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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.07.2000
Aktenzeichen: C-473/98
Rechtsgebiete: EGV


Vorschriften:

EGV Art. 36 a.F.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Eine nationale Regelung, die die Verwendung von Trichlorethylen zu gewerblichen Zwecken grundsätzlich verbietet, aber ein System von tatbestandlich umschriebenen Ausnahmen im Einzelfall vorsieht, ist eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne des Artikels 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG), die nach Artikel 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG) zum Schutze der Gesundheit von Menschen gerechtfertigt ist.

Unter Berücksichtigung der jüngsten einschlägigen medizinischen Forschungsarbeiten, aber auch der Schwierigkeiten, beim derzeitigen Stand der Forschung die kritische Schwelle zu bestimmen, von der an die Trichlorethylen-Exposition eine ernsthafte Gefährdung der menschlichen Gesundheit darstellt, geht eine solche Regelung nicht über das hinaus, was zur Erreichung des angestrebten Zieles erforderlich ist. Insbesondere ist das in dieser Regelung vorgesehene System von tatbestandlich umschriebenen Ausnahmen im Einzelfall angemessen und verhältnismäßig, da es eine Verbesserung des Schutzes der Arbeitnehmer ermöglicht und dabei den Fortbestand der Unternehmen schützt.

(vgl. Randnrn. 35, 45-46, 49 und Tenor)


Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 2000. - Kemikalieinspektionen gegen Toolex Alpha AB. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Kammarrätten i Stockholm - Schweden. - Freier Warenverkehr - Grundsätzliches nationales Verbot der Verwendung von Trichlorethylen - Artikel 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG). - Rechtssache C-473/98.

Parteien:

In der Rechtssache C-473/98

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Kammarrätt Stockholm (Schweden) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Kemikalieinspektionen

gegen

Toolex Alpha AB

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG)

erläßt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida, D. A. O. Edward, L. Sevón und R. Schintgen, der Richter J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann, H. Ragnemalm, M. Wathelet (Berichterstatter) sowie der Richterin F. Macken,

Generalanwalt: J. Mischo

Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Kemikalieinspektion, vertreten durch Rechtsanwalt L. Lindström, Stockholm, und Dr. iur. C. M. von Quitzow,

- der Toolex Alpha AB, vertreten durch Rechtsanwalt H. Lindberg,

- der schwedischen Regierung, vertreten durch Rättschef L. Nordling und Departementsråd A. Kruse, beide Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberaterin L. Ström als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Toolex Alpha AB, der schwedischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 8. Februar 2000,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. März 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Kammarrätt (Oberverwaltungsgericht) Stockholm hat mit Beschluß vom 17. Dezember 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Dezember 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Kemikalieinspektion (Überprüfungsstelle für chemische Erzeugnisse) und der Toolex Alpha AB (im folgenden: Klägerin) über deren Recht, Trichlorethylen gewerblich zu verwenden.

Gemeinschaftsregelung

3 Die einschlägige Gemeinschaftsregelung besteht aus drei Rechtsakten:

- der Richtlinie 67/548/EWG des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (ABl. 1967, Nr. 196, S. 1; im folgenden: Einstufungsrichtlinie),

- der Richtlinie 76/769/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (ABl. L 262, S. 201; im folgenden: Beschränkungsrichtlinie),

- der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates vom 23. März 1993 zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe (ABl. L 84, S. 1; im folgenden: Risikobewertungsverordnung).

4 Die Einstufungsrichtlinie verfolgt zwei Ziele, nämlich den Schutz der Bevölkerung, und zwar insbesondere der Personen, die mit gefährlichen Stoffen und Zubereitungen umgehen (erste Begründungserwägung), und die Beseitigung der Hindernisse für den Handel mit diesen Stoffen und Zubereitungen (zweite Begründungserwägung). Die mehrfach geänderte Richtlinie stellt die allgemeinen Grundsätze für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung der gefährlichen Stoffe und Zubereitungen auf und überläßt es späteren Richtlinien, die Angleichung der Vorschriften für die Verwendung dieser Stoffe und Zubereitungen zu regeln (fünfte Begründungserwägung).

