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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.06.1997
Aktenzeichen: C-45/95
Rechtsgebiete: Sechste Richtlinie 77/388EWG


Vorschriften:

Sechste Richtlinie 77/388EWG Art. 13 Teil B Buchst. c
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Mitgliedstaat, der eine Regelung einführt und beibehält, nach der die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, nicht von der Mehrwertsteuer befreit sind, wenn für diese Gegenstände kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte, verstösst gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern. Der möglicherweise niedrige Betrag der im Fall einer Doppelbesteuerung geschuldeten Steuer enthebt den Mitgliedstaat nicht seiner Verpflichtung zur ordnungsgemässen Anwendung des Artikels 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie, der gerade eine Doppelbesteuerung verhindern soll, die dem Grundsatz der Steuerneutralität zuwiderliefe, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt.

Gegen seine Verpflichtungen aus dieser Bestimmung verstösst auch ein Mitgliedstaat, nach dessen Regelung die Lieferungen von Gegenständen, die gemäß Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen waren, nicht von der Mehrwertsteuer befreit sind, selbst wenn ein Umsatz, der zu befreien wäre, nach dieser Regelung als Umsatz angesehen wird, der nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt. Die von Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie geforderte korrekte und einfache Anwendung der Befreiungen steht nämlich einer Umsetzung dieser Vorschrift entgegen, deren Wirkungen nicht einer Befreiung entsprechen, insbesondere dann, wenn die Berechnung des Pro-rata-Satzes unterschiedlich ausfällt und somit einen anderen, vom Steuerpflichtigen abziehbaren Mehrwertsteuerbetrag ergibt, je nachdem, ob die betreffenden Lieferungen von Gegenständen ordnungsgemäß befreit sind oder ob sie nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 25. Juni 1997. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik. - Mehrwertsteuer - Befreiung im Inland - Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt oder vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen waren. - Rechtssache C-45/95.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 24. Februar 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) verstossen hat, daß sie eine Regelung eingeführt und beibehalten hat, nach der die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt oder jedenfalls vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen waren, nicht von der Mehrwertsteuer befreit sind.

Das Gemeinschaftsrecht 2 Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie lautet:

"B. Sonstige Steuerbefreiungen

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

c) die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine auf Grund dieses Artikels... von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, wenn für diese Gegenstände kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte, sowie die Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung oder Zuordnung nach Artikel 17 Absatz 6 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war;

..."

3 Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist. Auf jeden Fall werden diejenigen Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.

Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichneten Bestimmungen können die Mitgliedstaaten alle Ausschlüsse beibehalten, die in den in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind."

Die in dieser Vorschrift genannten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen sind noch nicht erlassen worden.

Das italienische Recht

4 Im italienischen Recht sieht Artikel 2 des Dekrets Nr. 633 des Präsidenten der Republik vom 26. Oktober 1972 zur Einführung der Mehrwertsteuer (im folgenden: DPR) vor:

"(Lieferungen von Gegenständen)

Lieferungen von Gegenständen sind entgeltliche Rechtsgeschäfte, die eine Eigentumsübertragung oder die Entstehung oder Übertragung von dinglichen Nutzungsrechten an Gegenständen gleich welcher Art zum Inhalt haben.

Ferner sind Lieferungen von Gegenständen:...

Als Lieferungen von Gegenständen gelten nicht:...

h) die Lieferungen von Gegenständen, die vom Verkäufer angeschafft oder eingeführt wurden und für die er gemäß Artikel 19 Absatz 2 keinen Vorsteuerabzug vornehmen konnte."

5 Artikel 19 Absatz 1 des DPR regelt das Recht des Steuerpflichtigen, von der Mehrwertsteuer, die er für von ihm bewirkte Umsätze schuldet, die Vorsteuer abzuziehen, die "bei der Einfuhr oder beim Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen im Rahmen des Betriebes eines Unternehmens oder der Ausübung eines Gewerbes oder Berufes" entrichtet wurde. Nach Artikel 19 Absatz 2 des DPR ist die Mehrwertsteuer, die der Steuerpflichtige beim Erwerb bestimmter Gegenstände wie Personenkraftwagen, andere Kraftfahrzeuge und Privatwasserfahrzeuge entrichtet hat, vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen.

6 Artikel 10 des DPR, der eine ausführliche und abschließende Aufzählung der "befreiten Umsätze" enthält, sieht keine Befreiung für die Lieferungen von Gegenständen vor, die ein Steuerpflichtiger ausschließlich für eine befreite Tätigkeit bestimmt hatte, so daß kein Recht auf Abzug der entrichteten Vorsteuer bestand.

Das Verfahren

7 Mit Schreiben vom 19. November 1992 teilte die Kommission der Italienischen Republik mit, daß Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie ihrer Ansicht nach durch die Artikel 2, 10 und 19 des DPR nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden sei, und forderte sie daher auf, sich binnen zwei Monaten zu äussern.

8 In einem Schreiben vom 31. März 1993 räumte die italienische Regierung ein, daß Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie nur teilweise in das innerstaatliche Recht umgesetzt worden sei.

