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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 11.04.2001
Aktenzeichen: C-459/00 P (R)
Rechtsgebiete: EGV, EG-Satzung, Entscheidung K(2000) 453, Richtlinie 65/65/EWG, Richtlinie 75/318/EWG, Richtlinie 75/319/EWG, Verordnung (EWG) Nr. 2309/93


Vorschriften:

EGV Art. 230 Abs. 4
EGV Art. 242
EGV Art. 225
EG-Satzung Art. 50 Abs. 2
Entscheidung K(2000) 453
Richtlinie 65/65/EWG
Richtlinie 75/318/EWG
Richtlinie 75/319/EWG
Verordnung (EWG) Nr. 2309/93
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Nur das Gericht ist zuständig für die Tatsachenfeststellung, sofern sich nicht aus den Prozessakten ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind, sowie für die Würdigung dieser Tatsachen. Die Würdigung der Tatsachen ist, sofern die dem Gericht vorgelegten Beweismittel nicht verfälscht werden, daher keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofes im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt.

( vgl. Randnr. 52 )

2. Die in Artikel 49 der Satzung des Gerichtshofes festgelegten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels sind in Bezug auf den in diesem Rechtszug verhandelten Rechtsstreit und nur darauf zu prüfen. Dass die Gründe eines unanfechtbar gewordenen Beschlusses des Gerichts mit den Gründen eines Beschlusses übereinstimmen, gegen den ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, verbietet es dem Rechtsmittelführer nicht, diese Gründe anzufechten.

( vgl. Randnr. 54 )

3. Nach Artikel 5 der Richtlinie 65/65 über Arzneispezialitäten erstreckt sich die Beurteilung jedes Arzneimittels auf seine Wirksamkeit, seine Unschädlichkeit und seine Qualität. Die Beachtung dieser drei Voraussetzungen dient zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Schon der Begriff des Schutzes der öffentlichen Gesundheit impliziert nämlich, dass das fragliche Arzneimittel nicht nur unschädlich, sondern auch wirksam ist. Der Grad der Schädlichkeit, den die zuständige Behörde als akzeptabel ansehen kann, hängt somit vom Nutzen ab, den das Arzneimittel haben soll. Wie der siebten und der achten Begründungserwägung der Richtlinie 75/318 über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneimitteln zu entnehmen ist, können die Begriffe Schädlichkeit" und therapeutische Wirksamkeit" nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden. Daher können die Gründe, die eine zuständige Behörde veranlasst haben, die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels aufrechtzuerhalten, obwohl es bestimmte schädliche Auswirkungen hat, wegfallen, wenn die Behörde zu der Auffassung gelangt, dass der die Genehmigung rechtfertigende Nutzen, d. h. die therapeutische Wirksamkeit, nicht mehr vorhanden ist. Wie sich aus der Einleitung des Anhangs der Richtlinie 75/318 in der Fassung der Richtlinie 91/507 ergibt, sind nämlich den zuständigen Behörden zwecks Kontrolle der Nutzen-Risiko-Bewertung" nach Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen alle neuen Angaben oder Informationen vorzulegen.

( vgl. Randnrn. 64, 67 )

4. Bei jeder Entscheidung über den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen, die gemäß dem Verfahren der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 über Arzneispezialitäten getroffen wird, müssen die in Artikel 11 der Richtlinie 65/65 aufgestellten inhaltlichen Voraussetzungen in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität des Arzneimittels beachtet werden. Eine derartige Entscheidung ist somit das Ergebnis komplexer Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet. Solche Beurteilungen sind grundsätzlich nur in begrenztem Umfang gerichtlich überprüfbar. Eine Gemeinschaftsbehörde, die im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Bewertungen vorzunehmen hat, verfügt dabei über ein weites Ermessen, dessen Ausübung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, bei der der Gemeinschaftsrichter seine Würdigung des Sachverhalts nicht an die Stelle derjenigen dieser Behörde setzen kann. Somit beschränkt er sich in einem solchen Fall auf die Prüfung der Richtigkeit der Tatsachen und ihrer rechtlichen Einordnung durch diese Behörde und insbesondere der Frage, ob deren Handeln einen offensichtlichen Irrtum oder Ermessensmissbrauch aufweist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat.

( vgl. Randnrn. 82-83 )


Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 11. April 2001. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Laboratoires pharmaceutiques Trenker SA. - Rechtsmittel - Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff "Amfepramon" enthalten - Zweite Richtlinie 75/319/EWG - Dringlichkeit - Interessenabwägung. - Rechtssache C-459/00 P (R).

Parteien:

In der Rechtssache C-459/00 P(R)

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Støvlbæk, M. Shotter und K. Fitch als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Rechtsmittelführerin,

unterstützt durch

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues und R. Loosli-Surrans als Bevollmächtigte,

Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,

betreffend ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Oktober 2000 in der Rechtssache T-141/00 R (Trenker/Kommission, Slg. 2000, II-3313) wegen Aufhebung dieses Beschlusses,

andere Verfahrensbeteiligte:

Laboratoires pharmaceutiques Trenker SA mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: X. Leurquin und L. Defalque, avocats, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Antragstellerin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

nach Anhörung der Generalanwältin C. Stix-Hackl

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Rechtsmittelschrift, die am 19. Dezember 2000 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß den Artikeln 225 EG und 50 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz vom 19. Oktober 2000 in der Rechtssache T-141/00 R (Trenker/Kommission, Slg. 2000, II-3313, im Folgenden: angefochtener Beschluss) eingelegt, mit dem der Präsident des Gerichts den Vollzug der Entscheidung K(2000) 453 der Kommission vom 9. März 2000 über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff Amfepramon" enthalten (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), ausgesetzt hat.

2 Mit Schriftsatz, der am 9. Februar 2001 bei der Kanzlei eingegangen ist, hat die Laboratoires pharmaceutiques Trenker SA, die Antragstellerin im ersten Rechtszug (im Folgenden: Antragstellerin), beim Gerichtshof eine schriftliche Stellungnahme eingereicht.

3 Mit Schriftsatz, der am 29. Januar 2001 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Französische Republik beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

4 Gemäß den Artikeln 37 Absätze 1 und 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes und 93 §§ 1 und 2 der Verfahrensordnung ist dem Antrag der Französischen Republik auf Zulassung als Streithelferin im vorliegenden Verfahren stattzugeben.

5 Die Französische Republik hat ihren Streithilfeschriftsatz am 19. Februar 2001 eingereicht.

6 Die Verfahrensbeteiligten haben am 7. März 2001 mündlich verhandelt.

Rechtlicher Rahmen

7 Am 26. Januar 1965 erließ der Rat die Richtlinie 65/65/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369). Sie wurde mehrfach geändert, u. a. durch die Richtlinien 89/341/EWG des Rates vom 3. Mai 1989 (ABl. L 142, S. 11) und 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 214, S. 22). Gemäß dem in Artikel 3 der Richtlinie aufgestellten Grundsatz darf ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Richtlinie erteilt hat oder wenn eine solche Genehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. L 214, S. 1) erteilt wurde.

8 Nach Artikel 4 der Richtlinie 65/65 ist die Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 3 von der für das Inverkehrbringen verantwortlichen Person bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats zu beantragen.

9 Artikel 5 der Richtlinie 65/65 lautet:

Die Genehmigung nach Artikel 3 wird versagt, wenn sich nach Prüfung der in Artikel 4 aufgeführten Angaben und Unterlagen ergibt, entweder dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder vom Antragsteller unzureichend begründet ist oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist.

Die Genehmigung wird auch dann versagt, wenn die Angaben und Unterlagen zur Stützung des Antrags nicht den Bestimmungen des Artikels 4 entsprechen."

10 Nach Artikel 10 der Richtlinie 65/65 ist die Genehmigung fünf Jahre gültig und kann für jeweils fünf Jahre verlängert werden; diese Verlängerung erfolgt nach einer von der zuständigen Behörde vorzunehmenden Prüfung der Unterlagen, die insbesondere eine Übersicht über den Stand der Angaben zur Pharmakovigilanz und die übrigen für die Arzneimittelüberwachung maßgebenden Informationen enthalten.

11 Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 sieht vor:

Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten setzen die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels aus oder widerrufen sie, wenn sich herausstellt, entweder dass das Arzneimittel [bei bestimmungsgemäßem Gebrauch] schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist. Die therapeutische Wirksamkeit fehlt, wenn feststeht, dass sich mit dem Arzneimittel keine therapeutischen Ergebnisse erzielen lassen."

12 Nach Artikel 21 der Richtlinie 65/65 darf die Genehmigung für das Inverkehrbringen nur aus den in dieser Richtlinie aufgeführten Gründen versagt, ausgesetzt oder widerrufen werden.

