtenen Entscheidung, den der Präsident des Gerichtshofes gegenüber den Beschlüssen des Präsidenten des Gerichts erhoben habe. Dieser Rechtsfehler habe wiederum zu einer falschen Beurteilung des Fumus boni iuris, der Dringlichkeit und der Interessenabwägung in allen genannten Rechtssachen geführt.

52 Artegodan macht sich die Gründe des angefochtenen Beschlusses zu Eigen. Sie trägt vor, sowohl der Wortlaut und die systematische Stellung von Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts als auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verlangten eine enge Auslegung dieser Bestimmung. Daraus folge, dass eine Partei, die an der Richtigkeit einer einstweiligen Anordnung zweifle, dagegen nur innerhalb der vorgeschriebenen Frist ein Rechtsmittel einlegen könne. Könnte sie außer im Rechtsmittelverfahren auch gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung eine Änderung oder Aufhebung des fraglichen Beschlusses erreichen, obwohl sie bewusst von der Einlegung eines Rechtsmittels abgesehen habe, so würde die in Artikel 49 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes vorgesehene Frist unter Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit ihres wesentlichen Inhalts beraubt.

53 Die Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes in den von der Kommission angeführten Parallelsachen könnten nicht als veränderter Umstand" im Sinne von Artikel 108 der Verfahrensordnung angesehen werden, denn in diesen Beschlüssen habe der Präsident des Gerichtshofes nur eine einzelfallbezogene, von der des Präsidenten des Gerichts abweichende Interessenabwägung vorgenommen, ohne aber die Rechtsprechung zu ändern. Jede andere Auslegung würde den Grundsatz beeinträchtigen, dass sich die Wirkung gerichtlicher Entscheidungen auf die Parteien beschränke.

54 Der Präsident des Gerichts habe auch weder gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung noch gegen das Vorsorgeprinzip verstoßen. Zum einen sei eine unterschiedliche Behandlung der betreffenden Unternehmen auf das Verhalten der Kommission selbst zurückzuführen, die, nachdem sie den Beschluss vom 28. Juni 2000 - vermutlich im Hinblick auf die tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten des konkreten Falles - habe rechtskräftig werden lassen, gegen die übrigen Beschlüsse des Gerichts in den in Randnummer 27 des vorliegenden Beschlusses aufgeführten Parallelsachen ein Rechtsmittel eingelegt habe. Insoweit könne aufgrund der Tatsache, dass das wirtschaftliche Überleben von Artegodan bei sofortigem Vollzug der angefochtenen Entscheidung ernsthaft bedroht wäre, eine ungleiche Behandlung gleicher Sachverhalte nicht festgestellt werden.

55 Zum anderen dürfe die Anwendung des Vorsorgeprinzips - falls der für einstweilige Anordnungen zuständige Richter des Gerichts daran gebunden sein sollte - nicht zu einem Verstoß gegen die Rechtskraft und die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit führen.

56 Für den Fall, dass der Gerichtshof eine die Heranziehung von Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts rechtfertigende Änderung der Umstände feststellen sollte, hält Artegodan an dem in erster Instanz insbesondere zur Interessenabwägung vertretenen Standpunkt fest. Hilfsweise beantragt sie, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

57 Gemäß den Artikeln 242 EG und 243 EG kann der Gerichtshof, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen. Dabei berücksichtigt er die in den Artikeln 83 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes und 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts aufgestellten und von der Rechtsprechung konkretisierten Voraussetzungen.

58 Nach ständiger Rechtsprechung kann der Richter der einstweiligen Anordnung die Aussetzung des Vollzugs anordnen und einstweilige Anordnungen treffen, wenn die Notwendigkeit der Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht ist (Fumus boni iuris) und wenn feststeht, dass sie in dem Sinne dringlich sind, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Interessen der Antragsteller bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müssen (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 21. März 1997 in der Rechtssache C-110/97 R, Slg. 1997, I-1795, Randnr. 24, und vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C-364/98 P(R), Emesa Sugar/Kommission, Slg. 1998, I-8815, Randnr. 43).

59 Im Rahmen dieser Prüfung hat der Richter der einstweiligen Anordnung die bestehenden Interessen abzuwägen und dabei insbesondere den Nachteil, den der Antragsteller bei sofortiger Durchführung der angefochtenen Handlung erleiden würde, mit dem Schaden zu vergleichen, der dem Urheber der Handlung bei Aussetzung des Vollzugs entstehen würde. Bei diesem Vergleich muss der Richter der einstweiligen Anordnung allgemein prüfen, ob die etwaige Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung durch den Richter der Hauptsache die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch den sofortigen Vollzug dieser Entscheidung entstanden wäre, und - umgekehrt - ob die Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung deren volle Wirksamkeit behindern könnte, falls die Klage abgewiesen würde (vgl. u. a. Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 19. Juli 1995 in der Rechtssache C-149/95 P(R), Kommission/Atlantic Container Line u. a., Slg. 1995, I-2165, Randnr. 50).