5 Das gemeinhin Trichlorethylen genannte Trichlorethen ist in den R-Sätzen R 40 (gesundheitsschädlich) und R 52/53 (umweltgefährlich) als krebserzeugend der Kategorie 3 eingestuft. Die Gefahrenkategorie "krebserzeugend" umfaßt drei Unterkategorien, von denen Kategorie 3 der geringsten Gefahr entspricht. R-Satz R 40 bedeutet "irreversibler Schaden möglich", und R-Satz R 53 bedeutet "kann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben".

6 Artikel 112 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21 und ABl. 1995, L 1, S. 1) sah in Verbindung mit Anhang XII dieser Akte eine Übergangszeit von vier Jahren ab dem Beitritt vor, die durch die Richtlinie 1999/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 1999 zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG des Rates hinsichtlich der Kennzeichnung bestimmter gefährlicher Stoffe in Österreich und Schweden (ABl. L 199, S. 57) bis zum 31. Dezember 2000 verlängert wurde und innerhalb derer die schwedische Einstufung von Trichlorethylen weiter gilt, obwohl sie einen zusätzlichen, nicht in der Gemeinschaftseinstufung vorgesehenen R-Satz verwendet.

7 Die Beschränkungsrichtlinie betrifft die Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen. In Artikel 2 dieser Richtlinie heißt es:

"Die Mitgliedstaaten treffen alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit die im Anhang aufgeführten gefährlichen Stoffe und Zubereitungen nur unter den dort angegebenen Bedingungen in den Verkehr gebracht oder verwendet werden..."

8 Trichlorethylen ist nicht in der Liste aufgeführt, die im Anhang der gefährlichen Stoffe oder Zubereitungen enthalten ist.

9 Die Risikobewertungsverordnung sieht vor, daß die Kommission in Absprache mit den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der von den Herstellern und Importeuren gemäß den Artikeln 3 und 4 dieser Verordnung vorgelegten Informationen und anhand der nationalen Prioritätenlisten für bestimmte Stoffe regelmäßig Listen mit Vorrang zu prüfender Stoffe oder Stoffgruppen erstellt, die wegen ihrer möglichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt besonderer Aufmerksamkeit bedürfen (Artikel 8 Absatz 1).

10 Für jeden Stoff der Prioritätenlisten wird ein Mitgliedstaat benannt, der für die Bewertung des Stoffes zuständig ist. Er bestimmt eine der zuständigen Behörden nach Artikel 13 zum Berichterstatter für den Stoff (Artikel 10 Absatz 1 der Risikobewertungsverordnung).

11 Auf der Grundlage der vom Berichterstatter vorgenommenen Risikobewertung und der von ihm empfohlenen Strategie zur Begrenzung dieser Risiken entscheidet die Kommission, ob es erforderlich ist, Maßnahmen der Gemeinschaft im Rahmen der Beschränkungsrichtlinie oder im Rahmen anderer bestehender Regelungen der Gemeinschaft vorzuschlagen (Artikel 11 der Risikobewertungsverordnung).

12 Aufgrund der Risikobewertungsverordnung wurde für Trichlorethylen eine Risikobewertung vorgenommen. Danach ist es angezeigt, die Risiken zu begrenzen, denen Arbeitnehmer, Verbraucher und die Bevölkerung über die Umwelt ausgesetzt sind. Die Prüfung der Umweltverträglichkeit hat auch ergeben, daß eine Vergiftung von Pflanzen vorkommen kann. Eine Strategie zur Verringerung des Risikos ist derzeit in Arbeit.

Schwedisches Recht

13 Die Lag (1985:426) om kemiska produkter (Gesetz über chemische Erzeugnisse) ermächtigt die Regierung oder die von ihr benannte Behörde, die Verwendung, die Einfuhr oder die Ausfuhr eines chemischen Erzeugnisses zu verbieten, wenn dafür besondere Gesundheits- oder Umweltgesichtspunkte sprechen.

14 Auf der Grundlage dieser Ermächtigung erließ die schwedische Regierung die Förordning (1991:1289) om vissa klorerade lösningsmedel (Verordnung über bestimmte chlorhaltige Lösungsmittel). Gemäß § 2 dieser Verordnung dürfen chemische Erzeugnisse, die ganz oder teilweise aus Trichlorethylen bestehen, nicht zum Verkauf angeboten, abgegeben oder gewerblich verwendet werden. Dieses Verbot trat am 1. Januar 1996 in Kraft.