13 Die Richtlinie 75/318/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneimitteln (ABl. L 147, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 89/341 (im Folgenden: Richtlinie 75/318) schreibt in Artikel 1 Absatz 1 vor, dass die Mitgliedstaaten alle zweckdienlichen Maßnahmen treffen, damit die Angaben und Unterlagen, die gemäß Artikel 4 Absatz 2 Nummern 3, 4, 6, 7 und 8 der Richtlinie 65/65 dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels beizufügen sind, von den Antragstellern entsprechend dem Anhang der Richtlinie 75/318 vorgelegt werden.

14 Die siebte und die achte Begründungserwägung der Richtlinie 75/318 lauten:

Die Begriffe ,Schädlichkeit und ,therapeutische Wirksamkeit in Artikel 5 der Richtlinie 65/65/EWG können nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden und haben nur eine relative Bedeutung, die nach Maßgabe des Standes der Wissenschaft und unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Arzneimittels beurteilt wird. Aus den Angaben und Unterlagen, die dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen beizufügen sind, muss hervorgehen, dass die therapeutische Wirksamkeit höher zu bewerten ist als die potentiellen Risiken. Der Antrag muss abgelehnt werden, wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist.

Da die Beurteilung der Schädlichkeit und der therapeutischen Wirksamkeit sich auf Grund neuer Erkenntnisse ändern kann, sollten die Vorschriften und Nachweise in regelmäßigen Zeitabständen dem wissenschaftlichen Fortschritt angepasst werden."

15 Die Zweite Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. L 147, S. 13) in der Fassung der Richtlinie 93/39 (im Folgenden: Richtlinie 75/319) sieht eine Reihe von Schiedsverfahren vor dem Ausschuss für Arzneispezialitäten (im Folgenden: Ausschuss) der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln vor. Ein solches Verfahren wird durchgeführt, wenn ein Mitgliedstaat im Rahmen des in Artikel 9 der Richtlinie 75/319 vorgesehenen Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung nationaler Genehmigungen für das Inverkehrbringen der Auffassung ist, dass Anlass zu der Annahme besteht, dass die Genehmigung eines Arzneimittels eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen kann (Artikel 10 der Richtlinie), im Fall abweichender Entscheidungen bezüglich der Erteilung, Aussetzung oder Rücknahme nationaler Genehmigungen (Artikel 11), in besonderen Fällen von Gemeinschaftsinteresse (Artikel 12) sowie bei Änderungen harmonisierter Genehmigungen (Artikel 15, 15a und 15b).

16 Nach Artikel 12 der Richtlinie 75/319 können u. a. die Mitgliedstaaten in besonderen Fällen von Gemeinschaftsinteresse den Ausschuss mit der Anwendung des Verfahrens nach Artikel 13 befassen, bevor sie über einen Antrag auf Genehmigung, über die Aussetzung oder den Widerruf einer Genehmigung bzw. über jede andere Änderung der Bedingungen einer Genehmigung für das Inverkehrbringen entscheiden, die für erforderlich gehalten wird, insbesondere um die im Rahmen der Pharmakovigilanz gemäß Kapitel Va der Richtlinie 75/319 gesammelten Informationen zu berücksichtigen.

17 Artikel 15a der Richtlinie 75/319 lautet:

(1) Ist ein Mitgliedstaat der Ansicht, dass die Änderung der Bedingungen für eine Genehmigung, die gemäß den Bestimmungen dieses Kapitels erteilt worden ist oder deren Aussetzung oder Rücknahme für den Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich ist, so verweist der betreffende Mitgliedstaat diese Angelegenheit unverzüglich zur Anwendung der Verfahren gemäß den Artikeln 13 und 14 an den Ausschuss.

(2) Ist eine Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dringend erforderlich, so kann der Mitgliedstaat unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 12 in Ausnahmefällen bis zu einer endgültigen Entscheidung das Inverkehrbringen und die Anwendung des betreffenden Arzneimittels in seinem Hoheitsgebiet aussetzen. Er hat die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten spätestens am nächsten Arbeitstag über die Gründe dieser Maßnahme zu unterrichten."

18 Artikel 13 der Richtlinie 75/319 beschreibt den Ablauf des Verfahrens vor dem Ausschuss. Artikel 14 regelt, wie die Kommission nach Erhalt des Gutachtens des Ausschusses vorzugehen hat. Artikel 14 Absatz 1 Unterabsatz 3 lautet: Entspricht der Entscheidungsentwurf [der Kommission] ausnahmsweise nicht dem Gutachten der Agentur, so hat die Kommission auch eine eingehende Begründung der Abweichung beizufügen."

Sachverhalt und Verfahren

19 Die Antragstellerin verfügt über Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln, die unter den Bezeichnungen Dietil Retard", Regenon" und Atractil" vermarktet werden. Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt wird im angefochtenen Beschluss wie folgt geschildert:

9 Am 17. Mai 1995 wandte sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 12 der Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie 93/39 an den Ausschuss und teilte ihm ihre Befürchtungen im Zusammenhang mit Anorektika mit, zu denen auch Amfepramon enthaltende Arzneimittel gehören und die eine schwere pulmonale Hypertonie hervorrufen können.

10 Das durch diese Anrufung eingeleitete Verfahren führte zum Erlass der auf Artikel 14 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 75/319 gestützten Entscheidung K(96) 3608 der Kommission vom 9. Dezember 1996 [im Folgenden: Entscheidung vom 9. Dezember 1996], in der den Mitgliedstaaten aufgegeben wurde, bestimmte klinische Angaben zu ändern, die die einzelstaatlichen Zulassungen für das Inverkehrbringen der fraglichen Arzneimittel enthalten mussten.

11 Mit Schreiben vom 7. November 1997 an den Vorsitzenden des Ausschusses äußerte das belgische Ministerium für soziale Angelegenheiten, Volksgesundheit und Umwelt die Befürchtung, dass es eine Kausalbeziehung zwischen Herzklappenstörungen und der Einnahme von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln gebe. Das Ministerium ersuchte daher den Ausschuss gemäß den Artikeln 13 und 15a der Richtlinie 75/319, ein begründetes Gutachten zu den betreffenden Arzneimitteln abzugeben.

12 Am 31. August 1999 gab der Ausschuss seine Stellungnahme zu den Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln ab. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass die Bedenken des belgischen Ministeriums zwar nicht völlig von der Hand zu weisen seien, aber durch keinen Anhaltspunkt erhärtet würden. Er stellte jedoch fest, dass derartige Arzneimittel ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis aufwiesen, und empfahl, die Genehmigung für das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel zu widerrufen.

13 Auf der Grundlage dieses Gutachtens bereitete die Kommission einen Entscheidungsentwurf vor, der im Januar 2000 versandt wurde. Am 9. März 2000 erließ die Kommission die Entscheidung über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff ,Amfepramon enthalten... Artikel 2 dieser Entscheidung verweist auf die in dem Gutachten vorgenommene Beurteilung durch den Ausschuss. Nach Artikel 3 der Entscheidung haben die Mitgliedstaaten die Zulassungen für alle in Anhang I der Entscheidung genannten Arzneimittel innerhalb von 30 Tagen nach der Bekanntgabe der Entscheidung zurückzunehmen."

20 Mit Schriftsatz, der am 25. Mai 2000 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Antragstellerin gemäß Artikel 230 Absatz 4 EG Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung.

21 Mit besonderem Schriftsatz, der am 11. September 2000 bei der Kanzlei des Gerichts einging, stellte sie einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung.

22 Neben der angefochtenen Entscheidung erließ die Kommission am 9. März 2000 noch zwei weitere Entscheidungen über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff Phentermin" (K[2000] 452) und die Stoffe Clobenzorex", Fenbutrazat", Fenproporex", Mazindol", Mefenorex", Norpseudoephedrin", Phenmetrazin", Phendimetrazin" und Propylhexedrin" (K[2000] 608) enthalten. Alle diese Entscheidungen betreffen Arzneimittel zur Behandlung von Fettleibigkeit, die bereits Gegenstand der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 waren, und schließen sich an eine von zwei Mitgliedstaaten verlangte Neubewertung dieser Arzneimittel gemäß Artikel 15a der Richtlinie 75/319 an. Das Bewertungsverfahren führte zu mehreren Gutachten des Ausschusses, die nahezu einstimmig erstellt wurden und mit ganz ähnlicher Begründung die Rücknahme der Zulassung aller genannten Arzneimittel empfahlen. Die Entscheidungen der Kommission vom 9. März 2000 beruhen auf diesen Gutachten.

