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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.10.1994
Aktenzeichen: C-47/91
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Entscheidung 88/318/EWG vom 2. März 1988 (Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung; ABl. L 143, S. 37)


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 93 Abs. 2 Unterabs. 1
EWG-Vertrag Art. 92
Entscheidung 88/318/EWG vom 2. März 1988 (Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung; ABl. L 143, S. 37) Art. 9
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ist eine allgemeine Beihilferegelung einmal von der Kommission genehmigt worden, so braucht die Kommission, ausser wenn sie in ihrer Genehmigungsentscheidung entsprechende Vorbehalte gemacht hat, über die individuellen Durchführungsmaßnahmen nicht mehr unterrichtet zu werden. Da nämlich die individuellen Beihilfen blosse Maßnahmen zur Durchführung der allgemeinen Beihilferegelung sind, hätte die Kommission bei der Beurteilung der Beihilfen die gleichen Faktoren wie diejenigen zu berücksichtigen, die sie bei der Prüfung der allgemeinen Regelung berücksichtigt hat. Es ist daher unnötig, die individuellen Beihilfen der Kommission zur Überprüfung vorzulegen.

2. Die Kommission kann, wenn sie es mit einer individuellen Beihilfe zu tun hat, von der behauptet wird, sie sei aufgrund einer zuvor genehmigten Regelung gewährt worden, diese Gewährung nicht ohne weiteres unmittelbar am EWG-Vertrag messen. Sie darf zunächst ° bevor sie ein Verfahren eröffnet ° nur prüfen, ob die Beihilfe durch die allgemeine Regelung gedeckt ist und die in der Entscheidung über die Genehmigung dieser Regelung gestellten Bedingungen erfuellt. Andernfalls könnte die Kommission bei der Überprüfung jeder individuellen Beihilfe ihre Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung, die bereits eine Prüfung anhand von Artikel 92 EWG-Vertrag voraussetzt, rückgängig machen. Dann wäre aber die Einhaltung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sowohl gegenüber den Mitgliedstaaten als auch gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern gefährdet, da die individuellen Beihilfen, die der Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung in vollem Umfang entsprechen, von der Kommission wieder in Frage gestellt werden könnten.

Stellt die Kommission im Anschluß an eine in dieser Weise beschränkte Überprüfung fest, daß die individuelle Beihilfe ihrer Entscheidung über die Genehmigung der Regelung entspricht, so muß sie sie wie eine genehmigte, d. h. wie eine bestehende Beihilfe behandeln. Sie kann also nicht deren Aussetzung anordnen, denn Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag verleiht ihr diese Befugnis nur gegenüber neuen Beihilfen. Umgekehrt ist die individuelle Beihilfe dann wie eine neue Beihilfe anzusehen, wenn die Kommission feststellt, daß sie nicht durch ihre Entscheidung über die Genehmigung der Regelung gedeckt ist; für diese Feststellung darf sich die Kommission aber nicht auf blosse Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dieser Entscheidung stützen. Ist die Kommission über diese Beihilfe nicht unterrichtet worden, so kann sie dem betreffenden Mitgliedstaat, nachdem ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich dazu zu äussern, vorläufig aufgeben, die Zahlung der Beihilfe unverzueglich bis zum Abschluß ihrer Überprüfung einzustellen und der Kommission innerhalb der von ihr festgesetzten Frist alle Unterlagen, Informationen und Daten zu verschaffen, die notwendig sind, um die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu prüfen.

