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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.12.1995
Aktenzeichen: C-472/93
Rechtsgebiete: RL 77/187, EWGVtr


Vorschriften:

RL 77/187 Art. 3 Abs. 1
RL 77/187 Art. 4 Abs. 1
EWGVtr Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 177 des Vertrages ist es allein Sache der nationalen Gerichte, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Das Ersuchen eines nationalen Gerichts kann nur zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der von diesem Gericht erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder Prüfung der Gültigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts und der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits besteht.

2. Im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 177 des Vertrages ist der Gerichtshof nach der Verteilung der Aufgaben zwischen ihm und den nationalen Gerichten nicht befugt, nachzuprüfen, ob die Entscheidung, durch die er angerufen worden ist, den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das Verfahren entspricht.

3. Ein nationales Gericht muß, soweit es bei der Anwendung des nationalen Rechts ° gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften handelt ° dieses Recht auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 189 Absatz 3 des Vertrages nachzukommen.

Eine Vorlagefrage, die gestellt wird, um die Vereinbarkeit des nationalen Gesetzes, das der Umsetzung einer Richtlinie dient, mit dieser Richtlinie beurteilen zu können, kann nicht aufgrund des Umstandes, daß sich im Ausgangsverfahren zwei Bürger gegenüberstehen, mit der Begründung für unzulässig erklärt werden, daß die Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Bürger begründen kann, so daß ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist.

4. Die Richtlinie 77/187/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist auf den Übergang eines Unternehmens wie eines solchen anwendbar, bei dem das Vorliegen einer Krise gemäß Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe c des italienischen Gesetzes Nr. 675 vom 12. August 1977 mit Maßnahmen für die Koordinierung der Industriepolitik, die Umstrukturierung, die Umstellung und die Entwicklung des Sektors festgestellt worden ist. Das Verfahren zur Feststellung einer Krise bezweckt nämlich keineswegs die Liquidation des Unternehmens, sondern vielmehr die Förderung der Aufrechterhaltung seiner Tätigkeit und insbesondere der Beschäftigung im Hinblick auf eine spätere Übernahme und macht daher die Feststellung des Vorliegens der Krise davon abhängig, daß ein Sanierungsplan vorgelegt wird, der Maßnahmen zur Lösung der Beschäftigungsprobleme vorsehen muß.

5. Eine Bestimmung wie Artikel 47 Absatz 5 des italienischen Gesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember 1990, die vorsieht, daß die Arbeitsverhältnisse mit dem neuen Eigentümer nicht unter denselben Bedingungen fortgesetzt werden, wenn der Übergang ein Unternehmen betrifft, bei dem eine Krise festgestellt worden ist, und wenn die vorgeschriebene Konsultation der Arbeitnehmer zu einer Vereinbarung über die auch nur teilweise Erhaltung der Arbeitsplätze geführt hat, kann keine "für die Arbeitnehmer günstigere Vorschrift" im Sinne des Artikels 7 der Richtlinie 77/187 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen darstellen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 7. DEZEMBER 1995. - LUIGI SPANO UND ANDERE GEGEN FIAT GEOTECH SPA UND FIAT HITACHI EXCAVATORS SPA. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: PRETURA CIRCONDARIALE DI LECCE - ITALIEN. - WAHRUNG VON ANSPRUECHEN DER ARBEITNEHMER BEIM UEBERGANG VON UNTERNEHMEN. - RECHTSSACHE C-472/93.

Entscheidungsgründe:

1 Die Pretura Lecce hat mit Beschluß vom 2. Dezember 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Dezember 1993, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit des Luigi Spano und mehrerer anderer Arbeitnehmer gegen die Firmen Fiat Geotech und Fiat Hitachi Excavators um die Anwendung der Betriebsvereinbarung vom 11. November 1992 zwischen der Firma Fiat Geotech einerseits und den Einzelgewerkschaften, die den auf nationaler Ebene repräsentativsten Gewerkschaftsverbänden angehören, sowie den verschiedenen Gewerkschaftsvertretungen im Betrieb von Fiat Geotech in Lecce andererseits (im folgenden: Vereinbarung).