60 Ferner muss die vom Richter der einstweiligen Anordnung getroffene Maßnahme nach den Artikeln 86 § 4 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes und 107 § 4 der Verfahrensordnung des Gerichts in dem Sinne vorläufig sein, dass sie den Rechts- oder Tatsachenfragen des Rechtsstreits nicht vorgreift und die Folgen der später in der Hauptsache zu treffenden Entscheidung nicht im Voraus neutralisiert (vgl. u. a. Beschluss Kommission/Atlantic Container Line u. a., Randnr. 22). Nach den Artikeln 86 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes und 107 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichts tritt die Maßnahme mit der Verkündung des Endurteils oder zu einem früheren, durch die einstweilige Anordnung festgelegten Zeitpunkt außer Kraft.

61 Anhand dieser Erwägungen ist Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts auszulegen, der vorsieht, dass eine einstweilige Anordnung auf Antrag einer Partei jederzeit wegen veränderter Umstände abgeändert oder aufgehoben werden [kann]". Der Wortlaut dieser Bestimmung ist mit dem von Artikel 87 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes identisch.

62 Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts soll es unstreitig einer Partei ermöglichen, die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses, mit dem der Vollzug einer Handlung eines Gemeinschaftsorgans ausgesetzt oder eine einstweilige Anordnung getroffen wird, durch den Richter der einstweiligen Anordnung zu erwirken. In dieser Möglichkeit kommt zum Ausdruck, dass die Maßnahmen des Richters der einstweiligen Anordnung grundsätzlich vorläufigen Charakter haben.

63 In Anbetracht dessen ist der Ausdruck veränderte Umstände" in Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts so auszulegen, dass damit jeder neue tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkt gemeint ist, der die Erwägungen des Richters der einstweiligen Anordnung zu den in Randnummer 58 des vorliegenden Beschlusses genannten Voraussetzungen in Frage stellen kann, von denen die Aussetzung des Vollzugs oder die einstweilige Anordnung abhängt.

64 Nicht nur kann nämlich die Anerkennung des Fumus boni iuris, der zu den Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gehört, die Prima-facie-Prüfung der Stichhaltigkeit der zur Stützung der Klage geltend gemachten rechtlichen Gesichtspunkte erfordern, vielmehr setzen auch die Beurteilung der Dringlichkeit sowie die Abwägung der vorhandenen Interessen das rechte Verständnis der angefochtenen Handlung und des in Rede stehenden rechtlichen Rahmens voraus. Der Anwendungsbereich des Ausdrucks veränderte Umstände" kann auch nicht auf den Eintritt tatsächlicher Umstände oder neuer Tatsachen" beschränkt werden, wie es Artikel 41 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes für das Wiederaufnahmeverfahren oder die Artikel 88 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes und 109 der Verfahrensordnung des Gerichts für die Stellung eines neuen Antrags auf einstweilige Anordnung nach Zurückweisung eines früheren Antrags durch den Richter der einstweiligen Anordnung vorsehen. Dies gilt umso mehr, als die Beurteilung, die eine Prima-facie-Prüfung der genannten Gesichtspunkte und des in Rede stehenden rechtlichen Rahmens umfasst, aufgrund der kurzen Frist, in der sie vorzunehmen ist, und des unter Umständen vielschichtigen Charakters solcher Gesichtspunkte besonders schwierig ist.

65 Insoweit ist festzustellen, dass sich ein Antrag gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts, selbst wenn er auf neue rechtliche Erwägungen gestützt wird, sowohl hinsichtlich seines Gegenstands als auch in seinen Wirkungen von einem Rechtsmittel unterscheidet. Das Rechtsmittel, für dessen Einlegung unabdingbare Fristen gelten, zielt auf die rückwirkende Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nach einer umfassenden gerichtlichen Nachprüfung ab, auch wenn es auf Rechtsfragen beschränkt ist. Der auf Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts gestützte Antrag, der jederzeit" gestellt werden kann, dient dagegen nur dazu, den Richter der einstweiligen Anordnung zu veranlassen, ausschließlich für die Zukunft einen Beschluss zu überdenken, mit dem eine einstweilige Anordnung getroffen wurde, und dabei gegebenenfalls auch die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte neu zu bewerten, die diese Anordnung auf den ersten Blick rechtfertigten.

66 Unter diesen Umständen kann schon wegen der Möglichkeit, den Richter der einstweiligen Anordnung jederzeit gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts zu ersuchen, seinen Beschluss aufgrund einer Änderung der bei dessen Erlass bestehenden Umstände zu ändern oder aufzuheben, diesem Beschluss nicht die Rechtskraft zuerkannt werden, die ihm der Präsident des Gerichts beigemessen hat.

67 Folglich hat der Präsident des Gerichts einen Rechtsfehler begangen, als er in den Randnummern 92 und 95 des angefochtenen Beschlusses die Ansicht vertrat, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit beeinträchtigt würde, wenn einem Antragsgegner, der sich wie die Kommission im vorliegenden Fall... bewusst dafür entschieden hat, von der Möglichkeit, gegen einen [Aussetzungsbeschluss] Rechtsmittel einzulegen, keinen Gebrauch zu machen, gleichwohl gestattet [würde], vom Richter der einstweiligen Anordnung die Aufhebung dieses Beschlusses zu verlangen", da er auf diese Weise die Rechtsmittelfrist von zwei Monaten verlängern könnte.

