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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.04.1992
Aktenzeichen: C-45/91
Rechtsgebiete: EWGVtr, RL 75/442, RL 79/319, RL 78/319


Vorschriften:

EWGVtr Art. 169
RL 75/442 Art. 4
RL 75/442 Art. 6
RL 79/319 Art. 5
RL 78/319 Art. 12 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf interne Umstände, wie z. B. im Stadium der Durchführung einer Handlung der Gemeinschaft auftretende Schwierigkeiten, berufen, um die Nichtbeachtung der Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergeben.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 7. APRIL 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG EINES MITGLIEDSTAATS - RICHTLINIEN - ABFAELLE - GIFTIGE UND GEFAEHRLICHE ABFAELLE. - RECHTSSACHE C-45/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 28. Januar 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Griechische Republik gegen bestimmte Verpflichtungen aus der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 47, im folgenden: Richtlinie über Abfälle), insbesondere aus ihren Artikeln 4 und 6, und aus der Richtlinie 78/319/EWG des Rates vom 20. März 1978 über giftige und gefährliche Abfälle (ABl. L 84, S. 43, im folgenden: Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle), insbesondere aus ihren Artikeln 5 und 12, verstossen hat.

2 Mit diesen Richtlinien hat der Rat die Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über die Beseitigung bestimmter Abfälle vorgeschrieben. Wie sich aus ihren Begründungserwägungen ergibt, soll mit ihnen insbesondere der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt gegen nachteilige Auswirkungen der Sammlung, Beförderung, Behandlung, Lagerung und Ablagerung von Abfällen gewährleistet werden.

3 Um die Verwirklichung dieser Ziele zu gewährleisten, schreiben die beiden Richtlinien den Mitgliedstaaten vor, bestimmte Vorkehrungen zu treffen.

4 Zunächst müssen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, daß die Abfälle, u. a. die giftigen und gefährlichen Abfälle, beseitigt werden, ohne die menschliche Gesundheit zu gefährden oder die Umwelt zu schädigen und insbesondere ohne Wasser, Luft, Boden sowie Tier- und Pflanzenwelt zu gefährden, ohne Geräusch- oder Geruchsbelästigungen zu verursachen und ohne die Umgebung und das Landschaftsbild zu beeinträchtigen. Diese Verpflichtung ist in Artikel 4 der Richtlinie über Abfälle und in Artikel 5 der Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle enthalten. Artikel 5 der Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle bestimmt darüber hinaus, daß die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um die ungeordnete Deponie und die unkontrollierte Ableitung, Ablagerung oder Beförderung von giftigen und gefährlichen Abfällen zu untersagen.

5 Die Mitgliedstaaten haben ferner die zuständigen Behörden zu bestimmen, die insbesondere damit beauftragt sind, die Maßnahmen zur Abfallbeseitigung, insbesondere zur Beseitigung von giftigen und gefährlichen Abfällen, zu organisieren. Diese Verpflichtung ist in Artikel 5 der Richtlinie über Abfälle und in Artikel 6 der Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle vorgesehen.

6 Die betreffenden Behörden haben Pläne für die Abfallbeseitigung zu erstellen, die sich insbesondere auf Art und Menge der zu beseitigenden Abfälle, Verfahren zur Beseitigung und geeignete Orte für die Ablagerung beziehen. Diese Verpflichtungen folgen aus Artikel 6 der Richtlinie über Abfälle und aus Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle.

7 Schließlich schreibt Artikel 7 der Richtlinie über Abfälle den Mitgliedstaaten vor, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit jeder Besitzer von Abfällen für die Beseitigung der Abfälle Sorge trägt.

8 Gemäß Artikel 13 der Richtlinie über Abfälle und Artikel 21 der Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle sind die beiden Richtlinien binnen 24 Monaten nach ihrer Bekanntgabe durchzuführen. Gemäß Artikel 145 der Beitrittsakte sind sie in Griechenland am 1. Januar 1981 in Kraft getreten.

9 Nachdem sie von gewissen Problemen bei der Beseitigung von Abfällen im Nomos Chania auf Kreta (Griechenland) erfahren hatte, ersuchte die Kommission die griechische Regierung mit Schreiben vom 27. Januar 1988, das sich speziell auf die Richtlinie über Abfälle bezog, um eine Erklärung hierzu. Dabei bat sie hauptsächlich um Auskünfte über die Existenz einer öffentlichen Deponie im Mündungsgebiet des Wildbachs Kouropitos.

10 In ihrer Antwort vom 15. März 1988 wies die griechische Regierung darauf hin, daß sie den Betrieb dieser Deponie unterbinden und neue Deponien einrichten werde. Sie teilte jedoch mit, daß bis zur Beendigung der auf diesen neuen Standorten erforderlichen Arbeiten zur Schaffung einer Infrastruktur die Abfälle des Nomos Chania bis August 1988 weiterhin auf der Deponie am Kouropitos abgelagert würden.

11 Die Kommission hielt diese Antwort für unzureichend und richtete am 26. April 1989 eine schriftliche Aufforderung zur Stellungnahme an die Griechische Republik. Darin führte sie aus, daß Griechenland unter Verstoß gegen Artikel 4 der Richtlinie über Abfälle und gegen Artikel 5 der Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle keinerlei Maßnahmen getroffen habe, damit die fraglichen Abfälle beseitigt würden, ohne die menschliche Gesundheit zu gefährden oder die Umwelt zu schädigen. Sie wies überdies darauf hin, daß Griechenland bisher weder den von Artikel 6 der Richtlinie über Abfälle vorgeschriebenen Abfallbeseitigungsplan, noch den in Artikel 12 der Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle vorgesehenen Plan ausgearbeitet habe. Griechenland habe auch keine der in Artikel 7 der Richtlinie über Abfälle vorgeschriebenen Vorkehrungen für die Abfallbeseitigung getroffen. Folglich habe es gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 4 bis 7 und 13 der Richtlinie über Abfälle und aus den Artikeln 5, 6, 12 und 21 der Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle verstossen.