23 Die drei in vorstehender Randnummer erwähnten Entscheidungen waren Gegenstand von neun Anträgen auf einstweilige Anordnung. Mit Beschluss vom 28. Juni 2000 in der Rechtssache T-74/00 R (Artegodan/Kommission, Slg. 2000, II-2583) entschied der Präsident des Gerichts über einen dieser Anträge und setzte den Vollzug der Entscheidung K(2000) 453 in Bezug auf die Artegodan GmbH aus. Gegen diesen Beschluss wurde kein Rechtsmittel eingelegt. Über die übrigen acht Anträge auf einstweilige Anordnung entschied der Präsident des Gerichts mit dem angefochtenen Beschluss und sieben weiteren Beschlüssen vom 31. Oktober 2000 in den Rechtssachen T-76/00 R (Bruno Farmaceutici u. a./Kommission, Slg. 2000, II-3557), T-83/00 R I (Hänseler/Kommission, Slg. 2000, II-3563), T-83/00 R II (Schuck/Kommission, Slg. 2000, II-3585), T-84/00 R (Roussel und Roussel Diamant/Kommission, Slg. 2000, II-3591), T-85/00 R (Roussel und Roussel Iberica/Kommission, Slg. 2000, II-3613), T-132/00 R (Gerot Pharmazeutika/Kommission, Slg. 2000, II-3635) und T-137/00 R (Cambridge Healthcare Supplies/Kommission, Slg. 2000, II-3653). Diese acht Beschlüsse, gegen die die Kommission Rechtsmittel eingelegt hat, sowie der Beschluss Artegodan/Kommission beruhen auf nahezu identischen Gründen.

Der angefochtene Beschluss

24 Im angefochtenen Beschluss gab der Präsident des Gerichts dem Antrag der Antragstellerin statt und setzte den Vollzug der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf sie aus.

25 Er hielt die Voraussetzung der Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der beantragten Anordnung (Fumus boni iuris) für erfuellt. Dazu führte er in Randnummer 29 des angefochtenen Beschlusses aus:

29 Zum Fumus boni iuris ist festzustellen, dass die von der Antragstellerin vorgebrachten Gründe dem ersten Anschein nach nicht völlig von der Hand zu weisen sind. Zum einen hängt nämlich die Zuständigkeit der Kommission für den Erlass der angefochtenen Entscheidung von der Natur der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 ab, die streitig ist. Zum anderen hat die Kommission im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht erklärt, weshalb die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und die angefochtene Entscheidung zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen gelangen. Die von der Antragstellerin vorgebrachten Gründe verdienen daher eine gründliche Prüfung, die jedoch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den Rahmen des vorliegenden Verfahrens der einstweiligen Anordnung überschreitet."

26 Hinsichtlich der Dringlichkeit kam der Präsident des Gerichts zu dem Ergebnis, dass der Schaden, der durch den sofortigen Vollzug der angefochtenen Entscheidung entstehen könnte, ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden sei. Dabei stützte er sich auf folgende Erwägungen:

36 Im vorliegenden Fall bedeutet der sofortige Vollzug der angefochtenen Entscheidung, dass die in deren Artikel 1 genannten Arzneimittel ganz vom Markt genommen werden. Der sofortige Vollzug bedeutet damit auch, dass diese Arzneimittel im Pharmahandel ausgelistet werden und aus den für die Beratungs- und Verschreibungspraxis der Ärzteschaft maßgeblichen Arzneimittellisten verschwinden. Wird der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht ausgesetzt, so werden zudem Ersatzarzneimittel, deren Existenz beide Parteien anerkennen, sehr wahrscheinlich an die Stelle der zurückgenommenen Arzneimittel treten. Das Vertrauen der Verbraucher, der Ärzte und der Apotheker in ein Arzneimittel ist aber besonders empfindlich gegenüber Erklärungen, wonach das betreffende Arzneimittel eine Gefahr für die Gesundheit des Patienten darstellt. Selbst wenn diese Erklärungen später widerlegt werden, kann das Vertrauen in das zurückgenommene Produkt häufig nicht mehr wiederhergestellt werden, außer in speziellen Fällen, nämlich dann, wenn die Eigenschaften des Arzneimittels von den Verbrauchern besonders geschätzt werden und es kein vollwertiges Ersatzprodukt gibt oder wenn der Hersteller einen außergewöhnlich guten Ruf genießt, so dass nicht behauptet werden kann, dass er die Marktanteile, die er vor der Rücknahme besessen hat, nicht zurückerobern könnte. Ein solcher spezieller Fall liegt hier jedoch nicht vor.

37 Sollte das Gericht die angefochtene Entscheidung für nichtig erklären und die Antragstellerin somit ihre Arzneimittel erneut vertreiben dürfen, ließe sich zudem der finanzielle Schaden, den sie aufgrund des Absatzrückgangs infolge eines Vertrauensverlustes in Bezug auf ihre Präparate erlitten hat, im Hinblick auf einen Ersatz tatsächlich nicht vollständig genug quantifizieren."

27 Die Interessenabwägung fiel nach Ansicht des Präsidenten des Gerichts im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen zugunsten einer Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung aus:

42 Es ist nämlich sehr wahrscheinlich, dass der Vollzug der angefochtenen Entscheidung zur Folge hätte, dass die Antragstellerin ihre Marktposition endgültig verlieren würde, auch wenn die angefochtene Entscheidung im Hauptsacheverfahren für nichtig erklärt würde.

43 Die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung könnte jedoch die öffentliche Gesundheit beeinträchtigen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen unbestreitbar Vorrang einzuräumen ist (Beschluss [des Gerichtshofes vom 12. Juli 1996 in der Rechtssache C-180/96 R,] Vereinigtes Königreich/Kommission, [Slg. 1996, I-3903,] Randnr. 93, Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-183/95, Affish, Slg. 1997, I-4315, Randnr. 43, Beschluss des Gerichts vom 15. September 1998 in der Rechtssache T-136/95, Infrisa/Kommission, Slg. 1998, II-3301, Randnr. 58, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 30. Juni 1999 in der Rechtssache T-70/99 R, Alpharma/Rat, Slg. 1999, II-2027, Randnr. 152).

44 In diesem Zusammenhang kann jedoch der Hinweis auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit für sich allein nicht eine Prüfung der Umstände des konkreten Falles und insbesondere des betreffenden Sachverhalts ausschließen.

45 Im vorliegenden Fall hat die Kommission überzeugend dargetan, dass Unsicherheiten bezüglich der Risiken bestehen, die mit Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln verbunden sind, auch wenn diese Risiken gering sind. Während jedoch der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und der angefochtenen Entscheidung genau die gleichen Informationen zugrunde liegen, unterscheiden sich die Maßnahmen, die die Kommission 1996 und 2000 zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gegenüber diesen Risiken getroffen hat, grundlegend. Die Kommission musste daher nachweisen, dass sich die in der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 enthaltenen Schutzmaßnahmen als für den Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht ausreichend erwiesen hatten, so dass die Schutzmaßnahmen, die sie in der angefochtenen Entscheidung getroffen hat, nicht offensichtlich unverhältnismäßig sind. Dieser Nachweis ist der Kommission indessen nicht gelungen.

46 Außerdem lässt der Umstand, dass die für den Erlass der angefochtenen Entscheidung ausschlaggebenden Gesundheitsrisiken bereits in der Entscheidung der Kommission vom 9. Dezember 1996 berücksichtigt worden waren und zu einer Änderung der obligatorischen Angaben bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geführt hatten, darauf schließen, dass die Durchführung der angefochtenen Entscheidung nicht dringend ist."

Das Rechtsmittel

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

28 Die Kommission stützt ihr Rechtsmittel auf acht Gründe.

29 Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund wirft die Kommission, unterstützt von der französischen Regierung, dem Präsidenten des Gerichts vor, im Rahmen seiner Interessenabwägung das Vorsorgeprinzip nicht korrekt oder überhaupt nicht angewandt zu haben. Dieses Prinzip besage, dass die Kommission Schutzmaßnahmen treffen könne, ohne abwarten zu müssen, dass das Vorliegen und die Größe der Gefahren klar dargelegt seien (Urteil vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-157/96, National Farmers' Union u. a., Slg. 1998, I-2211, Randnr. 63).

30 Der zweite Rechtsmittelgrund beruht darauf, dass die Rechtsnatur der angefochtenen Entscheidung und das zu ihrem Erlass führende Verfahren verkannt worden seien.