15 Nach § 3 der Verordnung kann die Kemikalieinspektion jedoch über die allgemeinen, durch besondere Gründe gerechtfertigten Ausnahmen hinaus Ausnahmen im Einzelfall zulassen, die durch "besondere" Umstände begründet sind.

16 Gestützt auf diese Bestimmung hat die Kemikalieinspektion die gleichfalls ab dem 1. Januar 1996 geltenden Föreskrifter om undantag från förbud i förordningen (1991:1289) om vissa klorerade lösningsmedel, KIFS 1995:6 (Verwaltungsvorschriften über Ausnahmen von den in der Verordnung [1991:1289] über bestimmte chlorhaltige Lösungsmittel enthaltenen Verboten) erlassen.

17 Gemäß § 4 KIFS 1995:6 konnte ein Unternehmen bei Übergangsschwierigkeiten 1996 Trichlorethylen unter bestimmten Bedingungen zur Fettlösung und zum Trocknen verwenden. Voraussetzung war dafür u. a., daß das Unternehmen nicht vor Zugang der Empfangsbestätigung über seinen Antrag mit der Verwendung dieses Stoffes begonnen hatte, daß es die anfallenden Gebühren bezahlt hatte und daß in dem Antrag u. a. für jede Arbeitsstelle der voraussichtliche Verbrauch von Trichlorethylen, die angewandten Methoden und die Übergangsprobleme sowie die ins Auge gefaßte Art und Weise für deren Lösung und die dafür veranschlagte Zeit dargestellt waren.

18 § 5 KIFS 1995:6 sah die Bekanntgabe einer Entscheidung der Kemikalieinspektion vor, in der die Fälle anzugeben waren, in denen die nach § 2 angemeldete Verwendung von Trichlorethylen auch nach dem 31. Dezember 1996 genehmigt werden konnte.

19 Die KIFS 1995:6 wurden 1996 durch die KIFS 1996:8 und 1997 durch die KIFS 1997:3 geändert. Inzwischen wurden sie durch die Bestimmungen in Abschnitt 4 Kapitel 9 der KIFS 1998:8 ersetzt.

20 Infolge der Änderung der KIFS 1995:6 durch die KIFS 1996:8 durften die Gesellschaften, die Übergangsschwierigkeiten angemeldet und eine schriftliche Bestätigung der Kemikalieinspektion erhalten hatten, Trichlorethylen bis zum 31. März 1997 zur Fettlösung und zum Trocknen weiterverwenden.

21 Die am 1. April 1997 in Kraft getretenen KIFS 1997:3 fügten in die KIFS 1995:6 einen neuen § 1a ein, wonach das Vorliegen besonderer Gründe grundsätzlich anzuerkennen ist, wenn das beantragende Unternehmen den Nachweis darüber erbringt:

"1. daß es sich ständig um denkbare Alternativen bemüht,

2. daß noch keine praktikable Alternative zur Lösung seines Problems zur Verfügung steht und

3. daß die von ihm praktizierte Verwendung [von Trichlorethylen] keine unannehmbaren Expositionen mit sich bringt."

Dagegen verlangt die Kemikalieinspektion anders als bei früheren Anträgen nicht mehr, daß der Antragsteller einen Plan vorlegt, in dem dargelegt wird, wann und wie die Verwendung von Trichlorethylen abgewickelt wird.

Das Ausgangsverfahren

22 Die Klägerin, die Werkzeugteile für die Herstellung von Compact Discs herstellt, verwendet Trichlorethylen für die Lösung von aus Fertigungsrückständen herrührenden Fetten. Wie ungefähr 220 andere Unternehmen beantragte sie, Trichlorethylen über den März 1997 hinaus verwenden zu dürfen.

23 Mit Entscheidung vom 18. Juni 1996 lehnte die Kemikalieinspektion den Antrag der Klägerin ab und begründete dies im wesentlichen damit, daß diese, wie ungefähr 90 % der antragstellenden Unternehmen, keinen Plan zur Einstellung der Verwendung von Trichlorethylen habe vorlegen können. Dagegen klagte die Klägerin beim Länsrätt (Verwaltungsgericht) Stockholm. Dieses hob die angefochtene Entscheidung mit der Begründung auf, daß das schwedische Recht in diesem Punkt dem Gemeinschaftsrecht widerspreche.

