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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.10.2007
Aktenzeichen: C-464/05
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 43
EG Art. 56
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

25. Oktober 2007

"Art. 43 EG und 56 EG - Nationale Steuerregelung - Erbschaftsteuern - Familiengesellschaft - Befreiung - Voraussetzungen - Beschäftigung einer bestimmten Zahl von Arbeitnehmern in einer Region eines Mitgliedstaats"

Parteien:

In der Rechtssache C-464/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Rechtbank van eerste aanleg te Hasselt (Belgien) mit Entscheidung vom 21. Dezember 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Dezember 2005, in dem Verfahren

Maria Geurts,

Dennis Vogten

gegen

Administratie van de BTW, registratie en domeinen,

Belgische Staat

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter), J. Malenovský und T. von Danwitz,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Frau M. Geurts und Herrn D. Vogten, vertreten durch A. van Zantbeek, A. Nijs und A. Verbeke, advocaten,

- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Wimmer und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von R. Deblauwe, C. Docclo und N. Labeeuw, advocaten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und A. Weimar als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. Februar 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 43 EG und 56 EG, von denen der erste die Niederlassungsfreiheit und der zweite den freien Kapitalverkehr betrifft.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits von Frau M. Geurts und Herrn D. Vogten als gesetzliche Erben von Herrn J. Vogten gegen die Administratie van de BTW, registratie en domeinen (Verwaltung für Mehrwertsteuer, Register und Domänen, im Folgenden: belgische Steuerbehörden) wegen deren Weigerung, den Klägern eine Befreiung von der Erbschaftsteuer zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Nationales Recht

3 Nach Art. 3 der belgischen Verfassung umfasst Belgien drei Regionen: die Wallonische Region, die Flämische Region und die Brüsseler Region.

4 Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 des Sondergesetzes über die Finanzierung der Gemeinschaften und der Regionen vom 16. Januar 1989 (Belgisch Staatsblad vom 17. Januar 1989, S. 850) in der durch das Sondergesetz über die Refinanzierung der Gemeinschaften und die Ausweitung der steuerlichen Zuständigkeiten der Regionen vom 13. Juli 2001 (Belgisch Staatsblad vom 3. August 2001, S. 26646) geänderten Fassung ist die Erbschaftsteuer der Einwohner des Königreichs Belgien eine Regionalabgabe. Gemäß Art. 4 Abs. 2 des Sondergesetzes vom 16. Januar 1989 sind die Regionen für die Festsetzung der Steuersätze und die Regelung der Befreiungen von der Erbschaftsteuer zuständig.

5 Nach Art. 1 Nr. 1 des durch die Königliche Verordnung Nr. 308 vom 31. März 1936 eingeführten Wetboek der Successierechten (Erbschaftsteuergesetzbuch) (Belgisch Staatsblad vom 7. April 1936, S. 2403), bestätigt durch das Gesetz vom 4. Mai 1936 (Belgisch Staatsblad vom 7. Mai 1936, S. 3426, im Folgenden: Erbschaftsteuergesetzbuch), wird von den Erben Erbschaftsteuer auf den gesamten Nachlass des Erblassers erhoben, der nach Abzug der Schulden verbleibt.

6 Art. 60bis des Erbschaftsteuergesetzbuchs, wie er für in der Flämischen Region angefallene Erbschaften gilt, in der durch das Decreet van het Vlaamse Parlament houdende bepalingen tot begeleiding van de begroting 1997 (Dekret des Flämischen Parlaments mit verschiedenen Begleitmaßnahmen zum Haushalt 1997) vom 20. Dezember 1996 (Belgisch Staatsblad vom 31. Dezember 1996, S. 32555) eingefügten und durch das Decreet van het Vlaamse Parlament houdende bepalingen tot begeleiding van de begroting 2000 (Dekret des Flämischen Parlaments mit verschiedenen Begleitmaßnahmen zum Haushalt 2000) vom 22. Dezember 1999 (Belgisch Staatsblad vom 30. Dezember 1999, S. 50232) geänderten Fassung bestimmt:

"§ 1 Abweichend von den Art. 48 und 48/2 ist von der Erbschaftsteuer der folgende Nettowert befreit:

a) der Wert der Aktiven, die vom Erblasser oder seinem Ehegatten gewerbsmäßig in ein Familienunternehmen investiert wurden, und

b) der Wert der Anteile an einer Familiengesellschaft oder Forderungen an eine solche Gesellschaft unter der Voraussetzung, dass das Unternehmen oder die Anteile an der Gesellschaft in den drei dem Tod vorausgehenden Jahren ununterbrochen mindestens in Höhe von 50 % dem Verstorbenen und/oder seinem Ehegatten gehörten und dass sie unaufgefordert in der Erbschaftsteuererklärung angeführt wurden.