31 Wenn die Kommission im Arzneimittelsektor eine Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ergreife, werde die wissenschaftliche Prüfung der Risiken nicht von ihr selbst vorgenommen, sondern von den wissenschaftlichen Experten, die dem Ausschuss angehörten. Auf der Grundlage dieser Prüfung treffe die Kommission dann ihre politische Entscheidung (die so genannte Risk-management-Entscheidung"), indem sie das Ergebnis der Prüfung der Risiken gegen andere zu berücksichtigende Faktoren abwäge. Das Fehlen einer Bezugnahme auf das wissenschaftliche Gutachten des Ausschusses im angefochtenen Beschluss zeige, dass das Verfahren, das zum Erlass der angefochtenen Entscheidung geführt habe, grundlegend missverstanden worden sei.

32 Der Grund, aus dem die Kommission am 9. März 2000 eine andere Entscheidung getroffen habe als am 9. Dezember 1996, stehe in direktem Zusammenhang mit dem endgültigen Gutachten des Ausschusses vom 31. August 1999. In der Begründung der angefochtenen Entscheidung werde darauf verwiesen, dass nach Ansicht des Ausschusses bei einer Bewertung auf der Grundlage der im Lauf der letzten Jahre gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse und der aktuellen medizinischen Empfehlungen eine therapeutische Wirksamkeit von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln bei der Behandlung von Fettleibigkeit fehle.

33 Zwischen dem Erlass der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und der angefochtenen Entscheidung hätten sich die Leitlinien für die therapeutische Wirksamkeit von Arzneimitteln gegen Fettleibigkeit und die medizinischen Richtlinien für deren Behandlung gewandelt, und dies habe den Ausschuss veranlasst, seine wissenschaftliche Bewertung zu ändern. Diese Leitlinien verkörperten einen grundsätzlichen Richtungswechsel bei der wissenschaftlichen Beurteilung der Behandlungsweise von Fettleibigkeit. Da der Präsident des Gerichts diesen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen und ausschließlich darauf abgestellt habe, dass beiden Entscheidungen die gleichen Informationen zugrunde lägen, habe er bei der Interessenabwägung einen materiellen Fehler begangen. Aus dem angefochtenen Beschluss gehe auch nicht hervor, ob der Präsident des Gerichts der Tatsache Rechnung getragen habe, dass mit der angefochtenen Entscheidung ein höheres Niveau des Gesundheitsschutzes als mit der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 geschaffen worden sei.

34 Die französische Regierung schließt sich diesem Vorbringen im Wesentlichen an und führt aus, der Präsident des Gerichts habe den Inhalt der angefochtenen Entscheidung im Sinne des Urteils vom 27. Januar 2000 in der Rechtssache C-164/98 P (DIR International Film u. a./Kommission, Slg. 2000, I-447, Randnrn. 48 und 49) unrichtig wiedergegeben. Diese unrichtige Wiedergabe resultiere aus einer unvollständigen Erfassung der angefochtenen Entscheidung. Der Präsident des Gerichts habe deren Anhang II nicht berücksichtigt, da er nicht erkannt habe, dass der Ausschuss zusätzliche wissenschaftliche Daten aus den Jahren nach 1996 geprüft habe, und außer Acht gelassen, dass den Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln nach Ansicht des Ausschusses die erforderliche Wirksamkeit fehle.

35 Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund rügt die Kommission, dass der angefochtene Beschluss außerhalb der Grenzen der rechtlichen Überprüfung" liege. Sie trägt vor, der Präsident des Gerichts habe einen Rechtsfehler begangen, indem er seine Beurteilung des angemessenen Schutzniveaus der öffentlichen Gesundheit an die Stelle der Beurteilung der insoweit für die Ausübung des Ermessens zuständigen Kommission gesetzt habe. Die französische Regierung schließt sich diesem Rechtsmittelgrund im Wesentlichen an und weist darauf hin, dass der Gerichtshof bereits im Urteil vom 21. Januar 1999 in der Rechtssache C-120/97 (Upjohn, Slg. 1999, I-223, Randnrn. 33 und 34) entschieden habe, dass komplexe Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet nur in begrenztem Umfang gerichtlich überprüfbar seien.

36 Der vierte Rechtsmittelgrund wird aus einem Verstoß gegen die Kriterien der Interessenabwägung abgeleitet. Der Präsident des Gerichts habe einen Rechtsfehler begangen, da er keine ordnungsgemäße Interessenabwägung vorgenommen, sondern nur die wirtschaftlichen Einbußen des die Aussetzung der angefochtenen Entscheidung beantragenden Unternehmens geprüft und berücksichtigt habe, ohne der Tatsache gebührend Rechnung zu tragen, dass die mit dem fraglichen Arzneimittel behandelten Patienten der Gefahr schwerer und nicht wieder gutzumachender Schäden ausgesetzt seien. Der Präsident des Gerichts habe dem Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht den nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes gebotenen Vorrang eingeräumt, obwohl die dem Ausschuss angehörenden wissenschaftlichen Sachverständigen Gefahren für die menschliche Gesundheit festgestellt hätten.

37 Der fünfte Rechtsmittelgrund betrifft einen Rechtsfehler hinsichtlich des Umfangs der Beweislast der Kommission. Der Präsident des Gerichts sei davon ausgegangen, dass die Kommission mit Unterstützung des Ausschusses aus eigener Kraft nachweisen könne, dass die therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels fehle oder dass es bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gefährlich sei. Die Lieferung von Informationen über die Sicherheit und therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels hänge aber weitgehend von den Inhabern der Genehmigungen für das Inverkehrbringen ab, und es sei nicht Sache der Kommission oder des Ausschusses, klinische Untersuchungen vorzunehmen. Die Verteilung der Beweislast durch den Präsidenten des Gerichts hindere die Kommission daran, ihre Entscheidungen über Genehmigungen für das Inverkehrbringen zu überprüfen, es sei denn, es würden neue Informationen gefunden.

38 Der sechste Rechtsmittelgrund geht dahin, dass die Feststellung in Randnummer 45 des angefochtenen Beschlusses, wonach zwar Unsicherheiten bezüglich der mit Amfepramon-haltigen Arzneimitteln verbundenen Risiken bestuenden, doch diese Risiken für die Gesundheit gering" seien, materielle Fehler enthalte. Aus den dem Gericht vorgelegten Akten gehe eindeutig hervor, dass die mit diesen Arzneimitteln verbundenen Risiken, insbesondere eine erhöhte Gefahr primärer pulmonaler Hypertonie und von Herzklappenveränderungen, nicht gering" seien. Der Präsident des Gerichts habe die Bewertung des Ausschusses durch seine eigene ersetzt.

39 Mit dem siebten Rechtsmittelgrund wird gerügt, dass der angefochtene Beschluss keine Begründung für die Feststellung des Präsidenten des Gerichts enthalte, dass die mit Amfepramon-haltigen Arzneimitteln verbundenen Risiken gering seien. Weder in Randnummer 45 noch an anderer Stelle des angefochtenen Beschlusses werde eine Erläuterung gegeben, die ein Verständnis der Gründe für eine solche Beurteilung ermöglichen würde.

40 Mit dem achten und letzten Rechtsmittelgrund wird beanstandet, dass die Ausführungen des Präsidenten des Gerichts zum Fumus boni iuris in Randnummer 29 des angefochtenen Beschlusses einen sachlichen Fehler enthielten. Aus den dem Gericht vorgelegten Akten ergebe sich, dass die Feststellung, die Kommission habe im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht erklärt", weshalb die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und die angefochtene Entscheidung zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen gelangten, unzutreffend sei. Insoweit sei auf mehrere Abschnitte der angefochtenen Entscheidung und auf die Stellungnahme zu verweisen, die die Kommission im Rahmen der ebenfalls Amfepramon betreffenden Rechtssache Gerot Pharmazeutika/Kommission gegenüber dem Gericht abgegeben habe.

41 Die Antragstellerin macht in erster Linie geltend, dass das Rechtsmittel unzulässig sei.

42 Zum einen sei, da die Kommission gegen den Beschluss Artegodan/Kommission kein Rechtsmittel eingelegt habe, davon auszugehen, dass dessen Begründung Rechtskraft erlangt habe und im Rahmen eines Rechtsmittels in anderen Rechtssachen, die mit der dem genannten Beschluss zugrunde liegenden Rechtssache völlig identisch seien, nicht in Frage gestellt werden könne. Außerdem verstoße die Kommission, wenn sie nur gegen bestimmte Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts Rechtsmittel einlege, gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.

43 Zum anderen beruhe das Rechtsmittel im Wesentlichen auf der Würdigung von Tatsachen und liefere keinen Beweis für deren sachliche Unrichtigkeit oder deren falsche rechtliche Einordnung.