3 Die Vereinbarung, durch die der durch den erheblichen Rückgang der Nachfrage nach Erdbewegungsmaschinen, die im Betrieb in Lecce hergestellt wurden, hervorgerufene strukturelle Personalüberhang abgebaut werden sollte, wurde im Rahmen des Verfahrens zur Konsultation der Gewerkschaften gemäß Artikel 47 des Gesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember 1990 mit Bestimmungen für die Erfuellung der Verpflichtungen aus der Zugehörigkeit Italiens zu den Europäischen Gemeinschaften ° Gemeinschaftsgesetz für 1990 (GURI, supplemento 1991, Nr. 10; im folgenden: Gesetz von 1990) ° geschlossen.

4 Artikel 47 des Gesetzes von 1990 ändert die Rechtsvorschriften, durch die die Richtlinie in die italienische Rechtsordnung umgesetzt wurde. Artikel 47 Absatz 5 sieht eine Ausnahme von Artikel 2112 des italienischen Zivilgesetzbuchs vor, wonach beim Übergang von Unternehmen das Arbeitsverhältnis mit dem neuen Eigentümer fortgesetzt wird und die Rechte der Arbeitnehmer aus diesem Verhältnis gewahrt bleiben.

5 Artikel 47 Absatz 5 bestimmt:

"Beim Übergang von Unternehmen oder Produktionsstätten, bei denen das CIPI eine Krise im Sinne von Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe c des Gesetzes Nr. 675 vom 12. August 1977 festgestellt hat, oder von Unternehmen, die sich im Konkurs befinden oder über die ein gerichtlich bestätigter Vergleich geschlossen worden ist, der in der Vermögensabtretung besteht, oder von Unternehmen, deren behördliche Zwangsabwicklung bekanntgemacht worden ist oder die der ausserordentlichen Verwaltung unterstellt worden sind, findet in Fällen, in denen die Fortsetzung der Tätigkeit nicht vorgesehen oder diese Tätigkeit eingestellt worden ist und die Konsultation im Sinne der vorstehenden Absätze zu einer Vereinbarung über die auch nur teilweise Erhaltung der Arbeitsplätze geführt hat, Artikel 2112 des Zivilgesetzbuchs keine Anwendung auf Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber fortgesetzt wird, es sei denn, daß die Vereinbarung günstigere Bedingungen vorsieht. In der genannten Vereinbarung kann auch vorgesehen werden, daß der Übergang nicht das überzählige Personal betrifft und daß dieses ganz oder teilweise im Dienst des Veräusserers verbleibt."

6 Die Feststellung einer Krise durch das Comitato di ministri per il coordinamento della politica industriale (Ministerausschuß für die Koordinierung der Industriepolitik; im folgenden: CIPI) gemäß Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe c des Gesetzes Nr. 675 vom 12. August 1977 mit Maßnahmen für die Koordinierung der Industriepolitik, die Umstrukturierung, die Umstellung und die Entwicklung des Sektors (im folgenden: Gesetz von 1977) erlaubt die vollständige oder teilweise Übernahme der Entlohnung der Arbeitnehmer des betroffenen Unternehmens durch die Cassa integrazione guadagni ° gestione straordinaria (Lohnausfallkasse ° Sonderverwaltung; im folgenden: CIGS).

7 Die mit der Firma Fiat Geotech geschlossene Vereinbarung sah vor:

a) die Übertragung des Betriebes in Lecce auf die zum Zweck der Übernahme des Betriebes und der Fortsetzung der Produktionstätigkeit (wenn auch in verringertem Umfang) neu zu gründende Firma Fiat Hitachi mit Wirkung vom 1. Januar 1993;

b) die Stellung eines Antrags durch die Fiat Geotech, daß die zuständigen Behörden gemäß Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe c des Gesetzes von 1977 das Vorliegen einer Krise im Betrieb in Lecce feststellen, die unter Berücksichtigung der örtlichen Beschäftigungslage und der Lage der Produktion im betreffenden Sektor von besonderer Bedeutung ist;

c) die Übertragung von 600 der 1 355 Beschäftigten des Betriebes in Lecce auf die Firma Fiat Hitachi gemäß Artikel 47 Absatz 5 des Gesetzes von 1990. Diese 600 Beschäftigten sollten nach Maßgabe der technischen, organisatorischen und produktionsbezogenen Erfordernisse der übernehmenden Gesellschaft ausgewählt werden;

d) den Verbleib der übrigen 755 Beschäftigten, zu denen die Kläger des Ausgangsverfahrens gehören, im Dienst von Fiat Geotech und ihre Entlohnung durch die CIGS.

8 In Anwendung der Vereinbarung blieben die Kläger des Ausgangsverfahrens bei Fiat Geotech beschäftigt, und ihre Entlohnung wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1993 in vollem Umfang von der CIGS übernommen.