...

§ 2 Unter Familienunternehmen wird verstanden: ein Industrie-, Handels-, Handwerks- oder landwirtschaftliches Unternehmen, das vom Verstorbenen und/oder seinem Ehegatten in Zusammenarbeit mit anderen Personen oder ohne eine solche persönlich betrieben bzw. ausgeübt worden ist.

§ 3 Unter Familiengesellschaft wird verstanden: eine Gesellschaft mit Sitz der tatsächlichen Geschäftsführung in einem der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die

- entweder selbst die Voraussetzungen der §§ 1, 5 und 8 erfüllt

- oder die Anteile und eventuell Forderungen von Tochtergesellschaften hält, die diese Voraussetzungen erfüllen.

...

§ 5 Die Befreiung erfolgt nur unter der Voraussetzung, dass das Unternehmen oder die Gesellschaft in den drei dem Tod vorausgehenden Jahren über mindestens fünf in der Flämischen Region beschäftigte Arbeitnehmer verfügte, ausgedrückt in Vollzeiteinheiten.

Abweichend von Abs. 1 wird die Befreiung zu 20 %, 40 %, 60 % oder 80 % des in § 9 bestimmten Nettowerts angewandt, wenn das Unternehmen oder die Gesellschaft in den drei dem Tod vorausgehenden Jahren in der Flämischen Region 1, 2, 3 oder 4 Arbeitnehmer beschäftigt hat, ausgedrückt in Vollzeiteinheiten. Diese Befreiung wird nur bewilligt und aufrechterhalten, sofern die Anteile oder Forderungen fünf Jahre lang nach dem Tod den Erben gehören, die die Befreiung erhalten haben ...

Die Zahl der Beschäftigten bestimmt sich nach den im Rahmen des Sozialrechts erforderlichen Anmeldungen ...

Die Befreiung wird nur aufrechterhalten, wenn die Zahl der in der Flämischen Region beschäftigten Mitglieder des Personals, ausgedrückt in Vollzeiteinheiten, in den ersten fünf Jahren nach dem Tod jedes Jahr in gleicher Höhe beibehalten wird ...

...

§ 8 Unternehmen oder Gesellschaften haben nur Anspruch auf die Befreiung, wenn sie in der Zeit von drei Jahren vor bis fünf Jahre nach dem Tod gemäß den Bestimmungen der Königlichen Verordnung vom 8. Oktober 1976 über die Jahresabschlüsse von Unternehmen Jahresabschlüsse erstellten, die auch als Beleg für die Einkommensteuererklärung verwendet werden.

Unternehmen oder Gesellschaften, die ihren Gesellschaftssitz nicht im Gebiet der Flämischen Region haben, müssen Jahresabschlüsse entsprechend der einschlägigen Regelung des Ortes ihres Gesellschaftssitzes erstellen.

...

§ 10 Bei Meidung des Verfalls ist Art. 60bis nur anwendbar, sofern die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

1. In der Steuererklärung wird ausdrücklich die Anwendung von Art. 60bis beantragt;

2. die von der Flämischen Region ausgestellte Bescheinigung darüber, dass die in diesem Artikel aufgestellten Voraussetzungen in Bezug auf Beschäftigung und Kapital erfüllt sind, ist der Erklärung beigefügt;

...

§ 11 Die Erben, die in den Genuss von Art. 60bis gelangen möchten, haben bei der flämischen Regierung mit Einschreibebrief einen Antrag auf Ausstellung der Bescheinigung im Sinne von § 10 zu stellen.

..."

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage

7 Nach der Vorlageentscheidung ist Frau M. Geurts die Witwe und Herr D. Vogten der Sohn von Herrn J. Vogten, einem niederländischen Staatsangehörigen, der am 25. Juni 1959 in den Niederlanden geboren wurde und am 6. Januar 2003 verstarb. J. Vogten wohnte zum Zeitpunkt seines Todes und mindestens in den fünf vorhergehenden Jahren in der Flämischen Region. Unbestritten befand sich sein steuerlicher Wohnsitz im Gebiet dieser Region; daher ist Art. 60bis des Erbschaftsteuergesetzbuchs auf seinen Nachlass anwendbar.