44 Nur hilfsweise wendet sich die Antragstellerin gegen die von der Kommission angeführten Gründe für die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

45 Der erste Rechtsmittelgrund eines Verstoßes gegen das Vorsorgeprinzip sei unzulässig, weil ein solches Prinzip im Verfahren vor dem Präsidenten des Gerichts nicht erwähnt worden sei; selbst wenn er zulässig sein sollte, könnte dieses Prinzip nur in Ausnahmefällen angewandt werden, die dringende Maßnahmen vorübergehender Natur beträfen. Auf dem Vorsorgeprinzip beruhende Maßnahmen müssten jedenfalls mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.

46 Auch der zweite Rechtsmittelgrund der Kommission sei unzulässig, da mit ihm die Würdigung von Tatsachen in Frage gestellt werde. Zu seinem Inhalt sei zu sagen, dass der Präsident des Gerichts die wissenschaftliche Beurteilung seitens der Kommission oder der Sachverständigen des Ausschusses keineswegs durch seine eigene Beurteilung ersetzt habe. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Amfepramon enthaltenden Arzneimittel erscheine im Jahr 2000 günstiger als zuvor, und es gebe jedenfalls keine neue Feststellung, die die Rücknahme der Zulassungen dieser Arzneimittel aufgrund eines Vergleichs mit der Situation gemäß der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 rechtfertige. Die angefochtene Entscheidung sei nicht wegen eines Risikos für die Gesundheit der Patienten getroffen worden, sondern nur wegen der angeblich fehlenden therapeutischen Wirksamkeit von Amfepramon. Unter dem Aspekt seiner Schädlichkeit weise dieser Stoff ein geringes Risiko auf, das mit dem Risiko bei der Einnahme anderer, weiterhin in der Europäischen Gemeinschaft vermarkteter Arzneimittel vergleichbar sei; zudem werde seine Wirksamkeit durch eine vom Berichterstatter des Ausschusses herangezogene Untersuchung belegt und in allgemeineren Studien über Anorektika anerkannt.

47 Drittens habe sich der Präsident des Gerichts nicht außerhalb der Grenzen der rechtlichen Überprüfung" bewegt. Vielmehr habe die Kommission nicht den nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erforderlichen Beweis erbracht, dass die 1996 getroffenen Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht ausreichten.

48 Viertens habe die Kommission ihr Vorbringen zur Erforderlichkeit des Widerrufs der Genehmigungen für das Inverkehrbringen grundlegend geändert. Während sie vor dem Gericht versucht habe, diese Maßnahme mit der fehlenden therapeutischen Wirksamkeit von Amfepramon zu rechtfertigen, werde die angefochtene Entscheidung in der Rechtsmittelschrift mit der ernsten Gefahr von Herzproblemen für die Personen begründet, die diesen Stoff enthaltende Arzneimittel einnähmen. Der Ausschuss sei in Bezug auf die Sicherheit dieser Arzneimittel zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine erhöhte Gefahr von Herzklappenveränderungen gebe, und die Gefahr primärer pulmonaler Hypertonie sei bereits beim Erlass der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 berücksichtigt worden. Die Kommission habe auch außer Acht gelassen, dass die Genehmigungen nur fünf Jahre gültig seien und dass bei deren Verlängerung die Arzneimittel regelmäßig überprüft würden.

49 Fünftens sei zum Rechtsmittelgrund einer unzureichenden Begründung des angefochtenen Beschlusses festzustellen, dass dieser auf der offensichtlich fehlenden Zuständigkeit der Kommission für den Erlass der angefochtenen Entscheidung und auf einem Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beruhe; eine solche Begründung reiche aus, um dem Gerichtshof die Ausübung seiner Kontrolle zu ermöglichen.

50 Schließlich sei auch der achte Rechtsmittelgrund unzulässig, da er voraussetze, dass der Gerichtshof die Tatsachenwürdigung des Präsidenten des Gerichts überprüfe. Die Kommission habe die Leitlinien falsch ausgelegt, und die Behauptung, dass neue Erkenntnisse und neue wissenschaftliche Ergebnisse eine so schwerwiegende Entscheidung wie den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln rechtfertigten, stehe im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Tatsachen.

Würdigung

51 Nach den Artikeln 225 EG und 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes ist das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt und muss auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen Verfahrensfehler, durch den die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, oder auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das Gericht gestützt werden.

52 Nur das Gericht ist zuständig für die Tatsachenfeststellung, sofern sich nicht aus den Prozessakten ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind, sowie für die Würdigung dieser Tatsachen. Die Würdigung der Tatsachen ist, sofern die dem Gericht vorgelegten Beweismittel nicht verfälscht werden, daher keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofes im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt (vgl. u. a. Urteil vom 11. Februar 1999 in der Rechtssache C-390/95 P, Antillean Rice Mills u. a./Kommission, Slg. 1999, I-769, Randnr. 29).

53 Im Licht dieser Erwägungen sind die Rechtsmittelgründe zu prüfen.

54 Zunächst genügt zu dem Vorbringen, das Rechtsmittel sei unzulässig, weil ihm die Rechtskraft des Beschlusses Artegodan/Kommission entgegenstehe, der Hinweis, dass die in Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes festgelegten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels in Bezug auf den in dieser Instanz verhandelten Rechtsstreit und nur darauf zu prüfen sind. Dass die Gründe eines unanfechtbar gewordenen Beschlusses des Gerichts mit den Gründen eines Beschlusses übereinstimmen, gegen den ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, verbietet es dem Rechtsmittelführer nicht, diese Gründe anzufechten (vgl. zu einer Entscheidung des Gerichts, mit der einer Einrede der Rechtswidrigkeit eines Rechtsakts stattgegeben wurde, Urteil vom 5. Oktober 2000 in den Rechtssachen C-432/98 P und C-433/98 P, Rat/Chvatal u. a., Slg. 2000, I-8535, Randnr. 22).

55 Die Frage, ob das Rechtsmittel insgesamt unzulässig ist, weil es im Wesentlichen auf der Würdigung von Tatsachen beruht, kann nur im Licht des Vorbringens zur Stützung der einzelnen Rechtsmittelgründe geprüft werden, die gegen den angefochtenen Beschluss geltend gemacht werden.

56 Das Rechtsmittel ist folglich zulässig.

57 Zunächst ist der Rechtsmittelgrund einer unrichtigen Wiedergabe des Inhalts der angefochtenen Entscheidung zu prüfen.

58 Hierzu geht aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses hervor, dass der Präsident des Gerichts bei der Beurteilung des Fumus boni iuris und der Interessenabwägung folgenden Erwägungen ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat:

- [D]ie Kommission [hat] im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht erklärt, weshalb die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und die angefochtene Entscheidung zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen gelangen" (Randnr. 29).

- Während... der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und der angefochtenen Entscheidung genau die gleichen Informationen zugrunde liegen, unterscheiden sich die Maßnahmen, die die Kommission 1996 und 2000 zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gegenüber diesen Risiken getroffen hat, grundlegend. Die Kommission musste daher nachweisen, dass sich die in der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 enthaltenen Schutzmaßnahmen als für den Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht ausreichend erwiesen hatten, so dass die Schutzmaßnahmen, die sie in der angefochtenen Entscheidung getroffen hat, nicht offensichtlich unverhältnismäßig sind" (Randnr. 45).

- [D]ie für den Erlass der angefochtenen Entscheidung ausschlaggebenden Gesundheitsrisiken [waren] bereits in der Entscheidung der Kommission vom 9. Dezember 1996 berücksichtigt worden... und [hatten] zu einer Änderung der obligatorischen Angaben bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geführt" (Randnr. 46).

59 Diesen Erwägungen liegt keine auch nur summarische Prüfung der Begründung in Anhang II der angefochtenen Entscheidung zugrunde, auf die in Artikel 2 der Entscheidung verwiesen wird.

60 Anhang II der angefochtenen Entscheidung, in dem die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses wiedergegeben sind, aus denen sich die Gründe für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen der in Anhang I der Entscheidung aufgezählten Arzneimittel ergeben, enthält zunächst eine Analyse der Wirksamkeit dieser Arzneimittel. Aus ihr wird der Schluss gezogen, dass Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln bei der Behandlung von Fettleibigkeit die Wirksamkeit fehlt, wenn sie aufgrund der im Laufe von Jahren gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse und der aktuellen medizinischen Empfehlungen bewertet werden".