Hat die Kommission Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit individueller Beihilfen mit ihrer Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung, so muß sie dem betreffenden Mitgliedstaat aufgeben, ihr innerhalb einer von ihr festgesetzten Frist alle notwendigen Unterlagen, Informationen und Angaben zukommen zu lassen, damit sie sich zur Vereinbarkeit der streitigen Beihilfe mit ihrer Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung äussern kann. Wenn ein Mitgliedstaat trotz der Anordnung der Kommission die angeforderten Auskünfte nicht erteilt, kann diese die Aussetzung der Beihilfe anordnen und deren Vereinbarkeit unmittelbar am EWG-Vertrag messen, wie wenn es sich um eine neue Beihilfe handelte.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 5. OKTOBER 1994. - ITALIENISCHE REPUBLIK GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - NICHTIGKEITSKLAGE - STAATLICHE BEIHILFEN - SCHREIBEN ZUR EINLEITUNG DES VERFAHRENS NACH ARTIKEL 93 ABSATZ 2 UNTERABSATZ 1 EWG-VERTRAG - AUSSETZUNG DER BEIHILFEN - QUALIFIZIERUNG DER BEIHILFEN ALS NEUE BEIHILFEN. - RECHTSSACHE C-47/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Italienische Republik hat mit Klageschrift, die am 31. Januar 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag die Nichtigerklärung der ihr mit Schreiben vom 23. November 1990 mitgeteilten Entscheidung der Kommission beantragt, wegen der Gewährung von Beihilfen an die Firma Italgrani durch die italienischen Behörden das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 1 EWG-Vertrag einzuleiten, die zugleich die Anordnung enthält, die Beihilfen auszusetzen (im folgenden: Entscheidung über die Verfahrenseinleitung). Diese Entscheidung ist in Nummer C 315 des Amtsblatts der Europäischen Gemeinschaften vom 14.12.1990, S. 7, und ihre berichtigte Fassung in Nummer C 11 dieses Amtsblatts vom 17.1.1991, S. 32, veröffentlicht worden.

2 Aus den Akten ergibt sich, daß durch das italienische Gesetz Nr. 64 vom 1. März 1986 (im folgenden: Mezzogiorno-Beihilfegesetz) eine allgemeine Beihilferegelung zugunsten des Mezzogiorno geschaffen wurde. Diese Regelung wurde gemäß Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag der Kommission am 2. Mai 1986 übermittelt.

3 Mit der Entscheidung 88/318/EWG vom 2. März 1988 (im folgenden: Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung; ABl. L 143, S. 37) genehmigte die Kommission die allgemeine Beihilferegelung für das Mezzogiorno. In Artikel 9 der Entscheidung wurde der Italienischen Republik jedoch aufgegeben, die geltenden oder die später zu erlassenden Gemeinschaftsverordnungen auf dem Gebiet der Koordinierung der verschiedenen Beihilfen in den Bereichen Industrie, Landwirtschaft und Fischerei einzuhalten.

4 Im Anschluß an diese Entscheidung gewährte der italienische Minister für Interventionen im Mezzogiorno der in Neapel ansässigen Firma Italgrani Beihilfen, indem er mit dieser einen "Programmvertrag" schloß. Dieser Vertrag wurde am 12. April 1990 vom Interministeriellen Ausschuß zur Koordinierung der Industriepolitik (im folgenden: CIPI) genehmigt.

5 Der Programmvertrag umfasst mehrere Teile: die Errichtung von Industrieanlagen, in denen Ausgangsstoffe landwirtschaftlichen Ursprungs verarbeitet werden (Getreide, Zuckerrüben, Sojabohnen, Obst), darunter eine Stärke- und eine Glukosefabrik, ferner die Saatölgewinnung, die Erzeugung von Grieß und Mehl, die Schaffung von Beständen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, ein Forschungsprogramm und die Ausbildung des Personals des Unternehmens.

6 Im Anschluß an eine Beschwerde, die das Unternehmen Casillo Grani, ein Konkurrenzunternehmen der Firma Italgrani, bei ihr erhoben hatte, ersuchte die Kommission die italienischen Behörden am 26. Juli 1990, ihr Informationen über diese Beihilfen zukommen zu lassen. Am 7. September 1990 übermittelten die italienischen Behörden die Entscheidung des CIPI, mit der der mit Italgrani geschlossene Programmvertrag genehmigt worden war. Bei einer Sitzung vom September 1990 sowie schriftlich im Oktober 1990 erteilten die italienischen Behörden zusätzliche Informationen.

7 Mit Schreiben vom 23. November 1990 teilte die Kommission der italienischen Regierung ihre Entscheidung, hinsichtlich der meisten der Firma Italgrani gewährten Beihilfen das kontradiktorische Untersuchungsverfahren nach Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 1 EWG-Vertrag einzuleiten, mit und forderte die italienische Regierung auf, die Gewährung dieser Beihilfen auszusetzen.