8 Das gemeinsame Vermögen des verstorbenen Herrn J. Vogten und seiner Ehefrau umfasste u. a. 100 % der Anteile an der Jos Vogten Beheer BV und der Vogten Staal BV, Gesellschaften niederländischen Rechts mit Sitz in Maastricht (Niederlande). Unbestritten handelte es sich bei diesen beiden Unternehmen um Familiengesellschaften im Sinne von Art. 60 bis § 3 des Erbschaftsteuergesetzbuchs. Zu dem gemeinsamen Vermögen gehörte auch eine Forderung im Sinne von Art. 60bis § 1 Buchst. b des Erbschaftsteuergesetzbuchs in Höhe von 1 110 568 Euro gegen die Firma Jos Vogten Beheer.

9 Ebenfalls unstreitig ist, dass jede der beiden in Rede stehenden Gesellschaften seit über drei Jahren vor dem Tod von J. Vogten in den Niederlanden ununterbrochen mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigte. Konkret geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass Vogten Staal BV neun Arbeitnehmer und Jos Vogten Beheer BV achtzehn Arbeitnehmer beschäftigte.

10 Die belgischen Steuerbehörden lehnten es ab, den Erben von Herrn J. Vogten die in Art. 60bis des Erbschaftsteuergesetzbuchs vorgesehene Befreiung zu gewähren. Dies begründeten sie damit, dass eine der in der genannten Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sei, nämlich dass die Arbeitnehmer der Firmen Vogten Staal BV und Jos Vogten Beheer BV nicht in der Flämischen Region beschäftigt gewesen seien. Die im vorliegenden Fall geschuldete Erbschaftsteuer beläuft sich auf 839 485,60 Euro.

11 Die Rechtbank van eerste aanleg te Hasselt, bei der die Klage der Erben von J. Vogten gegen diese ablehnende Entscheidung anhängig ist, hat Zweifel an der Vereinbarkeit der in Art. 60bis § 5 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzbuchs geregelten Voraussetzung mit den Bestimmungen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr. Sie ist der Ansicht, dass sich die Antwort auf die gestellte Frage nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe, und hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Art. 43 EG und 56 EG, dahin auszulegen, dass eine Beschränkung aufgrund einer Bestimmung im Erbschaftsteuerrecht einer Region eines Mitgliedstaats, im vorliegenden Fall Art. 60bis des Erbschaftsteuergesetzbuchs, wie diese Bestimmung auf eine in der Flämischen Region anfallende Erbschaft anwendbar ist, wonach die Anteile an einer Familiengesellschaft oder eine Forderung gegen eine solche Gesellschaft für den Rechtsnachfolger des Erblassers, d. h. den Erben, von Erbschaftsteuern befreit sind, wenn die Gesellschaft in den drei dem Tod vorausgehenden Jahren mindestens fünf Arbeitnehmer beschäftigt hat, diese Befreiung jedoch auf den Fall beschränkt ist, dass mindestens fünf Arbeitnehmer in einer bestimmten Region des betreffenden Mitgliedstaats (namentlich der Flämischen Region) beschäftigt worden sind, mit diesem Artikel unvereinbar ist?

Zur Vorlagefrage

12 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 43 EG und 56 EG einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats im Bereich des Erbschaftsteuerrechts entgegenstehen, die von der für Familienunternehmen vorgesehenen Erbschaftsteuerbefreiung Unternehmen ausschließt, die in den drei dem Tod des Erblassers vorausgehenden Jahren mindestens fünf Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt haben, während sie eine solche Befreiung dann gewährt, wenn eine solche Beschäftigung in einer Region des - erstgenannten - Mitgliedstaats erfolgt ist.

13 Vorab sei bemerkt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Befreiung auf Familiengesellschaften anwendbar ist, d. h. auf Gesellschaften, bei denen der Verstorbene, gegebenenfalls zusammen mit nahen Familienangehörigen, in den drei seinem Tod vorausgehenden Jahren mindestens 50 % des Gesellschaftskapitals gehalten hat, was diesen einen gewissen Einfluss auf die Entscheidungen der betroffenen Gesellschaft verliehen und es ihnen ermöglicht hat, deren Tätigkeiten zu bestimmen.