12 In ihrer Antwort vom 4. August 1989 wiesen die griechischen Behörden darauf hin, daß ein Plan zur Einrichtung neuer Mülldeponien bei der Bevölkerung von Chania auf Widerstand gestossen sei. Daher erwögen die Behörden von Chania mittelfristig die Einrichtung von Mülldeponien in kleineren Ortschaften und langfristig die Verbrennung und Wiederverwertung des Mülls.

13 Die Kommission gab am 5. März 1990 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Sie vertrat darin angesichts der Antwort vom 4. August 1989 die Ansicht, daß die griechischen Behörden ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag nicht beachtet hätten, da sie sich noch im Stadium der Vorbereitung der Maßnahmen befänden, die erforderlich seien, um den fraglichen Richtlinien in der betroffenen Region nachzukommen. Die griechischen Behörden ließen diese mit Gründen versehene Stellungnahme unbeantwortet.

14 Die Kommission beschloß daraufhin, die vorliegende Klage zu erheben.

15 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Unzulässigkeit der Rüge einer Verletzung der Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle

16 In der mündlichen Verhandlung hat die griechische Regierung geltend gemacht, das Schreiben der Kommission vom 27. Januar 1988 enthalte keinerlei Bezugnahme auf die Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle; die Klage sei deshalb hinsichtlich des Verstosses gegen diese Richtlinie unzulässig.

17 Zunächst ist festzustellen, daß nach Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nur dann vorgebracht werden können, wenn sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Dies ist beim Schreiben vom 27. Januar 1988 nicht der Fall.

18 Jedenfalls ist das Argument der griechischen Regierung nicht begründet. Mit dem Schreiben vom 27. Januar 1988 wurde die griechische Regierung nämlich nur aufgefordert, die Kommission darüber zu unterrichten, welchen Standpunkt sie zum Inhalt einer von Privatpersonen vorgebrachten Beschwerde einnehme. Dieses Schreiben stellte in keiner Weise eine Aufforderung zur Äusserung im Sinne des Artikels 169 Absatz 1 des Vertrags dar. Im förmlichen Aufforderungsschreiben, das vom 26. April 1989 datiert, ist von einer Verletzung sowohl der Richtlinie über giftige und gefährliche Abfälle als auch der Richtlinie über Abfälle die Rede.

Zur Begründetheit

19 Nach Ansicht der Kommission haben die griechischen Behörden keinerlei Maßnahmen getroffen, damit die Abfälle aus dem Raum Chania beseitigt werden, ohne die menschliche Gesundheit zu gefährden oder die Umwelt zu schädigen. Die zuständigen Behörden hätten keinerlei Vorkehrungen für die Durchführung eines wirklichen Plans getroffen, der auf der Grundlage eines Zeitplans zu einer ordnungsgemässen Behandlung der Abfälle aus dieser Region führe. Die Kommission wiederholt diese Kritik in bezug auf die giftigen und gefährlichen Abfälle aus dem Raum Chania, für die die griechischen Behörden ebenfalls keine geeigneten Maßnahmen ergriffen hätten; auch hätten sie keinen Plan für ihre Beseitigung aufgestellt.

20 Die Griechische Republik entgegnet, daß zwischen 1989 und 1991 mehrere Studien über die Behandlung und Wiederverwertung der Abfälle aus dem Raum Chania erstellt worden seien. Jedoch sei die Durchführung des schon erstellten Plans wegen des Widerstands der örtlichen Bevölkerung ausgesetzt worden.

21 Dieses Vorbringen greift nicht durch. Zunächst ist festzustellen, daß die genannten Richtlinien nach Artikel 145 der Beitrittsakte in Griechenland spätestens am 1. Januar 1981 hätten durchgeführt sein müssen. Überdies kann sich ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung nicht auf interne Umstände, wie z. B. im Stadium der Durchführung einer Handlung der Gemeinschaft auftretende Schwierigkeiten, berufen, um die Nichtbeachtung der Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergeben.

22 Es ist deshalb festzustellen, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 4 und 6 der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle und aus den Artikeln 5 und 12 der Richtlinie 78/319/EWG des Rates vom 20. März 1978 über giftige und gefährliche Abfälle verstossen hat, daß sie nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, daß im Raum Chania die Abfälle, insbesondere die giftigen und gefährlichen Abfälle, ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt beseitigt werden, und daß sie für diese Region keine Pläne für die Beseitigung der Abfälle, insbesondere der giftigen und gefährlichen Abfälle, aufgestellt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Griechische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Griechische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 4 und 6 der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle und aus den Artikeln 5 und 12 der Richtlinie 78/319/EWG des Rates vom 20. März 1978 über giftige und gefährliche Abfälle verstossen, daß sie nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, daß im Raum Chania die Abfälle, insbesondere die giftigen und gefährlichen Abfälle, ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt beseitigt werden, und daß sie für diese Region keine Pläne für die Beseitigung der Abfälle, insbesondere der giftigen und gefährlichen Abfälle, aufgestellt hat.

2) Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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