8 In der Begründung ihrer Entscheidung äusserte die Kommission Zweifel, ob die italienischen Behörden zwei Bedingungen eingehalten hätten, von denen sie die Genehmigung der allgemeinen Regelung abhängig gemacht habe. Die italienischen Behörden hätten nämlich entgegen der Bestimmung des Artikels 9 der Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen Regelung die Vorschriften und Verordnungen der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Koordinierung der verschiedenen Beihilfen im Bereich der Landwirtschaft nicht eingehalten. Ausserdem stellte die Kommission fest, daß sie anhand der ihr vorliegenden Angaben nicht prüfen könne, ob die in ihrer Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen Regelung angegebenen Intensitätshöchstgrenzen eingehalten worden seien (Punkt D der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung).

9 Nach einer Prüfung der einzelnen der Firma Italgrani gewährten Beihilfen gelangte die Kommission zu dem Schluß, daß für diese Beihilfen keine der in Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a (Beihilfen zugunsten benachteiligter oder in Schwierigkeiten befindlicher Gebiete) und c (sektorale oder regionale Beihilfen) EWG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen gewährt werden könne (Punkt I.1 der Entscheidung). Sie fügte hinzu, daß "die beabsichtigten Maßnahmen nach Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag erst durchgeführt werden dürfen, wenn das Verfahren nach Absatz 2 des genannten Artikels zu einer abschließenden Entscheidung geführt hat" (Punkt I.3 der Entscheidung). Ferner wies die Kommission darauf hin, daß unter Verstoß gegen diese Regel gezahlte Beihilfen von den Empfängern zurückgefordert werden könnten und daß die durch diese Beihilfen betroffenen Gemeinschaftsausgaben nicht vom EAGFL übernommen werden könnten (Punkt I.4 der Entscheidung).

10 Gegen diese Entscheidung ist die vorliegende Klage gerichtet.

11 Die italienische Regierung beanstandet, daß die Kommission die zugunsten der Firma Italgrani ursprünglich vorgesehenen Beihilfen als neue, d. h. als nicht genehmigte Beihilfen angesehen und demgemäß nach Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EWG-Vertrag die Aussetzung ihrer Zahlung angeordnet habe.

12 Nach Ansicht der italienischen Regierung wird mit dem mit der Firma Italgrani geschlossenen und am 12. April 1990 vom CIPI genehmigten "Programmvertrag" lediglich die allgemeine italienische Beihilferegelung durchgeführt. Da die Kommission diese Regelung mit ihrer Entscheidung 88/318 genehmigt habe, ohne sich die Möglichkeit einer späteren Überprüfung der individuellen Durchführungsmaßnahmen vorzubehalten, sei es nicht notwendig gewesen, die der Firma Italgrani gewährten Beihilfen mitzuteilen, da diese bereits genehmigt gewesen seien und daher wie bestehende Beihilfen im Sinne des Artikels 93 Absatz 1 EWG-Vertrag behandelt werden müssten. Folglich hätte die Kommission nicht deren Aussetzung anordnen dürfen, da diese in Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EWG-Vertrag nur für neue Beihilfen vorgesehen sei.

13 Ausserdem habe die Kommission die Aussetzung der Beihilfen nur deshalb anordnen können, weil sie entgegen ihrer Behauptung in der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung, daß sie lediglich überprüft habe, ob die der Firma Italgrani gewährten Beihilfen von ihrer Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen Regelung gedeckt gewesen seien, die Beihilfen in Wirklichkeit unmittelbar anhand von Artikel 92 EWG-Vertrag geprüft habe. Damit habe die Kommission die Entscheidung 88/318 vom 2. März 1988, in der sie die allgemeine Regelung für mit dem EWG-Vertrag vereinbar erklärt habe, stillschweigend wieder rückgängig gemacht. Daher habe sie die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verletzt.

14 Am 9. April 1991 hat die Kommission eine Unzulässigkeitseinrede mit der Begründung erhoben, die angefochtene Entscheidung stelle lediglich eine vorbereitende Handlung dar. Der Gerichtshof hat die Einrede in einem Urteil vom 30. Juni 1992 (Slg. 1992, I-4145) vorab zurückgewiesen.