9 Die Kläger des Ausgangsverfahrens befürchteten, bei Ablauf des Zeitraums der Übernahme ihrer Entlohnung durch die CIGS entlassen zu werden; sie erhoben daher bei der Pretura Lecce Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Vereinbarung sowie Übertragung ihrer Arbeitsverhältnisse auf Fiat Hitachi als Erwerberin des Betriebes in Lecce gemäß Artikel 2112 des Zivilgesetzbuchs.

10 Fiat Geotech und Fiat Hitachi, die Beklagten des Ausgangsverfahrens, vertraten die Ansicht, daß die Vereinbarung gültig sei, da sie entsprechend Artikel 47 Absatz 5 des Gesetzes von 1990 geschlossen worden sei.

11 Das nationale Gericht stellte sich daraufhin die Frage, ob die letztgenannte Bestimmung mit der Richtlinie vereinbar ist, soweit sie vom Grundsatz der automatischen Aufrechterhaltung der Arbeitsverhältnisse mit dem Übernehmer abweicht.

12 Das vorlegende Gericht führt insbesondere folgendes aus: Zwar habe der Gerichtshof entschieden, daß die Richtlinie nicht auf Übergänge im Rahmen von auf die Liquidation des Vermögens des Veräusserers und die kollektive Abfindung der Gläubiger zielende Verfahren Anwendung finden könne. Der Übergang eines in einer Krise im Sinne von Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe c des Gesetzes von 1977 befindlichen Unternehmens betreffe aber Betriebskomplexe oder einzelne Betriebe, die verschuldeten Unternehmen gehörten, deren Vermögenssituation weit weniger ernst sei, als die derjenigen Unternehmen, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, und deren Betrieb der Erwerber tatsächlich ohne erhebliche Unterbrechung der Produktionstätigkeit übernehme und für die vor allem konkrete Sanierungsaussichten bestuenden. Dies werde insbesondere durch den Umstand belegt, daß das Unternehmen dem CIPI Sanierungsprogramme vorgelegt habe, um zu erreichen, daß das CIPI eine Krise feststelle und die Regelung der Übernahme der Beschäftigten in Kraft setze.

13 Die Pretura Lecce hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

a) Sind die Bestimmungen der Richtlinie 77/187 (insbesondere Artikel 3 Absatz 1) so auszulegen, daß sie auch dann auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar sind, wenn Gegenstand des Übergangs Unternehmen oder Produktionsstätten sind, bei denen nach Artikel 47 Absatz 5 des Gesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember 1990 das Vorliegen einer Krise festgestellt worden ist, oder

b) ist die Ausnahme von der Anwendbarkeit der Richtlinie 77/187, wie sie in den Urteilen des Gerichtshofes bereits für Fälle festgestellt worden ist, in denen der Übergang Unternehmen betrifft, die Insolvenzverfahren unterliegen und für die die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit nicht angeordnet worden ist, auch auf solche Fälle ausdehnbar, in denen Gegenstand des Übergangs (nicht einem Insolvenzverfahren unterliegende) Unternehmen, Betriebe oder Produktionsstätten sind, bei denen nach Artikel 47 Absatz 5 des Gesetzes Nr. 428/1990 das Vorliegen einer Krise festgestellt worden ist?

Die Zulässigkeit der Vorlage

14 Fiat Geotech und Fiat Hitachi rügen, daß die Frage des vorlegenden Gerichts aus drei Gründen unzulässig sei. Zunächst sei sie für die Entscheidung über die Anträge und das Vorbringen der Parteien vor dem vorlegenden Gericht nicht erheblich, denn diese bestritten die Gültigkeit der Betriebsvereinbarung im Hinblick auf verschiedene Bestimmungen des nationalen Rechts, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fielen. Ferner sei die Vorlagefrage vom nationalen Gericht unter Verstoß gegen die Bestimmungen des anwendbaren nationalen Rechts von Amts wegen aufgeworfen worden. Schließlich könne das nationale Gericht auf jeden Fall die Bestimmungen der Richtlinie im Ausgangsverfahren nicht anwenden, da sich dort ausschließlich Privatpersonen gegenüberstuenden.