61 Diese Schlussfolgerung wird in Anhang II darauf gestützt, dass die Auswirkung von Amfepramon auf den Gewichtsverlust gering sei und unabhängig von der Behandlungsdauer nie über 5,1 kg" gelegen habe und dass [d]er größte Effekt... in den ersten zwei Monaten erzielt [wurde], unmittelbar danach nahm er ab". Zu dem Argument, dass eine kurzfristige Verringerung des Körpergewichts im Rahmen eines Programms zur Behandlung der Fettleibigkeit nützlich sein könnte, wird in Anhang II ausgeführt: Nach Beendigung der Behandlung kommt es jedoch erneut zu einer raschen Gewichtszunahme, und es liegen keine kontrollierten Studien vor, die belegen, dass eine begrenzte kurzfristige Wirkung eine langfristige, klinisch relevante Auswirkung auf das Körpergewicht hat oder einen klinischen Vorteil im Rahmen eines Programms zur Behandlung der Fettleibigkeit bietet." Weiter heißt es: Wegen des Risikos des Medikamentenmissbrauchs und der Medikamentenabhängigkeit verbietet sich eine Langzeitbehandlung mit Amfepramon." Im Ergebnis bewirke Amfepramon nachweislich nur mäßige, kurzfristige Gewichtsverringerungen von zweifelhafter und nicht belegter Relevanz für den Krankheitsverlauf".

62 Nach den Angaben in Anhang II erfordert eine therapeutisch wirksame Behandlung der Fettleibigkeit eine wesentliche und langfristige, d. h. mindestens ein Jahr anhaltende Verringerung des Körpergewichts. Weiter heißt es dort: Diese Erkenntnis beruht auf den im Laufe von Jahren gesammelten wissenschaftlichen Erfahrungen und findet in den gegenwärtigen medizinischen Empfehlungen ihren Niederschlag, so zum Beispiel in der Note for Guidance on Clinical Investigation of Drugs Used in Weight Control (Leitlinie zur klinischen Prüfung von verabreichten Medikamenten zur Gewichtskontrolle) (CPMP/EWP/281/96). Ferner kommt diese Erkenntnis auch in den gegenwärtigen Leitlinien zum Ausdruck, z. B. der schottischen Leitlinie (1996), einer Leitlinie des Royal College of Physicians (1998) und einer Leitlinie der American Society for Clinical Nutrition (1998)."

63 Diese Begründung ist im Hinblick auf den Gegenstand der angefochtenen Entscheidung und angesichts der Rechtsvorschriften für die Beurteilung von Arzneimitteln von Bedeutung.

64 Nach Artikel 5 der Richtlinie 65/65 erstreckt sich die Beurteilung jedes Arzneimittels auf seine Wirksamkeit, seine Unschädlichkeit und seine Qualität. Die Beachtung dieser drei Voraussetzungen dient zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Schon der Begriff des Schutzes der öffentlichen Gesundheit impliziert nämlich, dass das fragliche Arzneimittel nicht nur unschädlich, sondern auch wirksam ist. So wird in den Fußnoten zu den Artikeln 10 Absatz 1 der Richtlinie 75/319 und 7a der Richtlinie 65/65 ausgeführt, dass sich der Ausdruck Gefahr für die öffentliche Gesundheit" auf die Qualität, die Sicherheit und die Wirksamkeit des Arzneimittels bezieht.

65 Die Bedeutung der Wirksamkeit des Arzneimittels, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, hängt damit zusammen, dass in Artikel 1 Nummer 2 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 zur Definition des Arzneimittelbegriffs das Kriterium der Bezeichnung" verwendet wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes soll dieses Kriterium nicht nur Arzneimittel erfassen, die tatsächlich eine therapeutische oder medizinische Wirkung haben, sondern auch Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam sind oder nicht die Wirkung haben, die nach ihrer Bezeichnung von ihnen zu erwarten wäre; dadurch sollen die Verbraucher nicht nur vor schädlichen oder giftigen Arzneimitteln als solchen geschützt werden, sondern auch vor Erzeugnissen, die anstelle geeigneter Heilmittel verwendet werden (vgl. zuletzt Urteil vom 28. Oktober 1992 in der Rechtssache C-219/91, Ter Voort, Slg. 1992, I-5485, Randnr. 16).

66 Wie schon aus dem Wortlaut von Artikel 11 der Richtlinie 65/65 hervorgeht, hat die zuständige Behörde folglich eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nicht nur dann zu widerrufen oder auszusetzen, wenn sich herausstellt, dass das Arzneimittel schädlich ist oder nicht die angegebene Qualität aufweist, sondern auch dann, wenn es sich als nicht wirksam erweist.

67 Der Grad der Schädlichkeit, den die zuständige Behörde als akzeptabel ansehen kann, hängt somit vom Nutzen ab, den das Arzneimittel haben soll. Wie der siebten und der achten Begründungserwägung der Richtlinie 75/318 zu entnehmen ist, können die Begriffe Schädlichkeit" und therapeutische Wirksamkeit" nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden. Daher können die Gründe, die eine zuständige Behörde veranlasst haben, die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels aufrechtzuerhalten, obwohl es bestimmte schädliche Auswirkungen hat, wegfallen, wenn die Behörde zu der Auffassung gelangt, dass der die Genehmigung rechtfertigende Nutzen, d. h. die therapeutische Wirksamkeit, nicht mehr vorhanden ist. Wie sich aus der Einleitung des Anhangs der Richtlinie 75/318 in der Fassung der Richtlinie 91/507/EWG der Kommission vom 19. Juli 1991 (ABl. L 270, S. 32) ergibt, sind nämlich den zuständigen Behörden zwecks Kontrolle der Nutzen-Risiko-Bewertung" nach Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen alle neuen Angaben oder Informationen vorzulegen.

68 Im angefochtenen Beschluss wird bei den Ausführungen zum Fumus boni iuris und zur Interessenabwägung nicht auf die Erwägungen eingegangen, die in der Begründung der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf die Änderung der wissenschaftlichen Kriterien für die Beurteilung von Arzneimitteln zur Behandlung von Fettleibigkeit und die fehlende therapeutische Wirksamkeit von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln zu finden sind.

69 Eine solche Änderung stellt aber nach dem Wortlaut der angefochtenen Entscheidung einen ausschlaggebenden Gesichtspunkt für die Beurteilung der genannten Arzneimittel durch den Ausschuss und die Kommission dar.

70 Ferner betreffen aufgrund dieses Versäumnisses die in den Randnummern 45 und 46 des angefochtenen Beschlusses erwähnten Risiken ausschließlich die Schädlichkeit des Arzneimittels, ohne den Bezug zu dessen fehlender therapeutischer Wirksamkeit herzustellen.

71 Der angefochtene Beschluss ist demnach mit einem Rechtsfehler behaftet, da wesentliche Aspekte der Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt wurden und damit deren Inhalt unrichtig wiedergegeben wurde.

72 Daher ist dem Rechtsmittel stattzugeben und der angefochtene Beschluss aufzuheben, ohne dass über die übrigen Rechtsmittelgründe entschieden zu werden braucht.

73 Nach Artikel 54 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf, wenn das Rechtsmittel begründet ist. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen. Da die Sache zur Entscheidung reif ist, ist endgültig über den Antrag auf einstweilige Anordnung zu entscheiden.

Zum Antrag auf einstweilige Anordnung

Zum Fumus boni iuris

74 Die Antragstellerin trägt mehrere Gründe vor, um die Notwendigkeit der beantragten Aussetzung des Vollzugs glaubhaft zu machen.

75 Erstens liege ein Verstoß gegen die Artikel 15a der Richtlinie 75/319 und 11 der Richtlinie 65/65 vor. Die Kommission sei für den Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht zuständig gewesen. Nach Artikel 15a der Richtlinie 75/319 dürfe ein Mitgliedstaat das Verfahren gemäß den Artikeln 13 und 14 der Richtlinie 75/319 nur einleiten, wenn es sich um Genehmigungen für das Inverkehrbringen handele, die gemäß Kapitel III der Richtlinie erteilt worden seien. Die betreffenden Genehmigungen seien jedoch nationale Genehmigungen und nicht nach diesem Kapitel erteilt worden. Dass die Genehmigungen nach einem gemäß Artikel 12 der Richtlinie 75/319 eingeleiteten Verfahren durch die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 geändert worden seien, ändere nichts an dieser Feststellung.

76 Außerdem verlange Artikel 15a der Richtlinie 75/319, dass eine Aussetzung oder Rücknahme der Genehmigung zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sei. Diese Voraussetzung sei jedoch nicht erfuellt, da seit der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 keine neue Gefahr für die öffentliche Gesundheit aufgetreten sei. Im Übrigen werde die angefochtene Entscheidung auf die angeblich fehlende Wirksamkeit der Amfepramon enthaltenden Arzneimittel gestützt und nicht auf deren mangelnde Sicherheit.

77 Im Rahmen der Beurteilung des Fumus boni iuris von Anträgen auf Aussetzung des Vollzugs hat der Richter der einstweiligen Anordnung nicht endgültig über die Auslegung der für den Rechtsstreit maßgebenden Bestimmungen zu entscheiden.