9 Da die Italienische Republik diese Bestimmungen ungeachtet der mit Gründen versehenen Stellungnahme, die am 19. Juli 1994 an sie erging, beibehielt, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

10 In ihrer Klageschrift erhebt die Kommission zwei Rügen, die sich auf die nicht ordnungsgemässe Umsetzung des Artikels 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie beziehen, da dieser die Mitgliedstaaten verpflichte, zum einen "die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine auf Grund dieses Artikels... von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, wenn für diese Gegenstände kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte", und zum anderen "die Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung oder Zuordnung nach Artikel 17 Absatz 6 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war", von der Steuer zu befreien.

11 In ihrer Klagebeantwortung bestreitet die italienische Regierung die nicht ordnungsgemässe Umsetzung dieser Vorschrift in das italienische Recht.

Zur Rüge der nicht ordnungsgemässen Umsetzung des ersten Teils des Artikels 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie

12 Der erste Teil des Artikels 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Gegenstände, die ausschließlich für eine aufgrund dieses Artikels von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, von der Steuer zu befreien, wenn für diese Gegenstände kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte, wie er in Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe c vorgesehen ist.

13 Es ist unstreitig, daß die Italienische Republik - wie ihr die Kommission vorwirft - solche Lieferungen von Gegenständen nicht von der Steuer befreit hat und daß diese Lieferungen nicht zu den etwa 30 von der Steuer befreiten Umsatzarten gehören, die in Artikel 10 des DPR aufgeführt sind.

14 Die italienische Regierung macht jedoch geltend, daß ein Steuerpflichtiger, der Gegenstände kaufe, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt seien, diese normalerweise für den Eigengebrauch erwerbe, so daß Weiterlieferungen solcher Gegenstände nur hypothetisch denkbar seien. Da es sich ausserdem um gebrauchte Gegenstände handele, sei der Betrag der doppelt erhobenen Steuer jedenfalls gering.

15 Diesem Vorbringen ist nicht zu folgen. Selbst wenn der Betrag der im Fall einer Doppelbesteuerung geschuldeten Steuer tatsächlich gering sein sollte - was die Kommission bestreitet -, so könnte dies die Italienische Republik nicht ihrer Verpflichtung zur ordnungsgemässen Anwendung des Artikels 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie entheben, der gerade eine Doppelbesteuerung verhindern soll, die dem Grundsatz der Steuerneutralität zuwiderliefe, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt.

Zur Rüge der nicht ordnungsgemässen Umsetzung des letzten Teils des Artikels 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie

16 Artikel 13 Teil B Buchstabe c letzter Teil der Sechsten Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Lieferung von Gegenständen zu befreien, deren frühere Anschaffung oder Zuordnung durch den Steuerpflichtigen nach Artikel 17 Absatz 6 dieser Richtlinie vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war.

17 Die Italienische Republik bestreitet nicht, daß die Lieferungen bestimmter Gegenstände, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben und deren Anschaffung nach Artikel 19 Absatz 2 des DPR - der italienischen Vorschrift, die Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie entspricht - vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen war, durch Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe h des DPR vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer ausgeschlossen statt von der Steuer befreit werden.

18 Die Italienische Republik macht jedoch im wesentlichen geltend, daß Artikel 13 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht verpflichte, den darin enthaltenen Grundsatz der Befreiung wörtlich umzusetzen, sofern der Grundsatz inhaltlich gewahrt sei. Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe h des DPR, wonach bestimmte Lieferungen von Gegenständen, die keinen streng geschäftlichen Charakter hätten, vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer ausgeschlossen statt von der Steuer befreit würden, widerspreche nicht dem Ziel, das Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie, auf den Artikel 13 Teil B Buchstabe c dieser Richtlinie verweise, verfolge.

19 Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie ermächtigt die Mitgliedstaaten zwar, die Bedingungen zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der dort vorgesehenen Befreiungen festzusetzen, er erlaubt es ihnen aber nicht, einen Umsatz, der zu befreien wäre, als einen Umsatz anzusehen, der nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt. Eine solche Umsetzung ist jedenfalls nicht mit der von Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie geforderten korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen zu vereinbaren, wenn sie in ihren Wirkungen nicht einer Befreiung entspricht.

20 Eben das ist hier der Fall. Wie der Generalanwalt in den Nummern 42 ff. seiner Schlussanträge ausgeführt hat, fällt die Berechnung des Pro-rata-Satzes nach Artikel 19 der Sechsten Richtlinie und nach Artikel 19 Absatz 3 des DPR unterschiedlich aus und ergibt somit einen anderen, vom Steuerpflichtigen abziehbaren Mehrwertsteuerbetrag, je nachdem, ob die betreffenden Lieferungen von Gegenständen ordnungsgemäß befreit sind oder ob sie nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen, wie es Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe h des DPR vorsieht.

21 Daher ist festzustellen, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie verstossen hat, daß sie eine Regelung eingeführt und beibehalten hat, nach der die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt oder sonst vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen waren, nicht von der Mehrwertsteuer befreit sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission nicht beantragt hat, die Italienische Republik zur Tragung der Kosten zu verurteilen, trägt jede Partei ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verstossen, daß sie eine Regelung eingeführt und beibehalten hat, nach der die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt oder sonst vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen waren, nicht von der Mehrwertsteuer befreit sind.

2. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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