15 In den nach Erlaß dieses Urteils eingereichten Schriftsätzen führt die Kommission drei weitere Erwägungen an, die sie als Vorbemerkungen bezeichnet.

16 Erstens habe die Kommission am 16. August 1991 die Beihilfen zugunsten der Firma Italgrani schließlich mit Änderungen und Bedingungen, die von den italienischen Behörden während des Untersuchungsverfahrens vorgeschlagen worden seien, genehmigt (Entscheidung 91/474/EWG der Kommission betreffend die Beihilfen der italienischen Regierung zugunsten der Firma Italgrani zur Errichtung eines agro-alimentären Komplexes im Mezzogiorno, ABl. L 254 vom 11.9.1991, S. 14). Die Nichtigerklärung der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung würde der endgültigen Genehmigungsentscheidung die Rechtsgrundlage entziehen und sie somit rechtswidrig machen.

17 Zweitens macht die Kommission geltend, da mit der Klage nicht beantragt werde, die der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung zugrunde liegenden wirtschaftlichen Beurteilungen zu überprüfen, und da die Klage nur Nebenaspekte dieser Entscheidung betreffe, könne sie nicht zu deren Nichtigerklärung führen.

18 Drittens führt die Kommission aus, da die angefochtene Entscheidung seit der Änderung der zugunsten der Firma Italgrani ursprünglich vorgesehenen Beihilfen durch die italienischen Behörden keine Aussetzungswirkung mehr habe, sei die Klage gegenstandslos geworden.

19 Es ist festzustellen, daß die ersten beiden Bemerkungen der Kommission nicht auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt sind, die erst nach der mit dem Urteil vom 30. Juni 1992 abgeschlossenen Erörterung der Zulässigkeit der Klage der italienischen Regierung zutage getreten sind. Diese Bemerkungen sind daher zurückzuweisen. Zu der dritten Bemerkung genügt die Feststellung, daß die Aussetzungsentscheidung während eines bestimmten Zeitraums eine Wirkung zeitigte.

20 Zur Begründetheit ist zunächst festzustellen, daß sich die der Firma Italgrani gewährten Beihilfen in den Rahmen der mit dem Mezzogiorno-Beihilfegesetz eingeführten allgemeinen Beihilferegelung einfügen, wie die Kommission selbst eingeräumt hat (siehe die Entscheidung über die Verfahrenseinleitung, Punkt A, fünfter Absatz, und Punkt C, sowie die endgültige Entscheidung über die Genehmigung der Beihilfen vom 16. August 1991, Punkt I, dritter Absatz).

21 Ist aber eine allgemeine Beihilferegelung einmal genehmigt worden, so braucht die Kommission, ausser wenn sie in ihrer Genehmigungsentscheidung entsprechende Vorbehalte gemacht hat, über die individuellen Durchführungsmaßnahmen nicht mehr unterrichtet zu werden, wie sie in ihrem Vierzehnten Bericht über die Wettbewerbspolitik (Nr. 203) sowie in den Rechtssachen Irish Cement/Kommission (siehe die verbundenen Rechtssachen 166/86 und 220/86, Slg. 1988, 6473, 6482) selbst eingeräumt hat. Da nämlich die individuellen Beihilfen blosse Maßnahmen zur Durchführung der allgemeinen Beihilferegelung sind, hätte die Kommission bei der Beurteilung der Beihilfen die gleichen Faktoren wie diejenigen zu berücksichtigen, die sie bei der Prüfung der allgemeinen Regelung berücksichtigt hat. Es ist daher unnötig, die individuellen Beihilfen der Kommission zur Überprüfung vorzulegen.