14 Zur Beurteilung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung unter dem Gesichtspunkt der Grundfreiheiten ist darauf hinzuweisen, dass der Fall eines Gemeinschaftsangehörigen, der seit der Verlegung seines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat wohnt und die Mehrheit der Anteile an Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hält, ab dem betreffenden Umzug in den Anwendungsbereich von Art. 43 EG fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2006, N, C-470/04, Slg. 2006, I-7409, Randnr. 28).

15 Nach ständiger Rechtsprechung verbietet es Art. 43 EG, auch wenn er nach seinem Wortlaut die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern soll, doch auch, dass der Herkunftsmitgliedstaat seine Staatsangehörigen wie auch die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten, die in seinem Hoheitsgebiet wohnen, bei der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat behindert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. April 2000, Baars, C-251/98, Slg. 2000, I-2787, Randnrn. 28 und 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

16 Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung berührt vorwiegend die Niederlassungsfreiheit und fällt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Anwendungsbereich allein der Bestimmungen des Vertrags, die diese Freiheit betreffen. Sollte eine solche nationale Maßnahme, wie die Kläger des Ausgangsverfahrens geltend machen, zu Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs führen, wären derartige Auswirkungen die unvermeidliche Konsequenz einer eventuellen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und rechtfertigten keine Prüfung dieser Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Art. 56 EG bis 58 EG (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C-524/04, Slg. 2007, I-0000, Randnrn. 33 und 34, sowie Beschluss vom 10. Mai 2007, A und B, C-102/05, Slg. 2007, I-0000, Randnrn. 26 und 27).

17 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, gehören die Auswirkungen einer erbschaftsteuerlichen Regelung auch zu den Überlegungen, die ein Angehöriger eines Mitgliedstaats bei der Entscheidung, ob er von der im Vertrag verankerten Freizügigkeit Gebrauch machen soll oder nicht, zu Recht anstellen dürfte (Urteil vom 11. Dezember 2003, Barbier, C-364/01, Slg. 2003, I-15013, Randnr. 75).

18 Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung behandelt dadurch, dass sie die Befreiung von Erbschaftsteuern für Familienunternehmen von der Voraussetzung abhängig macht, dass in den drei Jahren vor dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern in einer Region des betreffenden Mitgliedstaats beschäftigt worden ist, den Eigentümer eines solchen Unternehmens und nach dessen Tod seine Erben unterschiedlich, je nachdem, ob das betreffende Unternehmen Arbeitnehmer in diesem Mitgliedstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt.

19 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verstößt eine Regelung eines Mitgliedstaats, die die Steuerpflichtigen einer Ungleichbehandlung nach Maßgabe des Sitzes der Gesellschaften unterzieht, an denen sie Anteile besitzen, grundsätzlich gegen Art. 43 EG (vgl. in diesem Sinne Urteil Baars, Randnrn. 30 und 31). Das Gleiche gilt für eine Regelung eines Mitgliedstaats, die eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen nach Maßgabe des Ortes vorsieht, an dem die Gesellschaft, deren Eigentümer diese Steuerpflichtigen sind, eine bestimmte Zeit lang eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt.

20 Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verbieten im Bereich der Niederlassungsfreiheit die Vorschriften über die Gleichbehandlung nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder - bei Gesellschaften - des Sitzes, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (Urteil vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission, C-156/98, Slg. 2000, I-6857, Randnr. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21 Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung macht die Gewährung der darin vorgesehenen Vergünstigung von der Voraussetzung abhängig, dass eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern in einer Region des betreffenden Mitgliedstaats während einer bestimmten Zeit beschäftigt worden ist. Diese Voraussetzung kann unbestreitbar leichter von einer Gesellschaft erfüllt werden, die bereits in diesem Mitgliedstaat ansässig ist.

22 Daher führt diese Regelung bei der Gewährung einer Steuervergünstigung eine mittelbare Diskriminierung von Steuerpflichtigen nach Maßgabe des Beschäftigungsorts einer bestimmten Zahl von Arbeitnehmern während eines bestimmten Zeitraums ein, die geeignet ist, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch diese Steuerpflichtigen zu behindern.