68 Aus den in Randnummer 65 des vorliegenden Beschlusses genannten Gründen kann ein Antrag gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts nämlich nicht einem Rechtsmittel gleichgestellt werden.

69 Eine solche Gleichstellung liegt auch der Auslegung in Randnummer 93 des angefochtenen Beschlusses zugrunde, wonach ein Antrag gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung keinesfalls an die Stelle des Rechtsmittels treten kann, das die Parteien nach Artikel 50 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes gegen eine aufgrund der Artikel 242 EG und 243 EG ergangene Entscheidung des Gerichts einlegen können". Die Gefahr, dass ein solcher Antrag an die Stelle eines Rechtsmittels tritt, besteht jedoch nicht, da sich diese beiden Rechtsschutzmöglichkeiten, mit denen ein im Verfahren der einstweiligen Anordnung ergangener Beschluss des Gerichts in Frage gestellt werden kann, nach ihrem Gegenstand, ihren Wirkungen und den Voraussetzungen für ihre Anwendung unterscheiden.

70 Durch die vorbehaltlose Übertragung der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Folgen des Ablaufs der Klagefristen (vgl. Urteile TWD Textilwerke Deggendorf, Randnr. 13, und Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., Randnrn. 57 bis 63) auf Beschlüsse über einstweilige Anordnungen in den Randnummern 90 und 91 des angefochtenen Beschlusses hat der Präsident des Gerichts einen Rechtsfehler begangen, da er einer einstweiligen Anordnung die gleiche Rechtskraft wie einem Endurteil oder einem verfahrensbeendenden Beschluss beigemessen hat.

71 Folglich greift der erste, auf die falsche Auslegung des Grundsatzes der Rechtssicherheit gestützte Rechtsmittelgrund durch.

72 Daher ist, ohne dass über die übrigen Rechtsmittelgründe entschieden zu werden braucht, dem Rechtsmittel stattzugeben und der angefochtene Beschluss aufzuheben.

73 Nach Artikel 54 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf, wenn das Rechtsmittel begründet ist. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen. Da die Sache zur Entscheidung reif ist, ist endgültig über den Antrag gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts zu entscheiden.

Zum Antrag gemäß Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts

74 Erstens ist festzustellen, dass der Präsident des Gerichts mit dem Beschluss vom 28. Juni 2000 die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung angeordnet hat, nachdem er zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Voraussetzungen in Bezug auf den Fumus boni iuris und die Dringlichkeit im vorliegenden Fall erfuellt seien und dass im Rahmen der Interessenabwägung der den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit unbestreitbar einzuräumende Vorrang, sobald auf solche Erfordernisse hingewiesen werde, eine Prüfung der besonderen Umstände des konkreten Falles nicht ausschließen könne.

75 Wie bereits in Randnummer 32 des vorliegenden Beschlusses festgestellt wurde, hat der Präsident des Gerichtshofes in den Rechtssachen Kommission/Trenker und Kommission/Bruno Farmaceutici u. a. die beiden Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts aufgehoben, weil darin die Begründung der angefochtenen Entscheidung unrichtig wiedergegeben wurde; dies ist auch im Beschluss vom 28. Juni 2000 geschehen, der auf nahezu identischen Gründen wie die genannten Beschlüsse des erstinstanzlichen Richters beruht. Unter diesen Umständen konnte die unrichtige Wiedergabe auch in der Rechtssache Artegodan/Kommission die Beurteilung der Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung durch den Richter der einstweiligen Anordnung und insbesondere die Beurteilung der mit Amfepramon verbundenen Gesundheitsgefahr im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend beeinflussen.

76 In Anbetracht dessen stellen der Erlass der Beschlüsse Kommission/Trenker und Kommission/Bruno Farmaceutici u. a. durch den Präsidenten des Gerichtshofes sowie deren Begründung aus den in Randnummer 64 des vorliegenden Beschlusses genannten Gründen veränderte Umstände" im Sinne von Artikel 108 der Verfahrensordnung des Gerichts dar, die als solche die Zulässigkeit des gemäß dieser Bestimmung gestellten Antrags begründen.

77 Zweitens ist aus den Gründen der Beschlüsse Kommission/Trenker und Kommission/Bruno Farmaceutici u. a. - namentlich denen, die in Randnummer 34 des vorliegenden Beschlusses wiedergegeben wurden - davon auszugehen, dass mutatis mutandis auch der Beschluss vom 28. Juni 2000 aufgehoben und infolgedessen die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung beendet werden muss.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

beschlossen:

1. Der Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 5. September 2001 in der Rechtssache T-74/00 R (Artegodan/Kommission, Slg. 2001, II-0000) wird aufgehoben.

2. Der Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 28. Juni 2000 in der Rechtssache T-74/00 R (Artegodan/Kommission, Slg. 2000, II-2583) wird aufgehoben, und infolgedessen wird die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung K(2000) 453 der Kommission vom 9. März 2000 über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff Amfepramon" enthalten, beendet.

3. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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