15 Zum ersten der genannten Argumente ist an die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes zu erinnern, nach der es allein Sache der nationalen Gerichte ist, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Das Ersuchen eines nationalen Gerichts kann nur zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der von diesem Gericht erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder Prüfung der Gültigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts und der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits besteht (siehe insbesondere Urteil vom 3. März 1994 in den Rechtssachen C-332/92, C-333/92 und C-335/92, Eurico Italia u. a., Slg. 1994, I-711, Randnr. 17). Im vorliegenden Fall fehlt es nicht offensichtlich an einem Zusammenhang zwischen der vom vorlegenden Gericht erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens, da es von dieser Auslegung abhängt, ob eine Bestimmung des nationalen Rechts, auf die sich die Beklagten des Ausgangsverfahrens berufen, in diesem Verfahren anwendbar ist.

16 Zum zweiten der vorgetragenen Argumente genügt der Hinweis, daß der Gerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung (siehe insbesondere Urteil Eurico Italia u. a., a. a. O., Randnr. 13) nach der Verteilung der Aufgaben zwischen ihm und den nationalen Gerichten nicht befugt ist, nachzuprüfen, ob die Entscheidung, durch die er angerufen worden ist, den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das Verfahren entspricht.

17 Zum dritten Argument, das mit den Zweifeln an der Anwendbarkeit der Richtlinie auf das Ausgangsverfahren übereinstimmt, die die Kommission in ihren Erklärungen zum Ausdruck gebracht hat, ist auszuführen, daß der Gerichtshof zwar in ständiger Rechtsprechung für Recht erkannt hat, daß eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Bürger begründen kann, so daß ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist (siehe insbesondere Urteil vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Randnr. 20); er hat jedoch auch für Recht erkannt, daß ein nationales Gericht, soweit es bei der Anwendung des nationales Rechts ° gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften handelt ° dieses Recht auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten muß, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 189 Absatz 3 des Vertrages nachzukommen (Urteil Faccini Dori, a. a. O., Randnr. 26).

18 Im Ausgangsverfahren möchte das vorlegende Gericht beurteilen können, inwieweit das nationale Recht, insbesondere Artikel 2112 des Zivilgesetzbuchs, richtlinienkonform angewandt werden kann.

19 Die Vorlagefrage ist daher zulässig.

Zur Vorlagefrage

20 Aus den Gründen des Vorlagebeschlusses geht hervor, daß die Pretura Lecce mit ihrer Vorlagefrage Auskunft darüber begehrt, ob die Richtlinie auf den Übergang eines Unternehmens wie eines solchen anwendbar ist, bei dem das Vorliegen einer Krise gemäß Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe c des Gesetzes von 1977 festgestellt worden ist.

21 Die Kläger des Ausgangsverfahrens und die Kommission vertreten die Ansicht, daß Unternehmen, die sich in einer solchen Situation befänden, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fielen. Sie machen geltend, daß es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere nach dem Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-362/89 (D' Urso u. a., Slg. 1991, I-4105) für die Beurteilung der Frage, ob ein Übergang im Rahmen eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens, das ein Unternehmen betrifft, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, entscheidend auf das mit dem fraglichen Verfahren angestrebte Ziel ankomme. Die Richtlinie finde keine Anwendung, wenn Zweck des Verfahrens die Liquidation des Vermögens des Veräusserers sei. Sei jedoch Zweck des Verfahrens die Aufrechterhaltung der Tätigkeit des Veräusserers, sei die Richtlinie anwendbar. Die Kläger des Ausgangsverfahrens und die Kommission machen sodann geltend, daß es sich bei den Unternehmen, bei denen eine Krise im Sinne des Gesetzes von 1977 festgestellt worden sei, um Unternehmen handele, deren Finanz- und Vermögenssituation weniger ernst sei als bei denjenigen, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren mit dem Ziel der Liquidation ihres Vermögens eingeleitet worden sei, und bei denen die Fortsetzung der Tätigkeit möglich erscheine.

22 Fiat Hitachi und Fiat Geotech machen geltend, daß der Gerichtshof insbesondere in seinen Urteilen vom 7. Februar 1985 in der Rechtssache 135/83 (Abels, Slg. 1985, 469) und D' Urso u. a. (a. a. O.) vom Anwendungsbereich der Richtlinie Unternehmen ausgeschlossen habe, über deren Vermögen ein Verfahren eingeleitet worden sei, das auf die Befriedigung anderer Interessen als derjenigen des Veräusserers oder des Erwerbers, z. B. der Interessen der Gläubiger des Unternehmens, abziele. Nach ihrer Ansicht erfuellen Unternehmen, die sich in einer Krise im Sinne des Gesetzes von 1977 befinden, diese Voraussetzung, da ihre Übertragung nicht durch eine Willenseinigung zwischen dem Veräusserer und dem Erwerber erfolge, sondern zusätzlich eine Verwaltungsmaßnahme und die Zustimmung der Gewerkschaften erfordere.