24 Die Kemikalieinspektion legte gegen die Entscheidung des Länsrätt Berufung beim Kammarrätt Stockholm ein, das dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

Ist ein Verbot der gewerblichen Verwendung von Trichlorethylen, wie es im Vorlagebeschluß beschrieben ist, unter Berücksichtigung seiner Zielsetzung eine Maßnahme, die mit Artikel 36 EG-Vertrag und dessen Anwendung im Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, auch wenn es gegen Artikel 30 EG-Vertrag verstößt?

Vorbemerkungen

25 Artikel 36 EG-Vertrag erlaubt grundsätzlich die Beibehaltung nationaler Beschränkungen des freien Warenverkehrs, die aus bestimmten, vom Gemeinschaftsrecht als wesentliche Erfordernisse anerkannten Gründen gerechtfertigt sind. Er ist jedoch nicht mehr anwendbar, wenn Richtlinien der Gemeinschaft die Harmonisierung der Maßnahmen vorsehen, die zur Verwirklichung des spezifischen Zieles erforderlich sind, das durch die Anwendung des Artikels 36 erreicht werden soll (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 18).

26 Vor der Beantwortung der Vorabentscheidungsfrage des nationalen Gerichts zur Auslegung der Artikel 30 und 36 EG-Vertrag ist somit zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten angesichts der in den Randnummern 3 bis 12 dargestellten abgeleiteten Rechtsakte weiterhin befugt sind, die gewerbliche Verwendung von Trichlorethylen zu regeln.

Zur Reichweite der Gemeinschaftsregelung

27 Die Kommission bringt vor, die Einstufungs- und die Beschränkungsrichtlinie stellten in Verbindung mit der Risikobewertungsverordnung eine Gemeinschaftsregelung für Trichlorethylen dar, die strengen Sicherheitserfordernissen genügen könne und hinreichend ausgereift sei, um ein nationales Verbot der Verwendung von Trichlorethylen überfluessig zu machen.

28 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.

29 Die Einstufungsrichtlinie hat vielmehr einen durchaus begrenzten Regelungsbereich; sie betrifft die Bekanntgabe, die Einstufung, die Verpackung und die Kennzeichnung gefährlicher Stoffe. Hinsichtlich der Verwendung dieser Stoffe schreibt sie nur die Anbringung von Warnhinweisen auf den Verpackungen vor, die der Unterrichtung der Öffentlichkeit über Vorsichtsmaßnahmen beim Umgang mit diesen Stoffen dienen sollen. Dagegen harmonisiert sie nicht die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen und die Verwendung dieser gefährlichen Stoffe, um die es in einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen gerade geht.

30 Die Beschränkungsrichtlinie, die ausweislich ihres in Randnummer 7 dargestellten Artikels 2 nur Mindestbestimmungen aufstellt, steht einer mitgliedstaatlichen Regelung des Inverkehrbringens von Stoffen wie Trichlorethylen, die von ihr nicht betroffen sind, ersichtlich nicht entgegen.

31 Schließlich spricht auch die Risikobewertungsverordnung als solche nicht gegen eine solche Regelung durch einen Mitgliedstaat. Ihr Ziel ist es, ein Verfahren einzuführen, das der Bewertung der Gefährdung durch Altstoffe und der Bestimmung der mit Vorrang zu prüfenden Stoffe dient, die wegen ihrer möglichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt besonderer Aufmerksamkeit auf Gemeinschaftsebene bedürfen. Auch wenn die Risikobewertungsverordnung die Beherrschung dieser Gefährdungen auf Gemeinschaftsebene erleichtern soll, so stellt sie doch keine Verpflichtungen auf und harmonisiert die Regelungen über die Verwendung von Stoffen im allgemeinen und von Trichlorethylen im besonderen nicht.

32 Zwar ist es nach Artikel 11 Absatz 3 der Risikobewertungsverordnung Sache der Kommission, gegebenenfalls auf der Grundlage der gemäß dieser Verordnung erstellten Risikobewertung und Strategieempfehlung Maßnahmen der Gemeinschaft im Rahmen der Beschränkungsrichtlinie oder im Rahmen anderer Regelungen der Gemeinschaft vorzuschlagen; im Hinblick auf Trichlorethylen hat sie jedoch von dieser Befugnis noch keinen Gebrauch gemacht.