78 Unter diesem Vorbehalt ist festzustellen, dass die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 zwar der Erteilung der nationalen Genehmigungen für das Inverkehrbringen nicht vorausging, doch kann daraus nicht abgeleitet werden, dass es den Mitgliedstaaten nach dem Erlass dieser Entscheidung völlig freistand, über die Aufrechterhaltung der nationalen Genehmigungen zu entscheiden, mit dem Risiko, dass die mit der Entscheidung vorgenommene Harmonisierung zunichte gemacht wird. Auf den ersten Blick würde die These der Antragstellerin den Entscheidungen, die die Kommission gemäß dem Verfahren der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 in Bezug auf bereits erteilte Genehmigungen erlässt, die praktische Wirksamkeit nehmen.

79 Wie aus Randnummer 67 hervorgeht, kann zudem, auch wenn die Anrufung des Ausschusses auf Erwägungen beruhte, die mit der Schädlichkeit der Amfepramon enthaltenden Arzneimittel zusammenhingen, in der das Verfahren der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 abschließenden Entscheidung auf den ersten Blick auch berücksichtigt werden, ob der Nutzen der genannten Arzneimittel weiterhin ihre schädlichen Nebenwirkungen überwiegt.

80 Folglich enthält das Vorbringen der Antragstellerin bei erster Prüfung keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Kommission für den Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht zuständig war.

81 Zweitens trägt die Antragstellerin eine Reihe von Argumenten vor, die hauptsächlich den Ermessensspielraum betreffen, über den die Kommission bei der Beurteilung der Erforderlichkeit des Widerrufs einer Genehmigung für das Inverkehrbringen verfügt. In diesem Zusammenhang macht die Antragstellerin geltend, mit der Anwendung neuer Standards für die Beurteilung der Sicherheit und Wirksamkeit von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln, für die eine Zulassung bestehe, werde gegen das Verbot der Rückwirkung von Verwaltungsakten und gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen. Insoweit habe der Ausschuss nicht berücksichtigt, dass es für den Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen unmöglich sei, neuen Leitlinien entsprechende Ergebnisse klinischer Untersuchungen vorzulegen, da die Durchführung solcher Untersuchungen notwendigerweise mehrere Jahre dauere. Überdies sei das Erfordernis, dass die Wirksamkeit eines zur Behandlung von Fettleibigkeit dienenden Arzneimittels mindestens für die Dauer eines Jahres nachgewiesen werden müsse, 1996 nicht aufgestellt worden und aus medizinischer Sicht nicht gerechtfertigt. Ferner verstoße es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Kommission mit der angefochtenen Entscheidung die Rücknahme der Zulassungen von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln anordne, obwohl es keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gebe, die zeigten, dass mit den in der Entscheidung von 1996 getroffenen Maßnahmen das verfolgte Ziel nicht erreicht werden könne.

82 Dieses Vorbringen betrifft hauptsächlich die Art und Weise, in der die Kommission von dem Ermessensspielraum Gebrauch gemacht hat, über den sie bei der Beurteilung der Erforderlichkeit des Widerrufs einer Genehmigung für das Inverkehrbringen verfügt. Es ist unstreitig, dass bei jeder Entscheidung über den Widerruf einer solchen Genehmigung, die gemäß dem Verfahren der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 getroffen wird, die in Artikel 11 der Richtlinie 65/65 aufgestellten inhaltlichen Voraussetzungen in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität des Arzneimittels beachtet werden müssen. Eine derartige Entscheidung ist somit das Ergebnis komplexer Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet.

83 Solche Beurteilungen sind grundsätzlich nur in begrenztem Umfang gerichtlich überprüfbar. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verfügt eine Gemeinschaftsbehörde, die im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Bewertungen vorzunehmen hat, dabei über ein weites Ermessen, dessen Ausübung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, bei der der Gemeinschaftsrichter seine Würdigung des Sachverhalts nicht an die Stelle derjenigen dieser Behörde setzen kann. Somit beschränkt er sich in einem solchen Fall auf die Prüfung der Richtigkeit der Tatsachen und ihrer rechtlichen Einordnung durch diese Behörde und insbesondere der Frage, ob deren Handeln einen offensichtlichen Irrtum oder Ermessensmissbrauch aufweist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat (vgl. zum Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels Urteil Upjohn, Randnr. 34).

84 Im vorliegenden Fall ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, dass die auf dem Gutachten des Ausschusses beruhende angefochtene Entscheidung einen offensichtlichen Irrtum oder einen Ermessensmissbrauch aufweist oder dass die Kommission die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat.

85 Wenn die in Artikel 11 der Richtlinie 65/65 vorgesehenen materiellen Voraussetzungen für den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen durch die zuständigen Behörden vorliegen, erscheint ein solcher Widerruf zudem bei erster Analyse nicht unverhältnismäßig oder mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit unvereinbar.

86 Drittens macht die Antragstellerin geltend, die angefochtene Entscheidung sei unter Verstoß gegen die Richtlinie 75/318 in der Fassung der Richtlinie 1999/83/EG der Kommission vom 8. September 1999 (ABl. L 243, S. 9) ergangen. Wenn für ein Arzneimittel - wie für die von ihr vermarkteten Präparate - seit mindestens zehn Jahren eine Genehmigung für das Inverkehrbringen bestehe, werde unterstellt, dass seine Bestandteile allgemein medizinisch verwendet würden und dass es einen annehmbaren Grad der Sicherheit und eine anerkannte Wirksamkeit aufweise, so dass es nicht anhand neuer Bewertungskriterien beurteilt werden dürfe.

87 Nach dem Anhang der Richtlinie 75/318 in der Fassung der Richtlinie 1999/83 ist der Zeitraum von zehn Jahren, gerechnet von der ersten systematischen und dokumentierten Verwendung des... Stoffs als Arzneimittel in der EU", nur eine von zahlreichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen im verkürzten Verfahren. Auf den ersten Blick kann der bloße Umstand, dass für ein Arzneimittel seit mehr als zehn Jahren eine Genehmigung für das Inverkehrbringen besteht, nicht ausreichen, um die zuständigen Behörden an der Aussetzung oder dem Widerruf der Genehmigung zu hindern, wenn die Voraussetzungen von Artikel 11 der Richtlinie 65/65 erfuellt sind.

88 Viertens trägt die Antragstellerin vor, die Begründungspflicht in Artikel 253 EG sei verletzt worden.

89 Hierzu ist festzustellen, dass die Teile des Gutachtens des Ausschusses, die sich die Kommission durch ihre Wiedergabe in Anhang II der angefochtenen Entscheidung zu Eigen gemacht hat, auf den ersten Blick eine ausreichende Erläuterung der Gründe enthalten, aus denen die Kommission beschloss, die Genehmigung für das Inverkehrbringen der Amfepramon enthaltenden Arzneimittel zu widerrufen.

90 Unter diesen Umständen erscheint die angefochtene Entscheidung vorbehaltlich der im Verfahren zur Hauptsache vorzunehmenden Prüfung auf den ersten Blick nicht unzureichend begründet.

91 Schließlich macht die Antragstellerin geltend, sie sei vom Ausschuss erst in zweiter Instanz", d. h. im Rahmen der Beantwortung der Stellungnahme des Ausschusses vom 22. April 1999, zur Wirksamkeit der Amfepramon enthaltenden Arzneimittel gehört worden. Die angefochtene Entscheidung sei daher unter Verstoß gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz ergangen, dass die Verwaltung verpflichtet sei, die Betroffenen vor Erlass einer ihre Interessen erheblich beeinträchtigenden Entscheidung vollständig zu hören.

92 Wie den Unterlagen zu entnehmen ist, die die Antragstellerin ihrem Antrag auf einstweilige Anordnung beigefügt hat, wurde sie schon zu Beginn des Verfahrens aufgefordert, Daten zur Wirksamkeit ihrer Arzneimittel zu liefern, und äußerte sich vor der ersten Stellungnahme des Ausschusses mündlich ihm gegenüber speziell zur Wirksamkeit und zum Nutzen-Risiko-Verhältnis von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln. Zudem konnte sie auf die Stellungnahme des Ausschusses erwidern und somit ihren Standpunkt verteidigen, bevor der Ausschuss sein endgültiges Gutachten erstellte.

93 Unter diesen Umständen enthält das Vorbringen der Antragstellerin bei erster Prüfung keinen Anhaltspunkt dafür, dass ihre Verteidigungsrechte beeinträchtigt worden wären.