23 Hilfsweise machen diese Unternehmen geltend, daß Artikel 47 Absatz 5 des Gesetzes von 1990 eine für die Arbeitnehmer günstigere Vorschrift im Sinne des Artikels 7 der Richtlinie sei. Artikel 47 Absatz 5 des Gesetzes von 1990 fördere die Übertragung von Unternehmen, begrenze die Entlassungen und sichere auf diese Weise die weitere Beschäftigung der Arbeitnehmer entsprechend den Zielen der Richtlinie.

24 Wie der Gerichtshof bereits ausgeführt hat, kommt es für die Beurteilung der Frage, ob der Übergang eines Unternehmens, das Gegenstand eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens ist, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, entscheidend auf das mit dem fraglichen Verfahren angestrebte Ziel an (Urteil D' Urso u. a., a. a. O., Randnr. 26).

25 Wie die Kommission und die Kläger des Ausgangsverfahrens geltend machen, geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes hervor, daß die Richtlinie keine Anwendung auf den Übergang im Rahmen eines auf die Verwertung des Schuldnervermögens gerichteten Verfahrens wie eines Konkursverfahrens (Urteil Abels, a. a. O.) oder eines Verfahrens der behördlichen Zwangsabwicklung des italienischen Rechts (Urteil D' Urso u. a., a. a. O.) findet. Hingegen findet sie, wenn die Fortsetzung der Tätigkeit des Unternehmens angeordnet worden ist und solange diese Anordnung in Kraft bleibt, Anwendung auf den Übergang von Unternehmen, über die Verfahren eingeleitet worden sind, die wie das Verfahren der "Surséance van betaling" des niederländischen Rechts (Urteil Abels, a. a. O.) oder das im italienischen Recht vorgesehene Verfahren der ausserordentlichen Verwaltung grosser, in einer Krise befindlicher Unternehmen, die auf die Fortsetzung der Tätigkeit des Unternehmens abzielen (siehe Urteil D' Urso, a. a. O.).

26 Aus dem Vorlagebeschluß und den schriftlichen Anworten auf die Fragen des Gerichtshofes geht hervor, daß der Akt, mit dem festgestellt wird, daß sich ein Unternehmen in einer Krise befindet, die wirtschaftliche und finanzielle Gesundung des Unternehmens, vor allem jedoch die Aufrechterhaltung der Beschäftigung ermöglichen soll. Die Feststellung des Vorliegens einer Krise durch das CIPI, die auf Erwägungen sowohl wirtschaftlicher und finanzieller als auch sozialer Art beruht, hängt demgemäß davon ab, daß ein Sanierungsplan vorgelegt wird, der Maßnahmen zur Lösung der Beschäftigungsprobleme vorsehen muß. Aufgrund dieser Feststellung kann ein Unternehmen erreichen, daß die Kosten der Entlohnung aller oder eines Teils seiner Beschäftigten zeitweise von der CIGS übernommen werden.

27 Das vorlegende Gericht erläutert, daß es sich bei den Unternehmen, bei denen das CIPI das Vorliegen einer Krise feststelle, um Unternehmen handele, deren Vermögenslage die Fortsetzung des Betriebes ohne erhebliche Unterbrechung der Produktionstätigkeit erlaube und für die konkrete Sanierungsaussichten bestuenden.

28 Somit ist über ein Unternehmen, bei dem das Vorliegen einer Krise festgestellt worden ist, ein Verfahren eingeleitet worden, das keineswegs die Liquidation des Unternehmens, sondern vielmehr die Förderung der Aufrechterhaltung seiner Tätigkeit im Hinblick auf eine spätere Übernahme bezweckt.

29 Insbesondere umfasst das Verfahren der Feststellung der Krise im Gegensatz zu den Insolvenzverfahren keinerlei gerichtliche Kontrolle oder Maßnahme zur Verwaltung des Vermögens des Unternehmers, und es sieht keinen Zahlungsaufschub vor.

30 Mit dem wirtschaftlichen und sozialen Zweck des Verfahrens lässt sich weder erklären noch rechtfertigen, daß die Beschäftigten des betroffenen Unternehmens bei dessen völligem oder teilweisen Übergang die Rechte verlieren sollen, die ihnen die Richtlinie zuerkennt (siehe analog Urteil D' Urso u. a., a. a. O. Randnr. 32).