22 Im vorliegenden Fall macht die Kommission geltend, sie habe bei der Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung einen Vorbehalt gemacht. In ihrer Klagebeantwortung führt sie aus, sie habe sich in einem Fernschreiben an die italienische Regierung vom 14. November 1986 das Recht vorbehalten, zu den Bestimmungen des Mezzogiorno-Beihilfegesetzes hinsichtlich der Agrarerzeugnisse später Stellung zu nehmen. Sie habe damals die italienische Regierung davon in Kenntnis gesetzt, daß sie sich zu diesen Bestimmungen nicht äussern werde, solange sie nicht über die "Durchführungsmodalitäten für die Beihilfen zugunsten der Erzeugnisse des Landwirtschafts- und Ernährungssektors..., die die einzelnen Regionen des Mezzogiorno im Rahmen ihrer Befugnisse festlegen [sollten]", unterrichtet worden sei. Da diese Durchführungsmaßnahmen nie erlassen worden seien, gelte die Befreiung von der Pflicht zur Notifizierung, die sich aus der Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung ergebe, nicht für die der Firma Italgrani gewährten, Agrarerzeugnisse betreffenden Beihilfen.

23 Dieses Argument ist zurückzuweisen. Unabhängig davon, welche Bedeutung diesem Fernschreiben beizumessen ist, genügt die Feststellung, daß die Kommission den Inhalt des Fernschreibens nicht in ihre Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung übernommen hat.

24 Ausserdem kann die Kommission, wenn sie es mit einer bestimmten Beihilfe zu tun hat, von der behauptet wird, sie sei aufgrund einer zuvor genehmigten Regelung gewährt worden, diese Gewährung nicht ohne weiteres unmittelbar am EWG-Vertrag messen. Sie darf zunächst ° bevor sie ein Verfahren eröffnet ° nur prüfen, ob die Beihilfe durch die allgemeine Regelung gedeckt ist und die in der Entscheidung über die Genehmigung dieser Regelung gestellten Bedingungen erfuellt. Andernfalls könnte die Kommission bei der Überprüfung jeder individuellen Beihilfe ihre Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung, die bereits eine Prüfung anhand von Artikel 92 EWG-Vertrag voraussetzt, rückgängig machen. Dann wäre aber die Einhaltung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sowohl gegenüber den Mitgliedstaaten als auch gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern gefährdet, da die individuellen Beihilfen, die der Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung in vollem Umfang entsprechen, von der Kommission jederzeit wieder in Frage gestellt werden könnten.

25 Stellt die Kommission im Anschluß an eine in dieser Weise beschränkte Überprüfung fest, daß die individuelle Beihilfe ihrer Entscheidung über die Genehmigung der Regelung entspricht, so muß sie sie wie eine genehmigte, d. h. wie eine bestehende Beihilfe behandeln. Sie kann also nicht deren Aussetzung anordnen, denn Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag verleiht ihr diese Befugnis nur gegenüber neuen Beihilfen.

26 Umgekehrt ist die individuelle Beihilfe dann wie eine neue Beihilfe anzusehen, wenn die Kommission feststellt, daß sie nicht durch ihre Entscheidung über die Genehmigung der Regelung gedeckt ist. Ist die Kommission über diese Beihilfe nicht unterrichtet worden, so kann sie dem betreffenden Mitgliedstaat, nachdem ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich dazu zu äussern, vorläufig aufgeben, die Zahlung der Beihilfe unverzueglich bis zum Abschluß ihrer Überprüfung einzustellen und der Kommission innerhalb der von ihr festgesetzten Frist alle Unterlagen, Informationen und Daten zu verschaffen, die notwendig sind, um die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu prüfen (Urteil Boussac vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-301/87, Slg. 1990, I-307, Randnr. 19).

27 Hierzu vertritt die Kommission die Auffassung, der mit der Firma Italgrani geschlossene Programmvertrag habe gegen ihre Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung über die staatlichen Beihilfen verstossen, da er Beihilfen für die Stärkeerzeugung vorgesehen habe. 1987 habe sie nämlich in einer unter dem Titel "Die Wettbewerbspolitik in der Landwirtschaft" erschienenen Veröffentlichung bekanntgegeben, daß die Mitgliedstaaten keine Beihilfen mehr in den Sektoren gewähren dürften, die von den Gemeinschaftsfinanzierungen ausgeschlossen seien. Das sei beim Stärkesektor der Fall gewesen, denn mit der Verordnung (EWG) Nr. 355/77 des Rates vom 15. Februar 1977 über eine gemeinsame Maßnahme zur Verbesserung der Verarbeitungs- und Vermarktungsbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. L 51, S. 1) seien die Gemeinschaftsfinanzierungen für die Investitionen in diesem Sektor beendet worden. Da die italienischen Behörden nach Artikel 9 der Genehmigungsentscheidung verpflichtet gewesen seien, bei der Durchführung der allgemeinen Regelung die Gemeinschaftsvorschriften und Verordnungen auf dem Gebiet der Koordinierung der verschiedenen Beihilfen im Bereich der Landwirtschaft einzuhalten, seien die der Firma Italgrani von Italien gewährten Beihilfen als nach der Gemeinschaftsregelung verboten und daher als von der Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen Regelung nicht gedeckt anzusehen gewesen. Die Kommission sei daher berechtigt gewesen, diese Beihilfen als neue Beihilfen zu behandeln und ihre Aussetzung anzuordnen.