94 Vorbehaltlich der im Rahmen der Prüfung der Klage vorzunehmenden Beurteilung können demnach die von der Antragstellerin im Rahmen des vorliegenden Verfahrens angeführten Gründe nach einer ersten Analyse die für die angefochtene Entscheidung sprechende Gültigkeitsvermutung nicht widerlegen.

95 Da das Vorbringen der Antragstellerin jedoch nicht völlig unbegründet erscheint, kann die beantragte Aussetzung des Vollzugs nicht schon nach Prüfung des Fumus boni iuris abgelehnt werden, ohne auch die Dringlichkeit zu prüfen und die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen.

Zur Dringlichkeit und zur Interessenabwägung

96 Die Antragstellerin macht geltend, wenn der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht ausgesetzt werde, erleide sie einen schweren und irreparablen Schaden.

97 Die Rücknahme der Zulassung der Amfepramon enthaltenden Arzneimittel würde bedeuten, dass diese Arzneimittel im Pharmahandel ausgelistet und aus den Arzneimittellisten, die für die Beratungs- und Verschreibungspraxis der Ärzteschaft maßgeblich seien, verschwinden würden. Nachdem diese Arzneimittel so umfassend und lange vom Markt verschwunden und bei den Abnehmern wahrscheinlich durch Substitutionsprodukte ersetzt worden seien, wäre die Wiederaufnahme ihrer Vermarktung praktisch zum Scheitern verurteilt. Das Vertrauen der Verbraucher, der Ärzte und der Apotheker in sie wäre nämlich definitiv zerstört.

98 Bei einer Rücknahme dieser Zulassungen würde zudem ein so großer Teil ihrer Geschäftstätigkeit wegfallen, dass ihre Existenz gefährdet wäre.

99 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Dringlichkeit eines Antrags auf Aussetzung des Vollzugs danach zu beurteilen, ob die einstweilige Entscheidung notwendig ist, um zu verhindern, dass der Partei, die die Aussetzung beantragt, ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden entsteht. Dazu genügt es, insbesondere wenn der Eintritt des Schadens von mehreren Faktoren abhängt, dass dieser mit einem hinreichenden Grad von Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist (vgl. z. B. Beschlüsse vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache C-280/93 R, Deutschland/Rat, Slg. 1993, I-3667, Randnrn. 22 und 34, und vom 14. Dezember 1999 in der Rechtssache C-335/99 P[R], HFB u. a./Kommission, Slg. 1999, I-8705, Randnr. 67).

100 Im vorliegenden Fall bedeutet der sofortige Vollzug der angefochtenen Entscheidung, dass die in deren Artikel 1 genannten Arzneimittel ganz vom Markt genommen werden. Wird ihr Vollzug nicht ausgesetzt, werden daher wahrscheinlich Ersatzarzneimittel, über deren Existenz sich die Verfahrensbeteiligten einig sind, während der Dauer des Verfahrens zur Hauptsache anstelle der vom Markt genommenen Arzneimittel verschrieben.

101 Somit besteht die Gefahr, dass es nach einer etwaigen Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung für die Antragstellerin schwierig wäre, die Marktanteile zurückzuerlangen, über die sie vor Inkrafttreten der angefochtenen Entscheidung verfügte.

102 Die Antragstellerin beschränkt sich jedoch auf die Behauptung, dass die Rückerlangung der Marktanteile vor allem aufgrund eines Vertrauensverlustes in die fraglichen Arzneimittel schwierig wäre, hat aber nicht dargetan, dass Hindernisse struktureller oder rechtlicher Art es ausschließen würden, dass die Ärzte diese Arzneimittel erneut verschreiben und die Antragstellerin insbesondere durch geeignete Werbemaßnahmen bei den Ärzten einen beträchtlichen Teil ihrer Marktanteile zurückgewinnt.

103 Die Antragstellerin trägt weiter vor, die angefochtene Entscheidung stelle ihr Überleben in Frage, da auf die Amfepramon enthaltenden Arzneimittel 30 % ihres gesamten Umsatzes entfielen. Ein von ihr beauftragter Wirtschaftsprüfer sei in einem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einstellung der Lieferung von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Amfepramon in Belgien unweigerlich das Überleben des Unternehmens gefährden würde".

104 In diesem Bericht wird jedoch davon ausgegangen, dass die Vermarktung von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln ab 1. Juli 1999 eingestellt wird und sie in den Jahren 2000 und 2001 überhaupt nicht verkauft werden. Dies ist aber nicht eingetreten. Wie die Antragstellerin in ihrem am 11. September 2000 eingereichten Antrag auf einstweilige Anordnung selbst einräumt, befanden sich zu diesem Zeitpunkt die von [ihr] vertriebenen Arzneimittel immer noch auf dem belgischen Markt".

105 Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin auf dem Markt für Humanarzneimittel tätig ist, der streng reglementiert ist.

106 In einem Bereich, der oft erhebliche Investitionen erfordert und in dem die zuständigen Behörden aus Gründen, die für die betroffenen Unternehmen nicht immer vorhersehbar sind, zu schnellem Eingreifen gezwungen sein können, wenn Gefahren für die öffentliche Gesundheit bestehen, ist es aber Sache dieser Unternehmen, sich vor den Konsequenzen solcher Eingriffe durch eine geeignete Politik zu schützen, um nicht selbst den daraus entstehenden Schaden tragen zu müssen.

107 Bereits in der Entscheidung vom 9. Dezember 1996, die die Antragstellerin im Übrigen nicht angefochten hat, wurde auf schädliche Auswirkungen der Amfepramon enthaltenden Arzneimittel hingewiesen. Unter diesen Umständen gehörte der mögliche Erlass einer Entscheidung über den Widerruf oder die Aussetzung der ihr erteilten Genehmigungen für das Inverkehrbringen zu den normalerweise von ihr zu tragenden Risiken, nachdem der Ausschuss von einem Mitgliedstaat angerufen worden war, der der Ansicht war, dass die Änderung der Bedingungen der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder deren Aussetzung oder Rücknahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sei.

108 Selbst wenn man als hinreichend erwiesen unterstellt, dass infolge der Anwendung der angefochtenen Entscheidung während des Verfahrens zur Hauptsache ein nicht oder nur schwer wieder gutzumachender Schaden eintreten könnte, wäre dem Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung im vorliegenden Fall jedenfalls kein größeres Gewicht beizumessen als dem Interesse, das die Gemeinschaft daran hat, dass die der Antragstellerin erteilten Genehmigungen für das Inverkehrbringen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit unverzüglich widerrufen werden.

109 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen unbestreitbar Vorrang einzuräumen ist (Beschluss Vereinigtes Königreich/Kommission, Randnr. 93).

110 Im vorliegenden Fall steht fest, dass es im Gutachten des Ausschusses, auf das in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen wird, zu den Wirkungen auf das zentrale Nervensystem heißt, dass die fraglichen Arzneimittel schwerwiegende Nebenwirkungen wie z. B. psychotische Reaktionen oder Psychosen, Depressionen und Krampfanfälle" hätten und dass das Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential bekannt" sei. Weiter wird darin ausgeführt, dass das Sicherheitsprofil von Amfepramon-haltigen Arzneimitteln in Bezug auf das Risiko einer primären pulmonalen Hypertonie und anderer schwerwiegender Nebenwirkungen auf das Herz-Kreislauf-System... Anlass zur Besorgnis gab". Diese Erwägungen bestätigen die bereits 1996 vorgenommene Beurteilung der Sicherheit der genannten Arzneimittel.

111 Im Anschluss an die Feststellung des Ausschusses, dass eine therapeutische Wirksamkeit von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln bei der Behandlung von Fettleibigkeit fehle, gelangte die Kommission, gestützt auf dessen Gutachten, zu dem Ergebnis, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig sei.

112 Vorbehaltlich der im Rahmen des Verfahrens zur Hauptsache vorzunehmenden Prüfung kann der Richter der einstweiligen Anordnung mangels Anhaltspunkten für einen offensichtlichen Irrtum oder einen Ermessensmissbrauch die Beurteilung des Ausschusses, die das Ergebnis eines gründlichen kontradiktorischen Verfahrens ist, das den Ausschuss veranlasst hat, den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Amfepramon enthaltenden Arzneimitteln zu befürworten, nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen.

113 In Anbetracht der genannten Beurteilung könnte die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung aber ernste Gefahren für die Personen mit sich bringen, die die fraglichen Arzneimittel einnehmen, und im Bereich der öffentlichen Gesundheit Schäden verursachen, die bei späterer Abweisung der Klage nicht wieder gutgemacht werden könnten.

114 Nach alledem ist der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

beschlossen:

1. Der Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Oktober 2000 in der Rechtssache T-141/00 R (Trenker/Kommission) wird aufgehoben.

2. Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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