33 Da das abgeleitete Gemeinschaftsrecht nicht verhindert, daß ein Mitgliedstaat die gewerbliche Verwendung von Trichlorethylen regelt, ist nunmehr die Frage der Auslegung der Artikel 30 und 36 EG-Vertrag zu untersuchen.

Zu den Artikeln 30 und 36 EG-Vertrag

34 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Verwendung von Trichlorethylen zu gewerblichen Zwecken grundsätzlich verbietet, aber ein System von Ausnahmen im Einzelfall vorsieht.

35 Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche ist grundsätzlich eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne des Artikels 30 EG-Vertrag.

36 Denn zum einen kann das grundsätzliche Verbot der Verwendung von Trichlorethylen zu gewerblichen Zwecken eine Verringerung der Einfuhren von Trichlorethylen bewirken.

37 Wenn im Einzelfall von der zuständigen nationalen Behörde Ausnahmen zugelassen werden können, ist zum anderen auch die Verpflichtung der Wirtschaftsteilnehmer, eine Befreiung oder eine Ausnahme von einer nationalen Maßnahme zu beantragen, die selbst eine mengenmäßige Beschränkung oder eine Maßnahme gleicher Wirkung darstellt, eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung (siehe u. a. Urteile vom 24. Januar 1978 in der Rechtssache 82/77, Van Tiggele, Slg. 1978, 25, Randnr. 19, und vom 8. November 1979 in der Rechtssache 251/78, Denkavit Futtermittel, Slg. 1979, 3369, Randnr. 11). Im übrigen geht aus den eingereichten Schriftsätzen und den Ausführungen in der Sitzung hervor, daß die Ausnahmen nur vorübergehend gewährt werden und es das langfristige Ziel des schwedischen Gesetzgebers bleibt, die Verwendung von Trichlorethylen zu gewerblichen Zwecken völlig zu verbieten.

38 Jedoch nehmen die Gesundheit und das Leben von Menschen unter den in Artikel 36 EG-Vertrag geschützten Gütern und Interessen den ersten Rang ein (siehe Urteil vom 10. November 1994 in der Rechtssache C-320/93, Ortscheit, Slg. 1994, I-5243, Randnr. 16).

39 Hierzu wurde nicht vorgetragen, daß eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die darauf gerichtet ist, jegliche gewerbliche Verwendung von Trichlorethylen zu verbieten, auf anderen Überlegungen als dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen oder dem Umweltschutz beruhen könnte. Außerdem ergibt sich aus der Einstufung von Trichlorethylen auf der Grundlage der Einstufungsrichtlinie, daß dessen Gefährlichkeit auf Gemeinschaftsebene anerkannt ist.

40 Allerdings ist eine nationale Regelung oder Praxis, die die Einfuhren von Erzeugnissen beschränkt oder beschränken kann, mit dem EG-Vertrag nur vereinbar, soweit sie für einen wirksamen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen erforderlich ist. Eine nationale Regelung oder Praxis fällt daher nicht unter die Ausnahme des Artikels 36 EG-Vertrag, wenn die Gesundheit oder das Leben von Menschen genauso wirksam durch Maßnahmen geschützt werden könnten, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränken (siehe für pharmazeutische Erzeugnisse die Urteile vom 7. März 1989 in der Rechtssache 215/87, Schumacher, Slg. 1989, 617, Randnr. 18, vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-369/88, Delattre, Slg. 1991, I-1487, Randnr. 53, vom 16. April 1991 in der Rechtssache C-347/89, Eurim-Pharm, Slg. 1991, I-1747, Randnr. 27, und Urteil Ortscheit, Randnr. 17).

41 Die schwedische Regierung legt dar, Trichlorethylen beeinträchtige das zentrale Nervensystem, die Leber und die Nieren. Seine hohe Flüchtigkeit trage dazu bei, die Expositionssituationen zu vervielfachen, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen könnten. Das Einatmen von Trichlorethylen könne Müdigkeit, Kopfschmerzen sowie Erinnerungs- und Konzentrationsstörungen verursachen.