28 Dieses Argument ist zurückzuweisen. Aus der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung geht hervor, daß die Kommission die Vereinbarkeit der Beihilfe für den Bau einer Stärkefabrik unmittelbar nach Artikel 92 EWG-Vertrag beurteilt hat. Sie hat nämlich festgestellt, daß sie staatliche Beihilfen auf dem Stärkesektor nur dann genehmigen könne, wenn sie die Voraussetzungen des Artikels 92 EWG-Vertrag erfuellten, da die Investitionen, die Stärke beträfen, von der Gemeinschaftsfinanzierung ausgeschlossen seien. Die Kommission hat diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall als nicht erfuellt angesehen: Zum einen sei der Stärkesektor durch eine bedeutende Überkapazität gekennzeichnet, und zum anderen lasse die Schaffung einer zusätzlichen Produktionskapazität von rund 357 000 Tonnen ° für die nicht nachgewiesen sei, daß sie neue Absatzmöglichkeiten finden würde ° Störungen auf dem Markt für Stärkeerzeugnisse befürchten (Punkt E.1).

29 Ausserdem geht aus der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung hervor, daß die Kommission weitere zugunsten der Firma Italgrani vorgesehene Beihilfen anhand des EWG-Vertrags und nicht anhand ihrer Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen Regelung überprüft hat. So war sie zur Bejahung der Vereinbarkeit der Beihilfe für die Saatölgewinnung mit Artikel 92 EWG-Vertrag nur insoweit bereit, als die Intensität dieser Beihilfe nicht 50 % überstiege und als gleichzeitig gleichwertige Produktionskapazitäten aufgegeben würden (Punkt E.3). Zu den Beihilfen für die Grieß- und die Mehlerzeugung hat die Kommission festgestellt, daß in diesem Bereich eine strukturelle Produktionsüberkapazität bestehe und daß die Gewährung von Beihilfen den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen könne (Punkt E.4). Hinsichtlich der Forschungsbeihilfen hat die Kommission sich nicht für hinreichend informiert gehalten, um deren Vereinbarkeit mit Artikel 92 EWG-Vertrag beurteilen zu können (Punkt F).

30 Aus diesen Feststellungen folgt, daß die Kommission mit der Anordnung, daß die Zahlung der vorstehend genannten Beihilfen auszusetzen sei, diese Beihilfen als neue Beihilfen angesehen hat, ohne zu prüfen, ob sie nicht nach der Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen Regelung erlaubt seien.

31 Dagegen ergibt sich aus der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung, daß die Kommission ordnungsgemäß festgestellt hat, daß die Beihilfe für die Schaffung von Beständen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen im Widerspruch zur Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen Regelung steht. Sie hat nämlich festgestellt, daß die italienischen Behörden diese Beihilfe unter Verstoß gegen die gemeinsamen Marktorganisationen gewährt hätten, obwohl sie nach Artikel 9 der Genehmigungsentscheidung zu deren Beachtung verpflichtet gewesen seien (Punkt G).

32 Die Kommission führt weiter aus, trotz wiederholter Aufforderungen zwischen dem 26. Juli und dem 23. November 1990 habe ihr die italienische Regierung nicht die notwendigen Angaben zukommen lassen, um ihre Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der der Firma Italgrani gewährten Beihilfen mit ihrer Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung zu zerstreuen. Wegen der mangelnden Zusammenarbeit seitens der italienischen Behörden sei sie daher gezwungen gewesen, das kontradiktorische Untersuchungsverfahren einzuleiten und die Aussetzung der Beihilfen anzuordnen.