31 Der von den Beklagten des Ausgangsverfahrens in ihren Erklärungen aufgeführte Umstand, daß die Anwendung von Artikel 47 Absatz 5 des Gesetzes von 1990 von der Zustimmung der Arbeitnehmervertreter zur auch nur teilweisen Erhaltung der Arbeitsplätze abhängt, kann ebenfalls nicht dazu führen, daß der Übergang des Unternehmens von der Richtlinie ausgenommen wird.

32 Wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil D' Urso u. a. (a. a. O., Randnr. 11) ausgeführt hat, sind die Bestimmungen der Richtlinie nämlich als zwingend in dem Sinne anzusehen, daß von ihnen nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer abgewichen werden darf; die Wahrnehmung der den Arbeitnehmern durch die Richtlinie verliehenen Rechte hängt daher weder von der Zustimmung des Veräusserers oder des Erwerbers noch von derjenigen der Arbeitnehmervertreter oder der Arbeitnehmer selbst ab. Ausgenommen ist lediglich der Fall, daß letztere von der ihnen eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen, nach dem Übergang aus freiem Entschluß das Arbeitsverhältnis nicht mit dem neuen Unternehmensinhaber fortzusetzen. Wie der Gerichtshof in Randnr. 17 desselben Urteils festgestellt hat, sind die Bestimmungen der Richtlinie für jedermann verbindlich, einschließlich der gewerkschaftlichen Vertreter der Arbeitnehmer, die davon nicht durch Vereinbarungen mit dem Veräusserer oder dem Erwerber abweichen können.

33 Schließlich kann der Ansicht nicht gefolgt werden, daß eine Bestimmung wie Artikel 47 Absatz 5 des Gesetzes von 1990, die dazu führt, daß den Beschäftigten eines Unternehmens Garantien entzogen werden, die ihnen die Richtlinie bietet, eine für die Arbeitnehmer günstigere Vorschrift im Sinne des Artikels 7 dieser Richtlinie sei.

34 Im übrigen hat der Gerichtshof ein derartiges Vorbringen bereits in seinem Urteil D' Urso u. a. (a. a. O., Randnrn. 18 und 19) zurückgewiesen. In dieser Rechtssache wurde vorgetragen, daß eine Auslegung der Richtlinie, die dazu führe, daß die überzähligen Arbeitnehmer des Unternehmens am Verbleiben im Dienst des Veräusserers gehindert würden, sich zum Nachteil der Arbeitnehmer auswirken könnte, sei es, weil ein potentieller Erwerber vom Erwerb des Unternehmens abgeschreckt würde, wenn er das überzählige Personal des übergegangenen Unternehmens übernehmen müsste, sei es, weil das Personal entlassen würde und damit die Vorteile einbüssen würde, die ihm die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Veräusserer gegebenenfalls gebracht hätte.

35 Der Gerichtshof hat gegenüber diesem Vorbringen darauf hingewiesen, daß es die Richtlinie in ihrem Artikel 4 Absatz 1 dem Veräusserer wie dem Erwerber zwar verbietet, eine Kündigung auf die blosse Tatsache des Übergangs des Unternehmens zu stützen, jedoch "etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht [entgegensteht]". Er hat hinzugefügt, daß es dann, wenn eine innerstaatliche Regelung zugunsten des Veräusserers Bestimmungen enthält, die es ihm gestatten, die mit der Beschäftigung der überzähligen Arbeitnehmer verbundenen Lasten zu mindern oder auszuschalten, um Entlassungen möglichst zu vermeiden, die Richtlinie zudem auch nicht ausschließt, daß diese Bestimmungen nach dem Übergang des Unternehmens zugunsten des Erwerbers Anwendung finden.

36 Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß die Richtlinie auf den Übergang eines Unternehmens wie eines solchen anwendbar ist, bei dem das Vorliegen einer Krise gemäß Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe c des Gesetzes von 1977 festgestellt worden ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm von der Pretura Lecce mit Beschluß vom 2. Dezember 1993 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist auf den Übergang eines Unternehmens wie eines solchen anwendbar, bei dem das Vorliegen einer Krise gemäß Artikel 2 Absatz 5, Buchstabe c des italienischen Gesetzes Nr. 675 vom 12. August 1977 festgestellt worden ist.

Ende der Entscheidung

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