42 In den letzten Jahren hätten sich diese Befürchtungen verstärkt. Namentlich habe das von der Weltgesundheitsorganisation errichtete Internationale Krebsforschungszentrum (IARC) eingeschränkte, aus epidemiologischen Humanstudien gewonnene und ausreichende, aus experimentellen Tierversuchen gewonnene Beweise für die krebserzeugende Wirkung von Trichlorethylen vorgelegt.

43 Nach der Bewertung durch die IARC im Jahre 1995 seien weitere epidemiologische Studien über den Zusammenhang zwischen Trichlorethylen-Exposition und Krebs beim Menschen veröffentlicht worden. Jüngst habe eine deutsche Kohortenstudie einen statistischen Zusammenhang zwischen Nierenkrebs und Trichlorethylen-Exposition nachgewiesen. Dieses Ergebnis bestätige eine Erkenntnis aus einer früheren Studie, die 1995 veröffentlicht worden und ebenfalls zu dem Schluß gekommen sei, daß Trichlorethylen beim Menschen Nierenkrebs hervorrufen könne. Außerdem deute eine neue amerikanische epidemiologische Studie auf ein erhöhtes Nierenkrebsrisiko u. a. infolge einer beruflich bedingten Trichlorethylen-Exposition hin.

44 Es gebe zudem zuverlässige Beweise, daß die nierenkrebserzeugende Wirkung von Trichlorethylen bei Ratten auch für den Menschen gelte. Die toxischen und mutagenen Metaboliten, die sich bei Labortieren bildeten, seien auch beim Menschen identifiziert worden. Dies verstärke den Verdacht der krebserzeugenden Wirkung von Trichlorethylen beim Menschen.

45 Unter Berücksichtigung der jüngsten einschlägigen medizinischen Forschungsarbeiten, aber auch der Schwierigkeiten, beim derzeitigen Stand der Forschung die kritische Schwelle zu bestimmen, von der an die Trichlorethylen-Exposition eine ernsthafte Gefährdung der menschlichen Gesundheit darstellt, ist den Akten kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 1989 in den Rechtssachen 266/87 und 267/87, Association of Pharmaceutical Importers, Slg. 1989, 1295, Randnr. 22).

46 Insbesondere ist das in dieser Regelung vorgesehene System von tatbestandlich umschriebenen Ausnahmen im Einzelfall angemessen und verhältnismäßig, da es eine Verbesserung des Schutzes der Arbeitnehmer ermöglicht und dabei den Fortbestand der Unternehmen schützt.

47 Zum einen setzt die Bewilligung einer Ausnahme voraus, daß es keinen weniger gefährlichen Ersatzstoff gibt und daß der Kläger für die Zukunft nach einer Alternativlösung sucht, die für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt weniger schädlich ist. Das entspricht dem sogenannten Substitutionsprinzip, das sich u. a. aus den Richtlinien 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1) und 90/394/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene bei der Arbeit (Sechste Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391) (ABl. L 196, S. 1) ergibt und darin besteht, die Gefährdungen dadurch zu beseitigen oder zu verringern, daß ein gefährlicher Stoff durch andere, weniger gefährliche ersetzt wird.

48 Zum anderen rechtfertigt das Bemühen, eine Liquidation des Unternehmens mangels einer Alternativlösung zu vermeiden, die Erteilung einer Ausnahme nur, soweit die Trichlorethylen-Exposition nicht unannehmbar ist.

49 Demgemäß ist eine nationale Regelung, die die Verwendung von Trichlorethylen zu gewerblichen Zwecken grundsätzlich verbietet, aber ein System von tatbestandlich umschriebenen Ausnahmen im Einzelfall vorsieht, nach Artikel 36 zum Schutze der Gesundheit von Menschen gerechtfertigt.

Kostenentscheidung:

Kosten

50 Die Auslagen der schwedischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Kammarrätt Stockholm mit Beschluß vom 17. Dezember 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Eine nationale Regelung, die die Verwendung von Trichlorethylen zu gewerblichen Zwecken grundsätzlich verbietet, aber ein System von tatbestandlich umschriebenen Ausnahmen im Einzelfall vorsieht, ist nach Artikel 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG) zum Schutze der Gesundheit von Menschen gerechtfertigt.

Ende der Entscheidung

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