33 Da die Kommission nach Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag nur befugt ist, die Aussetzung der Zahlung neuer Beihilfen anzuordnen, genügt es nicht, daß sie lediglich Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit individueller Beihilfen mit ihrer Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung hat.

34 Hat die Kommission Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit individueller Beihilfen mit ihrer Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung, so muß sie dem betreffenden Mitgliedstaat aufgeben, ihr innerhalb einer von ihr festgesetzten Frist alle notwendigen Unterlagen, Informationen und Angaben zukommen zu lassen, damit sie sich zur Vereinbarkeit der streitigen Beihilfe mit ihrer Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung äussern kann.

35 Wenn ein Mitgliedstaat trotz der Anordnung der Kommission die angeforderten Auskünfte nicht erteilt, kann diese aus Gründen, die den im vorgenannten Urteil Boussac vom 14. Februar 1990 angeführten entsprechen, die Aussetzung der Beihilfe anordnen und deren Vereinbarkeit unmittelbar am EWG-Vertrag messen, wie wenn es sich um eine neue Beihilfe handelte.

36 Im vorliegenden Fall ergibt sich zwar aus der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung, daß die Kommission der Ansicht war, daß die von den italienischen Behörden erteilten Informationen es ihr nicht ermöglichten, sich zur Vereinbarkeit der Beihilfen für die Isoglukoseherstellung (Punkt E.2, letzter Absatz) und der Ausbildungsbeihilfen (Punkt H) mit ihrer Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung zu äussern. Die italienische Regierung bestreitet jedoch ausdrücklich, ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit nicht nachgekommen zu sein. Ausserdem hat die Kommission keine Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorginge, daß sie, bevor sie die Aussetzung der zugunsten der Firma Italgrani ursprünglich vorgesehenen Beihilfen angeordnet hat, den italienischen Behörden aufgegeben hätte, ihr innerhalb einer bestimmten Frist alle notwendigen Angaben zu machen, um die Vereinbarkeit dieser Beihilfen mit ihrer Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung überprüfen zu können.

37 Daraus folgt, daß die Kommission dadurch, daß sie die Aussetzung der Beihilfen für den Bau einer Stärke- und einer Glukosefabrik, der Beihilfen für die Erzeugung von Saatöl, Grieß und Mehl sowie die Forschungs- und die Ausbildungsbeihilfen aufgrund blosser Zweifel an deren Vereinbarkeit mit ihrer Entscheidung über die Genehmigung der allgemeinen italienischen Regelung angeordnet hat, gegen Artikel 93 Absätze 2 und 3 EWG-Vertrag verstossen hat. Von dieser Feststellung ist, wie in Randnummer 31 dargelegt, nur die Anordnung ausgenommen, die Beihilfe für die Schaffung von Beständen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen auszusetzen.

38 Die italienische Regierung beanstandet nur diejenigen Bestimmungen der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung, mit denen die Gewährung der für die Firma Italgrani ursprünglich vorgesehenen Beihilfen ausgesetzt wird. Da sich dieser Teil der Entscheidung von den übrigen Teilen der Entscheidung trennen lässt, sind nur die Punkte I.3 und I.4 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie nicht die Beihilfe für die Schaffung von Beständen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen betreffen. In Punkt I.3 wird die Aussetzung der Zahlung der Beihilfen angeordnet, und in Punkt I.4 wird darauf hingewiesen, daß dann, wenn trotz dieser Anordnung Beihilfen gezahlt würden, von deren Empfängern die Rückzahlung der Beihilfen verlangt werden könne, und daß die von diesen Beihilfen betroffenen Gemeinschaftsausgaben nicht vom EAGFL übernommen werden könnten.

Kostenentscheidung:

Kosten

39 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Punkte I.3 und I.4 der der italienischen Regierung mit Schreiben vom 23. November 1990 mitgeteilten Entscheidung der Kommission, wegen der Gewährung von Beihilfen zugunsten der Firma Italgrani durch die italienischen Behörden das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 1 EWG-Vertrag einzuleiten, werden für nichtig erklärt, soweit sie nicht die Beihilfe für die Schaffung von Beständen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen betreffen.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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