23 Entgegen der Ansicht der belgischen Regierung kann das Vorliegen einer solchen diskriminierenden Behandlung nicht allein deshalb verneint werden, weil sich die in Rede stehende Regelung nicht auf die Niederlassung eines Unternehmens im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats, sondern nur auf die Beschäftigung einer bestimmten Zahl von Arbeitnehmern in diesem Staat bezieht und es dabei den Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat erlaubt, in den Genuss der in Rede stehenden Steuervergünstigung zu kommen, wenn sie die erforderliche Zahl von Arbeitnehmern im erstgenannten Mitgliedstaat beschäftigen.

24 Eine solche Behandlung ist nur zulässig, wenn mit ihr ein berechtigtes, mit dem Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In einem solchen Fall muss aber außerdem ihre Anwendung zur Erreichung des damit verfolgten Ziels geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (vgl. insbesondere Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C-446/03, Slg. 2005, I-10837, Randnr. 35, vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnr. 47, und vom 29. März 2007, Rewe Zentralfinanz, C-347/04, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 37).

25 Zur Rechtfertigung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung führt die belgische Regierung Erwägungen in Bezug auf den Fortbestand von kleinen und mittleren Unternehmen und die Aufrechterhaltung der Beschäftigung im Fall der Vererbung in diesem Mitgliedstaat und Erfordernisse im Zusammenhang mit der Wirksamkeit der steuerlichen Kontrollen an.

26 Es ist nicht ausgeschlossen, dass derartige Erwägungen, insbesondere solche, die im Zusammenhang mit dem Fortbestand der kleinen und mittleren Unternehmen und der Aufrechterhaltung der Beschäftigung in diesen stehen, in bestimmten Fällen unter bestimmten Voraussetzungen eine akzeptable Rechtfertigung für eine nationale Regelung darstellen können, die eine Steuervergünstigung für natürliche oder juristische Personen vorsieht.

27 Der belgischen Regierung ist es in Bezug auf die von ihr vorgetragenen Erwägungen nicht gelungen, die Notwendigkeit darzutun, die in Rede stehende Befreiung den sogenannten "Familien"-Unternehmen vorzubehalten, die eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats unterhalten. Im vorliegenden Fall befinden sich nämlich in Bezug auf das Ziel, zu vermeiden, dass die Belastung durch die Erbschaftsteuer die Fortführung der Familienunternehmen und damit der Arbeitsplätze, die diese zur Verfügung stellen, gefährdet, Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat in der gleichen Lage wie die Unternehmen, die in diesem ersten Mitgliedstaat ansässig sind.

28 Zu dem Argument der belgischen Regierung mit der Notwendigkeit, die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrollen zu wahren, da die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. L 336, S. 15) nicht für Erbschaftsteuern gelte, genügt die Feststellung, dass es dieses Erschwernis nicht rechtfertigen kann, kategorisch die Gewährung der in Rede stehenden Steuervergünstigungen zu versagen, da die Steuerbehörden von den betroffenen Steuerpflichtigen selbst die Nachweise verlangen können, die sie als dafür erforderlich ansehen, dass die betreffenden Steuervergünstigungen nur dann gewährt werden, wenn die fraglichen Arbeitsplätze die im nationalen Recht festgelegten Kriterien erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Oktober 2007, Elisa, C-451/05, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 98).

29 Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass in Ermangelung einer stichhaltigen Rechtfertigung Art. 43 EG einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats im Bereich der Erbschaftsteuern entgegensteht, die von der für Familienunternehmen vorgesehenen Befreiung von diesen Steuern Unternehmen ausschließt, die in den drei dem Tod des Erblassers vorausgehenden Jahren mindestens fünf Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt haben, während sie eine solche Befreiung dann gewährt, wenn die Arbeitnehmer in einer Region des erstgenannten Mitgliedstaats beschäftigt worden sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

30 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

In Ermangelung einer stichhaltigen Rechtfertigung steht Art. 43 EG einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats im Bereich der Erbschaftsteuern entgegen, die von der für Familienunternehmen vorgesehenen Befreiung von diesen Steuern Unternehmen ausschließt, die in den drei dem Tod des Erblassers vorausgehenden Jahren mindestens fünf Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt haben, während sie eine solche Befreiung dann gewährt, wenn die Arbeitnehmer in einer Region des erstgenannten Mitgliedstaats beschäftigt worden sind.

Ende der Entscheidung

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